Barbara Basting

Amazonen des Cyberspace

Frauen besetzen das Internet auf ihre Weise - mit eigenen Mailinglisten, Foren, als Künstlerinnen und Kuratorinnen



Mit dem Stichwort "Cyberwoman" verbindet sich wohl für die meisten Zeitgenossen (und vielleicht auch gamebegeisterte Zeitgenossinnen) der Name von Lara Croft, der Superfrau aus dem millionenfach verbreiteten Computerspiel "Tomb Raider". Amazonen wie Lara Croft, die sich ähnlich wie ihre Comic-Vorgängerinnen Catwoman, WonderWoman oder Tank Girl in ihrer Mischung aus sexueller Attraktion und scheinbarer Emanzipation durch Technologiebegeisterung schnell als zeitgenössische Verkörperung recht traditioneller Männerfantasien entlarven lassen, sind ein aufschlussreicher Gegenstand für kulturwissenschaftliche Analysen. Man findet sie im Netz beispielsweise unter www.laracroftism.de oder, auf Papier, von einem so bekannten Autor wie Douglas Coupland ("Lara's Book. Lara Croft and The Tomb Raider Phenomenon").
Lara Croft mag der Prototyp der aggressiven, technologiebegeisterten Cyberwoman sein. Nur trifft man solche Kunstfiguren in der wirklichen Wirklichkeit gemeinhin nicht an. Der Verdacht, Cyberwomen seien eine Mystifizierung, sozusagen das Pendant zu dem von den Medien gefeierten "Fräuleinwunders" in der neuesten deutschen Literatur, liegt nahe. Denn ausgerechnet jene Frauen, die sich engagiert mit den neuesten Medien auseinandersetzen, halten den Begriff für den Ausdruck eines "Hype" oder können nichts damit anfangen. Die Kunsttheoretikerin Verena Kuni, die die Mailingliste "Filiale" moderiert, meint dazu: "Der Hype täuscht darüber hinweg, dass sich an den real existierenden Geschlechterverhältnissen im jeweiligen 'Betriebssystem' wenig geändert hat. Und auch sonst finde ich ihn eher prekär." Ausserdem sei keineswegs alles, was unter Etiketten wie "Cyberwomen", "Cybergrrls" oder "cyberfeminismus" verhandelt werde, der Rede wert. Noch skeptischer reagiert die schweizer Künstlerin Monica Studer, die zusammen mit Christoph van den Berg Arbeiten mit dem Computer und im Netz realisiert: "Ich wäre nicht im Entferntesten darauf gekommen, mich jemals als Cyberwoman zu benennen. Die Bezeichnung strömt was Pubertäres, Technikeuphorisches aus und stinkt nach Sektierertum. ....Als Cyberwoman wäre der Cyberspace wahrscheinlich mein bevorzugter Aufenthaltsort. Bin aber noch nie mit allen Fasern eingetaucht und verspüre auch den Wunsch dazu nicht. ...Computer, Cyberbrille, Datenhandschuh und Internet sind Werkzeug, um mich mit der realen Welt auseinanderzusetzen. Cyberspace bleibt Denkraum."

Füttert man eine Suchmaschine wie www.google.de mit dem Stichwort "Cyberwoman", kommt man den realen Cyberwomen schon etwas näher. Bezeichnenderweise geben gleich die ersten Einträge auch ein klares Bild von den unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Welten, die sich mit dem Wort verbinden. Da finden sich einerseits Starlet- und Softporn-Seiten, die das berechtigte Vorurteil vom Internet als riesigem Pornoumschlagplatz bestätigen; hier sind "Cyberwomen" einfach ins Internet gestellte Fotografien von Frauen.
Gleich daneben finden sich jene Adressen, die ins Herz der engagierten feministisch orientierten Cyberkultur führen: Websites, die von Frauen für Frauen gemacht sind, Hinweise auf entsprechende Diskussionsforen und Mailinglisten. Es gibt eher kommerzielle Versionen wie www.cybergrrl.com, wo Frau für alle Lebenslagen den richtigen Link findet, und stärker wissenschaftlich ausgerichtete Seiten. Den wohl umfangreichsten Pool für Mailinglisten bietet das auf dem Server der Universität von Maryland, Baltimore laufende englischsprachige Verzeichnis "Gender-Related Electronic Forums"
(www-unix.umbc.edu/~korenman(wmst/forums.html). Es führt gutsortiert und aktuell aufdatiert Adressen zu lauter speziellen Themen auf. Diese reichen von den "Age-Defined Lists" über die "Business/Finance Lists", die "Cyberculture/Internet Information Lists" und die "Motherhood Lists" bis zur "Women's Studies List". Damit ist zumindest eines klar: Der Begriff der Cyberwoman umfasst die politisch engagierte Netzaktivistin ebenso wie Berufs- oder Branchen-Networks, Computer-Helpsides speziell für Frauen (etwa jene von Mac) und Frauen-Chatrooms.

