Justin Hoffmann
Das Musikvideo als ökonomische Strategie
In kaum einem Medium sind Ökonomie und Ästhetik so eng miteinander
verbunden wie im Musikvideoclip. Am Beginn seiner Entwicklung standen wirtschaftliche
Gründe. Schon wenige Jahre später sollte sich jedoch mit aller
Deutlichkeit zeigen, dass der Videoclip weit mehr ist als ein profitsteigerndes
Produkt. Er beeinflusst heute die Sprache des Films, des Fernsehens und
der bildenden Kunst, ganz abgesehen von den Auswirkungen, die es in den
Bereichen Lifestyle, Mode und Design zeigt.
Musik sehen
Für die Pop- oder Rockmusik spielte die Visualität stets eine
zentrale Rolle. Die Musik war immer auch ein Seherlebnis, waren immer mit
Graphiken, Filmen und Kleidermoden verbunden. Umso mehr erstaunt es, wie
wenig die Zusammenhänge von Popmusik und Film bzw. Fernsehen untersucht
wurden. Gerade durch das Fernsehen haben Fans gelernt, wie man tanzt oder
wie man sich anzieht und haben dabei neue Objekte und Erzählungen gefunden,
in denen sie ihre Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck bringen
können. Für viele, die nicht in den Metropolen leben, bildete
das Fernsehen die einzige Möglichkeit, Popmusik live zu erleben. Trotzdem
ist es diesem Medium bis zum Jahr 1981, der Einführung von MTV in den
USA, kaum gelungen, Sendungen auszustrahlen, die Rockmusikfans annähernd
befriedigen konnten. Bis dahin wurden die InterpretInnen zwischen einfallslosen
Pappkulissen in öden Studios gestellt oder bei ihren Auftritten in
grossen Hallen abgefilmt. (Soul-Video: James Brown: It's a man's world)
Grundsätzlich gilt die visuelle Ebene im Unterschied zur akustischen
als die Basis, auf der die hegimoniale Kultur ihren Einfluss entfalten kann.
Während Sound und Stimme traditionell Authentizität, Energie,
Vitalität und oftmals Black Roots repräsentieren, kann sich die
Unterhaltungsindustrie gerade in der visuell-optischen Ebene entfalten.
Denn während sich Musik überall unbegrenzt im Raum verbreiten
kann, liegt das Seherlebnis stets auf einer Blickachse, die von der Bildquelle
als auch vom Rezipienten leicht zu kontrollieren ist. Nach Felix Guattari
(Molecular Revolution: Psychiatry and Politics, NY 1984) ist deshalb die
Musik die am de-territorialisierendste und am wenigsten signifizierende
kulturelle Form. Musik enthält das Potential, Bedeutungsstrukturen
aufzubrechen und umzuformen, Emotionen zu wecken und individuelle Bedürfnisse
unmittelbar zu befriedigen.
Musik und Bild scheinen miteinander zu konkurrieren, wobei das Bild deutlich
an Boden gewinnt. Während in frühen Videoclips noch wert auf die
Synchronität der SängerInnen gelegt wurde, ist man inzwischen
weitgehend davon abgekommen. Die Bildfolgen sollen für sich selbst
sprechen. Alle drei Sekunden mindestens ein Schnitt gilt als Regel, sonst
geht die Aufmerksamkeit des Zuschauers verloren. Dabei wurde die visuelle
Seite der Clips von der postmodernen Theorie häufig überbewertet.
