|
Gescannte Zeit
Einige Gedanken zur Installation „Zeitter“ von Christian Rohner
und Claude Hidber
Von Villö Huszai
„Zeit...ter“
Der Zeitter ist eine Art Scanner. Normalerweise kennen Scanner keine Zeit:
Sie scannen, was längst auf Schreibpapier oder auf Fotopapier gebannt ist -
Zeichen, aus denen die Zeit verbannt ist. Der Scanner liest diese Zeichen und
wandelt sie in Computerdaten um. Wie der Fotokopierer gehört der Scanner fest
zur Einrichtung der gegenwärtigen Welt mit ihren omnipräsenten Zeichen und
Daten.
Wer eilig ein Buch kopiert, ist peinlich berührt, wenn er auf der Kopie seine
Finger in die Buchseite ragen sieht. Der Einbruch von physischer Welt in den
wohlgeordneten Buchstabenraum wirkt obszön. Diesen Einbruch realer Welt
machen die zwei in Basel lebenden Künstler Christian Rohner und Claude Hidber
zum Normalfall. Die Installation Zeitter ist ein Scanner, dem Rohner und
Hidber statt der Scanner-Linse eine Kamera-Optik eingebaut haben. Der
Zeitter-Scanner kann also wie eine Fotokamera räumliche Welt – statt nur Dokumentation von Welt – erfassen.
Also auch Zeit. Er unterhält dabei ein anderes Verhältnis zu dieser
Welt-Zeit, als es bei der Fotokamera der Fall ist. Die Fotokamera friert sie
ein. Der „Zeit-ter“ lässt sie stocken. Der Name „Zeitter“ ist Bezeichnung und Inszenierung zugleich.
Bewegung in Scheibchen
Die vom Zeitter produzierten Bilder wirken bizarr und geheimnisvoll. Die
Ästhetik rührt daher, dass dem Scanner statt keuscher Zeichenflächen bewegte
Welt vorgesetzt wird. Daguerres Aufnahme eines Paris Boulevards aus dem Jahre
1839 dokumentiert aufgrund der langen Belichtungszeiten keine bewegten
Objekte, der Boulevard erscheint auf der Fotografie menschenleer. Die
heutigen kurzen Belichtungszeiten hingegen frieren auch schnellste
Bewegungsmomente ein. Frühzeit wie Gegenwart der Kamerageschichte ist jedoch
eines gemeinsam: Die Kameralinse erfasst den gesamten Bildraum simultan in
einem Belichtungsakt. Der Scanner hingegen kennt keinen Raum, da er ja nicht
für die Erfassung räumlicher Welt, sondern für die Erfassung
zweidimensionaler, zeitloser Zeichenfläche konstruiert ist. Die
Unwandelbarkeit der Schrift ist ja längst sprichwörtlich: Der Scanner hat
darum alle Zeit, sein Objekt scheibenweise zu erfassen. Mit Bewegung, mit
Zeit, mussten seine Erfinder nicht rechnen.
Der Zeitter hingegen konfrontiert die Scanner-Aufnahmetechnik mit Bewegung.
Was der Zeitter wiedergibt, hängt davon ab, wie die Bewegung des Objekts sich
zur Bewegung der von Links nach Rechts aufnehmenden Linse verhält. Ein
stehendes Objekt wird zum Strich, ein sich in Richtung der Linse bewegendes
Objekt kann auf eine fast fotorealistische Darstellung hoffen. Gänzlich
unsichtbar sind hingegen Objekte, die sich in Gegenrichtung zur Bewegung der
Optik befinden. Auf Zeitter-Bildern bewegen sich erkennbare Objekte daher
stets in dieselbe Richtung. Das ist eine unheimliche, vielleicht die
bizarrste Eigenschaft der Bilder-Welten, die Rohner und Hidber präsentieren.
