Christoph Doswald
Nonchalance: be good, be bad, just be!
Reine Instantaneität - formlos, flauschig,
nonchalant?
»Zeithistorisches Schicksalsklima«, nannte
der Schweizer Schriftsteller und Kunstkritiker Paul Nizon vor rund 30 Jahren
die Triebfeder und das Motiv für relevantes künstlerische Schaffen
- ein Kriterium, das damals mit Blick auf die klassische Moderne, auf
die beiden Weltkriege, die Industrialisierung, den Kolonialismus und die
diversen sozialen und aufklärerischen Bewegungen seine Berechtigung
besass, sich heute aber, in einer Zeit, der die Wertbilder abhanden kommen,
der die Ideale verloren gehen, auf den ersten Blick unzeitgemäss anhört.
Was also tun die Künstler von heute? Wie ist der zeitgeistige Humus
beschaffen, der sie zur Auseinandersetzung treibt, ihre Inspiration beflügelt?
Ein Blick auf die Jetztkunst lässt vorerst Schlimmes befürchten.
Modisches, Esoterisches, Intellektualistisches und Selbstbezogenes grassiert
allenthalben: keine grossen Themen, keine formalen Aufbrüche, keine
grundsätzlichen Standpunkte - all das, was die moderne Kunst unserer
Epoche bis in die achtziger Jahre charakterisierte und auszeichnete, scheint
sich in Luft aufgelöst zu haben. Und dies nicht nur in der Schweiz,
wie Nizon damals mit breiter Zustimmung der helvetischen Intelligenz behaupten
konnte.
Wenn man eine Optik einnimmt, die von der klassischen Moderne
und den Vertretern einer fortschrittsgläubigen, linearen Kunstgeschichte
geprägt wurde, dann haben diese Vorwürfe durchaus Berechtigung.
Wenn man jedoch versucht, aus der Jetztzeit heraus Betrachtungs- und Beurteilungsriterien
zu entwickeln, dann relativiert das die skeptische Bewertung von Gegenwartskunst.
Schliesslich, und darum geht es hier, befinden wir uns an allen Fronten
an einem Zeiten- und Paradigmenwechsel. Die Digitalisierung der Arbeits-
und Lebenswelt, die Neuerungen im Geschlechter und Minderheitenverhältnis,
die Erforschung des Selbstbilds, der Widerspruch zwischen wirtschaflticher
Globalisierung und ethnischem Nationalismus, der Wegfall universeller Ideologien,
die Neuschreibung der Geschichte, die flächendeckende Mediatisierung
und die eben erst erfolgte Erforschung eines bislang unerreichbaren Planeten
mögen als Schlagworte zwar im intellektuellen Diskurs einen schalen
Nachgeschmack hinterlassen. Doch für das Jetztzeit-Verständnis
unserer Lebenswelt beginnen sie gerade jetzt Wirkung zu erzielen. Wieso
sollte die Kunstproduktion und -betrachtung von all diesen Veränderung
ausgenommen sein.
»Mit der Digitalisierung der Arbeitsprozesse und
dem Leichterwerden des Materials«, hält Beat Wyss fest, »verschwindet
die einst objektale Beziehung zwischen Mensch, Arbeitsgerät und Ware.
Produktions- und Gebrauchsgüter sind nicht mehr so sehr ein Gegenüber,
das ich mir durch Training gefügig mache, sondern eine tragbare Haut
meiner Selbst, die sich mir formlos, flauschig und saugfähig anpasst.«
Wohlgemerkt: Kunst ist ebenfalls eine Ware und darum dem mimikritischen
Zeitgeist genauso ausgeliefert wie etwa ein T-Shirt, flauschig, formlos
und saugfähig - eben von einer gewissen Nonchalance. Und zwar
nicht nur im ursprünglichen Wortsinne der Oberflächlichkeit -
wenn hier auch eher die Behandlung der Oberflächen, der »screens«
statt der Wertehaltung gemeint ist -, sondern vor allem in Bezug auf
den Esprit der Leichtigkeit, der bewusst gewählten kunsthistorischen
Sorglosigkeit und Ignoranz, der Lässigkeit und der Coolness , welche
die aktuellen Künstlerinnen und Künstler an den Tag legen.
