Barbara Basting

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Der Wissenschaftsbetrieb hat seine eigenen Legitimationsverfahren. Will man diese näher erkunden, verdienen besonders die Vorgänge rund um die Publikation von Büchern Beachtung. Das Schreiben scheint dabei inzwischen fast der einfachste Teil der Übung. Seit die Alltagserfahrung hartnäckig bestätigt, daß im Zeitalter der Informationsüberflutung Aufmerksamkeit das kostbarste Gut, die wertvollste Währung ist, wird es nämlich immer wichtiger, daß der Autor für seine Entdeckungen und Thesen rechtzeitig und regelmäßig bei der geneigten Wissenschaftsgemeinde wirbt. Nur so kann er die Konjunktur der Neugierde anheizen, die dem Fortgang seines Denkens wohlwollend folgt und sich in Verlagsverträge ummünzen läßt. Traditionell dienen Vorträge, Kolloquien, Beiträge in Fachzeitschriften und Zeitungen diesem Zweck, von den diversen Seilschaften, Zitierkartellen und sonstigen Verschwisterungsritualen zu schweigen.
Doch die wahren Pioniere nutzen inzwischen gezielt das Internet zur Steigerung ihrer Publizität und liefern ganz nebenbei noch den eleganten Beweis dafür, daß das gerade von den Geisteswissenschaften eher kritisch beäugte Medium sogar Wasser auf die Papiermühlen der Gutenberg-Apostel zu leiten vermag. Ein wahres Kabinettstückchen in dieser Hinsicht stammt vom kalifornischen Medienwissenschaftler Lev Manovich, auf dessen Namen irgendwann zum ersten Mal und dann immer häufiger stößt, wer sich für die Theorie der digitalen Kunst und Medien interessiert.
Vor rund einem Jahr erschien im wöchentlichen elektronischen "Newsletter" der in Fachkreisen viel beachteten amerikanischen Medienkulturplattform "Rhizome" die Ankündigung, Lev Manovich veröffentliche demnächst ein weiteres Buch. Nebst dessen Titel, "The Language of New Media", der ein Referenzwerk versprach, wurde den Newsletter-Lesern ein erstes Kapitelchen aus dem Buch gemailt. Weitere Kapitel folgten in appetitanregend kleinen Dosen. Das aus dem 19. Jahrhundert und dem altmodischen Medium Zeitung entliehene Suchtmodell des Fortsetzungsromans sicherte, gewiß kein unerwünschter Begleiteffekt, auch dem Newsletter Aufmerksamkeit.
Nun erschien das von den Vorkostern heiß ersehnte Buch allerdings keineswegs, wie angekündigt, im vergangenen Herbst. Stattdessen erfuhren die staunenden Leser irgendwann, es stehe nun der vollständige Text als pdf-Datei, komprimiert auf schlanke 966 Kilobyte, zum Herunterladen bereit. Der kostenlose Download erfolgt, trotz Copyright, von der Webseite von Manovichs Verlag, der renommierten MIT Press. Der Bequemlichkeit halber hielt sie auch gleich einen Link zur Reservation des gedruckten Buches beim Internet-Buchhändler Amazon in petto. Denn wer mag schon vierhundert Buchseiten auf dem eigenen Drucker ausdrucken, geschweige denn als Loseblattsammlung lesen? Den Zweck hingegen, das Buch oder zumindest seinen Autor schon vorab ins Gerede zu bringen, erfüllt die pdf-Datei, wie auch diese Glosse beweist, spielend. Manovichs Buch wird, wenn es dereinst im Frühling 2001 tatsächlich in realer Form vorliegen sollte, von einer Art Harry-Potter-Effekt profitieren, wie er sonst für theoretisch anspruchsvolle Publikationen eher selten ist: Man muß es schon allein deswegen kaufen, weil man so lange darauf gewartet hat.
Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch Manovichs Homepage http:/www.manovich.net. "Lev Manovich - New Media Research" listet neben der Biografie, den Vorlesungsplänen und Publikationen sämtliche Projekte des experimentierfreudigen Professors auf, der gerne mit Künstlern zusammenarbeitet. Von der "Software für das 20. Jahrhundert", zu der etwa das Computerspiel "Freud-Lissitzky-Navigator" oder die "Database of Provincial Life (after 'Madame Bovary')" gehört, bis hin zu Experimenten mit einer "Streaming Novel" fehlt hier nichts, was die originelle Ein-Mann-Denkfirma Manovich zu liefern hat. Auch das detaillierte Inhaltsverzeichnis des nächsten Buches ist schon zu finden. Wehe, wer hier heimlich einen Gedanken klaut, er wird als Sekundärdenker überführt werden. Das neue Opus muss nur noch abgefasst werden. Was drin stehen wird, ist vielleicht gar nicht so entscheidend. Denn eines steht schon jetzt fest: Lev Manovich ist unser Mann für neue Medien.


barbara.basting@bluewin.ch