AUTOMATISCHES SCHREIBEN

von Roberto Simanowski

In seinem Erzählband Someone Like You veröffentlichte Roald Dahl 1948 die Geschichte vom Great Automatic Grammatizator.(1) In dieser Geschichte findet Adolph Knipe eine besondere Verwendung für die "great automatic computing engine", die er gerade mit Mr. Bohlen gebaut hatte: Der Computer soll nicht nur Zahlen berechnen, sondern auch Wörter so zusammenstellen, dass sie als Literatur durchgehen. Knipe gelingt es, Bohlen von der Möglichkeit eines solchen Unterfangens zu überzeugen, denn Literatur basiert auf dem grammatischen System der Sprache, das auch durch einen Computer erkannt und erstellt werden kann. Mit Hilfe einer plot-memory section (gefüllt mit den Plots anderer Texte) und einer word-memory section (gefüllt mit dem Lexikon der englischen Sprache) kann man jede gewünschte Art von Geschichte durch entsprechende Knopfdrucke produzieren. Am meisten aber überzeugt Bohlen der ökonomische Aspekt des Experiments - und richtig, nach Anfangsschwierigkeiten machen die beiden viel Geld, indem sie den Hauptteil der von Zeitschriften benötigten Geschichten abdecken und sogar zur Romanproduktion vorstoßen. Das Imperium Knipe/Bohlen kauft schließlich zwei Drittel aller Autoren auf mit einem lebenslänglichen Gehalt dafür, nie wieder eine Zeile zu schreiben.
Dahls Phantasie einer mathematisierten Literatur ist der Technologieeuphorie seiner Zeit geschuldet, die sich u.a. in Norbert Wieners ebenfalls 1948 erschienenem Buch über die Mensch-Maschine-Kommunikation Cybernetics äußert. Die Idee der Literatur aus der Maschine ist freilich älter als der Computer. Die Ars Combinatoria im Barock ist Ausdruck dieser Vorstellung und zugleich Beispiel erster Realisierungsansätze.(2) Die Phantasie des subjektlosen Schreibens findet ihre Fortführung im 18. und 19. Jahrhundert unter anderem in Texten von Jonathan Swifts und Walter Scotts – jener berichtet im Gulliver vom Sprachwürfel-Apparat des Projektemachers Legado, dieser berichtet vom Vorschlag einer Maschine, die mittels Dampfkraft standardisierte Romanteile erzeugt.(3) 1845 wurde der Öffentlichkeit ein von John Clarke konstruierter Automat zur Erstellung latainischer Hexameter vorgestellt.(4) Anfang des 20. Jahrhunderts liest Tristan Tzara im Cabaret Voltaire in Zürich seine Zettelgedichte vor – willkürlich aus der Tasche gezogene Textschnipsel, die er zuvor aus Zeitungen schnitt (5) –, William Bourroughs greift das Zufallsprinzip später mit seiner Cut-up-Poetik auf.
Mit dem Computer ergaben sich natürlich neue Möglichkeiten für das Erstellen aleatorischer bzw. stochastischer Texte. Die Entwicklung von Erzählmaschinen - wie die zur Textgenerierung eingesetzten Computer hier genannt seien - stellte dabei zugleich einen Beitrag zu den zeitgenössischen Experimenten mit Künstlicher Intelligenz dar, denn es ging ja darum, einen kreativen Vorgang soweit zu schematisieren, dass er auch von einer Maschine durchgeführt werden konnte. Andererseits diskutierte man diese Automatisierung des Schreibens unter dem Vorzeichen avantgardistischer Literatur, wie im Falle der Stuttgarter Gruppe um Max Bense, der mit seinen Kollegen seit Ende der 50er Jahre stochastische Texte am Grosscomputer Zuse erzeugte.(6) Theo Lutz produzierte 1959 Texte mit Zuse 22 auf der Grundlage eines eingegebenen Lexikons und syntaktischer Regeln. Manfred Krause und Götz Friedrich Schaudt gaben dem Computer 1967 Texte verschiedener Dichter sowie juristische und medizinische Fachtexte ein und ließen ihn daraus auf der Grundlage vorgegebener Versmaße und Syntaxregeln neue Gedichte erzeugen.(7) Wichtige Stichworte der weiteren Entwicklung von Erzählmaschinen sind Meehans Tale Spin (1977), Racter von Chamberlain und Etter (1984), Lebowitz' Universe (1985), Scott Turner's Minstrel (1992) und Selmer Bringsjords Brutus (1998).
Die Herausforderung des computergenerierten Erzählens ist doppelter Art: Es geht zum einen darum, aus einem Vorrat an Wörtern grammatisch richtige Sätze zu bilden, es geht zum anderen darum, dass diese Sätze auch sinnvoll sind und in ihrer Addition eine kohärente Geschichte erzählen. Während ersteres mittels ausgefeilter Verfahren der Strukturerkennung relativ einfach zu lösen ist, stellt sich letzteres als die Archillesverse computergestützter Tetxgenerierung heraus.