Zu den politisch hoch interessanten Charakteristika der Internetkultur gehört die Ausbildung der unterschiedlichsten Plattformen, eine Segregation in zum Teil ausgesprochen interessenspezifische Foren und Gruppierungen; die frauenspezifischen Seiten sind nur ein Beispiel für diese generelle Tendenz. In einer hochdifferenzierten, immer weniger durch lokale Traditionen organisierten Gesellschaft gewinnen koexistierende, zum Teil virtuelle Gemeinschaften an Gewicht.
Die Bildung vieler dezentraler Foren und Knotenpunkte hat mit der Struktur des Internet und mit dessen Entstehungsgeschichte als zunächst militärischem und später auch wissenschaftlichem Austauschsystem zu tun, das seit der Einführung des Worldwideweb für die Allgemeinheit geöffnet wurde. Auch wenn vom breiten Publikum das Web zu Recht vor allem als Waren- und Pornoumschlagsplatz wahrgenommen wird, haben die Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeiten dieses neuen Mediums von Anfang an Plattformen und Experimentierfelder für politische und künstlerische Initiativen geboten.

Zu den inzwischen prominentesten Cyberfrauen gehören die engagierten Netzkünstlerinnen; Natalie Bookchin, die seit den Anfängen des World Wide Web mit dabei ist, lehrt als Universitätsdozentin in Los Angeles und bietet deswegen auf ihrer Homepage (www.calarts.edu/~bookchin/) Texte und Links zur Geschichte der Netzkunst. Darunter finden sich viele weitere wichtige Arbeiten von Frauen, etwa "My boyfriend came back from War" von der Russin Olia Lialina.
Der Kunstbegriff im Internet ist aber um einiges offener, weniger werkorientiert als in der traditionellen Kunstwelt; die Grenzen zum Aktivismus sind fliessend. Die Frauen, die sich in der von Kathy Rae Huffman, Diana McCarty und Valentina Djordjevic betreuten internationalen Gruppe "Faces" zusammengetan haben, spiegeln diese Offenheit. (Übrigens ist auch die Internationalität ein typisches Kennzeichen nicht nur der weiblichen Netartszene). "Faces" funktioniert als "selbstregulierendes" Forum schon seit einer kleinen Internet-Ewigkeit, nämlich seit 1996. Hier treffen sich Frauen, die ein Interesse an Medien und an künstlerischen Kommunikationsformen miteinander verbindet.

