Samuel Herzog

Was übrig geblieben ist

Nedko Solakov im Kunsthaus Zürich

Der Bulgare Nedko Solakov zeigt im Kunsthaus Zürich eine Ansammlung von Werken und Werkteilen, die nach Ausstellungen in seinen verschiedenen Galerien übrig geblieben sind. Ein freches Spiel mit dem Wertesystem Kunst und mit der Institution Museum.
Dass eine Galerie jene Werke eines Künstlers etwas leichter verkauft, die zuvor durch eine Museumsausstellung geadelt worden sind, gehört zu den Gesetzmässigkeiten des Betriebs. Die von der öffentlichen Hand finanzierte Institution unterstützt so quasi einzelne Exponenten der Privatwirtschaft - die allerdings im Gegenzug die Basisarbeit beim Aufbau eines Künstlers oder genauer seiner Marktposition leisten müssen. Dass nun allerdings ein Museum ausgerechnet all jene Arbeiten eines Künstler präsentiert, die zuvor bei Galerieausstellungen keine Käufer gefunden haben, kommt wohl eher selten vor.

99 und nicht 100

Genau das ist aber nun im Zürcher Kunsthaus der Fall. Der Bulgare Nedko Solakov (geb. 1957) hat zusammen mit der Kuratorin Mirjam Varadinis eine Schau ausgeheckt, die 99 «Leftovers» präsentiert: Kunstwerke von Solakov also, die nach Galeriepräsentationen in Berlin, New York, Tel Aviv, Brüssel, Lissabon, Haarlem, Sofia und Paris liegen oder hängen geblieben sind. Die Zahl 99 ist natürlich kein Zufall - sondern «an allusion to the worldwide business practice that selling is easier when it ends with 99 (rather than 100)». Die durchnummerierten Exponate sind, eher wie in einem Lager denn wie in einem Museum, auf rohen Holzgestellen präsentiert - wobei die Überbleibsel einer jeden Ausstellung in jeder Galerie je in einem eigenen Kompartiment ausgelegt sind.
Manches Stück erschliesst sich hier nur noch mit Hilfe des Katalogs, der ergänzende Informationen enthält und die Rekonstruktion des ursprünglichen Zusammenhangs erlaubt. In einem Kompartiment der «Deitch Projects» etwa liegt ein veritabler Baumstrunk mit Wurzelwerk am Boden - auf dem dazugehörigen Schaft sind Stoffpuppen ausgelegt. Erst mit Hilfe des Katalogs finden wir heraus, dass Solakov solche Baumstrünke einst von der Decke der New Yorker Galerie hängen und die Stoffpuppen deren Wurzeln bewohnen liess. «Somewhere (under the tree)», hiess diese Installation, deren Gesamtpreis im Katalog mit 88 000 Dollar verzeichnet ist.
Natürlich treibt der Künstler hier sein kleines, böses Spielchen mit dem Wertesystem Kunst und auch mit der Institution Museum, die hier wie «Otto's Warenposten» oder vielmehr wie ein Endlager für Restkunst erscheint, wo all jene Dinge landen, die niemand mehr will - oder noch schlimmer: die gar niemand je gewollt hat. So absurd dieser Gebrauch der Wertvermehrungsmaschine Museum auf einen ersten Blick auch erscheinen mag - bis zu einem gewissen Grad bildet sich darin auch eine Realität ab: Kommt die Institution Museum doch oft tatsächlich an letzter Stelle und erhält nicht selten das, was sich nicht hat verkaufen lassen - künstlerische Nachlässe etwa oder ausgedünnte Sammlungen. Oft steht dann der Aufwand für Konservierung, Archivierung usw. in keinem Verhältnis zum Wert des Geschenks. Natürlich gibt es Ausnahmen, sonst wären die Museen ja die reinsten Schnarch-Tempel. Wahrscheinlich allerdings stand dieser Aspekt für Solakov ohnehin nicht im Zentrum der Überlegungen.
«Leftovers» ist nämlich auch eine kleine Retrospektive geworden, die sich quasi über die Abfallhalde im Hinterhof an das Werk des Künstlers heranpirscht - und wahrscheinlich, wie bei Überbleibseln üblich, als ziemlich repräsentativ angesehen werden kann. In sämtlichen Varianten gibt es da zum Beispiel Solakovs Mikrozeichnungen zu sehen, mit deren Hilfe er an den unberechenbarsten Stellen seine Kommentare zum grösseren und kleineren Weltgeschehen abgibt: winzige Figürchen, die auf Gegenständen herumklettern, Fotos bevölkern oder uns gelegentlich auch direkt von der Mauer aus mittels kleiner Texte ansprechen, belehren oder beschimpfen.
Auch die Rauminstallation, mit der Solakov 2001 im Rahmen von Harald Szeemanns «Plateau der Menschheit» für Aufsehen sorgte, scheint bisher keinen Käufer gefunden zu haben. Für die Dauer der Biennale von Venedig engagierte er zwei Flachmaler, die alle vier Wände eines Raums im Padiglione d'Italia reihum mit weisser und dann wieder mit schwarzer Farbe bemalten. Nebst einer Videodokumentation dieser Aktion gibt es in Zürich auch eine Kabinett-Version dieses Stücks zu sehen: In einem kleinen Film beobachten wir den Künstler, wie er mit zwei Pinseln und beiden Händen ein Blatt Papier bemalt - fortlaufend Weiss über Schwarz und Schwarz über Weiss setzt.

Freiluft-Experimente

Müsste man Solakovs Arbeit mit einem einzigen Wort charakterisieren, dann würde eigentlich nur «launig» einigermassen passen. Zur Illustration könnte man das grösste Gemälde dieser Schau zitieren: Es zeigt eine Zusammenballung aus rosigen und bläulichen Gebilden, die ein wenig an barocke Wolken erinnern - und darunter den Satz: «My favorite enemy's intestine ready for an open-air experience».
Manches in dieser Schau ist von einem frechen, geradezu anarchischen Witz, den man für typisch osteuropäisch halten möchte. Anderes ist nur ein bisschen lustig - zum Beispiel einige der Mikro-Witzeleien, die Solakov mit schwarzem Filzstift auf der Sockelzone der Giacometti-Räume rund um sein Kabinett hinterlassen hat. Seine Tendenz (oder vielleicht eher Manie), alles zu kommentieren und nichts unerklärt zu lassen, hat hier mitunter zu etwas mageren Sprüchen geführt.
Aber vielleicht ist das ja Absicht - so wie diese ganze Installation betont absichtsvoll daherkommt. Nur was will uns Solakov damit sagen? Dass alles Kunst ist, was als solche auftritt? Dass Kunst durch die Institution zur Kunst wird? Dass Kunst sich um jene Dinge kümmert, die andere unbeachtet liegen lassen? Dass Kunst eine besondere Form von Abfall ist? - Wie dem auch sei. Dass sich in dieser Ausstellung das etwas Billige mit dem Kostbaren, das Originelle mit dem eher Schalen mischt, gibt uns Betrachtern einige Freiheit - zumindest können wir uns in diesen «Leftovers» recht unbeschwert bewegen, den einen Dingen durch unsere Aufmerksamkeit Wert geben, anderen diese Art der Schätzung verweigern. «Überbleibsel» sind ja nur überschüssig, solange niemand sie beachtet.

Nedko Solakov - Leftovers. Kunsthaus Zürich. Bis 13. November. Katalog Fr. 45.-.



erschienen in NZZ, Samstag, 03.09.2005 / 46