Nehmen wir das Beispiel Racter, ein von William Chamberlain und Thomas Etter 1984 geschriebenes Programm zur automatischen Erstellung von Lyrik unf Kurzprosa.(8) Etters und Chamberlain gaben das Material und die Kombinationsmöglichkeiten vor, auf deren Basis der Computer Sätze und Geschichten konstruiert. Die Sätze sind grammatisch richtig und die Fähigkeit des Programms, bereits benutzte Formulierungen zu adaptieren und erneut zu benutzen, gibt den Geschichten den Anschein von Kontinuität. Dies ändert aber nichts daran, dass die Wortauswahl willkürlich und damit unreflektiert erfolgt und die Texte insgesamt sinnlos und konzeptlos sind, wie das folgende Beispiel aus dem Racter-Buch The Policeman's Beard is Half-Constructed (1984) zeigt.

     "War," chanted Benton, "war strangely is happiness to Diane." He was expectant but he speedily started to cry again. "Assault also is her happiness." Coldly they began to enrage and revile each other during the time that they hungrily swallowed their chicken. Suddenly Lisa sang of her desire for Diane. She crooned quickly. Her singing was inciting to Benton. He wished to assassinate her yet he sang, "Lisa, chant your valuable and interesting awareness." Lisa speedily replied. She desired possessing her own consciousness. "Benton," she spoke, "you cry that war and assault are a joy to Diane, but your consciousness is a tragedy as is your infatuation. My spirit cleverly recognizes the critical dreams of Benton. That is my pleasure."

Benton saw Lisa, then began to revile her. He yodeled that Lisa possessed an infatuation for Diane, that her spirit was nervous, that she could thoughtfully murder her and she would determinedly know nothing. Lisa briskly spoke that Benton possessed a contract, an affair, and a story of that affair would give happiness to Diane. They chanted sloppily for months. At all events I quickly will stop chanting now.(9)

Angesichts dieses Beispiels kann man Jack Barley McGraw nur zustimmen, dass Racters Prosa "disturbingly superficial” ist und dass seine Akzeptanz durch die Leser von deren Fähigkeit abhängt, "[to construct] conceptual justification (seemingly out of thin air) for vaguely related strings of words. This propensity towards reading meaning out of hints that meaning might be lurking somewhere is subtly encouraged by Racter's habit of slightly repeating itself.” Wer allerdings den Automatismus der Texterstellung bedenkt, wird kaum an einen versteckten Textsinn glauben und nicht die Aufgabe übernehmen wollen, unverdrossen an dessen Aufdeckung zu arbeiten. Die Rezeptionshaltung wird eher jener gleichen, die man der Unsinnspoesie gegenüber einnimmt: als "Auflehnung gegen den Denk- und Realitätszwang” (Klaus Peter Dencker, 1995, 11), als Freude an einer "Schöpfung ohne Mythos und Logos” (Dieter Baake, 1995, 376).(10) Die Frage ist, wie oft man als Leser bereit ist, sich mit diesem Ergebnis zufriedenzugeben. Im Hinblick auf den Ehrgeiz der Textmaschinen, sinnvolle Geschichten zu generieren, hält Jack Barley McGraw fest: "What we can learn from Racter is that there is much more to creativity than a generative grammar hooked up with a random-number generator. It is not enough to generate seemingly flexible and ambiguous behavior at the surface level by flipping coins and relying on humans to glean meaning that is not really there from empty prose. What is missing in Racter is a coherent set of top-down semantic constraints so that it can create according to a plan or goal, avoid mundanity, and assess its own output. The moral: randomness alone does not creativity make.”(11)

Ein Ausweg aus dem Dilemma syntaktisch richtiger, aber semantisch unsinniger Texterzeugung ist das top-down Verfahren des zielgerichteten Erzählens, das auf einem vorgegebenen Wissen möglicher Konfliktlösungsverfahren beruht. Dieser Ansatz basiert auf den Versuchen der Schematisierung des Erzählens im Zuge des Strukturalismus als herrschender Theorie der 60er und 70er Jahre.(12) Der methodische Zugang zum Problem bestand in der Reduktion des komplexen Prozesses der Narration auf seine wesentlichen Elemente und Regeln. So wurde das Erzählen als eine Form der Problemlösung verstanden, das mit den Parametern Konfliktsituation, Lösungsabsicht, Lösungsstrategie sowie der Kausalität als Verknüpfungsgebot arbeitete.(13) Gerade letzteres stellte eine für den Computer releativ einfach handhabbare Grundregel dar, vorausgesetzt, er wurde zuvor mit einem entsprechenden Wissensvorat ausgerüstet.
Um den technischen Aspekt des Top-down-Verfahrens an einem Beispiel nur anzudeuten: Der "interactive story generator” Makebelieve von Hugo Liu und Push Singh arbeitet auf der Basis von 9 000 vorstrukturierten englischen Sätzen, die jeweils auf einer Rahmenebene (trans-frames) mit Blick auf Verb, Objekt und Adjektiv katalogisiert und mit dem Attribut before (cause) oder after (effect) versehen wurden. Die automatische Texterzeugung erfolgt dann so, dass zum cause in einem vom User eingegebenen Satz passende effect-Sätze aus dem katalogisierten Satzvorrat gesucht werden, die als cause-Sätze weitere effect-Sätze nach sich ziehen, wobei das Programm darauf achtet, dass Verb, Objekt und Adjektiv der zu verbindenen Sätze eine semantische Relation aufweisen.(14) Auf diese Weise produziert das Programm in Reaktion auf einen vom User eingegebenen Satz automatisch einen 5 bis 20 zeiligen Text, wie etwa den folgenden:

