Barbara Basting

Von der Kunst zur Cybermall
Noch längst nicht alle Museen nutzen ihre Websites für eine wirkungsvolle Selbstinszenierung

Für Museen müsste es ein Vergnügen sein, sich auf einer eigenen Homepage selbst darzustellen: als Experten in Sachen Bild und Kultur scheinen sie das beste Rüstzeug mitzubringen, um das neue Mediumfür ihre Zwecke zu nutzen. Ein Augenschein zeigt, dass ein Webauftritt heute für Kunstinstitutionen in der Schweiz zum Standard gehört. Sich damit auch visuell zu profilieren, gelingt eher kleineren Häusern, wie etwa dem Kunsthaus Glarus oder dem Fri-Art in Fribourg. Sie sind meist experimentierfreudiger, weil ihre Strukturen flexibler sind. Auch inhaltlich haben sie mehr Spielraum. Die grösseren Häuser erfüllen vor allem das Pflichtenheft, bieten praktische Informationen, Einblicke in die Sammlung, museumspädagogische Angebote. Doch ästhetischen Höhenflüge, der Lust an der Kür begegnet man hier selten - vielleicht, weil das neue Medium in seiner Bedeutung noch unterschätzt wird.
Die Homepage des Migrosmuseum macht vor, wie man Pflicht und Kür ohne grossen Aufwand und doch geschickt absolvieren kann. Der erste Klick zeigt Bild und Daten der aktuellen Ausstellung, der zweite bringt dazu einen Kurztext und die Menüleiste. Die Grafik ist klar, die Seite erfreulich einfach organisiert - News, Ausstellung, Info, Archiv. "Info" etwa führt auf eine weitere Ebene: Leitbild, Jahresprogramm, Bücher, Öffnungszeiten und Plan, Kontaktmöglichkeit und Links. Man findet schnell, was man sucht und entdeckt, eigentlicher Reiz des Surfens, Dinge, die man nicht sucht, etwa eine unkonventionelle Linksammlung, die ein Fenster zur internationalen Cyber-Gemeinde öffnet. Ein Schritt in diese Richtung ist auch die anklickbare Ecke, die zu der vom Museum kuratierten Webkunst führt. Das ist hierzulande eher selten, gehört jedoch in vielen amerikanischen Museen schon längst zum Programm. Berühmt ist die "Gallery 9" des Walker Art Center.
Mit vergleichbar einfachen Mitteln liefert die von rund 35.000 Besuchern monatlich genutzte Website des Kunsthaus Zürich in erster Linie solide Information. Auf komplexere Anwendungen wurde bewusst verzichtet, um die Seite zugänglich zu halten. Die Grafik könnte dennoch weniger bieder sein, und Nützliches, zum Beispiel die sorgfältig recherchierten Links, ist unter Rubriken wie "Bibliothek" oder "Videosammlung" versteckt. Extra zur Cézanne-Ausstellung gibt's einen etwas bemüht wirkenden Online-Lehrgang. Optisch ist er zwar um einiges attraktiver als die übrige Seite, offenbart aber auch gleich ein Problem solcher "virtual tours": Der Parcours ist fix vorgegeben. Zum Medium gehört jedoch die freie Beweglichkeit.

Wenn Software das Konzept ersetzt

Generell trifft man im Bereich der "virtual tours" auf viele überflüssige Mätzchen. Die Zurschaustellung von Software-Entwicklungen lenkt manchmal vom eher dürftigen Inhalt ab. Nicht selten ist dies eine Folge der allzu bereitweilligen Kooperation mit Software-Firmen, die prestigeträchtige Museums-Homepages gerne für Testläufe verwenden. Gut in Erinnerung ist der kleine Skandal, den die Browser-Firma Netscape heraufbeschwor, als sie vor einiger Zeit die Homepage des Whitney so aufmotzte, dass Besucher genötigt waren, die neuesten Plug-Ins der Firma zu ihrer Entschlüsselung herunterzuladen. Auch IBM bedient sich gerne renommierter Museen als Schaufenster für ihr Know-how. Die St. Petersburger Eremitage verdankt dem eine gut strukturierte Website, die auf der Startseite sogleich für den Konzern wirbt, beim Aufrufen der "digital collection" allerdings ziemlich lahmt.
Eine der bestechendsten Lösungen, um die Sammlung zu zeigen, bietet die britische National Gallery. Pläne geben eine Überblick, die Werke einzelner Künstler können per Namensliste gesucht, angeklickt und vergrössert werden können. Die Seite läuft schnell, bevormundet den Besucher nicht und ist für die gezielte Suche ebenso nützlich wie zum Stöbern. Auch die frisch gestylte Homepage des Centre Pompidou bietet eine flexible Lösung für virtuelle Museumsbesuche. Das finanzstarke kalifornische Getty Museum setzt in seinen zahlreichen Online-Ausstellungen auf schlichte, kommentierte Bilderfolgen. Doch lange verweilen mag man in solchen virtuellen Ausstellungen trotz erstaunlicher Bildqualität nicht - das Ganze bleibt merkwürdig steril.
Entbehrlich sind auch die virtuellen Diashows des Boymans-van Beuningen, die weder die Kunst noch den Betrachter ernst nehmen. Der Louvre etwa wartet mit Quicktime-Movies auf, die 360-Grad-Panorams der Säle bieten. Einziger Vorteil des Gags: Man sieht das Museum mal ohne Besucher. Wen die geisterbahnartigen "Ausstellungen in einer Minute" der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ansprechen sollen, ist schleierhaft.

