28.3.00


Netzkunst

Internet spielt im Bereich der Kunst eine zunehmend wichtige Rolle, auf die herkömmliche Kunstinstitutionen bisher allerdings kaum reagiert haben - was heisst, dass ihre Vermittlungsarbeit in diesem Bereich entfällt. Für Kunstinteressierte ist es deshalb schwierig, sich von der Netzkunst ein Bild zu machen: Schnell verliert man auf der Suche nach interessanten künstlerischen Netzprojekten enorm viel Zeit, oft scheitert man auch an den technischen Anforderungen. Dem will die BaZ mit der in zweiwöchigem Rhythmus erscheinenden Rubrik ‘Netzkunst’ entgegenwirken: Hier werden Sie in Zukunft knapp gefasste Kritiken von einzelnen Projekten lesen können, hier werden sie über aktuelle Diskussionen und Geschehnisse informiert und finden gleichzeitig auch Hinweise auf wichtige Veranstaltungen im Zusammenhang mit Netzkunst sowie auf Literatur zum Thema. Da das Netz, dessen Kunst wir hier vorstellen wollen, unendlich weit ist, sind wir auch auf Ihre Mitarbeit angewiesen: Teilen Sie uns Ihre Erfahrungen mit Netzkunst mit, weisen Sie uns auf Fehler hin oder geben Sie uns Anregungen - am besten direkt an samuelherzog@cs.com oder rstorz@xcult.ch

Auf Hausbesuch

Die meisten Netzkunst-Projekte verzichten auf Interaktivität und medienkritische Konzepte. Sie beschäftigen sich mit Bildfindungen. Das genuine Bild des WWW, so scheint es im Moment, ist die akustisch untermalte grafische Animation. Und die Haltung ihrer Entwerfer bestätigt affirmativ die technische ésthetik ihrer digitalen Produktionsumgebung. Das Internet mit seinen langsamen öbertragungsraten bestimmt die kreative Arbeit: kleine Formate, zeichnerische Bildlösungen, lineare Bewegungen und kurze Töne oder Soundloops. In der Realisation mit geringen Datenmengen zeigt sich hier der Könner. Am geduldigen Warten vor dem Monitor andererseits erkennt man den Kenner, denn das Ausharren kann sich lohnen: Diese Kunst der bewegten und tönenden Miniaturen, diese Kleinstzeichnungen auf weltweitem Hausbesuch sind neu und eigenartig, es gibt sie in keinem anderen Medium.
rest (Reinhard Storz)
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Site von David Crawford: www.turblence.org/Works/now/index.01.html
Site von Yoshi Sodeoka: www.thing. net/~yoshi
(Für beide Sites braucht es das Flash-PlugIn).
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Nutz durchs Netz
Dass Netzkunst auch durchaus nützlich sein kann, illustriert ein Projekt von Joachim Blank (1963) und Karl Heinz Jeron (1962), die seit 1993
gemeinsam Internetprojekte realisieren. Wer seine E-Mails nicht selber beantworten will, kann sie einfach an re-mail@writeme.com weiterleiten und dort von irgendeinem Leser bearbeiten lassen. Wer umgekehrt Lust hat, auf Mails zu antworten, die eigentlich an jemand anderen gerichtet waren, kann dies auf der Seite von Blank & Jeron tun. In einem Archiv sind alle bisher
eingetroffenen Mails und die Antworten dazu einsehbar. Das Projekt führt einerseits die Behauptung ad absurdum, dass sich unser Alltag mit Hilfe des Netzes effektiver bewältigen lasse und bietet andererseits - wie ein Besuch des Archives zeigt - gerade bei politischen Themen auch Plattform für eigenartige kleine Diskussionen. she
E-Mail: re-mail@writeme.com Site: www.sero.org/re-mail

Gutenbergs Kompass
Auf Seefahrt im weltweiten Datenmeer sehnt man sich manchmal nach jenen Zeiten zurück, in denen ein Kompass bei der Orientierung noch geholfen hat: Eine Art Navigationshilfe für Ausflüge in den virtuellen Bereich stellt das Jahrbuch des Instituts für moderne Kunst Nürnberg 1998/99 dar, das nebst Hintergründen zu ausgewählten Künstlerprojekten auf dem Netz auch einige theoretische Häppchen bietet. Da das Werk tatsächlich auf Papier gedruckt wurde, kann man es neben die Tastatur legen während man die entsprechenden Sites besucht - und selbst bei einem Stromausfall... Schade ist lediglich, dass das Werk auch in Anlehnung an das Design von Netzprojekten gestaltet wurde, was Gutenberg mit einiger Unübersichtlichkeit bestraft. she
netz.kunst - Jahrbuch 1998/99. Herausgegeben vom Institut für moderne Kunst
Nürnberg. 272 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Fr. 23.-.