Hans-Christian Dany, Stephan Dillemuth, Joseph Zehrer

UNSER FERNSEHSENDER

(Version 1/96, Arbeitspapier)
Leicht varierende Versionen dieses Textes erschienen ua
in der Zeitschrift A.N.Y.P., Frühjahr 1996 Berlin
und dem Reader 'Team Compendium', Sommer 1996 Hamburg.


Am Ende der sechziger Jahre tauchte der erste Fernseher in unserem Dorf auf. Manchmal versammelten sich bis zu 15 Leute vor dem Apparat. Die neidischen Nachbarn kauften sich dann bald ihren eigenen TV. Plötzlich konnte man sehen was noch auf der Welt geschieht, ab da waren alle Türen verschlossen. Vorher konnte man in den anderen Häusern spazieren gehen.
Als ich hörte, dass in der Kinderstunde 'Jim Knopf und die wilde 13' laufen würde, machte ich vor Freude einen Kopfsprung in den Schnee und blieb stecken. Vier Jahre später sahen wir die Strassenkämpfe der Studenten in den Nachrichten und mein Vater sagte: wehe, wenn du mal studierst und du gehst mit denen!
Bei mir begann es etwas später. Ich durfte die "Meuterei auf der Bounty" sehen, aber der Spielfilm wurde immer wieder mit den neuesten Informationen über die 'Watergate Affäre' unterbrochen. Jedesmal musste ich aus dem Zimmer wenn eine reale Meldung kam und durfte erst wieder rein wenn der Spielfilm weiterging.
So war das damals, heute wollen wir selber Fernsehn machen.

DIE BISHERIGEN SPIELREGELN

Jeder kann jederzeit auf dem 'Offenen Kanal' senden was er mag, er haftet dafür im Sinne des Mediengesetzes.
Weil die Einführung der Verkabelung in den 80er Jahren ein Übergewicht des privatwirtschaftlichen Fernsehens mit sich brachte, wurden staatlicherseits 'Offene Kanäle' angeboten, um die 'linke Kritik' einer Kapitalisierung von Information zu entschärfen. Nach amerikanischem Modell liessen die Landesregierungen einen Kanal übrig, in dem jeder senden darf.
Diese Zuteilung einer medialen Sozialhilfe affirmiert die offizielle Medienelite. Überdies bieten die OKs fast keine ernstzunehmende Programmstruktur, an der sich der Zuschauer orientieren könnte. Diese X-Beliebigkeit läuft sich auf die Dauer leer. Eine Selbstausbeutung der Benutzer wird prinzipiell vorausgesetzt, die Produzenten werden in keiner Form honoriert.
Als Basis eines demokratischen Pools sind die OKs zu befürworten. Andererseits handelt es sich bei den Oks um ein Auslaufmodell, in ein paar Jahren wird es sie vermutlich nicht mehr geben. Für eine Veränderung der TV-Realität scheinen sie nur sehr bedingt brauchbar.

Die Kulturfensterkultur
bei RTL/VOX/PRO7 etc ist ein zusätzliches Deckmäntelchen zur Stabilität des Privat-Fernsehens. Bei Vergabe der Sendelizenzen wurden die privatwirtschaftlichen Kanäle darauf verpflichtet, bestimmte Fenster für Kultur-Produzenten offen zu halten, denn von vornherein war klar, dass rein propagandistische und wirtschaftliche Interessen diese Sender dominieren würden.

Arte kann als kulturpessimistische Antwort auf die Kritik an der Verkabelung/ Ver-Schüsselung gesehen werden. Hier wird versucht die Niederungen der Fernseh-Wüste zu kultivieren und dabei entsteht ein bestimmtes Bild von Internationalität, das in der Festung Europa Standard werden soll. Als Nebeneffekt wird aber vorgeführt, dass dieser 'gehobene Anspruch' fast niemand (2%) interessiert. Die Sparte für Niveau nivelliert sich hier durch ihren bürgerlichen Kulturbegriff selbst. Zwar ist man dankbar, seltene Dokumentarfilme hier endlich zu entdecken, doch wenn es darum geht, das ins Fernsehen zu bringen, was bisher vor der Tür bleiben musste, dann sind die Grenzen bei ARTE zu eng gesteckt.

