Hans-Christian Dany, 8.99
MiniMal sorgt für mich
Manchmal muss ich mir die Dinge nur lang genug vorstellen, damit sie wirklich
werden. Eine Weile war meine Lieblingsvorstellung von MiniMal ausgehalten
zu werden. Einer würde mich dort mögen und eine Zeit durchschleifen.
Dann stand es in der Zeitung, darum könne man sich jetzt bewerben.
Ich ging sofort hin und fragte nach. In meiner Filiale wusste die Marktleiterin
noch nichts davon, gab mir aber die Nummer der Zentrale. Die Leute dort
erklärten, eine Agentur sei durch den Minimalismus-Boom im letzten
Sommer draufgekommen, dass es Sinn macht. Die Leute von MiniMal hatten nicht
gewusst, dass es den Minimalismus gab, fanden ihn aber schmeichelhaft. Man
hatte schon länger einen Mangel an Erscheinung verspürt und die
Information über das bisher Unbekannte passte in ein Bedürfnis
danach.
Die Kunden würden wohl noch eine Zeit dafür brauchen, meinte die
Öffentlichkeitsarbeiterin, aber der Versuch koste ja weniger als eine
Postwurfsendung. Dann zeigte sie mir ein Buch mit auf sich selbst reduzierten
Klötzen und Kisten, aus denen ich die Bedeutung quoll. Etwas in der
Art fertigte ich in den Tagen danach an und bewarb mich. Jetzt ging ich
öfter zum Postkasten und einen Monat später erhielt ich einen
Brief, man habe sich für mich entschieden: Ich bräuchte jetzt
zwölf Monate nicht mehr an der Kasse stoppen, mein Einkaufswagen würde
einfach durchgewinkt.
Als ich das erste mal meine nichtbezahlten Waren einpacke, erklärt
die Kassiererin den Kunden, die hinter mir in der Schlange stehen, "das
ist dies Jahr unser Künstler, der darf umsonst einkaufen". Anfangs
war es mir gegenüber den anderen in der Schlange peinlich. Ich kaufte
immer nur wenig. Mal ein Wasser, einen Schokoriegel, Zigaretten und kam
lieber drei- bis viermal am Tag. Auch habe ich mir nie eine neue Tüte
genommen, sondern die Benutzen immer wieder mitgebracht. Die Kassiererin,
die wahrscheinlich gedacht hat, unser Künstler kann doch nicht mit
den benutzten Tüten rumlaufen, hat jedesmal gesagt, "nehmen sie
doch eine neue Tüte, Sie kriegen die doch umsonst". Mir fiel dann
nur so was ein wie, " ...ist doch nur für die Milch". Eine
Menge Tüten habe ich mir doch andrehen lassen. Drauþen zog ich
über die MiniMal-Tüte eine graue Tüte.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich es genieþen konnte, die Groþzügigkeit
der Kette zu verkörpern und die Marktleiterin ein Taxi für den
Inhalt meines übervollen Einkaufswagens rufen lassen.
Als Werbemassnahme für MiniMal hatte ich eine Vorortpräsenz, sagte
man mir - ja, ich war fast zum Anfassen. Das stimmt schon. Die Leute in
meiner Filiale kannten mich jetzt. Zwar kaufe ich hier schon seit Jahren,
aber das ist niemand aufgefallen. Jetzt erkannten sie mich. Es wurde sogar
über mich gesprochen. Wenn es mir zuviel wurde, versuchte ich mir klar
zu machen, dass es nächstes Jahr wieder aufhören und ich wieder
ein normaler Kunde sein würde.
Einige MiniMal-Kunden fanden auch, dass ich als kulturelle Massnahme das
Letzte sei und alles auf die Preise draufgeschlagen wird. Während meiner
Ausstellung auf den Schildern, die sonst die Angebote vorführen, wurde
ich sogar in einer kameralosen Ecke mit einem Einkaufswagen brutal angefahren.
Fraglos mit Absicht. Sowas muss man als MiniMal-Repräsentant hinnehmen,
es seien Schatten der Liebe, meinte die Marktleiterin.
Unterm Strich was das Leben in der MiniMal-Förderung aber gut, weil
es eine saubereKette ist, die immer schon die neuen Sachen aus der Fernsehwerbung
hat. Auch schlägt einem die Auslage nicht so wie bei 'Penny' den eigenen
Mangel um die Ohren, wo der niedrige Preis dadurch bewiesen wird, dass sich
niemand um den Aufbau der Dinge kümmert.
Überzeugt haben mich auch die von der Decke baumelnden Klingeln. Wer
es eilig hat, kann darauf drücken, wenn die Schlange an der Kasse zu
lang wird. Ein Sprechautomat bedankt sich für den Hinweis und sagt,
dass gleich eine weitere Kasse geöffnet wird. Weitere Kassen werden
aber erst geöffnet, wenn die Kassiererinnen wie früher mit einer
Weihnachtsglocke läuten. Letztlich, glaube ich, betrachtet MiniMal
den tertiären Sektor als Witz. Man braucht hier einfach Dinge in einem
klar abgesteckten Kontext, an dem es nichts zu verändern gibt. Die
Dinge müssen ihren Platz im Regal haben, sonst finden die Kunden sie
nicht, was in der Kunst wieder ähnlich ist. Da haben beide Seiten sich
wieder etwas zu sagen und einige könnten dabei sogar auf einen grünen
Zweig kommen. Es war eine gute Zeit mit dem Stipendium vom MiniMal. Ich
kann es empfehlen.