Interview von Samuel Herzog, 1999
Ausstellen heute VII: Jean-Paul Felley & Olivier Kaeser
«attitudes»
«Es braucht heute weniger Verkäufer von Kunst als Produzenten»
Seit 1989 realisieren die beiden diplomierten Kunsthistoriker Jean-Paul
Felley (1966) und Olivier Kaeser (1963) einen grossen Teil ihrer Ausstellungsvorhaben
gemeinsam. 1994 gründeten sie zusammen den unabhängigen Kunstraum
«attitudes» in Genf. Gleichzeitig mit der Arbeit im eigenen Haus
treten Felley und Kaeser auch immer wieder «extra muros» in Aktion,
vor allem in der Schweiz, Frankreich und Grossbritannien. Zu ihren bekanntesten
Projekten gehört «Cabines de Bain» - eine mit mehr als 50
Künstlern realisierte Schau in den Umkleidekabinen der Piscine de La
Motta in Fribourg. Derzeit reisen «attitudes» mit «Ailleurs
- Anderswo» durch verschiedene europäische Städte -
und machen auch Station in Basel (siehe Kasten).
BaZ: Vor einem Jahr hat «attitudes» in Genf die «Rencontres
d'organismes d'art indépendant» organisiert. Auch «attitudes»
selbst ist ein solcher unabhängiger Kunstraum. Wodurch unterscheidet
sich Ihre Arbeit von der Tätigkeit einer Kunsthalle oder eines Museums
für Gegenwartskunst?
Jean-Paul Felley: Die Unterschiede betreffen weniger die Inhalte als deren
Vermittlung. Wir sind nicht einfach ein Ausstellungsraum, sondern wir wollen
näher bei den Künstlern sein und auch näher beim Publikum.
Olivier Kaeser: Kunsthallen oder Museen richten sich oft vorwiegend an ein
Kunstpublikum, an eine Elite - und das finden wir bedauerlich. Wir suchen
auch den Kontakt zu einem weniger spezifischen Publikum, wir verstehen uns
als eine Brücke zwischen den Künstlern und der Öffentlichkeit.
Auch manche Museen und Kunsthallen suchen doch diesen Kontakt zum Publikum
- meist ohne allzuviel Erfolg. Ist das nicht blosse Rhetorik?
Felley: Nein, bei uns gibt es zum Beispiel auch eine Bar. Sie steht zwischen
unserem Büro und dem Ausstellungsraum. Diese Bar ist ein wichtiger
Ort des Austausches, des Kontaktes - man redet anders an einer Bar als zum
Beispiel in einem Büro.
Kaeser: Versetzen wir uns doch mal in die Lage eines Museumsbesuchers -
auch wir sind ja oft Besucher. Da kommt man in den Ausstellungsraum, sieht
sich die Sache an, hat vielleicht eine Pressemitteilung zur Hand oder einen
Katalog - wenn man Glück hat. Will man aber dann mehr wissen und fragt
das Personal, das da über die Kunst wacht, dann können die einem
oft keine Antwort geben: «Da müssen sie schon beim Konservator
um einen Termin nachsuchen», heisst es dann meist. Bei uns ist das
anders: Auch wer in unsere Ausstellungen kommt, kann sich einfach die Kunst
ansehen und wieder gehen. Er oder sie kann uns aber auch Fragen stellen,
kann an der Bar ein Gespräch mit uns beginnen, das fünf Minuten
dauern kann oder auch zwei Stunden. Und das ist an anderen Orten eher selten,
denn je grösser die Strukturen sind, desto schwieriger wird es, einen
solchen Kontakt mit dem Publikum aufrecht zu erhalten.
Heisst das, dass Sie während der Öffnungszeiten von «attitudes»
immer selbst in ihren Räumen präsent sind und den Besuchern Rede
und Antwort stehen.
Felley: Nicht immer vielleicht, aber so oft es geht. Wir versuchen, unsere
sämtlichen Termine nach Möglichkeit ausserhalb der Öffnungszeiten
zu legen und unternehmen Reisen eigentlich meistens in der Zeit zwischen
zwei Ausstellungen.
Kaeser: Es gibt viele, auch durchaus gebildete, Leute, die Gegenwartskunst
generell ablehnen. Wenn jemand mit solchen Vorurteilen trotzdem in unseren
Ausstellungsraum kommt, dann ist es sehr wichtig, dass diese Besucher ihre
Meinung uns, den Verantwortlichen direkt mitteilen können. Vielleicht
gelingt es uns dann im Gespräch, diesen Besuchern zumindest einen Zweifel
an ihrer eigenen vorgefassten Meinung einzuflössen.
Felley: Wenn jemand die Anstrengung unternimmt, unsere Ausstellung zu besuchen,
dann wollen wir ihm auch etwas bieten. Es soll sich lohnen, zu uns zu kommen.
