Samuel Herzog

Schwerarbeit an einem Begriff

«Populism» - vier Ausstellungen reden am Thema vorbei

«Populism» heisst eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst, die ungefähr gleichzeitig in ähnlicher Gestalt an vier Orten im nördlichen Europa zu sehen ist: in Vilnius, Oslo, Amsterdam und Frankfurt am Main. Die Schau selbst ist stimmig - konzeptuell aber verlieren sich die drei Kuratoren in akrobatischen Verrenkungen rund um den Begriff, mit dem sie das aufwendige Projekt überschrieben haben.
Als «Populismus» bezeichnet man für gewöhnlich eine Politik, die sich scheinbar ganz nach dem Willen des Volkes richtet, die mit vorgefassten Meinungen operiert und kollektive Ängste für ihre Zwecke missbraucht, die mit billigen Schlagworten und ungenauen Versprechungen um die Gunst der Wähler buhlt. Und wahrscheinlich kann man sagen, dass eine solche Politik heute öfters praktiziert wird als früher.
Wenn nun allerdings auch Entwicklungen, welche die Kunst in den vergangenen fünfzehn Jahren genommen hat, als «populistisch» bezeichnet werden, dann lässt das aufhorchen. Tatsächlich hat sich die Kunst in den letzten Jahren wohl vermehrt populären Themen zugewandt: Sie hat die Party ebenso entdeckt wie das Fernsehen, den Kitsch, die Ästhetik und die Sorgen des sogenannt kleinen Mannes, seiner kurzsichtigen Tochter und seiner übergewichtigen Frau. Auch hat die Kunst der letzten Jahre - wohl mehr noch als die Pop-Art - mit Sprachen, Materialien und Ausdrucksformen experimentiert, die man als populär bezeichnen kann. Ja man kann auch sagen, dass einzelne Ereignisse im Bereich der zeitgenössischen Kunst populär geworden sind - die Kasseler Documenta etwa, deren letzte zwei Ausgaben ein immenses Publikum angezogen haben.

Populistisch oder populär?

Der Begriff «Populismus» aber ist stark negativ besetzt. Als «Populisten» beschimpft man einen politischen Gegner, dem man unterstellt, dass seine Massnahmen nur scheinbar zur Lösung anstehender Probleme taugen, dass er seinen Wählern etwas vorgaukelt, um sich beliebt zu machen. Natürlich kann man auch künstlerische Strömungen «populistisch» nennen - dann aber muss man hinnehmen, dass man eine negative Aussage über sie macht. Genau das aber wollen die Kuratoren der vom Nordic Institute for Contemporary Art (NIFCA) organisierten «Populism»-Ausstellung keineswegs, die derzeit in mehr oder weniger identischer Form an vier Orten im nördlichen Europa zu sehen ist. Zwar sollen unter dem Titel sowohl politische Tendenzen wie auch künstlerische Entwicklungen reflektiert werden - über die Kunst selbst aber soll damit natürlich nichts Schlechtes gesagt oder angedeutet sein.
Nun könnte man, wie so oft bei thematischen Ausstellungen, das Thema - und vor allem den Titel - ganz einfach mit einem Augenzwinkern übergehen. Ausstellung brauchen heute, so scheint es, die Hilfe eingängiger Schlagworte, um ihr Publikum zu finden - und «Populism» hat sicher einen hohen Merkwert. Die Akrobatik jedoch, die in diesem Fall betrieben wird, um den Titel mit dem Gezeigten zu verbinden, ist derart anstrengend, dass sie sich nur schwer ignorieren lässt.
«Viele verschiedene Dinge können mit gutem Grund als Populismus bezeichnet werden», heisst es in einer Einführung zu der Schau: «Vielleicht muss der Begriff Populismus auch nicht notwendigerweise eine einzige Bedeutung besitzen. Die Nützlichkeit eines Begriffs mit verschiedenen Bedeutungen liegt in der Tatsache, dass er auf eine Familienähnlichkeit zwischen verschiedenen Phänomenen verweisen kann, die dann Populismus genannt werden. Aus diesem Grund wird es sich bei jedem Projekt über Populismus schnell zeigen, dass die dazu Beitragenden - Künstler, Akademiker, Autoren und andere Intellektuelle - das Wort in ganz unterschiedlicher Weise verwenden.»
Tatsache ist, dass sich kaum eine Arbeit in dieser Schau mit dem Phänomen des «Populismus» beschäftigt - im Contemporary Art Centre von Vilnius zumindest nicht, wo kürzlich die erste Version eröffnet wurde. Was die Exponate zu einem grossen Teil reflektieren, abbilden oder in einzelnen Fällen auch mit mehr oder weniger starken Brechungen reproduzieren, sind Phänomene einer Kultur, die man als populär bezeichnen kann. Matthieu Laurette zum Beispiel zeigt Fotos, Videos und Plakate von sogenannten «Lookalike Conventions», die er seit einigen Jahren im Rahmen seiner Ausstellungen durchführt: Zum Beispiel treten da Menschen ins Rampenlicht des eleganten Castello di Rivoli, die wie Marilyn Monroe oder Liz Taylor aussehen, eine Wampe wie Luciano Pavarotti vor sich her führen oder Grimassen schneiden können wie Mr. Bean. Diese Imitatoren unter den übrigen Vernissagegästen zu sehen, entbehrt auch nicht einer gewissen Komik.

