Marion Strunk

 

Wie es ihr gefällt, und die Prinzen singen: Alles nur geklaut.


Wenn ein Schlager einschlägt, dann trifft er auf einen
Schlag: den Kopf, den Zeitgeist oder mitten ins Herz.
Kluge Köpfe sind im Bilde - statisch, bewegt und virtuell
- und bilden ein Zeit-Bild, das festhält, was sich bewegt
in den glücklichen Momenten der Einsicht: Was einmal
gedacht wurde, kann wieder gedacht werden.
Einblick genügt, und verknüpft mit der grossen Geste der
Wiederholung setzt sich eigentümlich fort, was alle
wissen: Eigentum ist Diebstahl.

Aber, was da wieder geholt wird, an welchem Ort, zu
welcher Zeit, das ist nicht dasselbe, nicht die
Wiederkehr des Immergleichen, es ist das Spezifische
in der Besonderheit von Personen und Situationen.
Eine Person - vielleicht Klepto Manie - eignet sich
Gedanken und Ideen an, statt Geld wie Hitchcocks
Marnie, und verliert dabei die Anführungszeichen.
Ausweisen kann sie sich an der Grenze.
Wer von Wahrheit spricht, simuliert.
Die Simulakren waren doch immer eine Sache des Webens
und Flechtens, nicht erst durch die Neuen Medien.
Das Neue ist vielleicht der Unterschied, den die
Wiederholung macht, wenn sie nicht Zwang und Trauma
folgt, sondern Sturm und Drang; jenem Trieb,
sich äussern zu müssen, und sei es für einen
Augenblick, statt für die Ewigkeit, der nicht mehr
und nicht weniger ist als ein Unterschied, in dem
aber zu sehen ist, wie die Form in der Wiederholung
selbst zu leben beginnt und ein Wagnis eingeht als
wäre es - ganz appropriativ - das Schönste.
Und die Prinzen singen, wie es ihr gefällt:
Das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen
und geraubt. Entschuldigung, das hab' ich mir erlaubt.
 
Die Geste der Wiederholung bringt keine Kopie zum Ausdruck,
sie ist Darstellung einer Bewegung, einer Transaktion oder Interaktion,
die einen Unterschied setzt, der eine Umgebung schafft.
Mit Steve Reich können wir sie hören und mit Sherrie Levin
sehen.
 
Die Wiederholung thematisiert Differenz: die Hervorbringung
des Verschiedenen. Wiederholen heisst sich verhalten,
allerdings im Verhältnis zu etwas Einzigartigem oder
Singulären, das mit nichts anderem ähnlich oder adäquat ist.
Die Spiegelungen, Echos, Doppelgänger gehören nicht zum
Bereich der Ähnlichkeit oder der Äquivalenz;
und sowenig echte Zwillinge einander ersetzen können, sowenig
kann eine Seele getauscht werden.
Auswählen ist eine Art des Schaffens. Im Handeln den
Unterschied machend, wird die Wiederholung schöpferisch:
andere Möglichkeiten, vieles wird denkbar, fühlbar, erfahrbar.
 
Die alten Griechen glaubten, dass sich das Wirken eines
geordneten Kosmos in der Musik spiegelt. Es herrschte die Vorstellung,
dass durch die Bewegung der Sterne und Planeten
am Himmel Musik entstehe. Beim Betrachten einer Ausstellung
von Sherrie Levin könnte man sich daran erinnern, oder an das
Schweigen von John Cage oder an Joseph Beuys, der das
Schweigen von Marcel Duchamp überbewertet fand, oder an ein
Chamäleon, das eben nicht die Farben seiner Umwelt annimmt
oder nachahmt, sondern seine eigenen Farben produziert.
 
Wiederholung hat also nichts mit Ähnlichkeit zu tun, das
liefe auf ein Gleichsein oder Vergleichen hinaus. Denn es
gibt das Beharren, das in der Emphase nie ein Wiederholen
sein kann, weil Beharren immer lebendig ist und wenn es
lebendig ist, sagt es nie etwas auf die gleiche Weise,
weil Emphase niemals die gleiche sein kann.
Wiederholung gleicht sich nicht, wenn sie lebendig ist.
In der Wiederholung lernt die Form das Leben, das, was es
heisst,im Augenblick die Vergangenheit zur wiederkommenden
Zukunft zu machen. Wiederholung nennt in der Gegenwart,
was Zeit ist, und sie treibt sich in der Zeit weiter.
Wiederholung ist Erinnerung in Richtung nach vorn. Nur, sie
treibt nicht das Eine voran, auf Eines zu, zum Einen hin als
Subjekt und Objekt. Sie legt nicht fest, sondern eröffnet
Dimension und Vielfalt wie eine Tür. Was ein Prozess ist,
dem sowohl die Ichhaftigkeit als auch die Eigenschaft der
Gegenständlichkeit abgeht, weil er sich in einer Absetzung
von der bisherigen Idee der Subjektivität wiederholen lässt.
 