»Der Umgang mit Positionen«, sagt das Künstlerduo
L/B, »variiert je nach Projekt oder Arbeit, wir geniessen es auch,
damit zu spielen.« Aktuelle Kunst entsteht nicht mehr aus dem Geist
der Kohärenz oder der integralen Weltsicht, sondern entspringt dem
verspielten Umgang mit einer Gegenwart, die den herkömmlichen Mitteln
und Werkzeugen kaum mehr Angriffs- und Reibungsflächen bietet. Eine
Kunstgegenwart also, die aufgrund ihrer modernistischen Vergangenheit, aufgrund
des abgegrasten formalen und inhaltlichen Entwicklungsfeldes auch selten
andere Möglichkeiten offenlässt, als sich in der reinen Instantaneität,
im Momentum des Augenblicks zu bewegen und diesen spielerisch, aufreizend
und bisweilen auch melancholisch festzuhalten wie ein Videobild, das am
Monitor »eingefroren«, einer genauen Betrachtung unterzogen
und dann wieder in den unendlich grossen Fluss des Visuellen entlassen wird.
Nonchalance zeigt sich an vielen Fronten, meint sowohl
eine Methode wie auch ein Instrumentarium, eine Haltung oder eine Ästhetik.
Sie kann sich in der gezielten Aneignung kindlicher Kugelschreiberkritzeleien
bei Daniele Buetti artikulieren, im Adaptieren der profanen Erinnerungsfotografie
bei Stefan Banz, im amateurhaften Supponieren des Pop-Star-Habitus bei
Stefan Altenburger, im heiter-ironischen Umgang mit männlichen Zukunftsvisionen
bei Sylvie Fleurys Raketen und UFOs, in der witzig-hintergründigen
Künstlerselbsbefragung eines Raoul Pictors alias Hervé Graumann,
in der hyperästhetischen Adaption von Billboard-Typografien von Christian
Robert-Tissot, im vorgespiegelten Ennui eines Ugo Rondinones, in der hart
an der Grenze zum Hardcore lavierenden Rekontextualisierung von Macht-Instrumenten
bei Fabrice Gygi, in der vorgespiegelten und unspektakulären Beiläufigkeit
urbaner Bildwelten bei Erik Steinbrecher, in der Übertragung von Sport-Fankultur
auf den Kunstbetrieb bei Thomas Hirschhorn oder im verspielt-fröhlichen
und zutiefst selbstbewussten Umgang mit weiblichen Stereotypen bei Pascale
Wiedemann.
Mix und Remix: Being digital
Die gegenwärtig so deutlich spürbare Qualität
der Nonchalance hat aber auch handfeste technologische Gründe. Die
Digitalisierung der Bildmaschinen und der leichte Umgang mit ihnen, hat
die Unmittelbarkeit des Bilderzugriffs erst ermöglicht. Doch die zuerst
euphorisch gefeierte totale Verfügbarkeit der Bilder im Hier und Jetzt
zeitigt schon erste Anzeichen einer abgekühlten Euphorie und provoziert
einmal mehr eine Grundlagen-Reflexion. Pippilotti Rist setzt in ihren
Videos beispielsweise gezielt auf die Ästhetik der Fehler. Indem sie
die Aufnahme- und Abspielgeräte an den Rand ihrer normierten Leistungsfähigkeit
bringt, entstehen neue Bilder, die den Mainstream der Massemedien unterlaufen
und damit das »Unterbewusstsein der Maschinen« (Rist) eindrücklich,
intelligent, verspielt und mit der nötigen differenzierenden Affirmation
offenlegen.
Wenn sich das Künstlerpaar Hubbard und Birchler mit
ihren fotografischen Gemälden wieder auf klassische Kompositionsprinzipien
der Malerei besinnt, in wochenlanger Arbeit an ihrem Werk laborieren und
sozusagen fotografische Peinture schaffen, dann hat das auch damit zu tun,
dass sie die Gültigkeit der Instant-Bilder in Frage stellen. Nur, und
das verknüpft ihr Werk schliesslich wieder mit der zeitgeistigen Nonchalance,
referieren sie mit der selbstgewählten Langsamkeit - sie nennen
das »an infinite slow motion« -, mit der medienreflexiven
Thematik und vor allem mit dem gezielten Contra auf die Grundlagen, Motive
und Kausalitäten, welche die Nonchalance erst in die Welt gesetzt haben.
Würden wir im Zeitalter der Malerei leben, hätte diese Position
der malerischen Fotografie keinen Sinn, weil das Gegenstück fehlte.
Nonchalance und die Malerei oder die Skulptur, das sind
unvorstellbare Verbindungen. In der vorliegenden Ausstellung kommen folgerichtig
alles Arbeiten zur Präsentation, die der Instant-Kultur von Video,
Fotografie und Installation entstammen. Dass diese »anderen«
Medien deckungsgleich mit den Instrumenten der Populärkultur sind,
ist kein Zufall: Der aktuellen Künstlergeneration geht es nämlich
nicht um auratische Ewigkeitswerte - auch wenn sie sich durchwegs als
Teil des nach Einzigartigkeit heischenden Kunstmarktes verstehen und dieses
Teilhaben mit nonchalanter Distanz praktizieren -, sondern um temporäre
Aneigungen, vergängliche Appropriationen, die zur Überprüfung
eigener Standorte dienen, oder die Künstlerdaseinsfrage thematisieren,
mit der sie wie kaum eine andere Generation konfrontiert wird.
