Hans-Christian Dany, Christine Lemke (99)
Serieller Kehraus
Bück Dich, Du Werbersau!" brüllt die verzerrte Stimme - eine
Maschinengewehrsalve füllt die Pause bis zum Biep, nach dem die Kunden
ihre Nachrichten auf dem AB des erfolgreichen Fotografen hinterlassen können.
Über dem Bauernbett im Loft des 36jährigen jetzt-Mitarbeiters
hängt, gerahmt, das Logo der RAF.
Überhaupt scheint die RAF, zumindest seit es sie nicht mehr gibt, für
Medienarbeiter im Umfeld Jugendmagazins der "Süddeutschen Zeitung"
eine wichtige Rolle zu spielen. So feiert jetzt-Autor Moritz von Uslar das
"grandios gelayoutete" Buch "Hans & Grete" (1) von
Astrid Proll, in dem Fotografien aus der Geschichte der RAF von 1967 bis
'77 versammelt sind. Endlich, begeistert er sich in der Zeitschrift 'Park'
(2), geht die "Clique, die als Mitgliedsausweis eine Waffe mit sich
herumträgt" am Pop-Himmel auf. Als Kenner von Style-Codes entdeckt
er in den Bildern ihm geläufige Zeichen und hört sogar ein Lied:
"Gitanes-Zigaretten, Ricard-Aschenbecher, Lederjacken, selige Gesichter,
Illegalität... Dann sind wir Helden. Für einen Tag."
Von Uslars Text zieht die RAF systematisch auf die Folien ästhetischer
Repräsentation: Godard, Bowie, Faþbinder und auch Warhol. In
von Uslars Lesart der RAF ist so etwas an der Arbeit, wie die softtone Version
des "abstrakten Radikalismus". Eine psychopolitische Figur, die
Klaus Theweleit in seiner dreiteiligen Textsammlung "Ghosts" an
Gehardt Richters RAF-Zyklus oder der Hamburger Band "Die Goldenen Zitronen"
("6 gegen 60 Millionen" auf: "Das bisschen Totschlag"
von 1994) entwickelt.
Von Uslar geht seine virtuose Entpolitisierung noch nicht weit genug. Er
hat schon von welchen gehört, die es noch besser können: "Die
Schule der neuen, hippen Ahnungslosen, die Schule von 1999 hat uns etwas
voraus: den ungerührten, unbeteiligten Blick auf die Ereignisse, die
totale Freiheit."Trotz solchen Umgangs mit Geschichte erhielt der zu
früh Geborene keine 1000 Briefe der Erleichterung, wie Martin Walser
sie als Dank für seine Vergangenheitsentsorgung im Briefkasten gefunden
haben will.
Folgt man Theweleits Überlegungen, ist die Klasse von 1999 schon längst
da. Theweleit nennt diesen Typus die 'Seriellen', "die ersten Leute,
die der Satz, dass das alles keinen Sinn hat, nicht mehr aufregt, die damit
völlig einverstanden sind. Das Erfüllen der richtigen Zeichen
ist eine Lebensaufgabe; man braucht ein Auge für Design, ein für
die Sound-, & ein Organ für die Zeichenwechsel."
Entlang dreier historischer Bögen entwickelt Klaus Theweleit in "Ghosts"
eine grundlegende psychsoziale Verschiebung an deren Ende, in dem Kapitel
"Canettis Masse-Begriff: Verschwinden der Masse? Masse & Serie"
eine umrisshafte Aufzeichnung dieses sich rasant vermehrenden Phänotyps
steht. Ausgehend von der Frage, nach dem Ausbleiben einer Arbeitslosenrevolte,
zeichnet Theweleit die zweischneidige Figur des Serienmenschen. Dieser lebt
in nach bisher unbekannten Plänen gebauten "Körpern"
und funktioniert nach weniger individual-existentenzialistischen Mechanismen.
Die Serienmenschen verheddern sich nicht mehr in den Fallen des Substanziellen,
sondern bewegen sich distinktionssicher und mediengekoppelt zwischen den
sich ihnen bietenden Labels und Zugehörigkeiten. Sexuell orientieren
sie sich eher an ihnen ähnlichen Serienzeichen und in der gleichen
erotischen Sparte.
