Barbara Basting

Die Evangelisierung des Museums

Seit gestern ist in Berlin die Friedrich Christian Flick Collection zu sehen: eine Sammlung, die um jeden Preis imponieren will.

Die Eröffnung der Friedrich Christian Flick Collection in Berlin ähnelte ein bisschen jenem Moment in Restaurants der gehobenen Preisklasse, wenn die Cloche gelüpft wird: Man ahnt zwar, was zum Vorschein kommt, weiss aber noch nicht, wie es angerichtet ist und ob es mundet. Die Namen der Künstler, die Flick seit seiner geradezu paulusartigen Bekehrung zur Kunst mit einem Budget, das jede öffentliche Sammlung blass aussehen lässt, einsammelt, kursierten längst; und da Flick ein grosszügiger Leihgeber war, weil das dem Ansehen der Kunst nie schadet, konnten eifrige Ausstellungsgänger sich allmählich ein Bild machen. So hält sich die Überraschung in Grenzen. Kommt man aus Zürich, macht sich sogar - selbst wenn das angesichts eines Wiedersehens mit qualitätvoller Kunst überheblich klingt - leichte Enttäuschung breit: Nicht nur fast alle Künstler, ja oft sogar exakt die Werke, die nun in Berlin ausgestellt sind, waren noch vor nicht allzu langer Zeit in den Galerien Hauser und Wirth sowie bei deren vorübergehender Geschäftspartnerin Eva Presenhuber in Zürich zu sehen. Oder in den kooperierenden Kunsthallen und Museen von Zürich, Basel, Baden-Baden, Karlsruhe.

Eingeschränkte Spielräume
Die Collection trägt so unübersehbar die Signatur des international einflussreichen und ingeniösen Iwan Wirth, dass man fast um die Autonomie von Flicks ästhetischem Urteil bangt. Oder sollte es umgekehrt so sein, dass sich Flicks Lieblingsgalerist an den Vorlieben seines besten Kunden orientiert hat? Egal. So oder so sind die beiden ein Power-Couple der Extraklasse. Ohne ihr Wirken sähe die Kunstlandschaft derzeit anders aus. Was nicht heisst: besser oder schlechter.
Der Sammler hat den unaufdringlichen, gelungenen Umbau (Kühn Malvezzi) der Rieck-Werkhalle zum Annex des staatlichen «Hamburger Bahnhofs - Museum für Gegenwart» in Berlin mit 8 Millionen Euro mitfinanziert. Die Hausherrin, die Stiftung Preussischer Kulturbesitz, kommt für den Betrieb auf. Sie greift dafür auch ihren Etat für Sonderausstellungen an. Das ist insofern kein Problem, als die Collection mit 2500 Werken und 150 vertretenen Künstlern genügend Material bietet. Unterschätzen sollte man den Preis dennoch nicht: Der Spielraum für anderes wird eingeschränkt. Das Museum tritt in nie da gewesenem Ausmass Definitionsmacht ab. Der Siegeszug der Privatsammler in steuerfinanzierten Museen erreicht damit einen vorläufigen Zenit.
Dabei ist das Neuere des Alten Feind: Für die Flick-Eröffnungsschau, die mit rund 13 000 Quadratmetern Fläche ungefähr so gross ist wie die letzte Documenta, wurden sogar die Hallen des Hamburger Bahnhofs geräumt, die sonst die Sammlung Erich Marx beherbergen, von der nur der Beuys-Block bleiben durfte. Der Leihvertrag mit Flick läuft für sieben Jahre. Bei der offiziellen Eröffnung äusserten Bundeskanzler Gerhard Schröder und Flick, dass es dabei nicht bleiben müsse. Eine Schenkung würde wenigstens die Kritik an den Spekulationsabsichten Flicks entkräften.
Als «Kunstmaschine», als «eines der sensationellsten Museen für zeitgenössische Kunst» bezeichnet Direktor Eugen Blume die unter seiner Ägide entwickelte erste Präsentation eines ersten Teils (die Rede ist von einem Drittel) der Collection.
Kunstmaschine, Sensation: Beides stimmt. Die Schau ist in Umfang und Qualität sensationell. Man müsste trotz der wichtigen Diskussionen rund um die Reizwörter «Blutgeld» und «Steuerflucht» ideologisch schon sehr verbohrt sein, würde man dies nicht anerkennen. Sie ist aber, und dies passt angesichts der Herkunft ihres Urhebers fast zu gut ins Bild, auch eine monströse Macht- und Imponiermaschine. Aus welchen Motiven auch immer Flick die von ihm gesammelte Kunst so breit portiert: Hier findet eine enorme Evangelisierungskampagne statt, die nicht nur diesem Museum zeigen will, wo es in Sachen zeitgenössischer Kunst langgeht. Denn die erarbeiteten Sonderausstellungen sollen auch andere Häuser beglücken. In Zeiten knapper Etats greift da sicher mancher zu.
Der Wille, einen gültigen Kanon der Gegenwartskunst zu definieren und zu implementieren, findet seinen deutlichsten Ausdruck in der von Flick finanzierten 25-bändigen Serie opulenter Künstlermonografien à 69.90 Franken, die bei DuMont unter dem Titel «Collector's Choice» erscheint. Hat Kunst mit weniger Geld und bedrucktem Papier im Nacken da überhaupt noch eine Chance?
Auch ein Rundgang zeigt, dass hier nicht gekleckert, sondern geklotzt wird. F. C. Flick sammelt nicht Lieblingswerke oder Trouvaillen, sondern trägt zielstrebig Konvolute zusammen. Das Filetstück sind die beiden exzellenten Säle, die dem Amerikaner Bruce Nauman gewidmet sind. Sie zeigen, wenn auch seine Präsentation ausgerechnet in der immensen Kleihues-Halle des Museums additiv und voll gestopft wirkt, den derzeit umfassendsten Komplex dieses wichtigen Künstlers. Stark ebenso die grosse Gruppe mit Werken des sensiblen Berserkers Martin Kippenberger, kombiniert mit Arbeiten von Franz West, was gut passt, Letzterem eher schlecht bekommt.
Geklotzt wird auch, was die Dimensionen und Produktionskosten der Werke angeht. Nur schon Jason Rhoades' immens aufwändige Installation «Creation Myth» und Paul McCarthys aufgeblasenes «Saloon Theater» füllen die riesige Historische Halle des Hamburger Bahnhofs; Diana Thaters mehrteilige Videoprojektion «Delphine» nimmt eine Halle in Anspruch, ebenso Dieter Roths Gartenskulptur. Auch Werkgruppen von Pipilotti Rist, Rodney Graham, Fischli/Weiss, Luc Tuymans sind raumgreifend. Das Kleine, Feine, Diskrete, Bescheidene hat es schwer.
Nicht einfach, die Auswahlkriterien Flicks anhand der ersten Tranche zu definieren. Die Gliederung der souverän inszenierten «Ausstellungslandschaft» (Blume) in Kapitel mit elastischen Titeln wie «Hier und jetzt zufrieden sein», «Die Sicht des Szenografen» oder «Körpereinschreibungen» hilft kaum weiter. Dabei gehört das Körperkapitel mit drastischen Arbeiten von Cindy Sherman, Mike Kelley, Larry Clark und feineren Säureattentätern wie Raymond Pettibon und Marlene Dumas zu den besten Ensembles der Schau. Klar ist nur eins: Teuer durfte es sein. No-Names sucht man vergeblich. Alle vertretenen Künstler sind am internationalen Markt derzeit bekannt, die meisten spielen in der oberen Liga - manche wie Pipilotti Rist oder Franz West unter dezidierter Mitwirkung Flicks, andere wie Jeff Koons, Jeff Wall oder Dan Graham längst ohne ihn.

