5.2.01


Netzkunst lässt sich in Ausstellungen nur schwer präsentieren. Das hat vor allem damit zu tun, dass die meisten Projekte auf das Interagieren mit einem einzelnen Betrachter oder vielmehr Benutzer ausgerichtet sind. Wo in Ausstellungen dennoch Netzkunst gezeigt wird wie zum Beispiel an der letzten Documenta, begegnen wir immer wieder ähnlichen Situationen: Die Terminals sind meist während längerer Zeit von den gleichen Personen besetzt und wir müssen wieder und wieder an den Netzkunststationen vorbeigehen bis wir endlich auch unser Plätzchen finden. Oft ist es vor allem das jüngste Publikum, das die Terminals dauerhaft gestürmt hat und manchmal haben wir gar den Verdacht, Eltern stellten hier ihre Kinder ab, um sich in Ruhe den Rest der Schau anzusehen. Namentlich grosse Häuser mit viel Publikum verzichten deshalb meist auf die Aufnahme von Netzkunstwerken in ihre Ausstellungen. Im Gegenzug gibt es immer mehr grosse Museen, die auf ihren Web-Sites richtige kleine Museen mit gut kommentierten und oft eigens für das jeweilige Haus kommissionierten Netzkunstprojekten anbieten. Zwei solche Sites seien hier kurz vorgestellt.

Dia center: Vanitas frei Haus
Zu den ersten Häusern, die auf ihren Web-Sites Netzkunst unterbrachten, gehört das New Yorker Dia center for the arts. Im März 1995 ging hier mit «Fantastic Prayers» das erste Projekt online – eine Art Erinnerungslandschaft aus Texten, Bildern und Ikons, die über jede Menge Hyperlinks ein fast grenzenloses promenieren im Netz gestattet, begleitet von allerlei Kleinsterlebnissen. Seit diesem Projekt, das als Zusammenarbeit zwischen dem Künstler Tony Oursler, dem Schriftsteller Constance DeJong und dem Musiker Stephen Vitiello entstand, sind jährlich drei bis vier neue Netzkunststücke hinzugekommen. Das jüngste Projekt stammt vom Belgier David Claerbout, der bisher eher als Foto- und Videokünstler gearbeitet hat. In seinem ersten Netzkunststück «Present» bietet Claerbout dem Netznutzer drei Blumen zur Auswahl an, die er herunterladen und so quasi auf seinem Bildschirm einpflanzen kann. Je nach Blume kann man nun während etwa einer Woche oder auch etwas länger beobachten, wie die Pflanze blüht und schliesslich allmählich verwelkt. «Natürliche» Zeit in einer virtuellen Umgebung, deren Zeitbegriffe ganz anderen als organischen Gesetzen folgen – unentgeltliche Vanitas für PC oder Mac.
http://www. diacenter.org

Tate: Kritik frei Haus
Gleichzeitig mit der Eröffnung der Tate Modern im vergangenen Frühling haben die Britischen Tate Galeries auch auf dem Netz expandiert. Sie haben ihren Web-Sites nicht nur ein neues Design verpasst, sondern auch begonnen, Netzkunststücke in Auftrag zu geben und auf ihrer Seite unterzubringen. Simon Paterson hat in seiner Arbeit die Farben der Trikots sämtlicher Mannschaften analysiert, die je in der französischen Fussball-Liga gespielt haben. Die ermittelten Farbwerte mitsamt den zugehörigen Club-Namen lässt er von dem französischen Radiosprecher Eugène Saccombo wie Resultate von Spielen lesen. Fast ein wenig nach süsser Rache hingegen duftet das Projekt von Harwood: Das Mitglied der Netzaktivistengruppe «Mongrel» hat die Web-Sites der Tate imitiert und die Texte der PR-Abteilung durch eigene Kommentare ersetzt.
Bei der Tate Modern heisst es da etwa: «A major new gallery showing tasty babes, luxury goods, own goals and psychological props collected by the British social elite». Und etwas weiter unten erfahren wir: «Mit Geld kannst du dir einen Weg in die Kunstgeschichte kaufen. Mit mehr Geld kannst du auch die Zukunft der Kunstgeschichte formen». Nicht nur grosse Chemie-Konzerne oder Banken lassen sich die künstlerische Kritik am eigenen Tun immer öfter etwas kosten – auch Kunstkonzernen scheint dies unterdessen ganz gut anzustehen. Samuel Herzog
http://www.tate.org.uk/webart.htm/