Eine neue Ära der Kunst am Golf
Um dem zu begegnen, setzte der Emir einerseits vermehrt auf einen lokalen, vom Bierstrom weniger stark abhängigen Tourismus: Er liess die Altstadt restaurieren, rekonstruierte den alten Souk al-Arsah und baute auf einer Insel in der Khalid-Bucht ein riesiges Anglerzentrum. Andererseits versuchte er, Sharjah als Kulturhauptstadt der Arabischen Halbinsel zu etablieren: Museen für islamische Kostbarkeiten, Archäologie, Wissenschaft und moderne arabische Kunst wurden geschaffen - und jüngst wurde ein Haus eingeweiht, in dem man nun die «Art Collection of His Highness Doctor Sheikh Sultan bin Mohammed al-Qasimi» bewundern kann.
Auch die Gründung einer Kunstbiennale im Jahre 1993 kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Die ersten fünf Ausgaben dieser Sharjah-Biennale konzentrierten sich allerdings noch ganz auf klassische und lokale Kunstformen, vor allem auf Malerei. Das änderte sich im Jahre 2002, als eine Tochter des Emirs, Her Highness Hoor al-Qasimi, als Direktorin der Biennale berufen wurde. Die Prinzessin hatte eine Ausbildung an der Slade School of Fine Arts in London genossen und bereits einige Ausstellungen organisiert. Gemeinsam mit Peter Lewis stand sie der sechsten Biennale im Jahre 2003 als Kuratorin vor und bewirkte programmatisch die Öffnung der Veranstaltung für neuere Praktiken wie Installation, Video, Fotografie, Performance oder Internet-Kunst. Mit dieser sechsten Biennale sollte aber nicht nur das Niveau der Veranstaltung selbst erhöht, sondern insgesamt eine «neue Ära der zeitgenössischen Kunst in der Golfregion» eingeläutet werden.
Ob die sechste Biennale mit ihren 120 Künstlern aus mehr als zwanzig Ländern diese neue Ära hat einleiten können, sei dahingestellt. Mit der siebten Ausgabe, deren Eröffnung am vergangenen Wochenende im Rausch der verschiedensten Fruchtsäfte feierlich begangen wurde, ist jedenfalls der Anschluss an internationale Biennale-Standards geschafft. Mit dem aus Jerusalem stammenden Jack Persekian wurde ein renommierter Kurator für die Veranstaltung berufen. In Zusammenarbeit mit Kenneth Lum und Tirdad Zolghadr hat er eine Ausstellung realisiert, die auf geschickte Art Werke international renommierter Künstler mit Beiträgen aus der Region zusammenbringt - so, wie das bei etwas abseits der grossen Kunstströme gelegenen Biennalen üblich ist.
Internationalen Standards entspricht auch das Thema der Ausstellung, das gleichermassen engagiert auftritt und doch so allgemein verstanden ist, dass die kuratorische Freiheit dadurch kaum eingeschränkt wird. «Mit der Wahl des Motivs <Belonging>, in diesem Moment und an diesem Ort, will die Biennale die Frage untersuchen, wie sich Kunst und Geschichte überlappen und wie Künstler in unserem Raum intervenieren, um es uns zu ermöglichen, über kulturelle Grenzen und über unsere Differenzen hinaus zu denken.» So weit die offizielle Erklärung zum Thema. Auch in den weiteren Verlautbarungen klingt, abgetönt durch lokale Komplikationen, immer wieder eine allgemeine Migrations- und Identitätsthematik an, wie sie in den letzten Jahren im Rahmen verschiedener Grossausstellungen behandelt wurde.
Sieht man von dieser etwas angestrengten Themenakrobatik ab, hat Persekian mit viel Respekt für das einzelne Werk eine Schau zusammengestellt, die den Vergleich mit anderen Veranstaltungen ihrer Art keineswegs zu scheuen braucht. Im mondänen Expo Centre, im Sharjah Art Museum sowie vereinzelt im halböffentlichen Raum des Museumsareals werden Arbeiten von rund siebzig Künstlern aus annähernd vierzig Ländern präsentiert. Zu einem grossen Teil handelt es sich dabei um raumgreifende Skulpturen oder Installationen, um multiple Videoprojektionen oder installative Fotopräsentationen. Fast ausnahmslos sind die einzelnen Werke in separaten Kojen oder Räumen präsentiert - eine mögliche Interaktion zwischen den einzelnen Beiträgen wird damit zwar verhindert, dafür aber können sie sich in ihrer ganzen Vielschichtigkeit entfalten.
