Samuel Herzog
Alles «Übungen am Kreuz»?
«Paul Klee 1933» im Kunstmuseum Bern (2003)
Unter dem Titel «Paul Klee 1933» präsentiert das Kunstmuseum Bern eine Gruppe von Zeichnungen, die der Künstler im Jahr von Hitlers Machtergreifung angefertigt hat. Diese für Klee äusserst ungewöhnlichen Blätter stellen aber kaum direkte Kommentare dar, sondern nehmen die Geschehnisse jener Zeit eher indirekt ins Visier.
So haben wir Paul Klee noch nie gesehen. Er, der kühle Komponist abstrakter Gefühls-Metaphern, der Psycho-Taktiker und besonnene Kunstsprachen-Erfinder, tritt uns derzeit in einer Ausstellung im Berner Kunstmuseum mit einer Reihe von Zeichnungen entgegen, denen alles Beherrschte, alles Kalkulierte fremd zu sein scheint. Meist mit Bleistift oder Kreide und durchgängig mit einem nervösen Strich sind da Figuren aufs Papier gesetzt, die auf einen ersten Blick manchmal ein wenig wie Kinderzeichnungen, manchmal eher wie schnell ausgeführte Karikaturen wirken. Da kugeln Knäuel über die Fläche, aus denen heraus sich ohne anatomische Logik irgendwelche Gliedmassen in die Luft strecken. Dort werden mit dickem Strich Nasen oder Augen aufgesetzt, lösen sich Konturen dunkel und fast etwas widerwillig aus dem Bleistift-Gewitter - ganz als seien die Striche unschlüssig, ob sie auch tatsächlich Figuren preisgeben wollen.
Arbeit an «kleineren Sachen»
Offenbar hat es Paul Klee, der ja mit zu den Erfindern der abstrakten Kunst zählt, hier die avantgardistische Sprache verschlagen. Und das hat seinen Grund. Die in Bern gezeigten Zeichnungen nämlich stammen allesamt aus dem Jahr 1933. Am 30. Januar jenes Jahres wird Hitler durch den Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Nur zwei Tage später zieht die Dortmunder NSDAP-Zeitung «Die Rote Erde» über den «Kunst-Sumpf in Westdeutschland» und insbesondere die Akademie von Düsseldorf her, wo Klee kurz zuvor erst ein Lehramt übernommen hat. «Dann hält der grosse Klee seinen Einzug», heisst es da voller Spott: «Er erzählt jedem, er habe arabisches Vollblut in sich, ist aber typischer, galizischer Jude. Er malt immer toller, er blufft und verblüfft, seine Schüler reissen Augen und Maul auf, eine neue, noch unerhörte Kunst zieht in das Rheinland ein.» Weitere Verfemungen folgen, in deren Rahmen die «wahrhaft beklagenswerte Erscheinung» Paul Klee für allerlei Dinge wie «Geschmacksverbildung», «Seelenvergiftung» usw. mitverantwortlich gemacht wird.
Am 17. März dringen SA-Männer in das Haus der Klees ein und nehmen nach einer Hausdurchsuchung drei Wäschekörbe voller Akten mit. Klee setzt sich vorübergehend in die Schweiz ab, kehrt jedoch bald wieder nach Deutschland zurück. Er versucht seine arische Herkunft nachzuweisen, am 21. April aber wird er per Telegramm zwangsweise beurlaubt - «mit sofortiger Wirkung hhüitt», notiert er in seinen Taschenkalender. Dennoch bleibt Klee in Deutschland und arbeitet offenbar still in seiner Wohnung vor sich hin an «kleineren Sachen», wie er in einem Brief an Emmy Scheyer schreibt. Erst im Dezember 1933 schliesslich ziehen Paul und Lily Klee dann offiziell nach Bern.