Neben den Ausstellungen in ihrem Genfer Raum realisieren Sie auch immer
wieder Projekte ausserhalb der Stadt, in der ganzen Schweiz oder im Ausland.
Kaeser: Ja, wir sind gleichzeitig freie Kuratoren und verantwortlich für
einen Ort in einem bestimmten kulturellen Kontext. Diese zwei Aktivitäten
nähren sich gegenseitig: Unsere in Genf realisierten Arbeiten können
wir anderen Orts überprüfen und zur Diskussion stellen, gleichzeitig
beeinflussen diese anderswo gemachten Erfahrungen aber auch unsere Arbeit
hier.
Felley: Diese Doppelgleisigkeit hat aber auch mit einer Lebensweise zu tun,
die wir bewusst gewählt haben: Wir produzieren ja auch nicht einfach
Ausstellungen, sondern wir leben sie.
Kaeser: Es geht um ein Experiment: Wir sind keine Galerie, wir sind kein
Museum, wir sind auch kein Künstlerort, wir sind nochmals etwas anderes:
Wir sind ein unabhängiger Kunstraum. Unabhängig, das heisst vor
allem unabhängig vom Markt. «attitudes» finanziert sich über
eine Art Patchwork-Sponsoring und für jedes Projekt suchen wir separat
nach Mitteln.
Zu diesem Experiment gehört wohl auch, dass ihr zu zweit arbeitet?
Felley: Das hat einige Vorteile: Zum Beispiel haben wir immer jemanden,
mit dem wir unsere Ideen diskutieren können. Wir haben sozusagen permanent
ein kritisches Gegenüber. Ja und ausserdem können wir sozusagen
immer an zwei Orten gleichzeitig sein...
Kaeser: ... und verdoppeln damit quasi auch unsere Erfahrungen.
Nochmals zurück zum unabhängigen Kunstraum: Dass in den letzten
Jahren überall solche Räume entstanden sind, hat doch auch mit
Veränderungen innerhalb Kunst zu tun.
Kaeser: Natürlich: Die Gegenwartskunst produziert oft Arbeiten, die
sich gar nicht oder kaum verkaufen lassen. Manchmal bleiben von einem künstlerischen
Akt nur ein paar nichtssagende Spuren übrig. Diesen Veränderungen
können oder wollen Galerien nicht Rechnung tragen. Es braucht heute
weniger Verkäufer von Kunst als Produzenten. Damit wird die ganze Sache
weniger spekulativ, allerdings sind Künstler wie auch Produzenten darauf
angewiesen, dass ihre Arbeit irgendwie honoriert wird.
Gibt es denn überhaupt einen Unterschied zwischen einem Künstler
und einem Produzenten?
Felley: Es gibt Kuratoren wie Harald Szeemann, die da keinen Unterschied
machen, die sich auch selbst als Ausstellungskünstler bezeichnet: Sie
benutzen die Kunstwerke wie ein Rohmaterial, um daraus wieder neue Kunstwerke
zu machen. Wir definieren uns ganz anders: Wir schaffen die Möglichkeiten,
damit ein Künstler seine Arbeit tun, damit ein Kunstwerk existieren
kann. Wir arbeiten auch direkt mit dem Künstler zusammen und unterstützen
ihn, während er sein Werk realisiert. Wir benutzen Kunstwerke auch
nicht, um unsere eigenen Ideen zu illustrieren.
Dann vermeiden Sie wohl auch thematische Ausstellungen?
Kaeser: Wenn die Thematik eng ist, dann illustriert das Werk bloss ein Thema,
die Idee eines Kurators. Gegen weiter gefasste Themen haben wir nichts,
die lassen mehr Freiheit, lassen die Werke besser atmen
Was für Themen wären das zum Beispiel?
Kaeser: Das Thema «Ailleurs - Anderswo» etwa, mit dem wir derzeit
gerade in verschiedenen Städten arbeiten. «Ailleurs» ist
ein Begriff, der vieles evoziert, der aber sehr weit gefasst ist. Da haben
sich die Werke nicht unterwerfen müssen, sie bleiben autonom wirksam.
Allerdings muss man sich vor allem bei thematischen Ausstellungen immer
wieder fragen, ob man die Werke nicht vielleicht doch manipuliert, ob man
ihnen nicht eine bestimmte Funktion aufdrängt.
Was für eine Funktion hat denn Kunst heute?
Felley: Man muss sich die Orte ansehen, wo es keine Produktion von Gegenwartskunst
mehr gibt. Italien zum Beispiel, da macht der Staat nichts für die
zeitgenössische Kunst. Was passiert? Man bleibt bei der Vergangenheit,
politisch, sozial etc. Wo es ein lebendige Kunstszene gibt, ist das anders,
denn der Künstler ist ein Mensch, der immer ein wenig weiter geht als
es der soziale Rhythmus zulässt.
Erschienen in der Basler Zeitung am 10. April 19999.