Hans-Christian Dany, 96/98

Das Soziale als Fetisch oder der Fetisch des Sozialen


Aus einem Gespräch zwischen Stephan Dillemuth und Hans-Christian Dany, auf einer Zugfahrt nach Konstanz, die im Spätsommer 1996 begonnen wurde.



Dany: Du hast in den achtziger Jahren gemalt. So wie ich es aus deinen Erzählungen verstanden habe, kamst du aber an einen Punkt, an dem dies unbefriedigend wurde. 1987 bist du dann, für anderthalb Jahre nach Chicago gegangen.

Dillemuth: Ich wollte Künstler werden, weil ich mir ein gewisses Mass an Handlungsfreiheit wünschte und nach einer Weile merkte ich, 'Das kann es ja wohl nicht gewesen sein'.

DA: Das klingt mir jetzt zu allgemein, das Scheitern des Künstlerideals. Oder hast du so ein Künstlerbild gesucht als du anfingst zu malen?

DI: Das Scheitern hatte ich nur von der Studentenbewegung mitbekommen auch schleppte ich diese Hippie-Ideale und verquaste politische Ansätze von Beuys mit mir herum. Das war 1977, da studierte ich an Kunstakademie in Nürnberg.
Es gab dort eine Frau, die für den 'Marxistischen Studenten Bund' agitierte. Wir waren uns zwar einig, wogegen wir waren, aber diese MSB-Logik erschien mir als leere und verkrampfte Rhetorik. Ich sah da keinerlei Effektivität. Politische Optionen erschienen1977 so miefig und in sich versponnen wie heute. Es verging jede Lust, sich da einzuklinken. Mit den Möglichkeiten, die ich mir als Künstler erhoffte, hatte das überhaupt nichts zu tun... Als Gegenmodell dazu schwebte uns eine vage Vorstellung von künstlerischen Erfindungen vor, die für andere relevant werden könnten.

DA: Oehlen und Büttner, die mit einem ähnlichen Ansatz aus marxistischen Zusammenhängen kamen, sind aus heutiger Perspektive mit ihrer Erfindung von Malerei recht schnell bei einer etwas koketten Affirmation gelandet. Du hast auch 'neu' und 'wild' gemalt. Ging es Dir dabei um Affirmation?

DI: Den Versuch sich der beschriebenen, scheinbar unerträglichen Situation zu entziehen, nenne ich jetzt mal die 'Simulation einer Krankheit'.
Ein paar meiner Freunde an der Akademie kamen damals tatsächlich in die Psychiatrische Klinik oder in den Umkreis der RAF und waren so der Alltags-Realität weniger ausgeliefert. Aber wenn man nicht an die Front will oder sich den Konsequenzen politischer Fehlentwicklungen entziehen will, gibt es ja auch die Option eine Krankheit zu simulieren. Man erzeugt für sich eine Unwahrheit, man spielt eine bestimmte Rolle, die aus der Klemme heraus hilft.

DA: Das hat funktioniert, kranke Malerei?

DI: Die Malerei war nicht krank. Ich rede vom Spielen oder Simulieren, von Techniken über den eigenen Schatten zu springen oder Strategien der Gegenseite anzunehmen.

DA: Was Du jetzt im Ansatz beschreibst klingt wie ein künstlerisches Selbstverständnis, das sich aus einer Abfolge strategischer Operationen zusammensetzt. Die künstlerische Identität bestimmt sich dabei in hohem Masse durch die politischen und atmosphärischen Bedingungen des jeweiligen Zeitraumes. Die Identität wird nie konstant. Ist der Schachzug damals aufgegangen?

DI: Um 1978/79 herum öffnete sich die dumpfe Glocke plötzlich. Punk und 'Neue Welle' machten ganz unterschiedliche Ansätze möglich. Für eine Weile konnte auf den Verhältnissen getanzt werden und nicht umgekehrt.
Der sogenannte "Hunger nach Bildern", die Gier nach der Teilhabe an der neuen Haltung machte aus dem pubertären Spiel aber bald kulturbürgerlichen Ernst. Die schnelle gesellschaftliche Akzeptanz und die nachfolgenden Maler der zweiten und dritten Generationen haben die aus einem politisierten Bewusstsein heraus entwickelte Haltung schnell verschlissen, also, die Möglichkeit in dieser Sprache zu sprechen wurde weggenommen. Der Triumph dieser Malerei war im Grunde genommen ihr trauriger Untergang.