Theweleits Spektrum der Serienzeichen reicht von "a tribe called arbeitslos"
über die Gruppe der GAP-Träger bis zu bekennenden Aldi-Kunden,
die kein Problem mehr damit haben, wenn ihnen angezeigt wird, dass sie noch
nicht in der Serie Mittelklasse angekommen sind. Frei nach dem Alt-Serialisten
Warhol formuliert Theweleit, jeder sollte ein Zeichen sein, jeder sollte
jeden mögen. Das Transformationsprotokoll mit Aussicht wirkt in der
Gegenwart angekommen hochtourig. Doch scheint es ihm bei der positiven Besetzung
des Seriellen darum zu gehen, nicht in eine Klage über die Entpolitisierung
neuer sozialer Bewegungen zu verfallen, sondern die Leerstelle, die eine
verschwundene revolutionäre "Masse" (Elias Canetti) hinterlassen
hat, mit einer Neubestimmung auszuloten. Den historischen Vorlauf zur Entwertung
politischer und sexueller Emanzipationsbewegungen, zeichnet er in den Texten
'Bemerkungen zum RAF-Gespenst' und 'Salzen & Entsalzen - Wechsel in
den sexuellen Phantasien einer Generation' nach. Als einen kurzen Zeitraum
des "Einbruchs ins Reale" (Gilles Deleuze) markiert er dabei die
mittleren 60er Jahre. Auf der Suche nach einem "eigenen Körper"
bemüht sich die jüngere Generation um die Befreiung vom "Nazileib
der Älteren". Entlang ausgreifender, heterogener Sprachversuche
kommt es, beschleunigt durch die "Pille", zu unvorhergesehenen
Zusammenschlüssen. Die Vielfalt der sich befreienden Bewegung gerät
in Theweleits Rückblick in den homogenisierenden Filter ihrer medialen
Verstärkung. Auslöser ist der "grosse Moment" einer
Frau, der "Konkret"-Autorin Ulrike Meinhof, "Haupterfinderin"
des "Zauberwortes" APO. Theweleit, damals selbst im SDS, beschreibt
die "APO" als Pressehype: das Echo der Bewegung wird im medialen
Verstärker rückgekoppelt - zunehmend formatiert sich die Revolte
im Focus der schon aufgebauten Kameras.
Die Ausweitung der Bewegung als Bewegung ist gleichzeitig ihr Einschluss:
"Nicht nur die Sprachen wurden dichtgemacht, auch die Strasse wurde
geschlossen". Kurze Zeit später kollabieren und verengen sich
die enstandenen Zusammenhänge in geschlossene K-Gruppen, dogmatische
Ausgrenzungen. Einher geht damit eine tiefgreifende Entfremdung der politischen
Begrifflichkeiten und die Erfahrung gesellschaftlicher Ohnmacht.
Ulrike Meinhofs Beitritt zur RAF interpretiert Theweleit als "Verzweiflungstat"
auf der Suche nach einem "Realitätszeichen" im distanzierten
Agieren am Schreibtisch. Theweleits zwiespältige Hervorhebung der Rolle
Meinhofs, als diejenige, die eine Medialisierung der widerständischen
Bewegungen anstösst, in dem ansonsten von Männern dominierten
Text-Kosmos überrascht. Ihr Königinnen-Auftritt dient zur Einführung
der Figur des "abstrakten Radikalismus".
Die RAF stösst in das aus dem Zusammenbrüchen resultierende Vakuum
nach '68. Auf die RAF legen sich die Projektionen all derer, die den Schritt
der "Radikalisierung" nicht gewagt haben. Vor allem die "Sympathisanten"
liest Theweleit als psychosoziale Gruppe, die an der RAF kurze Zeit später
ein Opferritual vollzieht, in dem sie das eigene, diffuse Schuldgefühl
der Handlungsunfähigkeit und ihres politischen Scheiterns stellvertretend
entlädt.
Unter dem Überdruck der Illegalität, verstärkt durch die
Isolationshaft der Kerngruppe, nimmt die RAF in ihren Strukturen und Sprechweisen
immer autoritärere, bis faschistoide Züge an - übernimmt
das Antlitz derer, die sie bekämpfen wollte. Ihre Forderungen schiessen
als Abstrakta über ihr Ziel hinaus.
Hier verdichtet sich Theweleits zentrales Motiv der Gespenster, die als
unbewältigt gebliebene Schuld der Elterngeneration weiter im kollektiven
Unbewussten der Nachfolgenden spukt. Die Metapher des "Gespenstes"
klappert in ihrer Verallgemeinerung. Auch stellt sich die Frage, ob der
psychologische Blick, der die Vorgänge in einen Automatismus der Wiederkehr
bündelt, nicht auch eine Form der Geschichtsentsorgung betreibt? Theweleit
markiert die reproduzierende Zwangsstruktur der RAF als ihr politisches
Scheitern. Er negiert dabei, dass die RAF gerade diese Struktur auch als
politische Methode einsetzte, bei dem Versuch die Wiederherstellung der
Normalität nach Auschwitz zu unterbrechen.
Bei Theweleit mündet dieser Versuch in ein ausgeweitetes, von verschiedenen
gesellschaftlichen Fraktionen mitgetragenes symbolisch Ritual an den Inhaftierten,
die angefüllt mit den Gespenstern der Vergangenheit und den auf sie
projezierten Schuldgefühlen, geopfert werden bzw. toxidiert, von der
in sie eingedrungenen Todessehnsucht, sich selbst opfern.
Nach 1977, nach der Todesnacht in Stammheim, wandelt sich die RAF weiter
zum Superzeichen an dem sich die ideologischen Polarisierungen nur noch
pseudopolitisch abarbeiten. Die in ihrer Radikalität selbst immer abstrakter
werdende RAF wird als ästhetisches und psychisches Symbol verfügbar.