Die alternative Distribution der Videokooperativen wollte in den späten 70ern eine "Gegenöffentlichleit" ausserhalb der Hegemonie des Fernsehens schaffen. Mittlerweilen sind die Vernetzungsversuche der Gruppen und Abspielorte bei den evangelischen und katholischen Flmdiensten gestrandet. Der Begriff 'Medienarbeit' verlor seine gesellschaftskritische Bedeutung und heisst heute Sozialarbeit per Video.
Statt für Effektivität der eigenen Strukturen zu kämpfen, beschritten viele Operativen damals den leichteren Weg durch die Institution Fernsehen. Da die Auftraggeber sendefähige Produkte verlangten, bedeutete der Wettlauf um "Professionalität" Investition in Technik und Geräte, die nur mit Bankkrediten finanzierbar waren. Die Produktionsmittel gehörten nun der Bank.
Der Drahtseilakt zwischen emanzipatorischen Ansprüchen der selbst geschaffenen Situation und fremdbestimmten Produktionsverhältnissen konnte auf Dauer nicht gut gehen.
Dennoch halten wir die damaligen politischen und medienkritischen Ansätze dieser Gruppierungen für wichtig. Auch ist dadurch ein vom Fernsehen inhaltlich und ästhetisch ausgegrenzter Bereich entstanden, der für unser Projekt als Basis dienen kann.

EIN SICH SELBST TRAGENDES FERNSEHMODELL

Wie könnte ein Sender aussehen der nicht von staatlichen Subventionen, Geldern der Industrie (Werbung, Sponsoring) oder Kulturnischen bei RTL, bzw der Nischen-Kultur und Ghettoisierung bei ARTE abhängig ist?
Für unabhängige, semiprofessionelle Produzenten wäre es notwendig, im Bereich zwischen unbezahlter X-Beliebigkeit und gut honorierter Fernseh- Elite eine selbstverwaltete Zwischenlösung zuerarbeiten.
Und umgekehrt, kann eine bestimmte Öffentlichkeit ihr eigenes Fernsehen finanzieren, das nicht aus-, sondern eingrenzt und das nicht in Beliebigkeit ausufert, sondern Verbindlichkeit stiftet?

UNSER FERNSEHSENDER

ist eine kollektive Idee, die mit Anderen zu überprüfen und immer wieder neu zu definieren ist. Sie soll helfen, die notwendige Auseinandersetzung innerhalb eines bestimmten Feldes zwischen Kunst, linker Politik, Theorie- und Medien-Produktion zu vertiefen und in andere Bereiche hineinzutragen. Unser Fernsehsender ist ein Organ dieser Basis, damit steht er eindeutig in Opposition zu den Machtstrukturen in Politik und Medien. Unser Fernsehsender will Teilöffentlichkeiten verbinden und versteht sich so mehr als Netzwerk denn als Sender. Die organisatorische Struktur, die inhaltlichen Entscheidungen, die personelle Mitarbeit, die Programmgestaltung etc werden die Suche nach kollektiver Identität beschreiten und abbilden.
"Fernsehsender" bedeutet Möglichkeit und Glaube an eine Ausweitung der Diskussionen, um Gemeinsamkeit und Differenz zu schaffen. Die Existenz von Sendemonopolen und Sehgewohnheiten bestärken den Wunsch, diese zu brechen und das auch zu zeigen.
Unser Fernsehsender organisiert sich als Kollektiv in der Form einer Aktiengesellschaft oder als gemeinnütziger Verein. Verschiedene Redaktionen betreuen die entsprechenden Fachgebiete. Die Redaktionen treffen sich zur täglichen Konferenz.
Ein Teil der redaktionellen Arbeit wird darin liegen, in die verschiedenen Elemente einen dramaturgischen Spannungsbogen zu bekommen. Also immer wieder die richtige Mischung zwischen vergnügtem Chaos, unausgegorener Theorie, geplanter Unterhaltung und ernsthafter Information hinzubekommen. Das ganze bleibt ein 24 Stunden Theater.

AGRESSIVER PLURALISMUS ?