DA: Wann setzte für dich dieses Traurig-Werden ein?

DI: Es wurde anfangs gemalt weil die Kunst und die Politik der 70er Jahre keinerlei Vitalität mehr besass. Es wurde auf ein verstaubtes, klassisches Medium zurückgegriffen, nicht weil man es liebte, sondern weil es lächerlich war. Da Kunst eigentlich bürgerlich und blöd war, konnte eben jeder Dilettant sich auch der 'erhabensten' Gattung bedienen und Genie spielen. Malerei war also gleichzeitig Ausdruck wie auch Zerstörung malerischer, kultureller Werte. Nach zwei, drei Jahren, also etwa 1982 war klar, dass hier wieder eine neue malerische Qualität entstanden war. Der Ausbruchsversuch war wieder in den kulturellen Kanon aufgenommen worden.

DA: Die Gegenwelt war sozusagen zum Allgemeinplatz geworden. Wobei ich den Eindruck hatte, dass sie schon auf Kurzlebigkeit angelegt war. Wie hast du darauf reagiert?

DI: Ich glaube nicht, dass das überraschenden Aufplatzen der verkrusteten Strukturen geplant oder auf Instabilität angelegt sein kann. Interessanter scheint mir, dass plötzlich die Wörter 'Erfolg' oder 'Karriere' wichtig wurden, also der Versuch, die Innovationen in die gegebenen gesellschaftlichen Strukturen zu integrieren. Etwas ähnliches wie 'der Marsch durch Institutionen' zehn Jahre zuvor. Das sind Verarbeitungs- und Verschleissprozesse, die lange dauern. Man hat sich in der überraschend aufgetauchten Lücke eine neue Identität begründet und baut darauf ein Haus. Als Künstler soll man darin lebenslange Meisterschaft beweisen. Das ist eine klassische Auffassung. Ich habe das bis etwa 1987 versucht.

DA: Du betonst die Erfindung, aber ist die Formfindung dafür, das langsame erbärmlich Werden und vor allem die anschliessende Dekonstruktion, das Verwerfen des Ganzen nicht genauso wichtig?

DI: Aber spannender ist der befreiende Moment, die strukturellen Erfindungen, das Umdrehen von Geschichtslinien. Sicherlich wäre es gut, wenn man die Dekonstruktion selber betreiben könnte, aber das leisten noch nicht mal die vermeintlichen Gegner, die für die Konstruktion der Sache ja wichtig sind. Notwendigerweise verschlissen wird das alles aber durch die Missverständnisse und Entdifferenzierungsprozesse bei der Durchsetzung zu einer allgemeineren Akzeptanz.

DA: Ich möchte wirklich kein Loblied auf die Trauerarbeit singen, aber die Notwendigkeit klarer formaler Lösungen für die plötzlich rausgeplatzten Erfindungen und Einfälle finde ich als Prozess einer Abarbeitung im Nachhinein wichtig. Damit meine ich aber nicht die müden Verdichtungen und das lebenslange Wiederholen der Markenzeichen.

DA: Entsprang dein Chicago-Aufenthalt der Sehnsucht, deine Maler-Identität abzulegen?

DI: Die räumliche Distanz zur deutschen Szene war auch eine Distanz zur eigenen Geschichte. Es war befreiend diese Konstruktionen von aussen zu sehen. Künstlerisch konnte ich mir allen möglichen Blödsinn wieder erlauben. Andererseits kann das auch ein abgrundtiefes Fallen und Scheitern bedeuten. Das ist in dem Moment völlig offen.

DA: Die Iritation über das eigene Handeln, nicht zu wissen was man da tut, ist aber auch eine notwendige, reizvolle Zwischensituation. Aus ihr entsteht die Lust, wieder Unterscheidungen einzuführen, präzise Formulierungen zu setzen. Das ist doch Teil des Motors der Erfindung, nicht nur zu delirieren, sondern ein temporäres Werkzeug daraus zu machen.
DA: Ein Jahr später hast du den Raum am 'Friesenwall 120' eröffnet. Hat die Zeit in Chicago dafür eine grosse Rolle gespielt? Ich denke dabei auch an die House-Musik. Gerade bei Chicago-House ist die Produktion transparenter und zugänglicher. Die Grenzen zwischen Produzent und Rezipient sind fliessender als im Kunstbetrieb.