Von allem etwas
Auch die Sperrigkeit, Brisanz und Widerständigkeit auszumachen, die F. C. Flick für die von ihm bevorzugte Kunst in Anspruch nimmt, fällt auf den ersten Blick schwer. Sicher, süffige Malerei ist auffällig abwesend. Doch was Brisanz angeht, gibt es Positionen, die mehr ins Fleisch schneiden. Nur sind diese meist weniger marktgängig.
Wessen letzter Museumsbesuch nicht gerade dreissig Jahre zurückliegt, der wird kaum nachhaltig irritiert sein. Dafür findet sich von allem etwas: die Reflexion auf den Kunstbetrieb von Marcel Duchamp über Marcel Broodthaers bis zu Thomas Schüttes pfeffriger Kunstmarktsatire «Mohr's Life»; die Gesellschaftsdiagnose von Nauman über Larry Clarks berühmten Tulsa-Zyklus bis zu Wolfgang Tillmans Soldatenserie; die Befragung neuer Medien bei Nam June Paik, David Claerbout, Eija-Liisa Ahtila, Stan Douglas. Der gezielte Einbezug historischer Positionen - Duchamp, Picabia - spricht dafür, dass hier die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts in Ansätzen neu geschrieben werden soll.
Trotzdem geht man merkwürdig unberührt aus der Schau. Fehlt was? Wohl weniger bestimmte Namen - derlei lässt sich immer diskutieren, und heute mehr denn je - als Ecken, Kanten, vielleicht auch ein Quäntchen Verschrobenheit. Möglich, dass das an der perfekten, eher glatten Präsentation liegt. Daran, dass man schon (zu) vieles kennt. Oder dass es so penetrant nach Geld riecht.

Meint er es ernst mit der Vision?
Etwas ganz anderes kommt hinzu. In einer Dokumentation der «Blutgeld»-Debatte, die den Besuchern infolge der Kritik ausgehändigt wird, liest man ein langes Interview mit Flick. Darin macht er sich Gedanken über die Konturen eines zukünftigen Museums. Er skizziert die Idee einer «Öffnung des Museums für alle Fragen, für die es nirgendwo sonst eine Plattform gibt», eine «kontinuierlich tagende Konferenz, wo neue Ideen und Modelle in die Diskussion gebracht werden».
Das sind Visionen, die man nicht nur an den letzten beiden Documentas aufgreifen konnte. Umso mehr fragt man sich, wieso Flick solche zeitgemässe Ideen einer prozessorientierten Kunst nicht jetzt, hier und heute umsetzt; wieso er eine eher konventionelle Schau privilegiert, in der Experimentierlust, Offenheit, Frechheit im Giessharz einer musealen Präsentation erstarren.
Vielleicht geht es ja nicht anders. Doch wenn einer die Mittel hätte, mit solchen Visionen ernst zu machen und nicht wie gehabt der Kunst als Schatz und Ware zu huldigen, dann der Multimillionär Flick. Falls es ihm wirklich ernst ist mit dem, was er wortreich ausführt.

Erstpräsentation bis 23. 1. 2005.
Katalog (Du Mont) in der Ausstellung 29.90 Euro. Informationen unter: www.hamburgerbahnhof.de
Die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst hat die Flick-kritische Publikation «Die Kunst des Sammelns» (Hg.
Renata Stih, Frieder Schnock, 66 Seiten, 4 Euro) herausgegeben sowie eine begleitende Plakataktion
entwickelt (www.ngbk.de).
Das Prenzlauer Berg Museum zeigt die Ausstellung «Zwangsarbeit 1938-1945 + Das Beispiel Flick»
(www.ausstellung-zwangsarbeit-berlin.de).


Tages-Anzeiger, 23.09.2004; Seite 61