Falsche Stars und echte Sternchen

Von Laurettes falschen Stars ist es in der Ausstellung zumindest nur ein kleiner Schritt zu den echten Sternchen im Video «Los Angeles» von Sarah Morris: Untermalt von stimmungsvollen Loungeklängen aus dem Musikcomputer von Liam Gillick nimmt uns die Künstlerin in ihrer riesigen Videoprojektion mit in die glitzernde Welt rund um die legendäre Oscar-Verleihung. Die Bilder der Stars und der Medienleute mit ihren Kameras und Computern werden unterbrochen von Sequenzen, in denen Schönheitsoperationen, Fitnesscenter und gestresste Produzenten vorgeführt werden - in durchwegs schönen Bildern wird hier eine Maschinerie dargestellt, die ganz von alleine und für sich selbst zu funktionieren scheint, ein autonomes System.
Wenigstens indirekt um das Thema Populismus geht es in Jeremy Dellers Film «Memory Bucket» - einem Porträt von Georg W. Bushs Heimat Texas, das allerlei Widersprüche in diesem Paradies auf Erden aufzuzeichnen vermag. Und auch die Arbeit von Jakob B. Boeskov streift das Thema: Anlässlich der letzten Wahlen in den USA ist der Däne mit Freunden und allerlei ziemlich ironischen Fanartikeln über den Atlantik gefahren, um den Wahlkampf von Bush zu unterstützen - «Danes for Bush» lautet der Titel dieser kleinen Satire.
Sonst aber lassen sich in dieser Ausstellung Verbindungen zum Thema beim besten Willen nicht finden. Stig Sjölund bietet uns mit seiner Maschine «The Danish Rat» die Möglichkeit, uns in quälenden zwei Minuten einmal kopfüber um die eigene Achse zu drehen. Cildo Meireles zwingt uns mit «Volatile» in eine Situation, die zwischen Poesie und Bedrohung oszilliert: Barfuss betreten wir einen knöchelhoch mit Talgpulver gefüllten Raum, der nur von einer einzigen Kerze erhellt wird. Es scheint nach Gas zu riechen, der Dunst macht uns das Atmen schwer - und doch sind wir auch berührt von der Sanftheit des Lichtes. Im Shop von Jani Leinonen können wir darüber nachdenken, wie absurd das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage je nach Perspektive sein kann.
Jean-François Moriceau und Petra Mrzyk machen sich mit ihren Wandzeichnungen unter anderem über die Tendenz zum Uniformen im Kunstbetrieb lustig. Temporary Services haben fleissig Szenen aus TV- und Kinofilmen gesammelt, in denen Künstler zur Darstellung kommen. Mauricio Dias und Walter Riedweg befragen in ihren Videofilmen männliche Prostituierte und setzen ihnen dabei Masken auf, die den Gesichtszügen der Künstler selbst nachgebildet sind. Begoña Muñoz inszeniert sich selbst als Popstar. Otto Snoek fotografiert, ein wenig auf den Spuren eines Martin Parr, volkstümliche Vergnügungen aller Art. Und Marc Bijl schliesslich macht mit seinem farbigen Wandschmuck rund um die Lettern «TERROR» nochmals deutlich, was wir nach dem 11. September längst schon geahnt haben: «The Party is Over.»
Vieles in dieser Ausstellung lässt sich mit dem Begriff des Populären auf die eine oder andere Art verbinden - mit Populismus aber kaum. Und hätte man die Ausstellung etwa «das Populäre in der Kunst» genannt, dann hätte man sich diese ganzen theoretischen Verrenkungen ersparen können. Und es ist wirklich schade, dass sich Lars Bang Larsen, Cristina Ricupero und Nicolaus Schafhausen so sehr in den Titel verbissen haben - denn davon abgesehen ist den drei jungen Kuratoren eine durchaus anregende und streckenweise amüsante Schau gelungen.

Populism. Contemporary Art Centre, Vilnius, bis 4. Juni; National Museum of Art, Architecture and Design, Oslo, bis 4. September; Stedelijk Museum, Amsterdam, bis 28. August; Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main, bis 4. September. Während der Ausstellung erscheinen ein Katalog und ein Reader zum Thema. http://www.populism2005.com


erschienen in NZZ, Montag, 02.05.2005 / 26