Samuel Herzog
Als Venus im Muschelbrunnen
Wenn an dieser Stelle das Geheimnis nicht verraten wird, dann hat das seinen Grund. Aber nein, es geht hier keineswegs darum, irgendwelche Informanten mit unserem Schweigen zu decken - so etwas überlassen wir der Boulevardpresse. Unsere Motive sind weniger edel, wollen wir doch das Geheimnis schlicht veräussern - an eine Künstlerin aus Lausanne mit dem klangvollen Namen Elodie Pong. Sie wird derzeit in der Kunsthalle Baselland mit einer grossen Ausstellung geehrt. «ADN/
ARN - Any Deal Now / Any Reality Now» nennt Pong ein Projekt, in dessen Verlauf sie Hunderte von Geheimnissen ihren ursprünglichen Besitzern abgekauft hat. In einer eigens für dieses Vorhaben angefertigten Architektur hat sie ihre Handelspartner erzählen lassen - wobei alle die Möglichkeit hatten, Gesicht und Stimme durch Masken oder Verzerrungen zu anonymisieren. «Secrets for Sale» heisst der Film, der diese Geständnisse vorführt. Natürlich erinnert das an all die Fernsehshows, in denen das Grossmütterchen von nebenan die Sadomaso-Orgien mit ihren Wellensittichen gesteht, John Z. seinen tätowierten Penis zeigt und der für seine Attacken gefürchtete Politiker C. im Schutz einer Ledermaske gesteht, dass er bei besonders aggressiven Debatten gerne den leichten Schmerz spürt, den die etwas zu eng bemessenen Strapse unter der Flanellhose provozieren. Auch im Übrigen gibt es viel Geheimnisvolles in dieser Ausstellung zu sehen. Zum Beispiel liegt da ein überdimensioniertes Hundehalsband am Boden, mit dem man leicht ein Mammut domestizieren könnte. Daneben stampft ein spitz beschuhter Frauenfuss so lange auf einem Spiegel herum, bis dieser in tausend Splitter zerbricht. Und auch in dem Video «A certain general» geht es wieder um die kleinen Pikanterien, die ja das Aromat in der Lebenssuppe sind. Hier verführt ein roter Teppich die Protagonisten dazu, sich unartig eigenwillig zu benehmen - laut auf einer Gitarre herumzuhacken, hemmungslosen Speichelaustausch zu betreiben, als Venus in einen Muschelbrunnen zu hüpfen usw. Ja, in diese Reihe würde jetzt wohl auch unser Geheimnis ganz gut passen. Aber eben - wir haben damit leider schon etwas anderes vor.
Elodie Pong - Where is the Poison. Kunsthaus Baselland, Muttenz. Bis 29. Februar. Katalog Fr. 30.-. Zeitgleich präsentiert das Kunsthaus die Ausstellung «Trotzmodell» des Künstlerduos Dellbrügge & de Moll.
erschienen in NZZ, FEUILLETON, 14. Februar 2004 Nr. 37 46