Samuel Herzog
Grundlos oder weise?
«Rembrandt Rembrandt» im Frankfurter Städel (2003)
Warum nur lacht der Maler? Würde er bloss lächeln, dann könnten wir das seinem Alter zuschreiben - denn Alter lächelt weise, gelegentlich jedenfalls. Doch der Maler lacht, so sehr, dass ihm die Augenbrauen in die Höhe schiessen und Hautwellen in seine Stirne treiben. Auch in Wange und Kinn hat das Lachen Bewegung gebracht, jeder Runzel diktiert es den Schwung. Wüssten wir nicht, dass es sich hier um ein Selbstporträt des knapp sechzigjährigen Rembrandt handelt, wir könnten das Gemälde als eine Allegorie des Alters oder auch als ein Bild des Wahnsinns betrachten. Die dicke Nasenspitze, die schweren Lider und die hohen Augenbrauen indes lassen keinen Zweifel offen: Es ist Rembrandt selbst, der uns hier entgegenlacht.
In der Rolle des Demokrit
Das Bild gehört zu den Höhepunkten einer recht gut bestückten Schau mit dem Titel «Rembrandt Rembrandt», die im japanischen Kyoto National Museum zusammengestellt wurde und nun in ergänzter Ausstattung im Frankfurter Städel zu sehen ist. Zweifellos eine der publikumswirksamsten Ausstellungen in diesem Winter, weshalb das Städel die Besucher auch in einem eigens für diesen Anlass errichteten Zelt empfängt - bevor man, bis auf das Allernötigste entmantelt und enttascht, den Ausstellungsbereich betreten darf. Knapp fünfzig Gemälde sind da jeweils auf einem eigenen Wandsegment präsentiert und sorgfältig ausgeleuchtet. Ein aufwendiges Leitsystem aus Teppichen dirigiert die Schritte der Besucher durch das Halbdunkel der Gänge. Die Stimmung ist sakral, und die meisten unterhalten sich im Flüsterton - nur jene Pärchen, die sich mit Audioguide durch die Ausstellung bewegen, werden gelegentlich laut.
Doch deshalb lacht Rembrandt nicht. Das Lachen des Meisters, der sich da mit Malstock wohl vor einer Leinwand zeigt, hat die Forschung wiederholt beschäftigt. In der Figur, die am linken Bildrand sichtbar wird, wollte man in den 1930er Jahren den weinenden Heraklit erkennen. Der Maler hätte sich demnach hier in der Rolle des lachenden Demokrit dargestellt - kommen der lachende und der weinende Philosoph doch im 17. Jahrhundert immer wieder mal als Bildthema vor. Später kam die Forschung zum Schluss, dass sich Rembrandt hier in der Rolle des griechischen Malers Zeuxis dargestellt habe. Von Zeuxis wird überliefert, dass er einst eine hässliche alte Frau zu malen hatte und dabei so heftig lachen musste, dass er daran starb. Diese Interpretation der Szene hat sich bis heute gehalten - zumal es ein Gemälde des Rembrandt-Schülers Arendt de Gelder gibt, auf dem ganz eindeutig diese Zeuxis-Szene dargestellt ist.
Bei de Gelder allerdings ist nicht nur das Bild einer alten Frau sichtbar, sondern auch das Modell. Bei Rembrandt hingegen nicht. Nun kugelt sich der Maler ja nicht wegen seines Bildes, sondern wegen der Realität, die er abzubilden hat. In diesem Sinne müssen wir bei Rembrandt wohl selbst jene Stelle in der Wirklichkeit ausserhalb des Bildes besetzen, die das Zwerchfell des Malers derart kitzelt. Kurzum: Rembrandt lacht über seine Auftraggeber, seine Kundschaft - und durch die Jahrhunderte hindurch auch über uns. Ein alternder Maler, der in seiner Weisheit über die Welt in ihrer ganzen Eitelkeit lachen kann. Eine Art von Memento mori auch, das in seiner Lakonie an die Aufschrift in manchem Beinhauses erinnert: «Was ihr seid, das waren wir. Was wir sind, ihr werdet's sein.»
So überzeugend diese Zeuxis-Interpretation auch ist, sie will mit Vorsicht weitergegeben sein. Denn einerseits ist die Figur am linken Bildrand so dunkel und undeutlich, dass wohl niemand hier mit absoluter Sicherheit eine hässliche alte Frau erkennen kann. Und anderseits hat man von dem Bild eine Röntgenfoto angefertigt, die Erstaunliches sichtbar werden lässt: In einer ersten Version nämlich hat sich Rembrandt nur mit einem leichten Lächeln auf den Lippen dargestellt, nicht mit dem Lachen des fertigen Bildes. Zum Zeitpunkt dieser ersten Version hat sich Rembrandt also ganz bestimmt nicht in der Rolle des Zeuxis gesehen - denn wer hat je davon gehört, dass sich jemand zu Tode gelächelt hätte?
Erwartungen befriedigt
Entweder ist Rembrandt also erst im Verlauf der Arbeit an diesem Bild in die Rolle seines antiken Kollegen geschlüpft - oder aber die Zeuxis-Interpretation sagt hier mehr über unser modernes Bedürfnis nach Sinn aus denn über das Bild selbst. In vielen seiner Gemälde zeigt sich Rembrandt als ein philosophischer Maler, der es versteht, den Menschen mitsamt seinen Verstrickungen in die Bedingungen des Daseins ins Licht zu rücken. So gesehen spricht vieles dafür, dass uns dieses Selbstporträt zeigt, wie der Künstler im Verlauf des Malprozesses einen mythologischen Sinn oder vielmehr Hintersinn für sein Gemälde gefunden hat - etwas, das auch die Erwartungen seines intellektuellen Umfeldes befriedigt. Es könnte aber auch sein, dass diese Zeuxis-Interpretation den Blick auf das Bild gerade verstellt. Wie wäre es denn, wenn Rembrandt hier eben keine Lösung, keinen letzten Sinn gefunden hätte - weder für sich noch für die Welt noch für das Bild? Auch solche Grundlosigkeit wäre doch wohl ein Grund, aus voller Farbe heraus zu lachen.
Rembrandt Rembrandt. Das Städel, Frankfurt. Bis 11. Mai. Katalog _ 28.-. Vom 14. März bis zum 25. Mai zeigt das Städel ausserdem Rembrandt-Radierungen aus den eigenen Beständen.
Rembrandt van Rijn: «Selbstporträt, lachend», ca. 1662-1664. (Bild Katalog)
erschienen in NZZ, FEUILLETON, 10. Februar 2003 Nr. 33 2