Dem Büro entwischt
Der Scanner gehört ins Büro. Wer dieses Spannteppich- und
Kaffeemaschinenreich betritt, lässt die Welt hinter sich. Akten
repräsentieren hier die Welt. Mit dem Computer tritt die Datei an die Stelle
der Akte. Computerexperten, zuerst aus der Wissenschaft, dann aus der
Industrie, begannen darüber nachzudenken, wie das Büro-Prinzip in die Welt
exportiert werden könne. Sie generalisierten das Prinzip „Büro“, indem
sie Programme für alle nur denkbaren Lebensbereiche entwickelten und die
Programme diesem Büro-Design anglichen. Der Computer sollte sich überallhin
verbreiten und überallhin mit ihm
sollte des Prinzip „Büro“ gelangen. Zu dieser Expansion gehört der Scanner, der
zu Akten mediatisierte Welt in Computerdaten weiterverwandelt.
Setzt der Zeitter die Expansion des Büros fort, indem er dieses nun gar noch
aufs Trottoir verpflanzt? Eher entwischt hier ein Utensil des Büros in die
Aussenwelt. Der altmodische Reisekoffer, in dem Hidber und Rohner den Zeitter
verstauen, mit seinen Klebern zahlreicher Einladungen in alle Welt,
romantisiert diese Flucht.
Weltzeit – Scannerzeit
Stadt-Passanten sind für den Zeitter interessant, weil sie oft zahlreich
auftreten und sich in einem Tempo bewegen, das sich demjenigen der
Zeitter-Linse gut fügt. Das können auch Strassenbahnen sein, oder
Lieferwagen, sofern sie genügend langsam fahren. Wie gesagt: Was der Zeitter
aufnimmt, hängt davon ab, in welcher Relation die Bewegung des Objekts zur
Bewegung der Linse steht. Die Aussage, dass der Scanner keine Zeit kenne,
bedarf daher einer Präzisierung. Als Aussage über das Objekt des Scannings
stimmt der Satz: Wenn es auf dem Aufnahmetisch des Zeitters landet, ist das
Objekt der Aufnahme längst ad acta gelegt und nun nur noch als Vergangenes
Gegenstand geschäftlicher, gerichtlicher oder vielleicht künstlerischer
Verarbeitung. Die Zeit findet längst woanders statt. Unter anderem beim
Scannen. Der Scanner hat durchaus mit Zeit zu tun, Scanning geschieht in der
Zeit. Nur ist die Zeit, in der die Linse von Links nach Rechts gleitend die
Akte digitalisiert, in der Regel die langweiligste Zeit, die man sich denken
kann. Der Fotokopierer war zumindest noch lärmig und gross, stand im Gang und
konnte als Treffpunkt für Verliebte und Raucherinnen dienen. Die Scannerlinse
hingegen streicht fast geräuschlos über die Glasplatte, steril, ein typisches
Büro-Acessoire, das sich vom Schreibtisch aus bedienen lässt. Es verstreicht
zwar Zeit beim Scannen – und je nach Akten-Stapel viel Zeit – , aber es geschieht
nichts dabei.
Akteur des Freiluft-Scannens
Hidber und Rohner hingegen wollen, dass etwas geschieht. Dass das Tempo der
Passanten gut zur Scanner-Bewegung passt, ist mehr ein glücklicher Zufall.
Entscheidend ist, dass Passanten wahrnehmen und reagieren können. Der Zeitter
besteht nicht nur aus einem Aufnahmegerät, dem Scanner mit eingebauter
Kameralinse, dazu kommt ein Wiedergabegerät. Ein Beamer projiziert die
Aufnahme sogleich an eine Wand in unmittelbarer Nähe des Aufnahmegerätes.
Rohner und Hidber wollen die Passanten, die Objekte ihres Freiluft-Scannens,
zu Akteuren machen. Die Projektion, die sich neben dem Scanner befindet,
spielt die Aufnahme wenige Augenblicke später ab, so dass die Passanten die
Relation zwischen der eigenen Bewegung und der Aufnahme herstellen können.
