Samuel Herzog

Nicht Fruchtsalat, nein: Banana-Split!

Julian Schnabel in der Frankfurter Kunsthalle Schirn (2004)

In den achtziger Jahren ist Julian Schnabel mit Bildern berühmt geworden, deren Oberflächen von Keramikscherben übersät waren. Doch der Amerikaner kennt auch andere Methoden, seinen Gemälden möglichst viel Gewicht zu geben. Das illustriert derzeit eine Ausstellung in der Frankfurter Kunsthalle Schirn, die mit über 50 monumentalen Exponaten vorführt, was Schnabel seit 1978 gemalt hat.
Wutausbrüche wirken eigentlich nur, wenn sie pointiert zum Einsatz kommen, wenn sie als das Ausserordentliche in das Gewöhnliche einbrechen, als Katharsis erscheinen. Bei andauerndem Wüten verflacht sich der Effekt, flaut die tobende Sturmspitze zum lästigen Luftzug ab - und der heilige Schrecken verwandelt sich dann in lähmende Langeweile. Das ist wahrlich kein Geheimnis. Und genau deshalb sollte man die Bilder des amerikanischen Malers Julian Schnabel (geb. 1951) wohl auch eher nicht im Rudel vor das Publikum führen - so, wie das derzeit in der Frankfurter Kunsthalle Schirn geschieht.

Mit einem Schlag

Die Basler Sammlung Emanuel Hoffmann zum Beispiel verfügt über ein Werk von Schnabel, dem man in den letzten zwanzig Jahren immer wieder in verschiedenen Ausstellungszusammenhängen begegnen konnte: Über einer an Lavaströme erinnernden Pinselspur erhebt sich blau ein dramatisch nach hinten geworfener Kopf - ob es Lust ist oder Schmerz, was den «Head (for Albert)» in diese Pose zwingt, lässt sich nicht entscheiden. Die ohnehin äusserst expressive Malweise wird durch eine Vielzahl von Keramikscherben, die in die Bildfläche eingesplittert sind, noch übersteigert. Das ist stark, das ist wütend, das wirkt wie eine Faust, die einen wohlgeordneten Tisch mit einem Schlag in ein Chaos verwandelt. Es ist ein Bild des Widerstands auch - eine Ikone des Widerstands gegen alles (oder alles Mögliche jedenfalls), so wie man das in gewissen Phasen der Adoleszenz sehr stark empfinden kann. Und wer mit diesem Bild von Schnabel gross geworden ist, wer hier für gewisse Emotionen einen Echoraum gefunden hat, der wird nun vielleicht voller Freude nach Frankfurt reisen - und sei es nur, um in der Retrospektive des Amerikaners eine Spur jener grossartigen Gefühle wiederzufinden, die einen einst so stark beschäftigt haben. Doch was im Einzelfall als ein Paukenschlag wirkt, zerbröselt in Massen zu einer nicht enden wollenden Folge schwergewichtiger Gesten. Und Massen hat die Schirn für die gegenwärtige Schau tatsächlich über den Atlantik schiffen lassen: Mehr als fünfzig monumentale Leinwände dokumentieren Schnabels Malerei der letzten 25 Jahre. Das ist wohl überhaupt die grösste Retrospektive, die dem Maler bisher in Europa ausgerichtet worden ist.
Bekannt geworden ist Schnabel in den achtziger Jahren mit Scherbenbildern wie dem erwähnten Basler Kopf. Einige Exemplare aus dieser Zeit sind auch in Frankfurt zu sehen. Da gibt es zum Beispiel «The Sea» von 1981 - ein Stück Meer, das sich nicht etwa vor uns ausbreitet, sondern vielmehr über unseren Köpfen aufbaut. Bis knapp unter die obere Bildkante türmen sich da die Brandungswellen. Als brauchte die zerstörerische Wucht dieser See noch zusätzliche Illustration, hat Schnabel eine Vielzahl von Keramikfragmenten in die Bildfläche integriert. Wie die zerstreute Fracht eines eben erst untergegangenen Schiffes treiben die Scherben da durch den gefährlichen Wellenstrudel. Und für jene, denen das noch nicht deutlich genug ist, hat der Künstler ausserdem einen halb verkohlten Ruderblock vor das Bild gerückt - wahrlich ein Wink mit der Keule.
Schnabel ist seiner erfolgreichen Scherben-Methode sehr lange treu geblieben - das illustriert in Frankfurt ein Raum mit Porträts aus den neunziger Jahren. Unter anderem blickt uns da auch Schnabels Frau «Olatz» aus dem zerschlagenen Geschirr entgegen - mal allein, mal mit Sohn Cy. Der Künstler hat aber in den vergangenen Jahren auch noch mit zahlreichen anderen Materialzusätzen zur Malerei experimentiert: So ragen uns aus einem Bild mächtige Geweihe entgegen, in anderen Werken treffen wir auf Heiligenbilder, Fetzen von Stoff, Antiquitäten aller Art.
Wo solche Materialien fehlen, tritt oft Sprache an ihre Stelle. Das geschieht manchmal in einer eher erzählerischen Form. In Frankfurt etwa in einem Raum mit vier Gemälden, auf denen mit «Los Patos del buen retiro» ein geheimnisvoller Ort beschworen wird. Und auf einem Bild heisst es schlicht: «I went to Tangiers and had dinner with Paul Bowles.» Öfters indes fallen diese sprachlichen Evokationen weit weniger leichtfüssig aus. So erinnert etwa ein Gemälde mit der Aufschrift «Ozymandias» an einen Vers von Percy Bysshe Shelley: «My name is Ozymandias, King of Kings: Look on my works, ye Mighty, and despair!», heisst es in dem gleichnamigen Gedicht des englischen Romantikers. Das ist pures Schwergewicht - und wohl schwingt auch noch ein wenig Bildungshuberei mit.
Überhaupt nimmt sich der Künstler ganz offensichtlich nur ungern zurück - wo verschiedene Varianten offen stünden, wählt Schnabel konsequent die kalorienhaltigere: nicht Fruchtsalat, sondern Banana-Split. Da gibt es zum Beispiel einen Saal, in dem sechs monumentale Leinwände zu einem fast schon architektonischen Ensemble versammelt sind: Weisse, an Papierausrisse erinnernde Formen geistern über einen düsteren, olivbraunen Grund. Hätte Schnabel dieses Ensemble «Melancholie» getauft, wir hätten es sofort nachempfinden können. Doch der Künstler hat seiner erdrückenden Kapelle aus Leinwänden den Titel «Treatises on Melancholia» gegeben, «Abhandlungen zur Melancholie». Und da äussert sich natürlich bereits ein ganz anderer Anspruch.