Gleichzeitig verdrängt eine gesellschaftliche Verschiebung die zuvor
auf breiter Ebene entwickelten Bemühungen um eine "konkrete"
Politik.
Theweleits Lesart deutscher Nachkriegsgeschichte lässt sich auch als
sich verselbstständigender Horror-Plot verstehen, in dem zwanghafte Wiederholungsgespenster aufeinander reagieren, weil sie nicht anders können, und, bei genauerem Hinsehen, nicht anders wollen. Theweleits Aufzeichnung der verdoppelten
Verdrängung hinterlässt den Eindruck eines schmerzhaften Klärungprozesses,
der den Abgleich der eigenen Biographie mit dem Handeln Gleichaltriger einbezieht.
In dem was Theweleit mit dem Begriff Serialität zu greifen versucht,
hallt der abstrakte Radikalismus und dessen Folgen einer Entpolitisierung
wieder, ihr zentraler Motor aber ist eine zunehmende Medialisierung. Wirksam
wird das Serielle zum einen als staatlicher Verwaltungsakt von Widerstandspotentialen.
Die institutionell bereitgestellte Etikettierung wirkt als scheinbare Verortung
und vor allem trennend und entsolidarisierend. Soweit die Zustandsbeschreibung
der Repressionsmechanismen, die zu einer allgemeinen Lähmung führen.
In der entstandenen Verhältnissen eines Bezugsfeldes mannigfaltiger
Labels mit dem industriellen Charme des Seriellen, klingt Marx an. Theweleits
entdeckt in den technosozialen Effekten auch Perspektiven: Die im historischen
Vorlauf beschriebenen psychopolitischen Verstrickungen könnten sich
aus den die Schuldmechanismen immer wiederbelebenden Dualitäten lösen
und sich auf einer Fläche vom Identitätszwang befreiter Minimalverbindlichkeiten
bewegen. Mille Plateaux fusioniert mit Addidas.
Dass manches dabei im Nebel und etwas unscharf bleibt, macht diese Vision
so verführerisch und überhaupt erst benutzbar als Projektionsfläche.
Sie verläuft konträr zu den Forderungen der Geschichtsgullyfraktion
(Walsers, Mahlers usw.), die mit ihrer schuldzuweisenden Befreiungskrakeele
die Unterdrückungsmechanismen weiterbeleben, gegen die sie anschreien.
Auch unter Preisgabe seines begrifflichen Instrumentariums versucht sich
Theweleit auf das ihm verschlossen bleibende Terrain zu zu bewegen. Letztlich
bleibt sein Serialismus etwas abstrakt. Zwar schreibt Theweleit in Serien,
wird dabei aber nicht seriell. Teilweise liest sich sein Entwurf des Seriellen
wie eine Projektion eines befreiten Subjekts, das im Gegensatz zu seinem
Beobachter geniessen darf.
Der Rand stehend bleibende Beobachter lässt weder den "Sinn"
nicht fahren, noch gibt er sich der reinen Distinktion hin. Diese Distanz
führt zu einem für Theweleit merkwürdigen Unterton in der
Sprache. Besonders deutlich wird dies in den Passagen über Techno,
den er nur über die Hochkulturfilter von Rainald Goetz oder die "Tagesthemen"
rezipiert und dabei selber einen "journalistischen" Blick annimmt,
der ihm die Wahrnehmung möglicher Neubildungen im "Konkreten"
verschliesst.
Die von Theweleit verwendeten Schreibstrategien heterogener Sprachen und
einer latenten Diffusität, erlauben ihm einerseits verblüffende
Einsichten, die sich anders nicht denken liessen, einiges bleibt dabei aber
auch in der Schwebe.
Der Spagat zwischen grosser und kleiner Erzählung, der im retropektiven
Teil funktioniert, geht sich in der Gegenwart nicht mehr aus. Die Seriellen
können alle ihre Biographie selbst schreiben, vielleicht brauchen sie
keinen Historographen. Sie wollen Designer, nicht mehr Autoren werden, um
ein Serienzeichen zu erfinden. Fast am deutlichsten wird Theweleits Vorstellung
von der Welt in Serien auf der vorletzten Seite, die ein gleichförmig
sich ausbreitendes Pattern aus Logos zeigt. An diesem Fortsetzungszeichen
bricht der Text ab. Aber vielleicht kommen wir in einer der nächsten
Folgen mit Theweleit ins Serien-Land, wo die Sneakers von den Bäumen
wachsen.
Dieser Text erschien zuerst in Texte zur Kunst, Heft 33, 3.99.
Klaus Theweleit, Ghosts, drei leicht inkorrekte Vorträge, Stroemfeld
Roter Stern 1998.
1- Hans & Grete, Hg. Astrid Proll, 1998.
2 - Park 2, Hamburg 1.1999.