     John became very lazy at work. John lost his job. John decided to get drunk. He started to commit crimes. John went to prison. He experienced bruises. John cried. He looked at himself differently.(15)

Die Autoren des Programms erklären, dass diese Kausalkette die Basis eine Geschichte sein und nun mit Leben ausgefüllt werden kann. Der Effekt der Erzählmaschine ist also die Bereitstellung eines Erzählgerüsts. Angesichts des vorliegenden Beispiels fragt man sich freilich, ob dazu wirklich die Hilfe einer Maschine nötig war. Aber immerhin, für TV-Serien, die einen großen Bedarf an Konfliktszenarien haben, könnte dies eine Erleichterung sein. Dass das Programm immer nur die Bindung eines Akteurs an eine Handlung verarbeiten kann, ist freilich ein Mangel. Inwiefern es davon abgesehen eine wünschenswerte Erleichterung darstellt, wird noch zu diskutieren sein.

Auch Scott Turners Minstrel gehört in die Gruppe der Top-down-Erzählmaschinen. Hier wird das Problem in Anlehnung an eine erinnerte ähnliche Situation gelöst, indem die vorgefundene Lösung jener Situation mit entsprechenden Modifikationen an den aktuellen Fall angepasst wird.(16) Ein Ergebnis dieser Textproduktion mit dem Titel "The Vengeful Princess” liest sich wie folgt: (17)

     Once upon a time there was a Lady of the Court named Jennifer. Jennifer loved a knight named Grunfeld. Grunfeld loved Jennifer.

Jennifer wanted revenge on a lady of the court named Darlene because she had the berries which she picked in the woods and Jennifer wanted to have the berries. Jennifer wanted to scare Darlene. Jennifer wanted a dragon to move towards Darlene so that Darlene believed it would eat her. Jennifer wanted to appear to be a dragon so that a dragon would move towards Darlene. Jennifer drank a magic potion. Jennifer transformed into a dragon. A dragon moved towards Darlene. A dragon was near Darlene.

Grunfeld wanted to impress the king. Grunfeld wanted to move towards the woods so that he could fight a dragon. Grunfeld moved towards the woods. Grunfeld was near the woods. Grunfeld fought a dragon. The dragon died. The dragon was Jennifer. Jennifer wanted to live. Jennifer tried to drink a magic potion but failed. Grunfeld was filled with grief.

Jennifer was buried in the woods. Grunfeld became a hermit.

Der konkrete Qualitätstest zeigt: Die Geschichte ist zwar sinnvoll, aber hölzern und völlig uninspiriert. Und da die Erzählmaschine selbst kaum ein Verständnis der ausgegebenen Geschichte hat, macht sie stilistisch auch keinen Unterschied zwischen deren einzelnen Teilen. Interessante und emotionale Aspekte wie die Tatsache, dass hinter dem Drachen Jennifer steckt, oder Grunfelds Verzweiflung nach der Entdeckung, die Geliebte getötet zu haben, werden mit der gleichen nüchternen Oekonomie erzählt wie die banaleren Teile der Geschichte. Das Erzählverfahren des Computers ist eines der Indifferenz; es gibt keine syntaktischen Variationen, das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit wird nicht dem erzählten Inhalt angepasst. Erzählmaschinen können offenbar maximal inhaltlich und stilistisch primitive Geschichten erzeugen, die ihnen sicher nicht den Erfolg einbringen, den der Great Automatic Grammatizator in Roald Dahls Geschichte feiern kann. Anders verhält es sich mit den Lyrikmaschinen.

Während die computergenerierte Prosa kaum Erträge von überzeugender Qualität hervorbringt, kann computergenerierte Lyrik auf einige Erfolge verweisen. Berühmtes Beispiel ist der Gedichtband Die Reisen. In achtzig flachen Hunden in die ganze tiefe Grube, den die beiden Österreicher Ferdinand Schmatz und Franz Joseph Czernin vom Computer schreiben ließen.


     Teller und Schweiß

sträuße
seit sich aus unseren kammern
solche säfte geschöpft hatten,
werden euch auch die wurzeln übertragen:
ihr schnittet euch selbst
durch und durch sichtlich
in scheiben auf,
die an jede flüssigkeit grenzten.
der halm grünt uns, die blüte rötet euch,
sobald wir ausgeschlachtet worden sein werden
von all dem verscherben:
immer habt ihr euch gegabelt
durch uns gäste, die zweigsamen.
doch die gläser, die klingen uns bald,
so im heißen als messer,
während wir jetzt einander kosten
euch über dem wachsenden teig.
ganz verblümt blättert ihr uns
von den decken, den ganzen schmus:
diese luster werden geschwankt haben,
durch all unseren kohl
von euren blumen gebissen?
- ihr brachtet uns zum sieden.