Autopoiese: Unspektakuläres Dasein
Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung sind Begriffe,
die heute selbst am Stammtisch benutzt werden. Der eigene Körper und
die eigene Psyche werden bis ins letzte und peinlichste Detail erforscht,
ausgeleuchtet und seziert. Und: die daraus gewonnenen Erkenntnisse bleiben
nicht mehr dem familiären Intimkreis vorbehalten, sondern geraten via
Medien zum öffentlichen Diskurs, das Schönheitsideal und die
Psychotherapie zur gesellschaftlichen »conditio sine qua non«
der menschlichen Existenz. Wenn man so will, kann hier das »zeithistorische
Schicksalsklima« geortet werden. Tatsache ist jedenfalls, dass sich
die aktuelle Künstlergeneration extensiv mit der Verkörperlichung
und Psychologisierung auseinandersetzt - sei es mit der eigenen Person
oder im Rahmen einer grösseren, metaphorischen Untersuchung.
Augenfällig ist die hohe Zahl von Porträtarbeiten,
die in der zeitgenössischen Kunst der letzten Jahre entstanden. Unter
dem Aspekt der Nonchalance sind dabei vor allem die Selbstporträts
von Interesse. Zum einen deshalb, weil die Verfügbarkeit des eigenen
Körpers, des eigenen Gesichtes unmittelbar gewährleistet ist.
Zum andern darum, weil sich die Person und die Funktion des Künstlers
nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der artistischen
Subkultur in einem verschärften Legitimationsprozess befindet. Wenn
also Ugo Rondinone seit einigen Jahren puppenhaften Replikas seines eigenen
Körpers herstellt, sie in eigens rekontextualisierten Ausstlellungsräumen
präsentiert, dann spricht er »schonungslos und militant vom Beruf
des Künstlers, von der gesellschaftlichen Rolle, die man bei diesem
Beruf voraussetzt, und von den Konventionen und Mechanismen, die ihn bestimmen.«
Diese autoreflexive Künstlerposition steht zwar in
der postmodernen Tradition der Kontext-Kunst der späten achtziger Jahre,
die sich der Offenlegung betriebssystembezogener Mechanismen verschrieben
hatte. Doch der aktuelle Umgang mit diesen Themen ist einerseits viel persönlicher
geprägt und anderseits von einer Leichtigkeit und Selbstironie, welche
die ideologisch gefärbten Werke der Vorläufer als bierernste Langweiler
erscheinen lässt. In diesem Zusammenhang gilt es die Arbeiten von Biefer/Zgraggen
hervorzuheben, die mit ihrem Telekolleg Kunst, einer mehrteiligen, pseudodidaktischen
Videoserie über das Funktionieren des Kunstbetriebes weltweit für
Aufsehen sorgen. Der Erfolg des Werkes beruht nicht darauf, dass uns die
Künstler etwas vollkommen neues erzählen. Es ist die Form der
Darstellung, die beim Publikum ankommt. Und zwar deshalb, weil die Betrachter
mit dem Genre durchaus vertraut sind: eine Portion des helvetischen Nationalkomikers
Emil, eine Prise Schreinemakers und ein gehöriger Schuss Harald-Schmidt-Show
lassen Telekolleg Kunst zum Kassenschlager werden.
»Wir erzeugen buchstäblich die Welt, in der
wir leben, indem wir sie leben« , notierte der chilenische Biologe
Humberto Maturana. Dieser Kernsatz der Autopoiese gilt in hohem Masse für
die aktuelle Künstlergeneration. Sie ist das, was sie lebt und legt
in ihrem Werk permanent Rechenschaft über das eigene Tun und die eigene
Existenz ab, so als ob man sich damit des eigenen Da-Seins versichern könnte.
Dies sei, meint der Medientheoretiker Robert A. Fischer, »eine Flucht
nach vorne vor dem Hintergrund einer tiefsitzenden Melancholie sowohl
in Bezug auf das bevorstehende Fin de Siècle, wie vor dem Hintergrund
der Tatsache, dass die sogenannte Postmoderne der 90er Generation überhaupt
nichts überlassen hat: Das einzige Werkmaterial, das immer wieder >neu<
ist, befindet sich in der Zeit - und somit im Vorübergehen der
Zeit, im Flüchtigen, Provisorischen, Impermanenten, Ablaufenden«. In diesem Sinne ist die Nonchalance auch als Moment des Verflüchtigens
zu verstehen, als exakt jener Moment, der einen Aggregatszustand in den
anderen kippen lässt, als Moment, der den sich in der enormen Geschwindigkeit
auflösenden Grenzbereich vom Welt, Gedanken und Kunstwerk markiert.