Kleckernd klotzen

Formal hat sich Schnabel immer schon recht stark an etwas älteren Vorbildern orientiert. In seinem Umgang mit Material steht er Antoni Tàpies nahe. Seine malerische Gestik, die Rhythmisierung der Bildfläche und der Einsatz von Sprache erinnern an Cy Twombly. Doch das kann man dem Amerikaner im Zeitalter der Remakes und Appropriationen wohl nicht wirklich übel nehmen. Problematischer erscheint die Überexpressivität, die all seinen Arbeiten eigen ist: So, wie es im Werk von Schnabel keine kleineren oder mittleren Formate gibt, so gibt es in seiner Bildwelt auch keine kleineren oder mittleren Gefühle - keine kleinlichen Zweifel, sondern nur grossartige Verzweiflung. Dazu passt, dass in Schnabels Bildern ja auch nicht Hera oder Hephaistos auftauchen - nein: Von der ganzen olympischen Gesellschaft ist es immer wieder nur der Name von Zeus, der mitten in den Bildern prangt.
Kleckern ja, doch kleckernd klotzen. So könnte man das künstlerische Credo von Julian Schnabel umschreiben: Jedes Bild muss wie ein Sechser im Lotto der Emotionen wirken. Gerade dieser Superlativismus aber macht die ganzen expressiven Gesten letztlich so unglaubwürdig. Schnabel spielt das Spiel der Emotionen sehr geschickt, sehr professionell. Das illustriert schon sein Auftreten vor den Medien. Das demonstriert aber auch die effektvolle Inszenierung seiner Bilder in den dafür bestens geeigneten Räumen der Frankfurter Schirn. Aber Schnabel spielt das Spiel der Emotionen mit zu vielen Assen im Ärmel. Und so verliert es schnell seinen Reiz.

Julian Schnabel. Malerei 1978-2003. Kunsthalle Schirn, Frankfurt. Bis 25. April. Katalog (Hatje-Cantz-Verlag) _ 24.90.



© Pro Litteris
Julian Schnabel: «Portrait of Olatz with Cy» (Ausschnitt), 1994. (Bild her)


erschienen in NZZ, FEUILLETON, 6. Februar 2004 Nr. 30 43