Können wir eine spezifische Vitalität erzeugen und ein Zielpublikum erreichen indem wir einerseits sehr Heterogenes gegeneinander stellen und gleichzeitig den Sender über eine inhaltliche Verbindlichkeit definieren?
1. Will man eine Konsumenten-Haltung knacken, scheint die Kategorie Kunst denkbar ungünstig, da sie immer noch mit einer extremen Hierachie zwischen Produzent und Rezipient besetzt ist. Um zu einer stärkeren Interaktion (bzw langfristigen Aufhebung der Grenzen zwischen Konsument und Produzent) zu gelangen scheint es sinnvoller das Terrain der Kunst zu verlassen.
2. Form und Inhalt werden durch die ökonomischen Bedingungen definiert. In der Konsequenz bedeutet das, inhaltliches Anliegen und ökonomische Tragfähigkeit möglichst adequat miteinander zuverknüpfen.

EIN KOMMERZIALISIERTER OFFENER KANAL

als reales Angebot und getragen durch die Zuschauer, die die Struktur benutzen. Langfristig geht es natürlich darum, dass keine Spezialisten mehr nur-Fernsehen-machen, sondern viele eben-auch-Fernsehn-machen. Um von staatlicher Einflussnahme, dessen Zuschüssen unabhängig sein, muss man versuchen eine eigene Ökonomie zu entwickeln.
Und das Einzige was man zu verkaufen hat, ist Zeit. Das ist zwar ähnlich wie bei RTL, nur dass dort die Anforderung an Produktion und Konsumption und ihre Abhängigkeit von der Wirtschaft ins Masslose abgekippt und deshalb völlig vom Zuschauer entfremdet ist.
Näher daran wäre ein Tante Emma TV.
Es gibt eine immer grösser werdende graue Zone jenseits der Kontrolle durch Steuer und Marktforschung: Ankauf/ Verkauf/ Tausch... Flohmärkte, Glücksspiel, Lotto, Schwarzarbeit...

DIE STRUKTUR MIT IHREN EIGENEN MITTELN ÜBERHOLEN !

Ein ökonomisch tragfähiges Modell dafür sind die Anzeigenblätter, die zusätzlich eine eigene Subkultur in Texten und Kommunikationsstrukturen entwickeln. Wenn man so etwas jetzt auf Fernsehen überträgt, d.h. Sendezeit zu sehr niedrigen Preisen anbietet, könnten Privatleute diese Zeit für Kleinanzeigen, aber auch für ganz andere Äusserungen, erwerben. Das Dumping unterläuft die gängigen Standards soweit, dass es in jeder Hinsicht für kommerzielle Anbieter uninteressant wird, die bleiben also draussen. Aus dem Ertrag der Kleinanzeigen kann zusätzlich ein redaktionell betreutes Low-Budget-Programm am Abend finanziert werden. Die momentane Selbstausbeutung würde abgefedert und eine relativ autonome Sendezone installiert.
Billig-TV wird mit seiner eigenen Zuspitzung geschlagen: Würde die Sekunde für 2 Mark verkauft, kostet eine Sendeminute die Privat-Kundin 120 Mark (Kleingewerbe zahlen entsprechend mehr), soviel wie eine Kleinanzeige in der Tageszeitung. Der 10 Stunden-Betrieb eines solchen Programms würde täglich 72.000 DM einspielen, rechnerisch bedeutet das einen Jahres- Umsatz von 26 Millionen DM, sprich, den 20-fachen Etat des OK Hamburg. Und damit kann der weitere Sendebetrieb, Redaktionen und Frequenz finanziert werden.

FAST JEDER KÖNNTE SENDEZEIT ERWERBEN

(siehe auch 25 %ige Happy Hour und Jugend-Tarife) und das Konstrukt würde die Entfremdung zwischen Zuschauer und Sender verkürzen. Das Geld läuft nicht mehr über die Warenströme der grossen Werbeanbieter und diverse Zwischenhändler, sondern über den Zuschauer direkt, der selber Waren, Arbeit oder Produkte anbietet, es wird weitgehend sein Fernsehsender.
Für zehn Mark könnte ich schnell eine Freundin grüssen, ein Auto mit einem Clip anbieten oder verschlüsselte Botschaften an die KameradInnen vom Ufo-Fan-Club verschicken. Garage-Bands machen auf sich aufmerksam, und da hätte man vermutlich in der Rubrik 'Musik' ein besseres VIVA im Kasten. Die schönsten Anzeigen des Tages werden in einem Gameshow-artigen Contest im Vorabendprogramm wiederholt. Es ist gut denkbar, dass das Anzeigenprogramm ästhetisch attraktiver wird als die Mühen der Redaktionen.
Die Bänder werden in einem Annahme-Büro eingereicht oder gegen Vorkasse eingesandt. In den Ballungsräumen des Sendegebiets werden zusätzlich öffentliche Kamera-Automaten installiert. Ähnlich wie bei einem Fotoautomaten wirft man 10 Mark ein und bekommt dafür 5 Sekunden Sendezeit.
Damit ist es aber noch nicht getan. Die ganze Frage der Interaktion des Zuschauers muss noch einmal aufgerollt werden, es gilt nicht eine Benutzeroberfläche mit ein paar Knöpfchen oder Häppchen zu liefern, sondern

