Die Zürcher Künstlerin Ursula Biemann untersucht die Folgen der Globalisierung - mit Videoessays und als Kuratorin.
«Seit der Globalisierung ist die Welt unsere Gemeinschaft. Also ist es moralisch falsch, wenn man nichts gegen Armut, Unterernährung und politische Unterdrückung tut.» Das sagte vor kurzem der Nobelpreisträger für Wirtschaft und ehemalige Clinton-Berater Joseph Stiglitz in einem «Magazin»-Interview (Nr. 01/2003). Bevor man zur Tat schreitet, sollte man allerdings genau wissen, wo ansetzen. Nicht nur alternativ denkende Ökonomen, auch manche Kunstschaffende versuchen daher, die Folgen des globalisierten Kapitalismus aus einer anderen Perspektive zu beschreiben. Vielleicht bringen neue Einsichten auch neue Denkweisen hervor, die das politische Handeln verändern können.
Köderfrauen im Real-Time-Format
Solch einen diskurskritischen Ansatz verfolgt die 47-jährige Zürcher Künstlerin Ursula Biemann schon seit mehr als zehn Jahren mit eigenen Arbeiten und als Kuratorin von Ausstellungen, unter anderem in der Zürcher Shedhalle («Hors sol») und an der Biennale von Istanbul 1997 («Kültür»). Im vergangenen Herbst wurde ihr Videoessay «Writing Desire» mit dem Sonderpreis der Jury des Internationalen Medien-Kunst-Preises des ZKM (Zentrums für Kunst und Medientechnologie) Karlsruhe honoriert. Er thematisiert die Auswirkungen der Kommunikation im Internet auf sexuelle Beziehungen. Welche Phantasmen werden in einem Chatroom mobilisiert, wie stützt das Internet den blühenden internationalen Frauenhandel? Und: Was für ideale Bilder vom weiblichen Körper werden da per Homepage verbreitet? Nicht nur in «Writing Desire», auch in dem zuvor entstandenen Video «Performing the Border» (1999) - es geht darin um die wirtschaftliche Situation von Mexikanerinnen, die als schlecht bezahlte und behandelte Grenzgängerinnen für die amerikanische Elektronikbranche arbeiten - und in einem aufrüttelnden Video über das boomende Sexgewerbe in Südostasien und in Osteuropa hat Biemann eine eigene Bildsprache entwickelt, die dokumentierende und kommentierende Elemente neben- und übereinander legt.
Da ist beispielsweise eine mit der Handycam gedrehte Sequenz aus thailändischen Bordellen. Hinzu kommen minuziöse «Wegbeschreibungen» wie aus einem Polizeicomputer, die eine Idee vom Ausmass der durchs Sexgewerbe weltweit ausgelösten Migrationsströme geben; dann wieder traumschöne Satellitenbilder, die ebenfalls «grenzüberschreitende», globale Bilddaten liefern, aber ganz anderen Forschungsinteressen - etwa militärischen Überwachungszwecken - verpflichtet sind. Nüchterne Interviews mit Vertreterinnen von feministischen Organisationen, nackte Zahlen bilden eine weitere Ebene. Auf diese Weise ergibt sich eine vielschichtige Struktur. Biemann geht es darum, nicht einfach übliche dokumentarische Darstellungsmuster zu reproduzieren. Denn diese fixieren Denkmuster.
Biemanns aufklärerische Arbeit setzt auf Inhalte, die selbst der hemmungslos alles fressende Kunstbetrieb nicht mühelos verdaut. Die Skepsis ist gegenseitig. Sie hat einiges mit Biemanns Werdegang zu tun. Nach einer Tätigkeit im Import und Export und im Advertising in Genf, wo sie die Machtstrukturen der amerikanischen «Corporations» von innen kennen lernte, nach einem Reisejahr in Mexiko begann sie in den Achtzigerjahren ihre Kunstausbildung in New York an der School of Visual Arts bei marxistisch orientierten Lehrern wie Benjamin Buchloh. Nach Amerika ging Biemann, weil ihr die Kunstausbildung in Europa zu traditionell war. Die damalige Kritik an der klassischen Ethnografie, die «Postcolonial Studies», gehören zu ihrem Rüstzeug. «Ich bin eigentlich eine amerikanische Künstlerin», meint sie im Gespräch.
Abseits vom Kunstmarktbetrieb
Als Ursula Biemann, geprägt von der stark politisierten New Yorker Szene der Achtziger, Anfang der Neunzigerjahre voller Neugierde aufs postkommunistische Europa wieder nach Zürich kam, war sie überrascht von dem «Galerien-Trip», auf dem die hiesigen jungen Künstler gewesen seien. Sie selber habe sich dafür nicht interessiert. Die breite Rezeption beispielsweise von «Performing the Border», die vom cyberfeministischen Café in Berlin über «kunstdefinierte Räume» wie das MoMA bis zu Gewerkschaftstreffen oder den Zapatistas in Mexiko reicht, bestätigt, dass es auch anders geht. Biemanns kuratorisches Engagement ist ebenfalls von kritischer Distanz zu herrschenden Strukturen geprägt. Sie gehört zu jener Fraktion Kuratierender, die in den Neunzigerjahren beispielsweise im Rahmen der Zürcher Shedhalle erst einmal damit begannen, ihre eigene Machtposition im Gefüge des sich globalisierenden Kunstbetriebs kritisch zu befragen. Ihr jüngstes Projekt für die Wiener Ausstellungshalle der Generali Foundation hat den Titel «Geografie und die Politik der Mobilität».
Dort werden fünf Künstlerkollektive vorgestellt, die sich mit der «zunehmenden Zirkulation von Menschen, Gütern und Daten» befassen. Das Pariser Künstlerduo «Bureau d'études» (www.universite-tangente.fr.st) etwa versucht, die Verflechtungen mächtiger Wirtschaftsbereiche auf detaillierten Karten darzustellen. Solche Projekte stehen exemplarisch für ein derzeit noch unter dem Deckmantel der Kunst praktiziertes, unkonventionelles Nachdenken über globale Machtstrukturen. Vom gängigen Ausstellungsbetrieb werden diese Forschungsprojekte, von denen manche auch an der letzten Documenta zu sehen waren, misstrauisch beäugt. Für Ursula Biemann, die an der Genfer Ecole des Beaux Arts lehrt, ist die Frage, wo hier die Kunst endet und die ökonomische Sozialforschung beginnt, zweitrangig. Das spricht von Souveränität gegenüber dem Sog der Tradition.
Generali Foundation, Wien: 17.1.-27.4.2003.
Homepage von Ursula Biemann: www.geobodies.org
Text erschienen in: Tages-Anzeiger Zürich,2003-01-18; Seite 46