Viele wichtige künstlerische Experimente mit dem oder im Internet in den vergangenen fünf, sechs Jahren, namentlich die engagierte "net.art", beziehen sich auf dessen Strukturen und seine Bedeutung als Massen-Kommunikationsmedium. Sie loten dessen Möglichkeiten und Grenzen, dessen gesellschaftliches Potential aus. Ein typisches Beispiel, wenn auch längst nicht das einzige, ist Olia Lialinas Arbeit "Anna Karenin goes to Paradise" (www.teleportacia.org/anna/query.htm) : Es wird eine kurze Geschichte erzählt, deren Stichwörter - wie z.B. Love - gleichzeitig an Suchmaschinen des Internet gelinkt sind. Deren Inhalte verändern sich bekanntlich mit dem Netz, und von daher ist Lialinas Arbeit so offen und instabil wie dieses, sie zeigt aber auch zugleich die Beliebigkeit der Suchmaschinen und die jedem Surfenden wohlbekannte Absurdität mancher Funde. In solchen Netzkunstarbeiten konvergieren fast immer künstlerischer und politischer Anspruch; nicht allein die schön oder werbewirksam gestaltete Website, sondern eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Mediums stehen im Vordergrund.
Weil das Internet als neues Medium - anders als etwa die Malerei oder Plastik - von künstlerischen und damit meist männlich codierten Traditionen unbesetzt ist, reizt es, ähnlich wie die Videokunst in ihren Anfangszeiten vor rund dreissig Jahren, Künstlerinnen besonders. Zwar muss man, wie Verena Kuni meint, auch diese Vorstellung vom "unbesetzten Terrain" relativieren, denn "wenn das Terrain erschlossen ist, greifen auch wieder die tradierten Mechanismen."
Dennoch fällt auf, dass manche der besonders von Frauen zuerst artikulierten Themen, die stark mit der Videokunst verbunden sind, im Internet unter anderen, aktuelleren Vorzeichen wieder auftauchen. Vor allem die Körperthematik ist stark vertreten. Aber während es früher eher um Auseinandersetzungen mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung des Körpers ging, sind nun die Konsequenzen der Kommunikations-, Bio- und Gentechnologie, die "Cyborgisierung" des Körpers, ein brennendes Thema, das von den unterschiedlichsten Seiten angegangen wird und jüngst auch in einer der ersten Präsentationen von Internetkunst in einem Schweizer Museum hervorgehoben wurde. ("Body as byte", März-Juni 2001, kuratiert von Yvonne Volkart im Kunstmuseum Luzern).
Eines der dort vertretenen, inzwischen recht bekannten Beispiele ist der "Bodyscan" der österreichischen Künstlerin Eva Wohlgemuth (www.thing.at/bodyscan). Die Arbeit existiert auch als Videoinstallation. Der Körper der Künstlerin, den diese 1997 mit einem Scanner abtasten liess, erscheint als Datenset, der beliebig mutier- und manipulierbar ist und sich in verschiedenen Versionen - etwa als Wireframe, als Netzgitter - darstellen lässt, zum Beispiel als "visuelles Gedicht", als animierter "identity jam". Im Zeitalter der Gentechnologie ist die Darstellung des Körpers als mutierbarer Datenbasis mehr als nur eine Software-Spielerei; sie deutet auf die Matrixfunktion und generelle Austauschbarkeit von Daten hin. Beim Computer verändert ein Eingriff in den Datenset nur die visuelle Erscheinung - beim Erbgut beschäftigt sie Ethikkommissionen. Der Körper als Datenstrom wird auch von Melinda Rackham in "Carrier" (www.subtle.net/carrier) thematisiert; hier werden die Ideen des Navigierens auf einer Website und die Funktionsweise von Viren im Körper miteinander kurzgeschlossen. Abgesehen davon handelt es sich um eine visuell sehr ansprechende Seite, auch wenn sie viele Plugins voraussetzt.
Einen etwas anderen Akzent setzt die Netzarbeit "Future_body" von Tina Laporta (http://users.rcn.com/laporta.interport/futurebody.html). Wiederum trifft man auf ein Wireframe (Netzgitter)-Modell eines weiblichen Körpers, dessen Oberfläche auf Mausberührung hin Links eröffnet und eine nähere Eroberung erlaubt. Allerdings führt das von der attraktiven Oberfläche provozierte Abtasten nirgends hin; damit ist dieses Körpermodell auch eine parabelhafte Reflexion darüber, wie die sogenannten Benutzeroberflächen im Internet nicht unbedingt den Blick hinter die auf ihnen präsente Kommunikationsstruktur erlauben. Die vielbeschworene Interaktivität im Internet ist, auch dies zeigt die Arbeit, oft nur ein Mittel, Erwartungen des Surfenden zu wecken, die meist nicht befriedigt werden. Schon erwähnt wurde BodiesINC der Kalifornierin Victoria Vesna (www.bodiesinc.ucla.edu/); hier kann man sich einen Wunschkörper sampeln und diesen dann im Netz archivieren, allerdings ohne selber jemals wieder Zugriff darauf zu bekommen. Auch hier spielt das Muster von Wunsch und Entzug eine zentrale Rolle; gleichzeitig wird die unübersichtliche Tiefenstruktur des Web thematisiert.