Angesichts der unverbindlichen Thematik dieser Biennale ist es fast erstaunlich, in wie vielen Arbeiten dann doch mehr oder weniger direkt lokale Motive angesprochen werden. Und es sind bei weitem nicht nur Vertreter aus der Region, die sich darauf eingelassen haben, künstlerische Testbohrungen am Golf durchzuführen. So beschäftigt sich eine ganze Reihe von Arbeiten mit den rasenden Veränderungen im Landschaftsbild der Golfregion. Mohamed Kazem aus Dubai etwa illustriert mit seinen in Leuchtkästen präsentierten Fotos, wie die überall aus dem Boden schiessenden Wolkenkratzer mit jedem Tag das Mass des Menschen mehr übersteigen. Otobong Nkanga aus Nigeria erzählt mit seinen Bildern, warum ihn «Dubailand» so sehr an Disneyland erinnert. Und Fouad Elkoury aus Paris demonstriert mit Hilfe von nebeneinander gehängten Fotos, dass sich die architektonischen Traumwelten von Dubai und Las Vegas mitunter gar nicht so leicht unterscheiden lassen. - Was mit den ganzen Prachtbauten passieren könnte, wenn dereinst die Öl- und Gasressourcen aufgebraucht sind, klingt in den Fotografien der Französin Anne-Marie Filaire an: Sie hat verlassene oder nie ganz fertig gebaute Hochhäuser in Palästina fotografiert.
Heimliches Leben
An das ständige, durch die Ölmilliarden mitverursachte Verkehrschaos der Region (und indirekt wohl der ganzen Welt) erinnert die Jamaicanerin Nari Ward, die aus rostigen Auspuffrohren ein grosses «Sharjah Birdhouse» gebastelt hat. Minerva Cuevas aus Mexiko illustriert mit ihren Wandmalereien, dass der Bauboom am Golf auch das Leben regionaler Tierarten bedroht. Der Schweizer Beat Streuli hat Menschen der Region porträtiert und verweist so indirekt darauf, dass rund achtzig Prozent der gut drei Millionen Einwohner der Arabischen Emirate Ausländer sind - zu einem grossen Teil Gastarbeiter aus Indien oder Pakistan. Auch die anderen Schweizer Künstler in dieser Schau haben sich mehr oder weniger direkt vom Ort inspirieren lassen: Peter Stoffel, San Keller, Christoph Büchel & Giovanni Carmine, COM & COM sowie die in Iran geborene Zürcherin Shirana Shahbazi.
Eine in einem weiteren Sinne nahöstliche Thematik klingt in den Videoszenen der Iranerin Ghazel an, die sich selbst im Tschador bei allerlei «Performances» gefilmt hat. Einmal spielt sie mit einem Hammer Kricket oder wirft Teller gegen die Wand, dann setzt sie sich mit Hilfe eines Lippenstiftes eine Art Kriegsbemalung auf («Angry Day»), oder sie fächert sich mit einer Weltkarte Kühlung zu («Global Warming») - anspielungsreiche Erzählungen vom heimlichen Leben unter dem alles unifizierenden schwarzen Gewand.
Zu den visuell auffälligsten Stücken dieser Schau zählt die Arbeit von Olaf Nicolai aus Deutschland. In einer Strasse unmittelbar hinter dem Museum hat er zwischen den Hauswänden Wäscheleinen ausgespannt und daran Hosen, Tischtücher, Socken und Hemden «zum Trocknen» aufgehängt - ähnlich, wie wir das aus den Gassen der Mittelmeerländer kennen. Mit diesem Zitat aus dem grossen Sehnsuchtsbuch der Italianità schafft Nicolai eine absurde Analogie zu den Strassenlaternen von Sharjah, die genau den Kandelabern auf den Pariser Champs-Elysées nachgebildet sind. So, wie ja auch diese Biennale, lokalen Färbungen zum Trotz, unverkennbar einem westlichen Muster folgt. Das wirkt verständlich, vertraut, verlässlich. Die Sharjah-Biennale ist eine Oase der Kultur in der glitzernden Konsumwüste am Persischen Golf. Und doch: Nach manch durstigem Ritt durch die Kunstwelt ist man fast enttäuscht, wenn man bloss wieder auf eine Oase trifft.
7. Sharjah Biennial. Expo Centre und Sharjah Art Museum. Bis 6. Juni. Ein Katalog erscheint im Verlauf der Ausstellung. www.sharjahbiennial.org
erschienen in NZZ, Samstag, 16.04.2005 / 43