INTERAKTION HEISST, SELBST ZUM PRODUZENTEN ZU WERDEN !

Wir wollen ein "Fernsehn von ..." zu entwickeln in dem die Redakteure eher als Koordinatoren arbeiten und nicht als auswählende Elite, die sich in einem "Journalismus über ..." produziert. Die Verfügbarkeit von Fernsehzeit für selbstproduzierte Kleinanzeigen ist eine Motivation den Respekt vor Fernsehen zu verlieren und anzufangen Kritik in Form von eigener Produktion zu artikulieren.

PROGRAMMGESTALTUNG

Wenn wir jetzt in Folge des Textes Beispiele für eine Programmgestaltung geben, dann kann dies vorläufig über eine Ideensammlung noch nicht hinausgehen (bitte fordern Sie dazu unsere laufende Programmübersicht an), sie bietet aber für eine praktische redaktionelle Arbeit den Handlungsrahmen an. Was, wann, wie läuft sind inhaltliche, kollektive und aktuelle, Entscheidungen, zudem wird die Einmischung des Publikums eine weitere Rolle spielen.
0 - 4 Uhr: Easy Viewing
Stimmen vom schwarzen Schirm: Eine Mischung aus öffentlichem Forum und Party-Line..
Partybesuche per Handycam: Zu Gast bei den Extasen der Gesellschaft!
Mit Semiprominenten durch die Metropolen der Welt: Der 'Pudel-OverNighter' in dem Rocko und Schorsch fünf Stunden lang in Berlin unterwegs waren und die Kamera folgte ihnen in Realzeit, also fast ungeschnitten, durch Spielotheken, Taxi- und Busfahrten, Kneipen, die CharitÈ, bis zum Flohmarkt morgens um 6 Uhr. Ähnlich könnte man begleiten: mit Mark Dion unterwegs in New York, mit Yoko Ono in Tokio.
Ambient-Fernsehen: Überwachungskameras und irgendwann dazwischen passiert der Banküberfall. Operationen, stundenlange Reisen durch fremde Körper. Das Treiben in einem Ameisenhaufen in Realzeit anstelle eines Bildes an der Wand.
4 - 7 Uhr: Abspielrahmen für besondere Filme
Das Programm dafür, mit Anfangszeiten (VPS), Autor und Titel, wird als preisgünstiger Abo-Brief vertrieben. Die Einnahmen gehen nach Deckung der Kosten direkt an Filmemacher und Künstler. Da wären viele Nutzer auch eher bereit zu abonnieren. Eine Art vermittelnder Werbung für dieses Programm könnte ohne VPS-Code zwischen den Kleinanzeigen und im Abendprogramm neugierig machen.
