Samuel Herzog
Welt ohne Eigenschaften
Bilder und Kartons von Alex Katz in der Wiener Albertina (2005)
Alex Katz gilt als zentrale Figur des sogenannten Cool Painting und ist einer der beliebtesten Maler der Gegenwartskunst. Nun widmet ihm die Wiener Albertina eine Ausstellung, die nebst Gemälden auch vorbereitende Kartons umfasst.
Bei Alex Katz hat die Welt jede Bedeutung verloren. Bei dem 1927 in Brooklyn geborenen New Yorker ist das Sichtbare ein rein formales Faktum ohne jedes Potenzial, ohne tieferen Sinn, ohne Vor- oder Nachgeschichte. Ganz, als betrachte man zum Beispiel ein hässliches Ekzem auf seiner Hand und dazu komme einem lediglich in den Sinn: Aha, was für ein schönes, elegantes Rot. In den Bildern von Katz gibt es weder Freude noch Schmerz, weder verliebte Höhenflüge noch emotionale Tauchgänge - ja selbst nach Tageszeiten oder klimatischen Konditionen sucht man meist vergebens.
Ewige Schönheit
Diesem «Cool Painter» nun widmet die Wiener Albertina derzeit in ihrem Untergeschoss eine umfangreiche Ausstellung, die mehrheitlich Werke der letzten Jahre präsentiert - und fast durchgängig riesige Formate. Gleich zu Beginn der Schau treten wir vor ein nahezu fünf Meter breites Gemälde aus dem Jahr 2001: Wir sehen Männer und Frauen, die auf Plasticstühlen unter Sonnenschirmen sitzen - im Hintergrund eine Meeresbucht oder ein See. Die Menschen auf dem Bild benehmen sich, wie man sich an einem solchen «Beach Stop» wohl benimmt - und doch wirken sie in keinem Moment wie lebendige Wesen. Irgendetwas fehlt, doch was, ist schwer zu fassen. Am ehesten erinnert das Gefühl an gewisse Momente im Theater, wenn aus einer Kanne rein imaginärer Tee oder Kaffee in eine Tasse gegossen wird. Zwar verstehen wir die Geschichte auch, wenn da kein wirklicher Tee ausgeschenkt wird, und doch bleibt eine seltsame Empfindung zurück.
Alles ist flach in diesen Bildern, die Menschen genauso wie der weite, meist eher unbestimmte Raum, in dem sie sich aufhalten. Diese Flächigkeit erinnert an Reklametafeln, doch im Unterschied zu den Figuren der Werbewelt verkaufen die Protagonisten auf den Bildern von Katz keine Produkte: Vielmehr wirken sie wie Symbole oder Ikons, die aber immer nur auf sich selbst verweisen. Sie sind wunderschön und zweifellos ewig jung - einbalsamiert nicht zuletzt auch durch dieses Prinzip des ständigen Selbstverweises.
Das gilt für die meisten Bilder dieser Schau - egal, ob uns «Isca» (2001) ihre nackte Schulter entgegenstreckt, ob uns «Ada in White Hat» (1979) ausdruckslos in die Augen blickt oder die blonde «Kate» (2003) ihren Schmollmund ganz leicht öffnet. Eine kühle Ikone reiht sich hier an die nächste. Irritierendes findet sich in diesem Reigen nur da, wo die malerische Umsetzung offenbar schwierig war. So weist etwa das Gesicht der Blondine in «Wading» (2002) seltsame Verzerrungen auf. Ebenso wirken die Züge der Kaffeetrinkerin in «Morning Nude» von 1982 auf eigenartige Weise unzusammenhängend. Das Irritierende dabei ist, dass wir nicht wirklich entscheiden können, ob sich hinter diesen recht unbeholfen wirkenden Patzern nicht irgendeine Strategie, ein Kalkül verbirgt. Man müsste es eigentlich annehmen - eine psychologische Vertiefung allerdings wird damit ganz bestimmt nicht intendiert. Auf eine solche verzichtet Katz sogar da, wo sie sich geradezu aufdrängt - etwa bei dem dreifachen Porträt eines Mannes im «Sweatshirt» von 1983.
Mit seinen Bildern, so die gängige Interpretation, hält Alex Katz der amerikanischen Freizeitgesellschaft (gearbeitet wird auf seinen Gemälden nie) einen Spiegel vor - dadurch nämlich, dass deren Oberflächlichkeit in der Oberflächlichkeit seiner Bilder einen Widerhall findet. Man darf sich allerdings fragen, ob eine solche Interpretation nicht vor allem dazu geschaffen ist, das Publikum in Europa zu versöhnen - ein Publikum, das den Bildern von Alex Katz bis in die neunziger Jahre hinein doch einige Skepsis entgegenbrachte. Ohne einen solchen «gesellschaftskritischen» Mehrwert nämlich dürfte die «Flatness» dieser Bilder dem europäischen Geschmack auch heute noch einige Verdauungsschwierigkeiten bereiten.
«Die Leute sagen, Malerei ist real und abstrakt», sagt Alex Katz. «So wie ich male, ergibt sich das Realistische aus abstrakter Malerei als Gegensatz zu abstraktem Stil.» Auch wenn man nicht ganz versteht, was mit diesem Satz genau gemeint ist - wer vor den Bildern des Malers steht, fühlt, dass dieses Zitat irgendwie zutrifft. Vielleicht hat es die Albertina ja auch deshalb gleich zweimal in verschiedenen Sälen auf die Wände der Ausstellung gesetzt.
Altmeisterliche Technik
Das Besondere an dieser Ausstellung in der Albertina ist, dass nebst einem guten Dutzend Gemälden auch noch mehr als dreissig Kartons gezeigt werden. Auf diesen hat Katz die Umrisse seiner Motive bereits in der Grösse des geplanten Bildes mit Kohle und Rötel festgelegt, diese Linien perforiert und die Konturen mit Hilfe von Farbpigmenten auf die Leinwand übertragen - ganz ähnlich sind bereits die alten Meister bei der Realisierung ihrer Fresken vorgegangen. Die Präsentation der Kartons vermittelt uns also eine Vorstellung der Arbeitsweise von Alex Katz.
Vom Technischen abgesehen allerdings bringt dieser Blick in das Atelier des Künstlers kaum neue Einsichten. Die Kartons illustrieren zwar, dass Katz ein guter Zeichner ist, der sein Motiv mit ein paar wenigen Strichen recht klar erfassen kann - nicht virtuoser allerdings als mancher Modezeichner. Doch verraten diese Kartons auch, dass die Bilder von Alex Katz keine spannende Vorgeschichte haben, dass sie weder das Ergebnis ästhetischer Kämpfe noch irgendeines Ringens um Ausdruck sind - ja es scheint, als seien die Motive von Katz schon im ersten Augenblick ihres Entstehens von derselben kühlen Eleganz geprägt wie dann im fertigen Bild. Und also stehen wir etwas ratlos inmitten dieser Katzschen Welt ohne Eigenschaften, inmitten all dieser Erzählungen, die uns nicht erzählen mögen.
Alex Katz: «Beach Stop», 2001, Öl auf Leinwand. (Bild pd)
erschienen in NZZ, FEUILLETON, 11. Januar 2005 Nr. 8 43