Barbara Basting

Die bunten Trophäen des Kommunismus

«Traumfabrik Kommunismus» in der Frankfurter Schirn adelt die im Westen wenig bekannte Kunst der Stalin-Zeit. Ein zwei- schneidiges Manöver.


Es sind schon wahre Prachtschinken, die da im grossen Saal der Frankfurter Schirn theatralisch auf militärgrünem Hintergrund inszeniert sind. Zum Beispiel Stalin am Sarg Lenins, dessen Wachsköpfchen just in der Bildmitte aus dem rotplüschigen Sargfutteral ragt. Der Verblichene ist mit Chrysanthemen üppig ausgarniert, wie überhaupt in der Frühphase des kommunistischen Regimes die Bilder voller Blumen sind. Parteibonzen sind andächtig um den Sarg versammelt, weiter hinten drängt sich eine diffuse Masse. Das postrevolutionäre Weihebild strahlt in warmen Gelb- und Grüntönen, aus denen revolutionäre Trauerschleifen hervorstechen. Es wurde 1925 in spätimpressionistischer Manier gemalt von Isaak Brodski, Schüler des im Westen bekannteren Ilja Repin.
Das ist er in Reinkultur, der sozialistische Realismus: eine einzige Klitterung malerischer Gesten und bildnerischen Vokabulars, Historienbilder zu einer Zeit, als die Moderne das Genre längst verabschiedet hatte. Aber sieht man von den Sujets ab, die auch deswegen so unerträglich sind, weil man längst um den Blutzoll von Stalins Terror weiss, ist es am Ende nicht einmal richtig schlechte Malerei. Sie wiederholt nur, was Künstler über Jahrhunderte hinweg, bis zum Bruch der Moderne jedenfalls, immer wieder getan haben: Inszenierungen der Macht zu produzieren. Dennoch: Die stalinistische Kunstideologie stellt einen Kategoriensprung dar, und das macht die Beschäftigung mit dieser insgesamt eher abstossenden Propagandakunst gerade jetzt, wo der Spuk vorüber ist, spannend. Nie zuvor ist Kunst so konsequent und mit so kühlem Kalkül zur Ideologisierung der Massen eingesetzt worden. Man kann darin tatsächlich, wie das der Titel suggeriert, Parallelen zu den Traumfabriken Hollywoods sehen.
Die Gemälde des sozialistischen Realismus waren nämlich, das vergisst man aus westlicher Sicht leicht, nicht singuläre Sammler-, Markt- und Museumsstücke, sondern Reproduktionsvorlagen für Plakate, Schulbücher, Postkarten und Maler in der Provinz. Das unterstreicht der Kurator der Ausstellung, Boris Groys, in seinem Katalogbeitrag.

Emanzipatorische Avantgarde?
Im Jahr 1988 publizierte der 1981 aus der Sowjetunion emigrierte Kulturtheoretiker Boris Groys seinen viel beachteten kulturanalytischen Essay «Gesamtkunstwerk Stalin». Groys untersuchte darin die propagandistische Funktion der Kunst in der Stalin-Zeit und die Entstehung des sozialistischen Realismus aus dem Geist der Avantgarde. Er zeigte, wie sich die konstruktivistische Avantgarde der Zehner- und Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts im Totalitarismus kompromittiert hatte. Das machte seine Studie brisant, denn mindestens bis zur Postmoderne berief sich die abstrakte Kunst des Westens gerne auf den emanzipatorischen Anspruch dieser Avantgarde.
Im Westen wurde die Avantgarde in der Folge, so eine zentrale These von Groys, schon früh mit einer kritischen Haltung in Bezug auf die herrschende kapitalistische, konsumorientierte Massenkultur in Verbindung gebracht. Die Avantgarde galt aber auch als elitär, weswegen ihr das Nazi-Regime und die Faschisten nach anfänglichen Kooperationsversuchen rasch den Garaus machten. Fortan pochten die avantgardistisch orientierten Künstler auf ihre Autonomie, auf ihre Unabhängigkeit von politischer Doktrin. Im Osten, so Groys, erzwang die kommunistische Staatskultur eine andere Entwicklung der Avantgarde: Ihr utopisches Ansinnen, einen neuen Menschen zu modellieren, wurde beim Wort genommen. Das erklärt die Rückkehr zur figürlichen Malerei etwa im Werk Kasimir Malewitschs: Nur das realistische, also gut lesbare Bild galt als geeignet, die Massen anzusprechen. Übrigens waren diese Bilder tragischerweise weder beim Volk noch bei Funktionären wirklich beliebt.
Von der Avantgarde aus führten also zwei Wege in die Zukunft: Unter den Bedingungen des abgeschafften Marktes im Osten diente Kunst fortan der Erziehungsdiktatur. Im Westen, unter Marktbedingungen, wurde sie Verfechterin einer elitären Kritik an der dominierenden Massenkultur, die die Massen nie wirklich erreichte.

Frivole Gesamtinstallation
Groys illustriert nun auf Einladung von Schirn-Direktor Max Hollein diese visuelle Kultur der Stalin-Zeit in einer schlank konzipierten Abfolge von Bildern, Plakaten und Filmen. Er setzt auf qualitätsvolle Werke, die man nicht so leicht als Schund abtun kann. Das ist fürs Auge verführerisch, gerade weil der Verwendungskontext und die Rezeptionsgeschichte dieser Bilder ausgeblendet bleiben. Der gruselig-frivole Reiz der Schau hat nur zum Teil mit der relativen Neuigkeit dieser Bilder für den westlichen Betrachter zu tun. Eher schon damit, dass sie nur noch als zahnlose Trophäen erscheinen. Groys zeigt die Staatsware bunt gemischt mit ihren ironischen Persiflagen durch die «inoffizielle Kunst» der späten Sowjetunion, der «Soz Art» von Komar und Melamid, Erik Bulatow, Boris Michailow. Sie und auch die abschliessende Installation von Ilja Kabakow demonstrieren, wie man sich an der stalinistischen Kunst abarbeitete, etwa durch Übersteigerung der Kitschkomponente. Das macht für den Westblick immerhin nachvollziehbar, welche Wurzeln die zeitgenössische russische Kunst hat.
Dass Groys nun gerade die nie fürs Museum gedachte Kunst exotisch-museal inszeniert, gibt der ganzen Ausstellung den dubiosen Chic einer poetisch-absurden Gesamtinstallation im Stile Kabakows. Aus dessen «Propagandawagen» am Ende der Ausstellung erklingen schwermütige russische Lieder. Für die Melancholie kann man einen Ost- und einen Westgrund anführen. Der Ostgrund ist der Verlust der Utopie in der Kunst und erst recht im Alltag. Der Westgrund ist der Verlust der Autonomie der Kunst, auf der sie so lange ihren hohen moralischen Anspruch begründete. Jetzt ist nur noch Markt, insbesondere für geschickt inszenierte Ausstellungen.

Bis 4. 1. 2004, Katalog 29 Euro.

Text erschienen in: Tages-Anzeiger, Zürich 2003-10-11; Seite 49