Irgendwann im Sommer 1933 soll Klee für den Bildhauer Alexander Zschokke und Walter Kaesbach, den ebenfalls entlassenen Direktor der Akademie, ein kleines Nachtessen in seiner Düsseldorfer Wohnung gegeben haben. Im Verlauf dieses Abends, so erinnerte sich Zschokke 1948 in der Zeitschrift «Du», soll Klee eine Mappe hervorgeholt und sie seinen Gästen mit den Worten vorgelegt haben: «Ich habe die nationalsozialistische Revolution gezeichnet.» Während vieler Jahre galten die in dieser Anekdote erwähnten Zeichnungen als verloren. Erst 1984 konnte Jürgen Glaesemer in den Beständen der Paul-Klee-Stiftung einen Grossteil dieser sogenannt «historischen Zeichnungen» identifizieren. Ob es sich dabei tatsächlich um die von Zschokke erwähnten Blätter handelt, sei dahingestellt. Fest steht, dass die ganze Gruppe von 245 Zeichnungen, die derzeit in einer Auswahl in Bern zu sehen ist, von Klee selbst auf das Jahr 1933 datiert worden sind. Festhalten lässt sich ausserdem, dass es sich dabei um eine Gruppe von Blättern handelt, die in Klees Werk eine absolute Sonderstellung einnehmen.
So untypisch die figürlichen Motive und die fast schon expressionistische Aufladung des Strichs aber auch sind, im Umgang mit dem Thema ist sich Klee doch treu geblieben. Nach einem ganz direkten Kommentar zu den Geschehnissen in Deutschland nämlich suchen wir vergebens: Da gibt es keine SS-Truppen, die durchs Bild ziehen, keine Massenaufläufe und kein Säbelgerassel. Nur selten lassen sich die Bilder so explizit mit dem damaligen Klima der Angst in Verbindung bringen wie in «Gewalt», «Menschenjagd» oder «Anklage auf der Strasse», wo eine Figur denunzierend mit überlangem Finger auf eine andere zeigt. In manchen Zeichnungen scheint der Hitlergruss aufzutauchen - etwa in «närrisches Fest» oder «Ziel erkannt». Einige Blätter behandeln auch Themen, die im Zusammenhang mit den Rassentheorien der Nazis gesehen werden können: «nordisches Paar» etwa, «ein Kind wird gemessen» oder «Erneuerung der Manszucht».
Schlug Klee Haken?
In den meisten Zeichnungen aber gehen Klees Kommentare und Beobachtungen von gewöhnlichen Alltagssituationen, religiösen oder mythologischen Szenen aus, die eigentlich auch nicht immer in einem Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtergreifung gesehen werden müssen. Jedenfalls können wir uns fragen, ob der «Pferde fänger» wirklich auch ein Seelenfänger ist und ob bei den «Übungen am Kreuz» tatsächlich Haken geschlagen werden. Natürlich ist es möglich, beinahe jedes Blatt in einen Zusammenhang mit der «nationalsozialistischen Revolution» und ihren schrecklichen Folgen zu bringen. Aber konnte Klee, der 1933 eher isoliert in seiner Düsseldorfer Wohnung vor sich hin zeichnete, tatsächlich all dies wissen? Hat er den kommenden Genozid, all die Scheusslichkeiten und Greueltaten, das menschliche Elend in seinem ganzen Umfang vorausahnen können?
Vielleicht ja. Vielleicht aber ist es auch unser heutiger, mit dem Wissen der Nachkriegszeit aufgerüsteter Blick, der all diese letztlich doch auch recht unterschiedlichen Blätter quasi in eine Mappe zusammenlegt und darin insgesamt einen hintergründigen Kommentar zum nationalsozialistischen Regime erkennen will. Möglicherweise hat Klee nur gezeichnet oder kommentiert, was er auch beobachtet hat - und das war unter Umständen wesentlich ambivalenter, teilweise auch gewöhnlicher oder im Gegenteil grotesker, als wir es heute in seinen Bildern überhaupt wahrnehmen können. Unser Wissen über das, was auf jene Tage im Jahr 1933 folgte, hat uns für viele Dinge die Augen geöffnet - für manches aber verstellt es uns wohl auch den Blick.
Paul Klee 1933. Kunstmuseum Bern. Bis 17. August. Anschliessend wird die Ausstellung in der Schirn-Kunsthalle Frankfurt (18. 9. 03 bis 30. 11. 03) und in der Hamburger Kunsthalle (11. 12. 03 bis 7. 3. 04) gezeigt. Katalog Fr. 45.-.
Paul Klee: «in der Schwebe», 1933, Fettkreide auf Papier. (Bild Katalog) © Pro Litteris
erschienen in NZZ, FEUILLETON, 25. Juli 2003 Nr. 170 39