DI: Entscheidender war für mich eine gewisse Isolation, dass ich aus dieser achtziger Jahre Szene draussen war. Auch die Unsinnigkeit der Sachen, die ich in Chicago gemacht habe, war wohl eine notwendige Vorbereitungsphase für ein paar seltsame Ausstellungen im Friesenwall.
Viele Ideen haben sich aus Spass entwickelt. Die erste Ausstellung mit den 'Firestone'-Autoreifen bezog sich auf die Klischees von Fluxus und Happening, also angezündete Autoreifen in der Tiefgarage und kreischende, nackte Models. Eine Reifenfirma dafür als Sponsor zu gewinnen entsprach eher einer Kunststrategie der achtziger Jahre, die Zusammenarbeit mit Firmen, die Lust am Logo, die schnelle, professionelle Karriere. Ich wollte in der ersten Ausstellung ein letztes Mal auf zwei unterschiedliche Haltungen und Jahrzehnte rekurrieren und diese Sachen damit für erledigt erklären. Jedenfalls wollte ich weder eine Galerie noch eine Produzenten-Galerie betreiben.

DA: Die später einsetzende Rezeption des 'Friesenwall 120' war immer stark an die Begriffe Treffpunkt oder auch 'Kunstraum als sozialer Ort' gebunden. Die ersten Ausstellungen waren aber anders.

DI: Ja, eher ein Austesten des in die Öffentlichkeit gestellten Raumes. Die zweite Ausstellung, 'Wolf Vostell - Zeichnungen', hat mit der Idee einer Galerie gespielt, wie sie von reichen Vorstädtern oft als Abschreibungsprojekt betrieben wird. Die zeigen leichte Kost von berühmten Künstlern, also Editionen, Poster, Multiples und schaffen sich soziales Kapital auf sehr einfache Weise. Das war bei dem Namen Vostell aber noch die Frage. Ich habe aus einem seiner Kataloge Abbildungen von Zeichnungen rausgeschnitten und gerahmt. Das war zwar auch Apropriation, aber der Aspekt einer Fake-Galerie war wichtiger.
Dann gab es eine Ausstellung mit Malerei, die der Besitzer eines Porno-Ladens gesammelt hatte, dazu hängte ich fotokopierte Zeichnungen von Tom of Finnland, die mir sein New Yorker Galerist zur Verfügung gestellt hatte. Wir zeigten so auch mit welch einfachen Mitteln und geringen Kosten man operativ bleiben konnte.
Später habe ich den Raum für zwei Wochen dem Seniorenhilfsbund "Graue Panther" zur Verfügung gestellt. Zu der Zeit hörte man einiges vom US Kunstaktivismus, aber in Deutschland gab es dieses Phänomen nicht.

DA: Setzte damit die Wandlung des Friesenwalls von einem experimentellen Ausstellungsraum zu einem Treffpunkt ein?

DI: Das begann im Herbst 1990 mit der Ausstellung zweier Sammlungen: Teile des Video-Archivs der Münchner Kooperative 'B.O.A.' und des Zeitschriften-Archivs von Peter O. Chotjewitz, ein Schriftsteller, den man aus den 60er und 70er Jahren kennt. Hier kamen die Leute nicht mehr nur kurz rein in den Laden um zu gucken, sondern fingen an, darin abzuhängen und sich mit dem Material zu beschäftigen.
Die Ausstellung hiess 'Old News'. Es ging dabei eigentlich um den Unsinn von Aktualität und nicht wie heute in vielen Projekten um den Vertrieb oder das Versprechen wichtiger Informationen. Die alten Nachrichten erwiesen sich teilweise als recht spannend und das landete dann ganz schnell in der Zeitschrift SPEX. Die haben geschrieben es handle sich hier um eine Art RAF-Archiv. Das war der erste Punkt, an dem die Entdifferenzierung einsetzte, dadurch, dass sich Aussenstehende das griffig für ihren Diskurs zurecht stutzen. Mit wohlwollender Geste und in dem Versprechen von Aktualität wird meist der Ausverkauf betrieben.

DA: Ich denke, genau diese hechelnde und diffus machende Verschleissspirale erschwert das Betreiben der eigenen Dekonstruktion. Das selbst Aufgebaute kann nicht mehr zerstört werden, sondern nur noch das öffentliche Bild davon, da dies zum eigentlich Kommunizierten geworden ist. Trotzdem hat es einen Reiz, wenn man das weggenomme Spielzeug dann einfach zur langweiligsten Sache der Welt erklärt. Verschlissen werden soll es ja, die Frage ist nur: Wie?