Diese fast simultane Rückmeldung ist die Einladung an die Passanten, mit dem
Zeitter zu experimentieren: auf das erste, rein maschinell entstandene Bild
hin nun mit den spezifischen Aufnahmebedingungen des Zeitters zu spielen. Das
ist eine Form der Interaktivität.
Interaktivität war eines der Zauberworte der 90er Jahre. Rohner schränkt in
seiner Diplomarbeit an der Basler Medienschule „HyperWerk“ den inflationären
Begriff auf eine Interaktion zwischen Mensch und Maschine ein. Interaktivität liege nur dann vor, wenn der
menschliche Input die Maschine verändere, diese also lerne. Dieser strengen
Definition von Interaktion genügt der Zeitter zweifellos nicht: Der Zeitter
nimmt immer auf dieselbe Weise auf. Aber er nimmt eben nie dasselbe auf, da
die Wirklichkeit sich im Gegensatz zu einem gescannten Blatt nicht
wiederholt. Für die relativ kurze Zeit, mit der sich eine Passantin überhaupt
sinnvollerweise mit dem Zeitter auseinandersetzt, bietet der Zeitter immer
neue Kombinationen und überraschende Effekte. Rohner und Hidber sind selber
immer wieder fasziniert von den Ergebnissen der Aufnahmen. Obwohl sie die
Konstrukteure der Maschine sind, können auch sie nicht jeden Effekt erklären,
zumindest nicht sogleich.
Rohner hat sich in seiner Diplomarbeit mit dem Begriff der Interaktivität
auseinandergesetzt, Hidber, ebenfalls Absolvent bei „HyperWerk“,
hat eine
Licht-Installation in einer öffentlichen Unterführung konstruiert. Darin
bilden Passanten das Zielpublikum. Rohner als Experte der für die Neuen
Medien zentralen Kategorie Interaktivität, Hidber mit seiner Erfahrung mit
Passanten als Kunstpublikum - der Zeitter kombiniert diese zwei Momente.
Zeitter als öffentliche Kunst
Der Zeitter, obwohl von Rohner und Hidber aufgrund von Einladungen immer
wieder auch an Ausstellungen oder Festivals gezeigt, gehört auf die Strasse.
Im Kunstkontext, vor einem Kunstpublikum, ist er clevere technische Spielerei.
Draussen, in direktem Kontakt mit „echten“ Passanten, ist er Kunst.
Die Technik, nämlich die gewitzte Zweckentfremdung bestehender
Scanner-Technologie, ist dann Teil eines Unterfangens, das man als
„Öffentliche Kunst“ bezeichnen
könnte.
Als solche steht der Zeitter in Verbindung mit der literarisch-essayistischen
Flaneur-Tradition, die sich im 19. und 20. Jahrhundert im Zuge der
Urbanisierung herausgebildet hat. In dieser Tradition geht es immer auch um
die Verbindung von Medienreflexion und Stadtöffentlichkeit mit ihren anonymen
Passanten-Massen. Der Zeitter setzt sich mit medialer Vermittlung
auseinander. Die Flaneur-Tradition tut dasselbe, nur ungleich versteckter.
Das hängt damit zusammen, dass die Flaneur-Tradition nicht von einem
technischen Bildmedium handelt wie der Zeitter. Das Medium der
Flaneur-Tradition ist das ungleich abstrakter funkionierende Medium Buch. Für
die Flaneur-Texte Walter Benjamins heisst das: Der Flaneur Benjamins, der die
Passanten auf der Strasse beobachtet, tut dies in Stellvertretung des Autors
Benjamin. Dieser sitzt notwendigerweise in einen Raum und schreibt einen
Text. Als Avatar gleichsam des Autors ist der Flaneur in den Städten
unterwegs.