Diese Gedichtsammlung erschien nicht nur 1987 im renommierten Residenz-Verlag, sie wurde auch mit Preisen geehrt. Schmatz und Czernin deckten daraufhin die wahre Autorschaft auf, man kann sich vorstellen, welch narzistische Kränkung sie damit dem Literaturbetrieb bereiteten. Gleichwohl überrascht der Erfolg des Gedichtbandes eigentlich nicht. Poesie lebt von der ungewohnten Auswahl und Zusammenstellung einzelner Wörter. Die Organisation des Wortmaterials zielt hier nicht auf die Wiedergabe von Ereignissen in nachvollziehbaren Sätze, sondern auf die Wiedergabe des Selbst- und Weltempfindens eines lyrischen Subjekts. Wortwahl und -Zusammenstellung sind somit ein Ausweis der inneren Beschaffenheit des lyrischen Subjekts, das Ungewöhnliche auf linguistischer Ebene also ein Abbild der Besonderheit dieses Subjekts. Aus der Logik dieser Konstellation heraus wird das Unzugängliche prinzipiell zunächst als Avantgarde aufgenommen, denn was würde unsere entfremdete Wirklichkeit mit all ihren zerrissenen Subjekten besser wiedergeben als ein Text voll entremdender und zerrissener Wortfetzen. Dies gilt nicht für Prosa, von der man, bei allen modernen und postmodernen Experimenten, doch immer noch eine nachvollziehbare Geschichte erwartet.

Die hier beschriebenen Formen des automatischen Schreibens überlassen alle dem Computer das letzte Wort. Dies stellt in der Tradition der Aleatorik - die ja bis in das Barock zurückgeht und auch musikalische Kompositionen einschliesst - jedoch nur eine der beiden Spielformen dar. Der Einsatz des Zufalls als Autor soll zunächst von der als zufällig verstandenen Subjektivität des menschlichen Autors befreien und eine Kreativität jenseits bekannter und hemmender Konstruktionsmuster erlauben. In vielen Fällen folgt der Suspendierung des menschlichen Autors in einem zweiten Schritt allerdings die Nachsemantisierung durch diesen: Das automatisch oder zufällig erstellte Material wird auf seine Verwertbarkeit geprüft und im Sinne seiner Lesbarkeit moduliert. So kommt das Menschliche wieder in den Text.(18)
Diesen Rückgewinn des menschlichen Faktors findet man auch in einigen der Erzählmaschinen wie etwa Stephan Karsch’ maquina poetica. Dieses Programm bringt nicht nur dem vorhandenen Wortpool zuffällig entnommene Wörter auf den Bildschirm, es ermöglicht dem Leser auch die Umstellung, Streichung, Hinzufügung von Wörtern.(19) Eine Vorlage, in der man beliebig Worte umstellen, streichen und eigene eingeben kann, wäre zum Beispiel folgende:

     geknebelte Sünden aus Wasser schmachten
an den Wonnen deiner Wollust
deine Monde am Strahlen
feucht scheinende Windungen sterben
flackerndes Licht

In maquina poetica ist das Subjekt nicht aus dem kreativen Prozess ausgegrenzt, wie in den meisten der bisher besprochenen Programme. Der Leser ist vielmehr innerhalb einer Spielumgebung mit unterschiedlichen Mitwirkungsgraden in den Prozess des Schreibens einbezogen. Karsch erklärt das didaktische Konzept seines Projekts: "Zentral für das Gesamtprojekt war dabei der Gedanke des Spiels. Spiele mit Poesie sollen unterhalten und anregen mit Sprache kreativ umzugehen, zu kombinieren, zu erfinden, und vielleicht auch die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern.”(20)

Erzählprogramme wie Makebelieve eignen sich trotz ihrer Beschränkungen gewiss als Mittel für die Produktion von Plots. Die Frage ist freilich, worin der Sinn von Konfliktlinien liegt, die der Mensch nicht selbst erdacht hat, die er also nicht einmal ansatzweise innerlich erlebt hat. Und es ist die Frage nach dem Sinn von Erzählmaschinen generell. Ein altes Literatenwort sagt, dass nur schreiben kann, wer unglücklich ist. Dies ist gewiss eine radikale und eingeschränkte Betrachtungsweise ebenso wie Heinrich Heines Ansicht, dass hinterm Ofen die schönsten Frühlingsgedichte entstehen. Aber auch wenn wir im Gegenteil behaupten, das Loblied auf den Sommer könne nur unter strahlend blauem Himmel entstehen, es geht doch jeweils um die gleiche Intensität des Erlebens. Es geht darum, dass man den Dichter, wie jeden anderen Künstler auch, als jemanden versteht, der nicht anders kann, als schreiben (oder eben malen oder komponieren), um dem Innersten Ausdruck zu geben. Wie verhält es sich damit, wenn die Maschine die Arbeit übernimmt?!
Die automatische Textproduktion ist faktisch die Ausweitung der Entfremdung (als gesellschaftliches Phänomen der modernen Gesellschaft) auch auf den poetischen Prozess.(21) Es ist das Leben des Autors, das den mechanischen Seiten des Schreibens die besondere Note gibt. Das automatische Erzählen hat zum Ziel, sich gerade von dieser Anwesenheit des Autors im Text zu befreien. Die einzige Person, die im automatisch generierten Text anwesend bleibt, ist der Programmierer. Es ist der Sieg des Ingenieurs über den Dichter, es ist die Rückkehr zur Regelpoetik, es ist die Ablösung von Lebenserfahrung durch Rechenkünste und dies produziert naturgemäß Texte, wie sie sich Ingenieure vorstellen mögen.(22)
Aus der Entfremdung des Schreibprozesses resultiert auf der anderen Seite die Entfremdung der Rezeption, denn wenn der Leser nicht mehr mit der spezifischen Selbst- und Welterfahrung eines Autors konfrontiert ist, worum geht es dann noch im Lektüreprozess? Welche Sendung kann ein Text ohne Sender noch haben? Und welche Autorität hätte die von einer Erzählmaschine ausgeprochene, genauer: ausgeworfene Botschaft: Du must dein Leben ändern?!