Ordnung muss sein

Dafür glänzt die Bonner Seite mit einer attraktiv gestalteten, noch eher seltenen Navigierhilfe, einer "web map". Sie macht das verborgene konzeptionelle Skelett der Seite transparent und erspart gerade bei komplexen Seiten langwieriges Suchen. Dass eine solche "web map" sehr schlicht sein kann, beweist die britische Nationalgalerie. Ein Prunkstück ist der "Cyberatlas" des Guggenheim.
Vor allem die Eingangsseite eines ästhetisch gelungenen Webauftritts kann nicht puristisch genug sein, um aus der Masse der überladenen Portalseiten hervorzustechen. Das Tokioter Intercommunication Center ICC, ein Medienmuseen, ist darin vorbildlich. Auch im Hauptmenü beschränkt es sich auf schlichte Textzeilen. Alles weitere versteckt sich dahinter. Mit einer vorbildlich schlanken Eingangsseite glänzt das New Yorker Diacenter for the Arts.
Institutionen, zu deren Programm die neuen Medien gehören, sind beim Webdesign ohnehin vorne dran. Da trifft man nicht langweilige Konfektion, sondern fantasievolle Haute couture. Ein glänzendes Beispiel ist die vom Webkünstler Holger Friese gestaltete Seite des Genfer Centre pour l'image contemporaine. Das Walker Art Center Minneapolis hat dem Künstler Lawrence Weiner einen eleganten Auftritt zu verdanken, auch das Karlsruher ZKM kämpft an vorderster Front. Nur die zu kleine Schrift ist ein Minuspunkt. Besonders futuristisch präsentiert sich das Rotterdamer Medieninstitut V2. Das Kiasma in Helsinki brilliert dagegen mit museumspädagogischen Finessen. Seine Seiten ergänzen das Museum mit Beiträgen, die sich nur im Internet realisieren lassen. Damit nehmen sie das Medium als wohl wichtigste Bildmaschine der Zukunft ernst - einzige Möglichkeit, auch seine Grenzen zu erkennen.

Museumswebsite - wozu

Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde uns eingebleut, das Web ermögliche den unbeschränkten Zugang zur Zukunftsressource Information. Die reichhaltigen Websites mancher Häuser nähren diesen trügerischen Mythos. Denn am Horizont zeichnet sich schon ab, wohin die Entwicklung führen wird: Jüngst wurde bekannt, dass das New Yorker Museum of Modern Art und die Londoner Tate Gallery demnächst eine von Grund auf kommerzielle Website starten. Eine vom Museum unabhängige Firma verwaltet, deren Börsengang schon vorgesehen ist, verwaltet sie. Kunst und Kultur dienen nur noch als Lockvögel für lukrative Cybermalls. Damit soll unter anderem das defizitäre Ausstellungswesen, für das die öffentliche Hand sich immer weniger verantwortlich fühlt, subventioniert werden. Schon jetzt fehlt auf fast keiner Museumshomepage der Shop. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die Websites als Probeläufe für die totale Kultur-Vermarktung. Am klarsten erkannt hat dies das Parasite-Museum Ljubljana, das allerdings mit Vorsicht zu geniessen ist: Es handelt sich um die vielsagende Parodie des Webkünstlers Vuk Cosic.

www.fri-art.ch
www.kunsthausglarus.ch
www.migrosmuseum.ch
www.kunsthaus.ch
www.kah-bonn.de
http://cyberatlas.guggenheim.org
www.nationalgallery.org.uk
www.cnac-gp.fr (Centre Pompidou)
www.getty.edu/museum/
www.hermitagemuseum.org
www.echonyc.com/~whitney/
www.boijmans.rotterdam.nl
www.louvre.fr
www.ntticc.or.jp (ICC Tokio)
www.diacenter.org
www.v2.nl
www.ljudmila.org/scca/parasite/