Zeitter – Flaneur – Passantenrolle
Die verwendeten Medien könnten verschiedener nicht sein: Bei Benjamin ist es
der beobachtende Flaneur auf der Strasse, der vom schreibenden Autor Benjamin
wiederum medial, in Buchform, an ein Lesepublikum, vermittelt wird. Beim
Zeitter gibt es die zwei Konstrukteure Hidber und Rohner, die den Zeitter
entwickelt haben und auf die Strasse stellen. Der Zeitter produziert Bilder
von Passanten. Die Passanten in den Flaneur-Texten und die Passanten, mit
denen es der Zeitter zu tun hat, sind auf den ersten Blick in derselben Rolle
von Beobachteten, die in Kunst-Akten verwandelt werden, seien es nun
Flaneur-Texte oder Zeitter-Bilder.
Auf den zweiten Blick zeigt sich die Differenz. Die Passanten, die in
Benjamins Flaneur-Text auftauchen, wissen nichts davon, dass sie medial
vermittelt werden. Sie sind ahnungslose und stumme Statisten, zuerst als
Statisten der Flaneur-Beobachtungen, dann als Statisten im Text des
schreibenden Autors. Die Passanten, die es hingegen mit dem Zeitter zu tun
haben, sind nur anfänglich in derselben Rolle. Spätestens sobald sie die Projektion
an der Wand sehen, erfahren sie von ihrer Statistenrolle. Sie werden damit
selbst zu Beobachtern eben dieser Beobachtungen. Es ist, als würden die
Passanten in den Benjaminschen Flaneur-Texten dem Autor Benjamin über die
Schulter aufs Blatt blicken und beim nächsten mitreden können. Der Abstand
zwischen dem Autor Benjamin und den Passanten-Massen in seinen Flaneur-Texten
ist aber in dieser Weise nicht überwindbar. Von Flaneuren beobachtete
Passanten bleiben für immer stumme Objekte der Flaneur-Texte.
In dieser Differenz zwischen den Passantenrollen zeigt sich eine Stärke des
Zeitters als öffentliches Kunstwerk: Zeitter ermächtigt die Passanten, wie es
für den Buchautor Benjamin aufgrund der medialen Verhältnisse grundsätzlich
nicht möglich ist.
Schreibzeit - Scannerzeit
Wo bei Benjamin die Welt in stumme, ahnungslose Passanten einerseits,
sprachmächtige Autoren und informierte Leser andererseits verfällt, da findet
beim Zeitter eine Verschränkung statt. Das ist nicht zuletzt eine Frage des
Produktionstempos: Ein Bild lässt sich ungleich viel schneller produzieren
als ein Buch. Bis das einstige Passantenbild auf der Netzhaut eines
Flaneur-Auges in den Essay- oder gar Buchtext eines Autors umgeschmolzen ist,
können Jahre vergehen. Im Falle des Zeitters genügt jene oben erwähnte
Zeitspanne, in der die Linse von Links nach Rechts gleitet plus der kurzen
Rechenzeit des Computers.
Diese Unterschiede zwischen Zeitter und Flaneur-Text besagen nicht, dass für
Benjamin die Passivität und Stummheit der städtischen Masse kein Thema ist.
Ganz im Gegenteil dient die Flaneur-Figur gerade dazu, diese medialen
Verhältnisse zu reflektieren. Die Überwindung dieser Stummheit der Masse ist
unzweifelhaft eines der politischen Anliegen des Autors Benjamin. Der
Vergleich zwischen Zeitter und Flaneur-Tradition soll auch nicht behaupten,
dass der Zeitter die grössten gesellschaftspolitischen Fragen aufwerfen will,
wie das Benjamin vielleicht tut. Aber so leicht und verspielt dieses
Kunstwerk daherkommt, und von den zwei Basler Künstlern auch präsentiert
wird: Es regt zum Verweilen an, visuell und gedanklich.
|
|
|
ZEITTER@:
"On Time"
23.05.-02.09.2007
Museum
for Design, Zurich
&
Skulpturengalerie
23.05.-23.07.2007
|
|