Die Frage mag medienpolitische Naivität und unterschwellige Technikskepsis verraten. Mit entsprechendem Zynismus hinsichtlich der zeitgenössischen Unterhaltungsfunktion der Medien wird man Rilkes Mahnung als völlig obsolet abwinken und die automatische Plot-Produktion als Effizienzsteigerung und Kostensenkung begrüssen. Und ausgerüstet mit einer unerschütterlichen Technikeuphorie wird man kaum verstehen, warum der Computer denn nicht alles machen sollte, was er machen kann. Warum also sollte er uns nicht auch das Schreiben unserer Geschichten abnehmen?!
Der Kommentar von Michael Leibowitz, dem Erfinder des Textgenerators Universe, über den Sinn solcher Erzählmaschinen impliziert die Entkopplung der Kreativität von der Autentizität: "We can create programs that help a writer develop meaningful characters and that suggest plot possibilities.”(23) Für den Computerwissenschaftler ist es offenbar kein Problem, dass Konflikte und Charaktere nicht dem (Er)Leben entnommen werden, sondern dem Kombinationsvermögen der Maschine entstammen.
Man sollte sich jedoch daran erinnern, dass die Entkoppelung des Schreibens von der Persönlichkeit des Autors nicht nur und nicht erst von Computerwissenschaftlern favorisiert wurde. Es waren Künstler wie Tristan Tzara, Getrud Stein oder William Bourroughs, die im Laufe des 20. Jahrhunderts den künstlerischen Gestaltungsprozess gerade durch Automatisierungs- und Zufallsverfahren vom menschlichen Subjekts zu lösen suchten. Das Ziel dieser Unternehmungen war das Überwinden der schematischen Grenzen, in denen die Phantasie des Künstlers befangen war, und natürlich der Verstoss gegen gängige Rezeptionserwartungen, die Rebellion gegen den bürgerlichen Kunstbetrieb. In diesem Sinne begrüßt Italo Calvino in seinem Vortrag "Cibernetica e fantasmi” 1967 die literarische Maschine als Ausdruck der Avantgarde (1984, 14f.) und in diesem Sinne verstanden sich auch die Vertreter der Stuttgarter Gruppe, die in einer manifesten Äußerung 1964 ihre Bemühungen um eine künstliche Poesie in der Tradition experimenteller Literatur sahen, die "den Unterhaltungsstil und die Gattungskriterien einer konventionellen (sogenannten) Literatur hinter sich gelassen hat” und in ihrem ästhetischen Spiel eine "ästhetische[n] Negation gesellschaftlicher Zustände, zivilisatorischer Mängel” darstellt. Max Bense und Reinhard Döhl sprechen von einem theoriegetriebenen Experiment und von einer "materialen Poesie oder Kunst”: "An die Stelle des Dichter-Sehers, des Inhalts- und Stimmungsjongleurs ist wieder der Handwerker getreten, der die Materialien handhabt, der die materialen Prozesse in gang setzt und in gang hält.”(24) Der Sieg des Ingenieurs ist also durchaus Teil des Plans, die "progressive Ästhetik bzw. Poetik”, von der Bense und Döhl sprechen, ist eine "Poietike techne”.(25) Findet man dergleichen ästhetische Zielsetzungen – oder wenigstens Machtübernahmeintentionen – auch in den Erklärungen der heutigen Computerwissenschaftler über Ziel und Funktion der Erzählmaschinen?
Was die angepriesene automatische Plot-Produktion betrifft, so fällt es schwer, diese in der Tradition der literarischen Avantgarde zu sehen. Als effektive Massenproduktion von Literatur vergleichbar einem Konsumartikel von der Stange scheint sie vielmehr im Dienste der Kulturindustrie zu stehen. In diesem Sinne sieht auch der Ingenieur Knipe in Dahls Geschichte vom Great Automatic Grammatizator Literatur als "just another product like carpets and chairs” und erklärt über das Schreiben von literarischen Texten: "no one cares how you produce them so long as you deliver the goods.”(26) Aber so funktioniert Literatur ursprünglich eben nicht. So wie der gutsitzende Anzug seinen Empfänger vor der Herstellung kennen muss, so ist ‘gutsitzende’ Literatur ihrem Sender auf den Leib geschnitten. Dieser Leib ist nun quasi ein mechanischer. Das automatische Erzählen verfängt sich in einem internen Widerspruch: Produktionsästhetisch ist es einserseits Avantgarde, angesichts seines formalen Schematismus steht es andererseits im Zeichen der Massenliteratur.(27) Wie das abschließende Beispiel zeigt, liegt die Lösung des Konflikts nicht zwangsläufig im Abschied von der Erzählmaschine oder dem Zufall als Autor.