Die Melancholie des Ephemeren, welche einer derartigen Welt- und Kunstsicht
zugrunde liegt, kann in hohem Masse in den Installationen Stefan Altenburgers
notiert werden. Die »medialen Zeitruinen« geben sowohl das
Werk wie den Prozess seiner Entstehung wieder, bündeln diese beiden
Zeitebenen in einem oszillierenden Rückkoppelungsprozess zu einem temporären
Ganzen, das sich nach der Ausstellung wieder in Einzelteilen auflöst.
Was bleibt, ist letztlich kein physisches Werk, sondern lediglich ein Video
das den Prozess des Aufbaus und die damit verbundene, zeitlich begrenzte
und unspektakuläre »Performance« des Künstlers dokumentiert.
Diese unspektakulären Momente des Künstlerdaseins
finden sich ebenfalls im Werk von Stefan Banz. Er zeigt seine häusliche
Umgebung, seine Frau, seine Kinder. Was die Bilder des manischen Fotografens
von der Produktion sonstiger Schnappschuss-Produzenten unterscheidet, ist
einerseits die radikale Entäusserung des Persönlichen. Banz legt
sein Wertvollstes, nämlich die Menschen, die er liebt, der (Kunst-)Welt
zu Füssen. Zum anderen eignet den Bildern gerade aufgrund dieser ungetrübten
Idylle auch das Moment der Bedrohung, die quasi als antithetischer Aspekt
im Werk eingeschlossen ist, sich in räumlichen Installationen oder
in der aktuellen Arbeit mit dem Titel Door to Door entlädt. Das Video,
am 1. Mai, dem »Tag der Arbeit« aufgenommen, zeigt den Künstler
im Garten seines Hauses beim Gespräch mit seinem Nachbarn - eine
alltägliche, belanglose Situation, die von einem Moment zum andern
in eruptive Gewalt umschlägt und in einer Schlägerei gipfelt.
Tel quel aufgezeichnet - zuerst vom Künstler, nach seinem Niederschlag
von seiner Frau - und in der Ausstellung projeziert, markiert Door to
Door eine Randzone des aktuellen Nonchalance-Begriffes.
Könnte es sein, dass Kunst und Leben, die sich im
Zuge aufklärerischer Entwicklung gänzlich voneinander entfremdet
hatten, jetzt wieder zusammenkommen? Auch wenn sich vermeintliche Annäherungstendenzen
- die Erweiterung des Ausstellungsbegriffes , der »cross over«
der Disziplinen , die künstlerische Auseinandersetzung mit Massen-
und Medienkultur - häufen, kann davon nur bedingt die Rede sein.
Zum einen hat sich die allgemeine Wahrnehmung des Realen im Zuge der Mediatisierung
gründlich verschoben. Zum anderen erzeugt die Annäherung und Überlappung
der ehemals klar getrennten Positionen - Hochkultur, Populärkultur,
mediatisierte Realität, Leben - eine diffuse Grauzone. Die Kunst,
ephemer, nonchalant und unmittelbar, fordert vom Betrachter ein immer feineres
Wahrnehmungssensorium, das bei manchen Positionen im schlechtesten Fall
regelrecht in den Bereich protoreligiöser Geheimwissenschaften abdriftet.
Die Gefahr eines sektiererischen Akademismus besteht trotz aller Leichtigkeit
mehr denn je!
Pop: Musik, Werbung und Mode
Man kann über Werbung denken was man will. Sicher
ist, dass sie überall Präsenz markiert, dass ihre Botschaften
Wirkung erzielen und dass sie ob ihrer gnadenlosen Mediatisierung auf dem
besten Weg ist, gewissermassen zur globalen »Lingua franca«
zu werden. In der Auseinandersetzung mit dem Visuellen kommt man heute
jedenfalls kaum mehr an der Werbung und ihren Botschaften vorbei. Die einstmals
»geheimen Verführer« haben sich vor allem im Modebereich,
aber auch in der Musikkultur zu wortgewaltigen Predigern gewandelt. Das
Produkt verkauft sich via Lifestyle, Emotionen und nicht mit trockenen Argumenten.