Für Künstlervideos in voller Länge gibt es bisher keinen wirklich adequaten und kontinuierlichen Präsentationsrahmen. Mit der Früh-Morgen-Abspielstelle stünden monatlich schon 120 Std zur Verfügung, das ist so naheliegend, dass es nur noch gezeigt werden muss. Archive auswerten, ungewohnte Zusammenstellungen erzeugen, neue Formen der Moderation und Vermittlung finden. Das haben wir bisher auch gemacht, sind aber immer an unsere Grenzen gestossen, weil weder den Filmemachern Honorare gezahlt werden konnte, noch finanzieller Spielraum für die Recherche da war. Durch die Finanzierung wäre eine kontinuierliche, inhaltliche Arbeit möglich.
Mit dem Auswählen und Zusammenstellen von Filmen ist es aber nicht getan. Fernsehn kann nicht nur Abspielstelle von Filmen sein, sondern es muss sehr unterschiedliche Arbeits- und Denkformen, wie unsere bisherigen Versuche, Fanzine, Magazin, Ausstellungs-Raum, Mailbox, Buch, Video mit einander verknüpfen.
7 - 9 Uhr: Glück für Morgenmuffel.
Kurze Grussfilme, öffentliche Postkarten, rasante Interviews und Nachrichtenclips, schnelle Anzeigen zu Superdumpingpreisen.
9 - 17 Uhr: Anzeigen
Die Rubriken des Anzeigenvollprogramms wechseln stündlich und täglich mit verschiedenen Schwerpunkten und sind für Interessenten durch VPS vorprogrammierbar. Wie bei den Anzeigenblättern sind die Themen Ankauf-Verkauf, Wohnungs-, Job- und Partnersuche. Rabatte gibt es für Jugendliche und Rentner und Gruss- und Glückwunschanzeigen, Aufpreise für Gewerbetreibende.
Die Bänder werden in einem Annahme-Büro eingereicht oder gegen Vorkasse eingesandt. In den Ballungsräumen des Sendegebiets werden zusätzlich öffentliche Kamera-Automaten installiert. Ähnlich wie bei einem Fotoautomaten wirft man 10 Mark ein und ist dafür 5 Sekunden im Bild.
17 - 19 Uhr: Soaps
Die Handlungsstränge von Serien und Soaps entwickeln wie die Surrealisten den 'Cadavre Equis', die letzte Minute der vorhergehenden Folge wird von immer wechselnden Autoren weitergeschrieben.
Bambule-Soaps könnten Schüler- oder Jugendgruppen in ihren Freizeitheimen machen! Einzelne dieser Energien werden im Moment von VIVA abgesaugt, wenn man sie dort für angesagt hält. Der politische Teil der deutschen HipHop-Bewegung wäre sicherlich lieber zu einem Nicht-Industrie-Sendergegangen.
Es muss immer wieder eine Gratwanderung zwischen politischen Aspekt und unterhaltsamen Glamour beschritten werden.
In den Pausen zwischen den Soaps: Sachfilme, fein beobachtete Details die wir aus der "Sendung mit der Maus" so lieben. Jugendliche empfehlen die CD, das Buch und die Shareware des Tages. -Veranstaltungsservice und Videobriefe, soweit sie nicht besser dort, wohin ihr Kommentar zielt, gesendet werden.