DI: Wenn wir am Ende von Bewegungen diese nochmals rekapitulieren, dann kann ich mich nicht so selbstzufrieden geben wie zum Beispiel Max Lenz a.k.a. Westbam neulich im Zeit Magazin, der sagt: "Wenn die Subkultur von der Gesellschaft vereinnahmt wird, heisst das doch nur, dass sie von grossem Interesse ist. Sie drückt aus, wie sich die Zeit selbst sieht. Mir gefällt das. Revolutionen wollen etwas revolutionieren und nicht in Nischen Platz nehmen."
Wenn Erfindungen gesellschaftlich relevant werden scheint mir deren Kontrolle aber schon wichtig. Friesenwall hat sicher relativ früh einige Motive eingeführt, Themen wie Archiv, Videohangout, künstlerische kuratorische Praxis und dass man im Betreiben von Ausstellungsräumen einiges billiger und sozial attraktiver machen konnte. Insofern haben wir etwas vorgemacht, das dann reformistische Institutionen und Mittelstands Kuratoren für ihre Zwecke benutzten, ohne dass wir auf einen monitären Austausch und künstlerische Durchsetzung unserer Methodik und Ästhetik bestehen konnten. In der Folge wäre es auch interessant zu untersuchen was bei der Entwicklung eines kritischen Apparates und den Gruppenprozessen der letzten Jahre schiefgelaufen ist. Es ist nicht nur legitim sondern auch notwendig zu fragen was da nicht funktioniert hat.

DA: Auch wenn es Dich nervt möchte ich noch mal auf einen nicht unproblematischen Aspekt der Doppelrolle von Künstler und Vermittler zu sprechen kommen. Dabei haben wir auf einer halbästhetischen Ebene...

DI: ... erster Fehler sowas zu denken und dann laut zu sagen.

DA: Jawohl... Wir haben einzelne Deregulationsprozesse an vorderster Front mitvollzogen. In der Wirtschaft hiess diese Veränderung dann: "Der Angestellte wird zum Unternehmer im Unternehmen". Ich denke aber, dass diese Schritte auch unvermeidlich waren und letztlich geht es ja darum die kapitalistische Entwicklung voranzutreiben.

DI: Die ewige Dany These...

DA: Ich hör jetzt auch gleich auf. Und trotzdem ist es natürlich wahr!
Bei der kulturlinken Begeisterung für Gruppenidentität wurde übersehen, dass sich Werbeagenturen auch als Kollektiv organisieren, dass nämlich das Individuum im postindustriellen Produktionsprozess nur als fiktiver Repräsentant gefragt ist. An genau diesen Formulierungen, dieser verquasten neo-marxistischen Sprache ist noch reichlich mehr den Bach runter gegangen.
Vielleicht kannst du noch mal konkret die Gruppenprozesse im Friesenwall beschreiben.

DI: Nach etwa einem halben Jahr habe ich begonnen den Raum zusammen mit Josef Strau zu betreiben, dann kamen Nils Norman, Merlin Carpenter und schliesslich Kiron Khosla dazu. Das war kein vorsätzlich geschaffenes Kollektiv, oder explizite Gruppenarbeit, sondern ein lockerer Freundeskreis, der sich nach aussen hin erweiterte. So waren auch andere an Entscheidungen und Ideen beteiligt, oder kamen nur zu den Eröffnungen, mal zu Parties, Video gucken. Das wichtige dabei war, es gab ein öffentliches Gespräch.
Die meisten Galerien waren Ende der 80er neonhelle, kahle Orte an denen bedeutungslose Waren angeboten wurden die niemand mehr haben wollte. Friesenwall öffnete einen undefinierten Bereich, in dem mehr möglich schien als gucken und kaufen. Es entwickelte sich darum ein soziales Klima, das in einem stagnierenden Kunstumfeld Begehren weckte. Das hatte wichtige Kunstproduktion schon immer begleitet, doch jetzt wurde das Soziale zum Fetisch und zur eigentlichen Kunstproduktion erklärt. Hinter dieser Rezeptions- und Projektionsfläche gingen die Inhalte unter, also all das, was wir mit den Ausstellungsprojekten thematisierten.
Nach eineinhalb Jahren, also Anfang '92, schien es uns daher zu simpel nur noch als Kommunikationsort und Archiv rezipiert zu werden und wir konzentrierten uns auf Ausstellungsprojekte wie 'Internationale Situationniste' in Zusammenarbeit mit Roberto Ohrt, 'Arbeit ist Wahrheit - wie es wirklich war' in Zusammenarbeit mit Michael Krebber, Cosima von Bonin und Uwe Gabriel. Oder das East Village Projekt in der 'Pat Hearn Gallery' in New York, wo Josef Strau und ich das Schanier untersuchten, wo Strategien der Colab Gruppe aus den 70er Jahren für eine neue Generation von Künstlern Anfang der 80er neu zu codieren war. Dazwischen gab es immer wieder mal Einzelpräsentationen von Leuten aus unserem Umfeld, weil wir zeigen wollten, dass wir die Arbeit einer Galerie wie nebenher auch noch leisten konnten.