Auch im Netz florieren die bekannten Geschlechterstereotypen, manchmal in neuen Varianten. Die Cyberfeministinnen machen es sich zur Aufgabe, diese aufzudecken und zu unterwandern. Cornelia Sollfrank, Webkünstlerin mit Hackerinnen-Erfahrung, lieferte 1997 mit "Female Extension" ein inzwischen klassisches Beispiel für eine Netzarbeit, die gewitzt die traditionellen Strukturen des Kunstbetriebs aufs Korn nimmt und gleichzeitig die Anonymität des Netzes reflektiert. Diese macht es eigentlich unmöglich, die Kommunikationspartner zu identifizieren; Unterscheidungen wie weiblich/männlich werden hinfällig. Mit "Female Extension" reagierte Sollfrank auf die Ausschreibung eines Netzkunstwettbewerbs durch die Hamburger Kunsthalle, die sich als Vorreiterin in der Förderung von Netzkunst durch Museen profilieren wollte. Sollfrank simulierte 288 internationale Netzkünstlerinnen aus sieben Nationen, die alle vollständige Adressen mit Telefonnummern hatten und deren E-mail-Adressen auf unterschiedlichen Servern liefen. Zweihundert dieser Künstlerinnen meldete Sollfrank für den Wettbewerb an. Prompt hiess es in einer Presseerklärung der Hamburger Kunsthalle, von den 280 eingegangenen Anmeldungen seien zwei Drittel von Frauen. Die Medien griffen die Meldung begeistert auf. In der brandaktuellen Netzkunst schien es nun endlich die sonst so krampfhaft gesuchten Künstlerinnen zu geben. Die aus prominenten Mitgliedern zusammengesetzte Jury musste kurz vor der Preisverleihung verdutzt zur Kenntnis nehmen, dass sie an der Nase herumgeführt worden war.
Ohne ein internationales Netzwerk von Gleichgesinnten, die Deckadressen für "Female Extension" lieferten, wäre die Arbeit nicht möglich gewesen. "Networking" und Gruppenarbeiten sind ohnehin eines der Charakteristika der Netzkulturszene. So macht Cornelia Sollfrank heute die engagiertesten Formen der weiblichen Auseinandersetzung in der Vernetzung auf Mailinglisten oder Websites aus. Erwähnenswert ist in diesem Fall das von ihr mitgegründete, inzwischen stärker dezentral organisierte "old boys network" (www.obn.org), das ironisch auf die karrierefördernden Netzwerke der Männer in der Berufswelt anspielt, oder die deutsche Liste "Filiale"(www.thing.de/filiale). Sie verbindet Frauen, die als Künstlerinnen, Kunsthistorikerinnen, Kuratorinnen, Kritikerinnen mit den neuen Medien zu tun haben, miteinander und bietet auf der Homepage auch viele sorgsam ausgewählte Links an. Solch spezifische Orientierungshilfen haben indessen eine doppelte Dynamik: Sie sind Leitsysteme im unübersichtlichen, zeit- und nervenraubenden Dschungel des Web - und unterstützen gleichzeitig die Entstehung von Trampelpfaden. Sie verstärken also die Kanalisierung der Information und damit die Ausbildung der erwähnten Subkulturen. Auch ein Artikel wie dieser kann sich übrigens dem Nachzeichnen solcher Trampelpfade nicht völlig entziehen.