NACHRICHTEN - DO YOU KNOW WHERE YOUR BRAINS ARE

Vorspiel: 10 Minuten laut vorgelesener Bildschirmtext aus den Nachrichtenbrettern der alternativen Networks. Also Informationen aus Bionic, CL-Netz, Alt. Gruppen im Internet oder The Thing.

Das Ziel von Nachrichten in einem Sender wie wir ihn entwerfen kann nicht sein, eine weitere beliebige Auswahl an Tagesereignissen herzustellen und mit manipulativer Bedeutung aufzuladen. Es geht darum, diese Konstruktionen von Bedeutungen zu erschüttern. Auch wenn die Gefahr besteht in eine reaktive Position zu rutschen, sollte das Hauptanliegen in einem querlaufenden Subtext der offiziösen Nachrichtenschreibung liegen und der grundsätzlichen Hinterfragung der Effekte die entstehen, wenn Informationen über etwas ausserhalb der direkten Wahrnehmung des Zuschauers verbreitet werden. In solchen Nachrichten wird ein Wahrheitsanspruch behauptet, den man auch durch Montage und Beschreibung der "offiziellen" Bilder zerlegen kann.
Was also ist Information = Wahrheit? Kritik dessen was als Ereignis, weltweit-wichtige Information der Informationsträger verkauft wird. Warum sollte unsere subjektive Wahrheitskritik nicht ebenso gelten wie die subjektive Auswahl der Scheininformationen? Katastrophe hier, Hungersnot da, Krieg dort... Was sind die Zusammenhänge? Was hat das mit mir zu tun, wie konfrontiert mich das mit der herrschenden Politik? Wie können Informationen aussehen, die nicht lähmen, sondern Handlungsspielräume eröffnen?
Bei all diesen Überlegungen macht es wenig Sinn bei der Raserei um Aktualität mitzuhalten. Inzwischen gibt es Hobbyfilmer die an beliebte Unfallstellen fahren und warten bis sie dort verbrannte Leichen filmen können. Die Public Enemy-Idee der im "Fernsehn übertragenen Revolution" ist umfassend kapitalisiert worden. Trotzdem ist es gut, dass bei all den Überwachungskameras ein Heer von Camcordern zurückschiesst!
Die 20 Uhr Nachrichten der ARD werden um 22 Uhr mit inoffiziellem Sach- und Unverstand beantwortet. User-gestützte Kommentare zu einem bestimmten Ereignis oder zur Tagesschau von heute, gestern oder vor einem halben Jahr, so liesse sich die permanente Wiederholung der offiziellen Nachrichtenschreibung gut auf den Punkt bringen.
Kurze Beiträge von verschiedenen Videoaktivisten könnten wie Trailer für später stattfindende Berichte und Gespräche funktionieren. Die Arbeit der Redaktion sollte versuchen eine Mischung aus Camcorder-Berichten von Beteiligten und Interviews vor Ort herzustellen: Stellungnahmen von inoffiziellen Sachverständigen.
Ich möchte die heitere Seite der Welt nicht vernachlässigt wissen... Es mag erstmal platt klingen, aber ich möchte positive Nachrichten dazwischen sehen. Katastrophen-und-Desaster-Programme werden nicht allein durch das Verschieben der Perspektive gut.
Im Moment klingt das noch zu sehr nach einem Aufköcheln der guten alten linken Ideen. Da sind wir schnell so asexuell und langweilig wie der Neo-Marxismus. Was für mich nicht nur bedeutet unattraktiv, sondern weiterhin merkwürdig perspektivelos. Zudem wird dabei das künstlerische Instrumentarium vernachlässigt. Zwar wollen wir das herrschende Verständnis von Kunst und Künstler los werden, aber das darf nicht heissen, die Werkzeuge die wir gut finden zu vergessen.
Inzwischen ist halb neun, in New York im Offenen Kanal hat PAPERTIGER die Frage gestellt "do you know where your brains are" und hier sitzen Millionen glücklicher Zuschauer vor dem Fernseher und warten auf die Unterhaltung zur besten Sendezeit...

ABENDPROGRAMM ALS DISKUSSIONSRAHMEN

Demokratie ist nicht Programmstruktur, eher Anarchie. So wird das Geniale Allgemeingut!. Natürlich hat die Vergabe von TV-Zeit und Öffentlichkeit immer mit Macht, Eitelkeit, Selektion und Sortiment zu tun, aber hier ist eben wichtig an wen das vergeben wird. Damit dies Schillern der bisher Ausgegrenzten langfristig erhalten bleibt, ist es wichtig, wer die Guckkastenbühne wie vergibt. Deshalb müssen die Strukturen, die auswählen und verteilen offengelegt und kritisiert werden.