Eine Vielheit hat weder Subjekt noch Objekt, wenn sie im
Unterschied von Ich und Du eine allen individuellen Ichs
sowohl in gleicher Weise bekannte als auch in gleicher
Weise fremden Vorstellung der Subjektivität annimmt.
Objektiv nicht im allgemeinen, was nur auf dasselbe
hinausliefe, sondern einzeln und auch gemeinsam, wie es
eine in gleicher Weise bekannte und fremde Umgebung sein
kann: Nicht mehr Eigentum der Ereignisse, sondern
Ereignisraum des Begehrens, Wünschens. Ein Begehren,
das nicht mehr fragt, ob es wirklich ist, sondern ob es
wiederholt werden kann mit einem Danach. Und Noch-Einmal.
Aber nie So-Wieder. In einer Lebendigkeit, die passiert
und eben nicht erinnert wird, die eine Tat ist.
 
Das ist aber nicht der Lauf der Dinge, das ist eine Sache
des Faltens, eine Verbindung mit diesem und jenem Innen und
Aussen, von einer Linie zur anderen springend, durch Bruch
die Fluchtlinie verlagernd, ausdehnend, wechselnd, ändernd
bis in alle Richtungen zugleich.
Vom Subjekt zum Projekt mit offenen Karten. Das heisst:
eine Karte auslegen. Sie kann in all ihren Dimensionen
verbunden oder entbunden werden und umgekehrt wie eine
Montage. Auf Montage gehen: Viele Eingänge, Zugänge und
Auswege versperren nicht die Wege, im Gegenteil, sie
werden nett und netter:internett.

Das Spiel nähert sich dem blossen Weben, wie es die Mythen
den Parzen und Nornen zuschreiben, jenen Schicksalsgöttinnen,
die das Weben und Flechten nicht als ihr Schicksal begriffen,
sondern als Gabe. WeltWeitesWeben. Vervielfältigung und
Multiplikation, die Falte (le pli) als Methode der Konnexion
und Heterogenität: Unterschiedliches, die verschiedenen Arten
schliessen sich weder aus noch ein, sie können gefaltet
werden zu einer Verbindung, verkettet ohne Ketten, Springer
sein von einem zum anderen. Die Überlagerung der Dinge
betreibt spielend eine total tolle Zirkulation der Zustände.
Man muss kein Schwein sein in dieser Welt, wenn man spielen
kann.
 
Zum Beispiel wie die etoys. Prinzen auch sie, sieben, die
magische Zahl, in Orange und Schwarz und mit Sonnenbrille
(nicht wie Heino und seine Doppelgänger, mit denen immer
die Frage dasteht: Wer ist der Richtige?). Alle sieben
tragen sie die Glatze wie ein Original.
Die Wiederholung richtet sich auf etwas nicht Austausch-
bares, ohne Identität, das bezeugen sie. Identity-freezer.
Eine glanzvolle Trophäe: die Goldene Nica für die Auflösung
des Ichs zum höchsten Gut, das reich ist an positiven
Versprechungen für die Medien.
 
Die Wiederholung gründet nicht in einer extremen Ähnlichkeit,
nicht in der Genauigkeit des Getauschten, nicht in einer
Reproduktion des Identischen, weder Identität desselben
noch Gleichwertigkeit des Ähnlichen:
Die Wiederholung gründet in der Intensität des Ver-
schiedenen. Das Double gibt sein Geheimnis preis: Die
Wiederholung setzt nicht dasselbe oder ähnliches voraus,
sondern erzeugt im Gegenteil selbst das einzige Selbe dessen,
was sich unterscheidet,
und die einzige Ähnlichkeit des Verschiedenen. Die Differenz
gibt zu sehen, die Wiederholung zu sprechen.
Ist es nicht eine faszinierende Welt, in der die Identität
des Ich, des Einen oder der Einheit des Ganzen verloren-
gegangen ist zugunsten einer intensiven Vielheit und einem
Vermögen zur Verwandlung.

Ich bin viele. Und zwei sind nicht eins, wenn sie sich einig
sind, auch nicht in der vermeintlichen Symbiose - eines der
grössten Trugbilder des Abendlandes.

Wer nicht länger von Gedanken leben will, wird sich dem Du
hingeben, das im Moment der Liebe einzig wird und auch
wiederholt werden kann, wenn es denn ein Spiel ist, wie es
ihr gefällt, und zu Ende ist, wenn es ihr nicht gefällt.
Die Liebe hat also immer einen Anfang und kann auch ein
Ende nehmen, da es die Wiederholung gibt, die den
Unterschied setzt und wieder einen Anfang macht. Die
Haltung des Experimentierens ist auch für die Liebe ein
Gewinn, damit es weitergehen kann im Karussell und nicht
gleich auf den nächsten Markt. Für Spieltrieb und
Liebestrieb gibt es keine Regeln, nur das Gefühl der
Vertrautheit, wie ja das Wort Liebe gebraucht wird, von
dem wiederum alle - einzeln und auch gemeinsam - Gebrauch
zu machen sich wünschen, wollen sie nicht einsam sein.
Es geht also um den Gebrauch oder Umgang. So einfach ist
es, die Unumgänglichkeit der Liebe anzuspielen. Und so
verbindet sich das eine mit dem anderen, wo mal dies und
mal jenes auftaucht wie Gnocchis in der heissen Suppe.
 