Erzählmaschinen funktionieren prinzipiell in der Weise, dass aus einem Vorrat an Worten und Sätzen ein neuer Text zusammengestellt wird. Der Vorrat ist im Falle der syntaktisch richtigen, aber semantisch unsinnigen Texte zumeist ein Wörterbuch oder, wie im Falle von Simon Biggs Great Wall of China, das Vokabular einer literarischen Vorlage. Im Falle der Erstellung eines sinnvollen, kohärenten Textes steht der Erzählmaschine eine Sammlung an einzelnen Sätzen oder ganzen Abschnitten zur Verfügung, wobei der Vorrat jeweils durch die Programmierer der Erzählmaschine erstellt wurde. Anders ist es bei The Impermanence Agent von Noah Wardrip-Fruin, Adam Chapman, Brion Moss und Duane Whitehurst (1998).
The Impermanence Agent ist ein Programm, das in einem gesonderten kleinen Fenster auf dem Computerscreen eine von Noah Wardrip-Fruin recht traditionell erzählte Collage-Geschichte mit Texten über und aus dem Nachlass seiner Grossmutter anbietet. Dieses Fenster öffnet sich nur, wenn der User ein normales Browserfenster aufruft, um im Web zu surfen. Die Pointe des Impermanence Agent ist, dass er aus den vom User besuchten Webseiten willkürlich Textteile und Images entnimmt und in die Ausgangsgeschichte überträgt bzw. deren Sätze und Bilder damit ersetzt.(28) Die anfangs kohärente, sinnfällige Geschichte wird somit im Laufe der Bewegung des Users im Web zunehmend durch narrative Fremdkörper verunstalted, bis sie nur noch aus diesen besteht. Das Endergebnis ist ein unverständlicher Text, der zugleich die Geschichte der Surfbewegung des Users durch das Web erzählt. Die Autoren dieser Erzählmaschine sprechen daher von einem "Web-based customizing storyteller”.(29) Noahs Ausgangstext ist einer Collage gewichen, die gewissermassen durch den User bzw. dessen Browserverhalten erstellt wurde, wenngleich auch intentionslos, da er keinen Einfluss darauf hat, welche Teile des Ausgangstextes durch welche Teile der besuchten Webseiten ersetzt werden. Beispiel für die Veränderung sind folgende Textpassagen (die kursiv gesetzten Teile zeigen die Veränderung zum Original an):

     Originaltext: I felt the baby moving today and wanted to tell Grace that I have forgiven you and myself. But even she - all of my family - the way they have religion, it's not forgiving.

Nach der ersten Veränderung: I felt the baby moving today and wanted to tell Grace that I have forgiven you. That killed 25 people and myself. But even she - all of my family - the way they have religion, it's not forgiving.

Nach der dritten Veränderung: I link therefore I am, a baby moving today and wanted to tell Grace that I have forgiven you. That killed 25 people and myself. But even she wrote updates and e-mail from her family - the way they have religion, it's not forgiving.

Der tiefere Sinn dieses Textverzerrungsspiels ist der kulturkritische Verweis auf die Tendenz der Personalisierung des Internet. Die Autoren verweisen in ihrem Essay auf verschiedene Formen der Personalisierung des Weberlebens, sei es der kundenspezifische Zuschnitt von Kaufempfehlungen auf Websites wie Amazon oder sei es die Personalisierung der News durch die mögliche Auswahl bei Online-Newsanbietern, worüber man informiert werden will. Die kritische Perspektive der Autoren auf diese Personalisierung ist deutlich zu spüren, wenn sie beklagen, dass sich dann kaum noch jemand den ungewollten, unliebsamen Nachrichten – zum Beispiel die Menschenrechtsverletzungen der USA in Afrika – aussetzen wird: "Our information servant, our agent, will learn what we like and present us the world in that image through judicious customization. It is this line of imagining that The Impermanence Agent takes as the starting point for its customization processes ...”(30) Dieses Daily Me, wie die kundenspezifische Nachrichtenvermittlung genannt wird, ist im Impermanence Agent kolportiert, indem ein angebotener Ausgangstext durch die Spuren des täglichen eigenen Browserverhaltens modifiziert, verzerrt und schliesslich zerstört wird. Der zu konstatierende Textverlust symbolisiert den Weltverlust, den das Daily Me als subjektzentrierte Informationsbelieferung darstellt.
Anders als die meisten Erzählmaschinen ist der Impermanence Agent somit selbstreflexiv. Er nutzt die zugrundeliegende Technologie zur Kritik der im Web eingesetzten Technologie der Personalisierung. Die angebotene, zunehmend verzerrte Geschichte ist nicht das Ziel des Unternehmens, sondern Mittel, die Verzerrung darzustellen. Es geht nicht um einen von der Erzählmaschine erstellten lesbaren Text, es geht im Gegenteil um die Auflösung des von einem Autor erstellten Textes durch die Erzählmaschine. Damit ist der Impermanence Agent ein Beispiel für den Einsatz aleatorischer Textgenerierung im Zeichen einer genauen künstlerischen Intention, die den Zufall der Maschine nutzt, um eine Botschaft zu vermitteln, die über den Zufall hinausgeht. Ein Beispiel dafür auch, wie Ingenieur und Dichter im Paradigma digitlaer Medien letzlich doch zu einer sinnvollen Einheit finden können.