MONTAG
Die vollständige Gestaltung des Abends wird einer Künstler-Person, oder einem Künstler-Kollektiv überlassen. Es geht um künstlerische Methoden, die auf Inhalt und Struktur der Sendung angewendet werden ohne. Hier soll es keinerlei Zugeständnisse an feuilletonistische Allgemeinverträglichkeit geben.
DIENSTAG
Ob mein Nachbar einen Tierfilm dreht oder eine Biologiestudentin über die Kellerassel berichtet, es wichtig, dass solche Leute eine Präsenz kriegen und nicht Disney oder Grzimek. Aber es ist natürlich klar, dass wir Bezugssysteme und Strukturen entwickeln müssen, die aus den Inhalten heraus wachsen.
Da haben wir auch "Das Weltdesaster", eine 20minütige Serie deren einzige Vorgabe der Titel ist, die von immer wechselnden Autoren produziert wird. Anschliessend das Fanzine- Fenster, deren MacherInnen haben auch diesen unbezahlten Drang, sich öffentlich zu machen. Die Serie vor Mitternacht (Di- Fr) heisst "Das avantgardistische Viertelstündchen", eine Reise durch die Trauerspiele der Moderne, Stars von gestern - moderiert von Stars von morgen.
MITTWOCH
Beiträge in einer anderen Sprache, eingeleitet werden diese Programme von derjenigen, die sie vorgeschlagen haben. Für den Start sind Beiträge aus Russland, Schottland, Ungarn, Korea und Kurdistan geplant.
DONNERSTAG
abwechselnd als "Absolutly Live" Talkshow mit schonungslosen Überlängen oder eingesandte Aufzeichnungen von Gesprächsrunden in dieser Welt.
Prinzipiell muss die Frage geklärt werden, wem man denn eigentlich gerne zuhört sonst kippt das Ganze leicht in Voyeurismus und Besserwisserei um? Wie setzt sich Eloquenz, Anschauungen und Positionen gesellschaftlich durch? Wie kann man diesen Prozess beeinflussen? Also Dekonstruktion einerseits, aber eben auch Konstruktion von Haltungen, ja sogar von Personen, das ist letztendlich politisch.
FREITAG
in den politischen Magazinen soll es trocken, präzise, subjektiv, informativ und bösartig zugehen. Es gibt viele hervorragende Produktionen von AktivistInnen, die vom TV nie zugelassen wurden. Im Anschluss stellen sie dann einen Film ihrer Wahl vor (mit Begründung, Anmoderation des Autors oder Diskussion mit ihm), zuviele Magazine entwerten sich gegenseitig.
WOCHENENDE
Der Samstag Morgen und Sonntag Nachmittag gehören zu Vorzugspreisen ausschliesslich Kindern und Jugendlichen. Auch hier mit Flohmarkt ähnlichen Eigenproduktionen, Schüler-Gameshows, Skate-, Band- und Rollerblade-Filme, oder was Pubertät sonst noch hergibt. Moderiert und ausgewählt wird das alles von Schüler- und Vorschul- Redaktionen.
Samstag und Sonntag 18 bis 20 Uhr: Sportreportagen von Kennern für Fans.
Sonntag 11 bis 12: Analyse der Bedingungen die krank machen. Das Sozialistische-Patienten-Kollektiv übernimmt die Nachfolge des Frühschoppens.
Sonntag 20 Uhr: Gegen die sonntägliche Entspannungspolitik. "Aus der Arbeitswelt": Berufsgruppen, Lohnkampf, soziale Sicherheit am Arbeitsplatz, Ökonomie-Kritik, Arbeitslosigkeit.. Für die, bei denen danach noch ein Bedürfnis nach Sinnsuche besteht, gibt es Erklärungsversuche von Philosophen, Zukunftsforscher, Sozial- und Kommunikationswissenschaftler zum Thema "Was ist die Welt?"

ABSPANN

Als Zuschauer kann man sich vom Fernsehn unterhalten lassen und man kann es ablehnen. Man kann es aber auch ernst nehmen und sieht das Machtverhältnis dem wir alle ausgeliefert sind. Die Notwendigkeit das zu kippen besteht.
Wir denken uns das hier nicht aus, weil wir mit dem Fernsehn wie es ist unzufrieden sind. Auf 20-30 Sendern findet sich eigentlich immer etwas unterhaltsames, aber wir haben den Eindruck, dass man dem Block dieser Kurzweil ein stimmigeres, feineres und vielleicht utopisches Gebäude gegenüber setzen muss, das nicht durch Kapital- und Machtinteressen determiniert ist. Wir sehen uns als Zuschauer die auf die andere Seite treten möchten. Dann sind wir auch nicht mehr in der Situation derer, die sich über etwas lustig machen oder es nur immer kritisieren, sondern wir sehen es als etwas, das wir mit anderen weiter entwickeln und verändern können.

FORTSETZUNG FOLGT

PS: Aufgrund der desolaten Lage der Video-Distribution und -Vernetzung wollen wir versuchen, die Selbstbeschreibungen, Adressen und Hinweise zu den verfügbaren Produktionen derer zusammenzutragen die sich überwiegend ausserhalb des TV verorten.
Diese Informationen sollen in einer Datenbank zusammengeführt und in einer Mailbox kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Dies würde den Zugriff, die laufende Aktualisierung, Recherche und Vertrieb erleichtern.
Zusätzlich könnte als Nebeneffekt des dort versammelten Bestandes ein Informations- und Kommunikationsnetz der Filmemacher und -vertreiber untereinander entstehen.
Aufgelistet werden sollen: 1. Produzenten bzw. Kooperativen 2. Bemerkenswerte Archive 3. Beispielhafte Sortimente bzw. Vertriebe

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