Als Cyberwoman mag man letztlich jede Frau mit Computer-Anwenderkenntnissen bezeichnen; aber für elaboriertere künstlerische Umsetzungen sind Programmierkenntnisse unerlässlich, weil man sonst auf externe, teure Programmierer(-innen) angewiesen ist. Es gibt zwar Kunst-Institutionen wie die New Yorker DIA Foundation (www.diacenter.org), die für ihr Netzkunstprogramm Künstler(innen) einladen. Ihnen hilft dann Sara Tucker, die als spezialisierte Programmiererin herausfindet, welche Software-Lösungen für die Umsetzung künstlerischer Visionen geeignet sind. Aber das ist ein eher seltener Luxus, und Internet-Künstlerinnen können sich gemeinhin nicht auf solche Angebote verlassen. Viele von ihnen betrachten es auch als essentiell, selber zu programmieren. Denn
die intensive Beschäftigung mit dem Code, die dem Programmieren zugrundeliegt, ist letztlich der Schlüssel für eine kritische Anwendung der neuen Technologien, so mühsam und umwegig das sein mag.
Aber auch das stille Herumpröbeln vor dem Computer und die Fähigkeit, ein paar Javaskripts schreiben zu können, genügt noch nicht, um auf der Höhe der künstlerischen Entwicklung zu sein. Eine Netzkünstlerin mit Hackererfahrung, die erwähnte Cornelia Sollfrank, antwortet auf die Frage nach den engagiertesten weiblichen Auseinandersetzungen mit dem Computer in einer E-mail: "richtig interessant wird es meist erst dann, wenn sich frauen aus unterschiedlichen disziplinen mit unterschiedlichem fachwissen zusammentun und gemeinsam etwas erarbeiten. wirklich relevante aussagen können heutzutage kaum noch von einer einzelperson oder -disziplin getroffen werden." Kollektive Arbeiten - natürlich auch von gemischten Gruppen, wie zum Beispiel die an der Zürcher Hochschule für Gestaltung lehrende Gruppe "Knowbotic Research" oder die "Identity Runners" von Diane Ludin, Francesca da Rimini und Agnese Trocchi - trifft man denn im Netz auch besonders häufig an. Manchmal ist das Kollektive an einem Werk nicht auf den ersten Blick sichtbar. Aber in vielen Fällen kann man davon ausgehen, dass eine Arbeit ohne die Einbindung in ein Netzwerk gar nicht zustande gekommen wäre. Dies gilt in gewissem Sinne auch für traditionellere Kunst. Doch während dort weiterhin der Mythos vom solitären Kunstschaffenden geschürt wird, gehört es im Bereich der neuen Medien fast schon zum guten Ton, ähnlich wie beim Film alle Beteiligten zumindest zu erwähnen. Und es sind oft Frauen, die dieses Vernetztsein als Grundlage ihrer Arbeit besonders thematisieren.

Zu den zum Teil arg verklärten Helden eines "freien" Internet gehören die Hacker, die die prinzipielle Offenheit aller Datensysteme demonstrieren wollen. Hackerinnen, das hielt Cornelia Sollfrank in einem höchst aufschlussreichen Text über "Women hackers" im Katalog "next-cyberfeminist international" (www.obn.org/reader) schon vor zwei Jahren fest, sind eher die Ausnahme; eine von ihnen, Clara Sopht, hat sie interviewt. (www.obn.org/hackers). Auf die Frage, ob ihr negativer Befund gegenwärtig noch stimme, antwortet sie in dem schon zitierten Mail: "im prinzip ja! dazu ist anzumerken, dass hacken nicht gleich programmieren ist. natürlich gibt es viele und auch gute programmiererinnen und informatikerinnen, obwohl da die tendenz auch rückläufig ist (...). die hacker-kultur ist eine rein männliche kultur, von der frauen hauptsächlich wegen der verhaltenscodes und sozialen rituale abgeschreckt werden, nicht aus mangelnder kompetenz oder aus mangelndem interesse." Ein Informatik-Studiengang nur für Frauen an der Universität Bremen sei extrem erfolgreich, während bei Informatikerinnen in klassischen, männerdominierten Lehrgängen die Erfolgsquote gewöhnlich recht niedrig sei.
Yvonne Wilhelm, die als Mitglied der bereits erwähnten Künstlergruppe "Knowbotic Research" Medienkunst- und theorie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich lehrt, teil die Einschätzungen von Cornelia Sollfrank. Wenn man mit Hackerszene die Hardcore-Szene meine, die wirklich subversiv tätig ist und sich als Community organisiert hat, seien kaum Frauen dabei. "Dass lässt sich unmittelbar gleichsetzen mit der Involvierung von Frauen in der Gamerszene - auch da Tendenz Null. Und beide Szenen sind miteinander verknüpft - hat mit der klassischen Genderproblematik zu tun. Mit Machtverhalten und Lust an territorialen Kämpfen."
Auch sie kennt kaum Frauen, die programmieren können oder süchtige Spieler sind. "Frauen, die man wirklich als Nerds und als Otakus bezeichnen könnte, kenne ich keine. Das hängt schon viel auch mit Erziehung und Ausbildung zusammen, aber ich denke auch mit gewissen Sozialisationsschwächen, die männliche Wesen einfach anders sublimieren (ID-Games, Rollenspiele, Cracker- und Hackeraktionen) als weibliche Wesen." Unter Frauen sei die Chat- und Emailebene am beliebtesten, diese weise aber wenig subversives oder politisch orientiertes Potential auf." Von ihren Studentinnen hätten etwa eine von zwanzig Bewerberinnen Programmiererfahrungen, und dies hätte sich in den letzten vier Jahren kaum geändert.

