Hans-Christian Dany, 11.99
Post-Zensur-Zensur
Erschien in Spex 12.99 Köln
Ein bisschen Skandal. Politkünstler im Kulturprogramm
Die lachenden Menschen dieses Jahres sitz im Siemens-Kulturprogramm. Sie
haben vorgeführt, wie man sich von ein paar genauso vertrottelten wie
ehrgeizigen Kulturlinken eine Super-Werbe-Kapagne für lau zusammenschustern
lässt.
Begonnen hatte alles vor ein paar Jahren, als einige KünstlerInnen
es für widerständisch hielten, einen Packen Geldscheine aus der
Portokasse des Konzerns abzulehnen. Klar, Nein-Sagen machte Spass und war
zu diesem Zeitpunkt eine politische Geste. Doch verwandelte sich die Gruppe
der Siemens-Kritiker in Folge der Kölner Messe2ok, die sich im Winter
1995 dem Sponsoring des Konzerns verweigerte, zunehmend in eine verbohrte
Glaubensgemeinschaft. Als hätte der sich kulturalisierende Kapitalismus
nicht mehr zu bieten, wurde Siemens zum permanent gedropten Keyword. Bei
den Konsumenten kulturlinker Periodika stellte sich ein ermüdendes
Déjà-vu ein, sobald die Siemens-Böse-Schlaufe wieder
einmal ihre Kreise enger zog. Eigentlich hätte man wachsam werden können,
als das Stichwort Zensur ins Spiel kam. Denn wo fängt Zensur an, wenn
Hunderte anderer Künstler gar nicht eingeladen werden?
Wohl um Allianzen zu schliessen, wurde die Sponsoring-Kritik dem Vorstellungsvermögen
eines bürgerlichen Liberalismus angepasst, auf die Beschreibung von
Ausschlussmechanismen zurechtgestutzt, aber auf Kapitalismuskritik verzichtet.
Sicher, so liess sich ein grösseres Publikum erreichen. Man hatte neue
Freunde, und ein bisschen Skandal kann der Karriere auch nicht schaden.
Mag sein, dass so eine Öffentlichkeit erreicht wurde, aber womit? Dass
Siemens sich nicht mehr von irgendwelchen Künstlern wegen seiner Nazivergangenheit
und anderer Fragwürdigkeiten ans Bein pinkeln lässt, sondern solche
Nörgler einfach vor die Tür setzt? Über solche Iniative klatscht
das Gros der Siemens Kunden - denn genau das wollte man schon lange nicht
mehr mitmachen und schon gar nicht mehr wegen der paar Zwangsarbeiter. Siemens
nahm jetzt das Stunde Null-Gefühl in die Hand.
Zuerst wussten die Leute bei Siemens gar nicht, wie ihnen geschah: Bisher
hatte sich doch niemand für ihr schnell zusammengehauens Kulturprogramm
interessiert. Jetzt aber platzten die Pressemappen, es wurde davon gesprochen.
Was wollte man mehr? Sicher wollte man mehr. Man analysierte, liess sich
beraten. Vielleicht wurde erwogen, für die Offensive '99 Provokateure
zu bezahlen? Dann entschied man, einfach ausreichend Kandidaten aus dem
politisierten Feld einzuladen - mit irgendeinem von denen würde sich
der medienwirksame Zwischenfall schon ausgehen.
Flächendeckend verbreitete Siemens 1999 seinen kulturellen Gemischtwarenladen
über das Land. Ins Münchner Sommerloch packte man das nicht weiter
erwähnenswerte Projekt 'Dream City'. Aber die zahlreich dazu eingeladenen
Politkünstler taten, was man von ihnen erwartete - Skandal-Meldungen
kursierten schon vor der Eröffnung, selbst Autoren, denen 'Dream City'
ansonsten nur ein müdes Gähnen entlockt hätte, verstiegen
sich jetzt in ausführliche Analysen. Die Bilanz war grossartig, als
Anzeigenschaltung hätten die über 200 Artikel ein Vermögen
gekostet. Gratulationen von der Konkurrenz, knallende Sektkorken. Beförderungen
auf allen Seiten.