DA: Aus der Hamburger Perspektive von 'DANK' stellte sich der 'Friesenwall 120' erstmal als abgekartetes Spiel im Zentrum dar. Unsere Texte über euch kennst du ja, "...tachistische Maler, die Rentner ausstellen weil sie das für authentisch halten". Ein Problem lag sicher darin, dass wir unsere Energie aus dem Widerspruch bezogen, einerseits Kommunikation herstellen zu wollen, also eine Zeitschrift zu machen, und uns andererseits massiv gegen alles mögliche abzugrenzen. Wir wollten einen Diskurs, den es damals in Hamburg nicht gab, selbst der 'Pudel Club' oder erst recht das 'Tele 5' existierten noch nicht, und gleichzeitig war 'Diskurs' das üble Brechmittel eines bestimmten Verständnis von Postmoderne.
Dazu waren wir kurz nach der Akademie noch recht stark in einem tradierten Künstlerbild verhaftet, und das hiess, gegen Theorie zu sein. In der allgemeinen Aufbruchsstimmung wurde damals schnell gesagt, sinnvolles Schreiben über Kunst gibt es nicht. Das war natürlich eine gute Möglichkeit die eigene Unfähigkeit zu legitimieren. Zudem wusste man von Euch das meiste nur vom Hörensagen.

DI: Wir haben Dokumentation nicht für so notwendig gehalten und dachen, wenn eine Mythologisierung stattfindet, dann ist das vielleicht auch nicht schlecht. Wir wollten 'Friesenwall 120' ja als Modell beweisen, das den Bedingungen anderer Orte entsprechend, wie ein Multiple hätte funktionieren können.

DA: Dieses 'Multiple' habe ich als Teil des US Aktivismus-Imports wahrgenommen, das nervte natürlich erst mal. Zwar wollte ich auch weiterhin politisch arbeiten, war aber in einem ähnlichen Konflikt gefangen, wie du ihn für deine Akademiezeit beschrieben hast. Mir schien das, was sich damals im Kunstbetrieb als politischer Ansatz formierte, zu reformistisch und spekulativ. Die Widersprüche in die man sich dabei verfing schienen unauflösbar. Sie auf andere zu projizieren, war eine Art damit umzugehen, die ich damals sicher reichlich betrieben habe. Es zeigte sich später, dass dies kein persönlicher, sondern ein recht symptomatischer Konflikt war.
Aus dem Gefangensein in diesem Widerspruch entsteht aber die eigentlich interessante Arbeit. Wenig Perspektive verspreche ich mir davon, sich in eines der Lager zu schlagen wo sich jetzt entweder hundertprozentige Künstler oder Aktivisten selbst eingeschlossen haben.
Ich denke auch, dass Gruppenarbeit trotz der schwierigen Erfahrungen in den letzten Jahren weiterhin versucht werden sollte. Ein zentrales Problem dabei war sicher, dass es sich aller Rede von Kollektivität zum Trotz um einen Zusammenhang von konkurrierenden ProduzentInnen handelte, für die es letztendlich kein 'Ausserhalb' des kapitalistischen Gefüges gibt. Zwar beschworen einige Texte das Entstehen eines Jobber- oder gar Boheme-Klassensubjektes, aber dazu ist es bis heute nicht gekommen. Die Verstreuung und Isolation hat eher noch zugenommen.
Weiterhin bleibt für mich die Frage was aus diesem mittlerweile abgegriffenen Modell der 90er Jahre einer KKK-Personality (Künstler, Kritiker, Kurator) zukünftig entwickelbar sein wird. Was ist da bisher schiefgelaufen? Also wie könnte eine zukünftige Krisenvariante von Gramscis 'organischem Intellektuellen' aussehen.