Ein Blick auf die wuchernde Netzkultur insgesamt zeigt dennoch, dass Frauen sich darin als Künstlerinnen, Webdesignerinnen, Hyperfiction-Literatinnen genauso selbstverständlich tummeln wie Männer; anders als mancher früheren Kunstszene sind sie von Anfang an voll dabei, und zwar nicht einfach nur in der klassischen Rolle als Muse. Auch als Kuratorinnen sind sie gut vertreten; in der Schweiz wären unter anderem Annette Schindler, die das neugegründete Basler Medienforum "Plugin" (www.weallplugin.org) leitet, oder Yvonne Volkart zu nennen. Ihnen ist neben der Aufgeschlossenheit für die neuen Medien die Fokussierung des Blicks auf medienkritische und genderspezifische Themen gemeinsam; dabei ist eine genderbezogene Wahrnehmung gerade nicht mehr im traditionellen Sinne nur feministisch orientiert. Sie will vielmehr darauf hinweisen, dass gesellschaftlich codierte Geschlechterstereotypen Männer, die männliche Identitätsbildung genauso betreffen wie Frauen und dass sie sich auch in der verheissungsvollen neuen Welt des Cyberspace nicht einfach von selbst erledigen.
Der Unterschied zwischen Cyberwomen und -men ist aber am Ende gar nicht die entscheidende Kategorie, wenn man die künstlerische Aufarbeitung der Computerisierung und internationale Vernetzung der Kommunikation betrachtet. Viel zentraler und dramatischer wirkt sich nämlich der so genannte "digital divide" aus, die sich immer weiter öffnende Schere zwischen jenen, die Zugang zum Internet haben und jenen, die ihn aus wirtschaftlichen Gründen nicht haben oder aus ideologischen Gründen verweigern.

Barbara Basting

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Adressen/Links:

- www.encyberpedia.com/women (hier findet sich auch die sehr empfehlenswerte Forenliste www-unix.umbc.edu/~korenman(wmst/forums.html)
- www.cybergrrl.com (kommerzielle Frauenseite, Newsgroupen etc.)
- www.obn.org. (old boys network)
- www.thing.de/filiale (Mailingliste Filiale, moderiert von Verena Kuni)
- www.laracroftism.de
- www.bodiesinc.ucla.edu/ (Arbeit von Victoria Vesna)
- www.hers.steirischerherbst.at (Ausstellung Video/Feminismus)
- www.c3.hu/collection/agatha (Arbeit von Olia Lialina: Agatha)
- www.teleportacia.org/anna/query/htm (Arbeit von Olia Lialina: Anna Karenin)
- www.rpi.edu/~huffman/faces.html (Mailingliste Faces)
- www.calarts.edu/~bookchin/ (Seite von Natalie Bookchin)
- www.dichtung-digital.de (Plattform für deutsche Hyperfiktion)
- www.xcult.org -u.a. Arbeiten von Monica Studer/Christoph vdBerg
- www2.sva.edu/~dianel/idrunr (Kollektivarbeit Identity Runners)
- www.weallplugin.org (Medienforum Plugin, Basel)