LINK-LISTE

Anmerkungen
1) Roald Dahl: Great Automatic Grammatizator, in: ders., Someone Like You, Penguin Books: 1948, 190-209.
2) Vgl. oben Kapitel III-1: "Hypertext: Merkmale, Forschung, Poetik”, Abschnitt 7: "Kombinatorik und Spiele des Zufalls”.
3) Vgl. Dotzler, Bernd (1994): "Nachrichten aus der früheren Welt – und Zukunft. Zur Programmierung der Literatur mit und nach Babbage”, in : Norbert Bolz, Friedrich Kittler und Christoph Tholen (Hgg.) : Computer als Medium, München 1994, 39-67, hier : 65.
4) Vgl. Dotzler, a.a.O., 64.
5) Vgl. Tzaras Gerbauchsanweisung Um ein dadaistisches Gedicht zu machen von 1920.
6) Vgl. Max Bense: Manifest einer neuen Prosa, 1960, Ort (?); vgl. auch das Interview mit Reinhard Döhl und Johannes Auer in dichtung-digital 4/2001 (www.dichtung-digital.com/2001/07/4-Auer-Doehl).
7) Vgl. Krause, Manfred und Götz Friedrich Schaudt (1967): Computerlyrik, Düsseldorf. Für einen Überblick vgl. auch Schütz, Erhard (1991)(Hg.): HighTech-LowLit? Literatur und Technik: Autoren und Computer, Essen, und Fischer, Manfred (1989) (Hg.): Mensch und Technik. Literarische Phantasie und Textmaschine, Aachen. Vgl. auch den Essay von Reinhard Döhl "Vom Computertext zur Netzkunst. Vom Bleisatz zum Hypertext” (http://www.netzliteratur.net/computertext_netzkunst.htm). Für Links zu computergenerierten Texten und Texten zu computergeneriertem Schreiben siehe Marius Watz: "Computer-Generated Writing” (www.evolutionzone.com/kulturezone oder www.xbeat.net/ware/poezak/Computer%20Generated%20Writing.htm)
8) Für ein Beispiel der von Racter produzierten Lyrik siehe oben Kapitel III-1: "Hypertext: Merkmale, Forschung, Poetik”, Abschnitt 7: "Kombinatorik und Spiele des Zufalls”.
9) Zitiert nach: Jack Barley McGraw: http://www.cogsci.indiana.edu/farg/mcgrawg/thesis/chapter3.ps.gz
10) Vgl. dazu oben Kapitel III-1: "Hypertext: Merkmale, Forschung, Poetik”, Abschnitt 7: "Kombinatorik und Spiele des Zufalls”
11) http://www.cogsci.indiana.edu/farg/mcgrawg/thesis/chapter3.ps.gz
12) Vgl. Klein, S. u.a. (1973) : Automatic Novel Writing: A Status Report, Wisconsin University; Rumelhart, D. E., ‘‘Notes on a schema for stories,’’ in: Representation and Understanding: Studies in Cognitive Science, hg. v. Bobrow, D. G. und Collins, A., 211--236, New York: Academic Press, Inc., 1975 ; Johnson, N. S. and Mandler, J. M., ‘‘A tale of two structures: Underlying and surface forms in stories”, in: Poetics, vol. 9, 51--86, 1980. Als jüngere ausführliche Diskussion vgl.: Lang, R. Raymond: "A Formal Model for Simple Narratives”, Doctoral Dissertation, Tulane University, 1997. Ein wichtige theoretische Vorarbeit und Referenz in dieser Hinsicht ist Vladimir Propps 1968 auf englisch erschienene Morphology of the Folktale dar (University of Texas Press; russisch 1928).
13) Vgl. nur die Texte von Autoren, die selbst entsprechende Erzählmaschinen entwickelten: Meehan, J. R., The Metanovel: Writing Stories by Computer, PhD dissertation, Yale University, 1976; Lebowitz, M., ‘‘Story telling and generalization”, in : Proceedings of the Seventh Annual Conference of the Cognitive Science Society, (Berkeley, California), 100-109, 1985.
14) Hugo Liu und Push Singh verweisen in ihrer Beschreibung des Programms darauf, dass sie zur Messung der semantischen Nähe zwischen Verben Levin’s verb classes und zwischen Nicht-Verben WordNet nymic relations benutzten (Hugo Liu, Push Singh (2002): MAKEBELIEVE: Using Commonsense Knowledge to Generate Stories, in: In Proceedings of the 20th National Conference on Artificial Intelligence, (AAAI-02), Student Abstracts, 957-8, Seattle, WA (web.media.mit.edu/~hugo/publications/ papers/AAAI2002-makebelieve.pdf)
15) Zitiert nach ebd.