DI: Ihr von Dank wart doch alle Künstler und habt Kollegen eingeladen, Texte und Zeichnungen zum Heft beizusteuern. Warum habt ihr nicht ausgewählt und versucht bestimmte künstlerische Positionen durchzusetzen?

DA: Ich war zumindest damals noch fest von einem Gedanken der Verdünnung und Nivellierung beseelt. Keine Werte herzustellen, sondern ein gleichförmiges Flackern wo Namen und Bilder kurz auftauchen und verschwinden bevor man sie greifen kann. Alles andere wäre Wertarbeit für das Falsche gewesen.

DI: Das hat sich aufgrund dieser Indifferenz ja dann auch durchgesetzt und das Sytem stabilisiert. An historischen Positionen immer wieder neu ansetzen ist das Recht und wohl auch die einzige Chance jeder jungen Generation. Daraus entsteht aber auch nach einer Weile und innerhalb einer relativ konstanten Phase der Nachkriegspolitik samt seiner Ökonomie eine Art neuer Historizismus der mir genau so kulturbürgerlich und konservativ, genau so homogen und hermetisch erscheint, wie die Phase bildungs-bürgerlicher Kultur zwischen 1850 und 1897. Also: die beliebige Verfügbarkeit aller historischen Kunstformen und Stile zur Dekoration des Sozialen unterscheidet sich wenig davon, ob ich mich als Maler heute noch mal am Informel versuche, als Sozialkünstler Kunst als Kommunikation betreibe oder als Politkünstler Aktionen in der Fussgängerzone mache. Kunstformen der Moderne, die als Lösungsversuche einst aus einer Geschichtslinie heraus resultierten, werden zum verfügbaren Muster, zur Rolle oder zum Design innerhalb sozialer Prozesse. Trotzdem verstehe ich nicht, dass diese Recycling nicht analytischer betrieben wird und die Fehler von einst noch einmal gemacht werden.
Aber wie du sagst sind das wahrscheinlich alles notwendige Prozesse der Verarbeitung, der Entwertung und des Verschleiss. Allerdings langweilt es, wie der fliegende Holländer endlos auf den Wellen des 20. Jahrhunderts surfen und immer wieder an den selben Klippen zu stranden.

DA: Das war doch die wesentliche Anstrengungen der letzten zwei Jahre, aus der Schiene zu springen. Und weiterhin geht es darum, einen anhaltenden Widerspruch zu leben, dieses Pendeln zwischen Formen des flüchtigen Auftauchens um unvermittelt wieder zu verschwinden und dem Bedürfnis Positionen und Vorgänge zu verdeutlichen. In diesem Herbst scheint mir Glamour, Lifestyle Design und Elektro Swing als ephemere Strategie doch mega attraktiv. Ich habe jedenfalls weiter Spass an diesem Flatterkram, obwohl ich die präzisen Formulierungen dazwischen jetzt auch ernster nehme und nicht mehr so leicht aus der Hand geben würde.

DI: Für eine weitere Einflussnahme am Hof ist dies wohl unumgänglich. Nur so kann man an einem neuen Selbstbewusstsein des Künstlers und seiner Rollen arbeiten, schliesslich geht es um das Erreichen einer neuen Souveränität im Umgang mit den sich immer stärker abzeichnenden Veränderungen und Umstrukturierungen der Ordnung und Organisation (von Macht) auf den Gebieten der Ökonomie, des Staates und der Ideologie, d.h. schlicht, auf dem Gebiet der Ästhetik. Es muss herausgefunden werden wie der neue, 'Corporate Absolutismus' funktioniert und welche Rolle dem Künstler darin zugesprochen wird. Daher scheint nichts anderes darin möglich zu sein, als den ROKOKO zu spielen und sich dagegen zu verwenden. Also für die Freiheit zu kämpfen ohne zu sterben, oder wie Werner von Delmont sagt: 'Der Corporate Rokoko ist ein schrecklicher Stil, seine Durchsetzung muss unter allen Umständen verhindert werden'.

DA: Nenn dein Kind doch wie du willst. Ich glaube wir werden Konstanz nie erreichen. Komm, gehen wir in den Speisewagen.

(Erschien in * dagegen dabei - Strategien der Selbstorganisation seit 1969 * Edition Michael Kellner, Hamburg 1998).