Die Klärung des Gewöhnlichen
von Thomas Wulffen
What's Left?
Nicht viel, könnte geantwortet werden am Ende dieses Jahrzehnts, dieses
Jahrhunderts. Die Systeme, ob technisch oder ideologisch, werden zu einem
großen Ganzen integriert. Alternativen sind nur insoweit vorgesehen,
als sie das große System stabilisieren. Die Widersprüche werden
zu einem Parfüm, das sich verkaufen lässt (Contradiction von Calvin
Klein). Kunst wird zu einem Anhängsel der Tourismuswerbung oder löst
sich auf im eigenen Bermudadreieck von Dienstleistung, Entertainment und
Erkenntnistheorie. «Was ist flüssiger als Wasser? Kunst. Sie ist
überflüssig.»1 Die gewohnten Gattungsgrenzen heben sich auf.
Der white cube wird zum club event. Wo die Kunst endet, beginnt die Kunst,
weil das Foto gleichwertig neben der Malerei steht. Das Internet ist Malerei
mit anderen Mitteln, obwohl es vorgibt, etwas ganz anderes zu sein. Aber
Gegenwart ist immer schon gewesen, obwohl Gegenwärtigkeit die Parole
der Zeit ist. Die öffentlichen Medien geben ihr Letztes, um die Grenze
zwischen Privatem und Öffentlichem niederzureißen. Aber dabei
vollziehen sie nur eine Bewegung, die die gewohnte Dichotomie gar nicht
mehr wahrnimmt. Nur noch an den Rändern zeigt sich Dissidenz, kaum
wahrnehmbar. Sie gibt sich nicht deutlich zu erkennen, treibt eine Mimikry,
um nicht aufgesogen zu werden und um wirksam zu bleiben.
Middle of the Road
Sie geben nicht vor, anders zu sein als die anderen. Es sind alltägliche
Geschichten, die Stefan Banz in seinen Videos zeigt. Die Herkunft aus einem
privaten familiären Hintergrund wird nicht geleugnet. Die Hauptpersonen
sind benannt, es sind die eigenen Kinder, die schon in seinen Fotos auftauchten.
Wo diese einen Moment festhalten, gerät bei den Videos ein Geschehen
ins Zentrum. Dieses Geschehen ist nur ausschnittsweise zu sehen, wobei es
dennoch einen Beginn und ein Ende kennt. Aber der Betrachter weiß,
dass dieser Beginn und dieses Ende nur Teil eines anderen Beginns und eines
anderen Endes ist. In dieser Beschreibung unterscheiden sich die Videos
in ihrer Diachronie vom Foto in der Synchronie. Synchrone Belichtung und
Beleuchtung geben den Fotos eine spezifische Künstlichkeit, die den
Videos ohne den Eingriff des Künstlers nicht zukommen würden.
Arthur C.Danto schreibt in 'Die Verklärung des Gewöhnlichen':
«Je größer der Grad des beabsichtigten Realismus, desto
größer auch die Notwendigkeit äußerlicher Hinweise,
dass es sich um Kunst und nicht um Realität handelt.»2 Für
die Videos gilt, dass der 'äußerliche Hinweis' gering ist. Eingesetzt
werden Repetition (Loop), Umkehrung, Zeitlupe und der damit verbundene Klang,
der zum Teil nur eine Art Brummen ist. Der Umkehrschluss heißt dann
auch zu Recht: Realismus ist nicht beabsichtigt. Denn Realismus ist ein
Konzept des 19. Jahrhunderts und selbst die Realismusformen des 20. Jahrhunderts
beziehen sich noch darauf. Wir leben Middle of the Road, umgeben von medialen
Bildern und Klängen, und das heißt auch, dass wir ohne Bilder
(von Bildern) 'Realität' nicht wahrnehmen können. Jeder einzelne
Take der Videos ist geprägt von diesen Bildern und Klängen, die
wir schon vorher erfahren und gespeichert haben. Realität kommt nur
im Abgleich mit diesen Bildern, eigenen und fremden, zustande und ist als
Konzept nur eine verkürzte Redeweise für diesen Vorgang.
Right in Front
Die Videoarbeiten von Stefan Banz zeichnen sich durch diese Differenz zwischen
Abgleich und Konzept aus. Sie spielen mit dem Realitätsgehalt, den
wir sehen und den wir ihnen nicht zutrauen. Wesentliches Ingredienz dafür
ist da tatsächlich das familiäre Umfeld, das wiederum verweist
auf das eigene Umfeld. Die scheinbare Veröffentlichung des Privaten
stellt dagegen auf einer anderen Ebene die Frage nach dem Unterschied von
Öffentlichem und Privatem. Wo beginnt das gewöhnliche Leben und
wo endet die Familienserie? Das bleibt ambivalent und die Entscheidung liegt
im Auge des Betrachters. Was wir vor uns haben ist eine Art Mimikry, die
wirksam ist und zur Klärung des Gewöhnlichen führt.
1 Vgl. Stefan Banz' Video «What is ...» (Nr.11/1998), in welchem
sein Sohn Jonathan am Küchentisch bei Kaffee und Butterbrot und vor
farbigen Reagenzgläsern keck die Quizfrage «Was ist flüssiger
als Wasser?» stellt, um sie sogleich selbst mit den Worten «Kunst.
Sie ist überflüssig.» zu beantworten. Die Sequenz wird schliesslich
vom Künstler endlos geloopt, was dem Statement sowohl etwas Kurioses
als auch Rituelles verleiht.
2 Arthur C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen - Eine
Philosophie der Kunst, Frankfurt am Main 1984, S. 49