Die, die das Spiel verderben wollen, heissen Hacker und
könnten so gefährlich werden wie eine Atombombe, wenn
nicht eine Grenze simuliert würde und tatsächlich einen
Halt böte, der zu sehen, zu lesen und zu hören wäre im
grenzenlosen Verkehr der nomadisierenden und
navigierenden Soft- und Hardwerker und -werkerinnen.
Eigentlich meint ja Simulation etwas ausleben,
was unter sehr ernsten Bedingungen tödlich wäre. Als
Vorstellung belebt der Begriff ein Probehandeln, das
ein Experiment im Umgang und Gebrauch mit Wachsamkeit
spielend ermöglicht.

Und so erzeugen die Neuen Medien eine erneute Vorsicht,
auf Überraschungen und Störungen gefasst zu sein.
Sie reihen sich damit ein in die beschleunigte
Eigendynamik der alten Spielregeln in Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik, die die Gesellschaft ständig
mit neuen Problemen konfrontieren. Der Unterschied,
den die Neuen machen, zeigt sich im Gebrauch des
vielen ohne Zentrum, so dass alle probeweise so tun
können, als gäbe es kein Zentrum und keine Herrschaft
und keine Hierarchie, was schon einen Unterschied macht
und eine Umgebung schafft.
Da dem aber nicht so ist, sehen die Neuen Medien ganz
schnell schön alt aus, und es wiederholt sich die Frage:
wessen Hände denn da im Spiel sind und am Werk, wenn sie
wirken in diesem Netz.
Die Fahne der Neuen Medien ist eine glänzende Herrensocke.
Und der Duft der schönen, neuen webweiten Welt bringt
einen Geruch in die Nase wie er typisch ist für die
Umkleidekabinen von Fussballklubs nach dem Spiel.
 
So bleibt wohl wieder das Inhaltliche beim alten, bei der
Wiederkehr des Immergleichen, in dem die Unterschiede
problematisch werden und alle Differenzen aufgelöst in Eines
und ein Bild des Vereins. Dabei wäre doch das, was der Umgang
und Gebrauch mit den Neuen Medien lehrt, ganz gut zu
gebrauchen und müsste sich nicht in ein ideales Spiel der
Gedanken oder Künste verflüchtigen oder sich in einem
WeltWeitenWarten auf den Chip, der da kommen wird,
leerzappen.
Die Grenze kann kein Gesetz ziehen, sie kann nur selbst
gezogen werden von den einzelnen und gemeinsam, von denen,
die sich selbst zu eigen sind und daraus ein Gestz des
einzelnen machen: In ihm bin ich für mich und auch für
andere da und offenbar nicht bloss eine oder einer und
auch keine abstrakte Allgemeinheit, weil in mein Sein
ein Unterschied eingebaut ist, um das, was einem eigen
und mit anderen gemeinsam ist, trennen und verbinden
zu können. Denn es bedarf des anderen, damit es zu etwas
Gemeinsamem kommen kann, also eine Person zufinden,
die etwas, das man mag, macht, tut, ist, tatsächlich mag.
Der Treffpunkt wäre das Dritte, die gemeinsame Sache, nicht
der gemeinsame Nenner. Das kann der öffentliche Raum sein,
in dem sich die Individuen mit denselben Gegenständen
befassen, was schon einen Zusammenhalt ergeben kann, dessen
unterschiedliche Wahrnehmung das Gemeinsame ausmachen und
bewirken kann. Das heisst: kommunizieren.

So wäre die Festplatte wie ein Tisch, um den sich alle
versammeln können zur Party oder sonst zu einer Partie,
und Dinge zu finden wären, mit denen jeder und jede etwas
anfangen kann, und einen neuen Anfang machen.
Die Gebrauchsweisen sind nicht in die Platte eingeritzt,
sondern hängen von den Verbindungen ab mit diesem oder
jenem, und dies hat wieder mit der Falte zu tun. Dem Tun:
falten und falten und falten.
Und dann kann keiner mehr sagen: alles nur geklaut, dann
ist das Net gewoben, wie es ihnen gefällt.
Drum nehmt euch, was ihr wollt.
 
 
 
 
 
Mit Dank vor allen anderen an:
Shakespeare, Gilles Deleuze, Vilém Flusser,
die Prinzen,
Hannah Arendt, Gertrude Stein und Wittgenstein;
Guiliamo Paolini, Sherrie Levin,Jürgen Klauke,
Susan Rothenberg, Lawrence Wiener, Sophie Calle und Katherina Fritsch.