Sündenablass basiert am Ausgang des 20. Jahrhunderts auf dem Besuch
einschlägiger Clubs und Konzert, dem Kauf von Platten , Kleidern, Kosmetika
und sonstigen Markenartikeln - der Mensch ist schliesslich das, was
er optisch vermittelt, das war er konsumiert. Weltsicht wird nicht mehr
von Religionsgründern oder Parteiideologen vermittelt, sondern durch
Werbestrategen positioniert.
Nehmen wir zum Beispiel die aktuelle Parfüm-Kampagne
des amerikanischen Designers Calvin Klein : »be good, be bad, just
be!«, fordern die Inserate und bringen damit, neben dem Aufruf zum
Kauf, ein signifikantes Zeitgefühl auf den Punkt. Der Slogan propagiert,
analog zu jugendkulturellen Devisen aus der Popmusik, eine Lebenshaltung,
welche die Jetztzeit-Generation bei ihren eskapistischen Träumen abholt.
Die Qualität des evozierten Zeitgefühls kann vom Konsumenten
in zwei Richtungen gelesen werden. Zum einen appelliert der Slogan an den
Individualismus, plädiert für eine Unmittelbarkeit des Seins,
des Sich-selbst-Seins. Zum andern transportiert seine Botschaft die Auflösung
aller Wertbilder. Ob gut oder schlecht spielt keine Rolle, Hauptsache man
»ist«.
Dass Sylvie Fleury gerade diesen Slogan an die Wand des
Museums malen lässt, ist nicht alleine als Akt nonchalanter Souplesse
zu lesen, sondern als Offenlegung einer mindestens dreifachen Botschaftskonnotierung.
Psycho-Esoterik, Musik und Formalästhetik verbinden sich im Dienste
eines Duftes zum vielschichtig rezipierbaren und dennoch verlockenden synästhetischen
Bild, dessen Wahrnemungsdifferenzierung im musealen Kontext und in der Form
eines überdimensionierten Wandbildes aus dem schnellen Fluss der Werbebotschaften
herausgelöst wurde. Diese künstlerische Haltung geht weit über
die Verlängerung der Pop Art hinaus. Auch wenn Fleury in der vielbehaupteten
Tradition von Wahrhol steht - notabene mit seinem Gleichmut neben Duchamp
einer der Väter der aktuellen Nonchalance - so hat sie die Thematisierung
der Waren- und Konsumgesellschaft einerseits um die weibliche Dimension
erweitert und anderseits mit ihrer eigenen, affirmativ-verspielten und
zugleich hintergründigen Persönlichkeit aufgeladen, die dem Werk
eine glamouröse Ambiguität verleiht. Fleury sagt: »I show
things as they are. I also exhibit the instruments and the mechanisms which
bring them to be so [] I believe whatever the game played, the decision
to play it is a critical one, whether political or sexual.«
Der Nonchalance eigen ist immer auch jene gehörige
Portion Affirmation wie sie im Werk von Sylvie Fleury deutlich zum Ausdruck
kommt - Affirmation und Zuneigung und das Akzeptieren des Ist-Zustandes.
Die Jetztzeit-Künstler wollen sich nicht mehr in die ideologisierende
Differenz zu den aktuellen Bildern und Medien stellen. Sie haben das kreative
Potential der Bildergesellschaft erkannt, nehmen die Apparaturen und Hilfsmittel
zum Nennwert und haben überhaupt keine Berührungängste.
Dies auch darum, weil sie von Kindesbeinen damit Umgang hatten. Die Suche
nach dem Wahren, nach dem Authentischen ist ob den endlosen Diskursen um
die Wahrnehmung, ob dem Verlust aller utopischen Hoffnungen und ob dem Bewusstsein,
dass im Grunde alle Bilder lügen, obsolet geworden. Damit wendet sich
die aktuelle Kunst dezidiert und endgültig ab von der beleidigten Aggression
der klassischen Avantgarde, für welche die Massenmedien und die Populärkultur
das anti-auratische Feindbild der hehren Kunst verkörperte. In der
jetzigen Haltung der Nonchalance verschwimmen die Begriffe, bilden sich
interferierende Grenzbereiche aus - die Bilder werden quasi durch einen
Oszillator gejagt und die Verschmelzung von U und E, von mediatisiertem
Bild und realem Bild schlägt sich mit Nachdruck in allen Bereichen
kultureller Manifestationen nieder. Auch für dieses Zusammenkommen,
frei von Vorurteilen und ästhetischem Dünkel, steht der Begriff
der Nonchalance.
Erstveröffentlicht in: Ausstellungskatalog
Centre PasquART, Biel 1997
Akademie der Künste, Berlin. 28.8. - 4.10.1998