16) http://www.cogsci.indiana.edu/farg/mcgrawg/thesis/chapter3.ps.gz.: "MINSTREL solves problems by recalling similar past problem situations and applying the solutions of the recalled situations to the current problem. MINSTREL discovers new, ‘creative’ solutions to a problem by finding a related problem that it can solve, solving the slightly-different related problem, and adapting that solution to the original problem. This process is implemented as a three-part Transform-Recall-Adapt Method (TRAM). A weak type of creative recall, deemed "imaginary recall" by Turner, can be implemented with TRAMs by a process of mutating recall features until at least one case is recalled, and then using the information about the mutation(s) to adapt the recalled case. For example, at one point MINSTREL is asked to tell a story about a knight who commits suicide. Being unable to recall any such stories from its memory, MINSTREL applies the TRAMs, Intention-Switch and Similar-Outcomes-Partial-Change, to its recall parameters: "knight who purposefully kills self". Other models of creativity […] allows "kills" to become "injures", and "purposely" to become "accidentally". These tweaks allow MINSTREL to recall a story about a knight who accidentally injures himself while killing a troll. Once this story has been recalled, it is subjected to "backwards" adjustments that undo the changes made to the recall parameters. This results in a scenario in which a knight purposefully kills himself by losing a fight with a troll -- a newly-invented story-fragment.” Siehe auch Scott T. Turner: The creative process: A computer model of storytelling and creativity, Erlbaum, Hillsdale, NJ, 1994.
17) http://calisto.sip.ucm.es/people/pablo/teaching/gln/sesion4.pdf.
18) Vgl. Schulze, Holger (2000): Das Aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20. Jahrhundert, München: Wilhelm Fink, 358
19) http://www.maquina-poetica.net
www.dichtung-digital.org/2003/1-karsch.htm
20) Karsch, Stephan (2003) : maquina poetica. Gedichte aus dem Automaten, in: dichtung-digital 1/2003 (www.dichtung-digital.org/2003/1-karsch.htm).
21) Der künstlerische Prozess ist im Hinblick auf die finanziellen Zwänge und diskursiven Fremdbestimmungen, aus dem heraus er erfolgt, natürlich schon immer mehr oder weniger entfremdet; der hier diskutierte Wechsel vom menschlichen zum maschinellen Autor stellt freilich einen ganz neuen Qualitätssprung der Entfremdung dar.
22) Der Dichter Dahl deutet diesen Umstand an, wenn er in seiner Geschichte Einblick in die Plotstruktur einer für ein Frauenmagazin gedachten Geschichte des Great Automatic Grammatizator gibt: Junger Mann will seine Lage verbessern und simuliert mit seinem Freund einen Überfall auf die Tochter seines reichen Arbeitgebers. Er tritt als Retter auf, die Tochter ist dankbar, der Vater misstrauisch. Der Junge gesteht, aber alles geht gut aus: Der Vater schätzt den Einfallsreichtum (resourcefulness) des jungen Mannes und verspricht ihm Beförderung, die Tochter schätzt seine Ehrlichkeit und heiratet ihn.
23) Michael Lebowitz: "The Age of Intelligent Machines: All Work and No Play Makes Hal a Dull Programm”, (www.kurzweilai.net/articles/art0304.html). Diese Entkopplung erfolgt freilich nicht vollständig, denn zum einen sind die Plot-Vorgaben von einem menschlichen Autor als solche zu bestätigen und auszuführen, zum anderen beruft sich die Erzählmaschine auf das von Menschenhand eingegebene Material: "Although the stories themselves would be generated by computer, the knowledge bases from which they worked-information about people, places, and plot devices-would presumably be built by human writers” (ebd.)
24) Max Bense und Reinhard Döhl (1964): Zur Lage - http://www.reinhard-doehl.de/zurlage.htm
25) Ebd.
26) Roald Dahl: Great Automatic Grammatizator, in: ders., Someone Like You, Penguin Books: 1948, 198.
27) Computergenerierte Werke der visuellen und auditiven Kunst befinden sich nicht in diesem Zwiespalt. Sie wirken – wie die computergenerierte Lyrik – nicht nur auf der produktionsästhetischen, sondern auch auf der formalen Ebene avantgardistisch. Vgl. die diversen Soundprogramme bzw. per Soundprogramm erstellten Werke, die im Netz erhältlich, sowie die Computerbilder von Harold Cohen, die unter anderm an ehrwürdigen Orten wie der Tate Gallery, dem Stedelijik Museum und dem MOMA San Francisco ausgestellt sind.
28) Zum Begriff des Agent als Butler des Users, der diesem durch Orientierungshilfen das Erlebnis der Internet erleichtert, vgl. "The Impermanence Agent: Project and Context”; Essay by Noah Wardrip-Fruin and Brion Moss, sidebars by Adam Chapman (http://impermanenceagent.com/agent/essay2), überarbeitete, erweiterte Fassung in: Cybertext Yearbook 2001, hg. v. Markku Eskelinen und Raine Koskimaa, Publications of the Research Center for Contemporary Culture #72, University of Jyväskylä, Finland.
29) Zur technischen Funktionsweise des Projekts vgl. Part II im aufgeführten Essay.
30) Vgl. ebd.