Barbara Basting

Auf Technosexidioten wartet die Komplexitätsfalle

Die Ars electronica in Linz fragt nach den Nebenwirkungen des Biotechzeitalters



"Next Sex", das frivole Motto des diesjährigen Cyberfestivals Ars electronica klingt, als habe das Kuratorenduo Gerfried Stocker und Christine Schöpf die Provokation zu Marketingzwecken entdeckt. Doch der Effekt hält sich in Grenzen, sieht man einmal vom öffentlichen "Spermienwettrennen" auf dem Linzer Hauptplatz ab. Es erhitzte schon im Vorfeld die Gemüter und bot Lokalpolitikern aus Haiders FPÖ, die das "Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft" wenig schätzen, eine ideale Angriffsfläche.
Dabei sollte der "Sperm race" nur den Blick auf jene Fragestellung lenken, die der Untertitel der Ars electronica, "Sex im Zeitalter seiner reproduktionstechnologischen Überflüssigkeit", in stilreinem Technokratendeutsch formuliert. Wie wird die biotechnische Revolution sich auf das menschliche Zusammenleben auswirken?
Im Symposium bekommt man eine Ration jener gespenstischen Wörter verabreicht, die mehr vom heraufziehenden Biotech-Zeitalter verraten als lange Erörterungen: "Genomwürfeln", "Eierstockpromiskuität", "Leihhoden", "Gametenmanufaktur", "Instantwaisen", "Technosexidioten". Ein Skeptiker wie Jens Reich weist darauf hin, dass vielleicht nur die "Komplexitätsfalle" der Reproduktionsbiologie das Schlimmste verhindert. Die Fortpflanzungstechnologie, so viel ist klar, fügt den bekannten Komplikationen mit dem Sex weitere, höchstwahrscheinlich gravierendere hinzu.
Die Kunst begleitet diese Entwicklung bisher eher illustrierend, wenn man jene Arbeiten als Masstab nimmt, die in der ausufernden Cybernovitäten-Messe unter dem Festivalmotto präsentiert werden. Von "metaphysischen Schock" (Reich) durch die Biotechnologie ist wenig zu spüren. Faszination und Schauder liegen zu nah beieinander. Das zeigen etwa die "Tissue Cultures and Art(ificial) Wombs" von Oron Catts, Ionat Zurr und Guy Ben-Ary. Aus Mäusezellen züchtet die Gruppe, die gleich ein transportables Labor mitgebracht hat, in einer künstlichen Gebärmutter Gewebekulturen, kleine Homunculi. Sie sind den guatemaltekischen "Sorgenpüppchen" nachgebildet. Bei guter Pflege vegetieren sie in Reagenzgläsern einige Wochen vor sich hin.
Die "Artistic Molecules" von Joe Davis und Katie Egan, künstlerische Arbeiten mit synthetischen DNA-Molekülen, die in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität entstanden sind, zeigen, dass der Begriff des "Schöpferischen" allmählich völlig neue Konnotationen bekommt. Einen makabren Beigeschmack hat "Nature?" von Marta de Menezes, die die Muster von Schmetterlingsflügeln durch Manipulationen während der Entwicklungsphase verändert. Stirbt der Schmetterling, ist es um die Biologie-Kunst geschehen.
Neben solch eher niedlichen Ausblicken auf das Naturdesign der Zukunft wirkt die Fotografieserie "Klones" von Dieter Huber und Heimo Ranzenbacher verstörend. Die digital bearbeiteten Aufnahmen führen mit kühler Drastik vor, was für Zwitter und Chimären die Gentechnologie zumindest in der Fantasie freisetzt. Die Serie sagt allerdings mindestens so viel über die Fotografie im digitalen Zeitalter wie über die Ängste, die die Gentechnologie weckt.
In der Ausstellung "Cyberarts 2000 - Prix Ars Eletronica" kann man die nächstsexuellen Irrungen und Wirrungen ein wenig hinter sich lassen. Die Selektion interaktiver Computerkunst bringt zwar keine grundlegenden Neuerungen im Vergleich zum letzten Jahr. Doch fällt auf, wie viele Arbeiten sich inzwischen der Kombination von visuellen und akustischne (oder musikalischen) Elementen widmen.
Stellvertretend dafür wäre das "Active Text Project" von Jason E. Lewis und Alex Weyers zu nennen. Auf einer Klaviatur lassen sich Parameter - von der Farbe über die Typografie bis hin zu Bewegungsmustern - von Buchstaben und Wörtern bestimmten, die dann zum Technosound über ein gebeamtes Interface wandern. Solche Arbeiten sind weniger für den Kunstkontext als für die Clubszene gedacht. Vorbild für die "dynamische Lyrik" (Jason Lewis) sind die synästhetischen Experimente der frühen Moderne. Der gleichsam zermörserte, in den Teilchenbeschleuniger gepackte Text ist ein kategorischer Abschied von herkömmlichen literarischen Formen.
Zukunftsweisend erscheint auch die "Audiovisual Environment Suite" von Golan Levin. Mit der Maus kann auf einer gebeamten Oberfläche gezeichnet werden; es entstehen Muster, die zum Teil animiert sind und an bestimmte synthetische Geräusche und Klänge gekoppelt sind. Allmählich scheint sich eine interaktive Kunst zu entwickeln, die komplex und ästhetisch reizvoll genug ist, um den Betrachter - und zugleich Zuhörer -länger zu bannen. Mit der "Goldenen Nica" ausgezeichnet wurde "Vectorial Elevation, Relational Architecture" von Rafael Lozano-Hemmer, eine partizipative, prozessuale, ortsgebundene Lichtskulptur für die Milleniumsfeier in Mexiko-Stadt.
Interaktiv per definitionem ist die Netzkunst, wobei auch hier die Attraktivität der Arbeiten oft mit der Komplexität der Strukturen wächst. "The Exquisite Corpse" von Sharon Denning, ein narratives Experiment, erhielt in dieser Kategorie den Hauptpreis. Arbeiten, die Filter und Navigationsinstrumente entwickeln oder mit Musik operieren, fallen nicht nur in der prämiierten Auswahl, sondern auch in der "OpenX-Electrolobby" auf, einer Fundgrube konzeptuell bemerkenswerter Webprojekte. Mit der Auszeichnung der "Toywar"-Platform, einem Meilenstein der Netzkultur, unterstreicht die Jury, dass die Verteidigung der Offenheit des Netztes gegen kommerzielle Ansprüche ein gesellschaftliches Thema ersten Ranges ist.


Ausstellung "Cyberarts 2000" bis 17. September

Katalog "Next Sex", Katalog "Cyberarts 2000", Springer Verlag Wien/New York, in der Ausstellung je 360 Schilling. DVD/Video und Doppel-CD mit den ausgezeichneten Arbeiten im Bereich Animation/Digitale Musik 250 bzw. 160 Schilling.
www.aec.at