So wurde vielfach missverstanden, dass der ungewohnten Schnittfolgen und
narrativen Brüche nicht eine innovative filmische Konzeption, sondern
die Struktur der Musikstücke und die Abhängigkeit des Singleformats
zugrundeliegt. Mit der zunehmenden Bedeutung des Visuellen veränderte
sich das gesamte Erscheinungsbild der Popmusik. Wer bei einem Major Label
heute einen Vertrag erhält, muss in der Regel auch optisch etwas zu
bieten haben. Die ProtagonistInnen sollen MTV-gerecht schön oder schrill
aussehen. Auch die Bühnenshow gleicht sich den Videoclips zunehmend
an. Tanzdarbietungen, Licht- und Feuerzauber spielen eine immer grössere
Rolle. Das ursprüngliche Interesse der Rockmusik an Authentizität
ist dem Wunsch nach Künstlichkeit und Konstruktion gewichen. Bild und
Ton haben sich dieser Tendenz entsprechend entwickelt. Authentizität
wird selbst als Konstrukt vorgeführt, Illusion als Illusion präsentiert.2
(Aerosmith: Amazing)
Das Musikvideo ist mehr als eine Produktwerbung
Das Fernsehen und die Rock- bzw. Popmusik gehören zu den zentralen
kulturellen Entwicklungen der Nachkriegszeit. Gerade ihre Widersprüche
und Dynamiken spannten ein weites kreatives Feld auf, in dem immer wieder
neue kulturelle Phänomene entstanden, die nicht nur einen Grossteil
der sogenannten Freizeit in Anspruch nahmen, sondern auch zu Geschmacks-
und Wertebildungen führten. Das wichtigste unter ihnen ist das Musikvideo,
der Videoclip. Unterschiedliche Begriffe bringen TheoretikerInnen und KritikerInnen
mit dieser kulturellen Form heute in Verbindung: die Durchkapitalisierung
der Musik, die Vereinnahmung von Authentizität und Rebellion, textuale
Schizophrenie, das Verschwinden der Realität und die Genese neuer Formen
des Widerstands. Bei diesen teils kulturpessimistischen Interpretationen
bleibt der soziale Gebrauch der Videoclips, die historischen Effekte und
die persönlichen Erfahrungen weitgehend unberücksichtigt. Von
der ökonomischen Seite aus betrachtet stellt das Musikvideo lediglich
eine besondere Form von Ware dar, die Mehrwert erzeugen soll. Mit ihm ist
eine spezifische Form der Produktion und Distribution verbunden. Ästhetisch
gesehen bildet das Musikvideo ein Set kultureller Praktiken, eine Synthese
unterschiedlicher Ikonographien und Rhetoriken und damit ein Konglomerat
verschiedenster Ausdrucksmittel. Es wird von differenten sozialen Gruppen
aus unterschiedlichen Gründen und in verschiedener Weise konsumiert.
Selbst die Einteilung in verschiedene Musikkanäle entspricht der Orientierung
an ein spezifisches Publikum. Das Programm von MTV und VIVA richtet sich
so vorwiegend an ein jüngeres, VH-1 und VIVA 2 an älteres Publikum.
Das Musikvideo ist Repräsentant einer neuen Medienökonomie. Mit
ihm hat sich das Verhältnis von Ton und Bild wesentlich verändert.
Dabei scheinen mir weniger die Auflösung imaginärer Freiheiten
von Bedeutung, die mit dem Hören von Tonträgern unmittelbar verbunden
sind, als die Wirkung, die eine Verschiebung des Zusammenhangs von Ton und
Bild auf das Fanverhalten und die Ideologie der Authentizität hat.
Lawrence Grossberg geht dabei so weit, vom "'death' of the rock culture",
so wie sie 35 Jahre lang existierte, zu sprechen.3 Schon 1986 hatte der
englische Musikkritiker Biba Kopf in seinem Aufsatz "If it moves, they
will watch it" mit grossem Pathos behauptet:" Jeder Clip markiert
eine Station jenes Kreuzwegs, an dessen Ende die Kreuzigung der gesamten
Popmusik steht."4
Doch andererseits: ist der Videoclip überhaupt eine neue kulturelle
Form? Von juristischer Seite nicht unbedingt. In einem Rechtsstreit 1986
zwischen der Screen Actors' Guild und den grossen Filmstudios Hollywoods
kam das Gericht zu dem Schluss, dass ein Musikvideo grundsätzlich keine
neue Form von Unterhaltung sei. Wenn es das wäre, müssten den
Schauspielern zusätzliche Gelder gezahlt werden. Das Urteil wurde damit
begründet, dass das Musikvideo lediglich eine andere Form der Promotion
und der Vermarktung sei.5 Doch ist es wirklich nur mehr ein Beiwerk zur
Musik auf den Tonträgern CD, MC oder Schallplatte? Eine solche Wertung
würde die Bedeutung des Clips im Kontext der Umstrukturierung der Unterhaltungsindustrie,
sowie für andere Medien wie Film oder Kunst verkennen.
Für VideokünstlerInnen, die an einer grösseren Verbreitung
jenseits des Kunstpublikums interessiert sind, besteht zunehmend die Gefahr,
dass sie sich zu sehr den Prinzipien und dem Stil der Musikkanäle anpassen.
(Pipilotti Rist: Mutaflor, 1996) Wenn sie mit dem Massenmedium Fernsehen
operieren, müssen sie sich bewusst sein, dass ihre Arbeiten nur ein
Teil des "television flow" ist, und dass sie sich entsprechend
über die Rezeption des Publikums Gedanken machen müssen. Das ist
besonders wichtig, für jene die mit Videoeffekten arbeiten. Denn es
kann leicht passieren, dass deren Arbeiten mit den Clips von MTV zum Verwechseln
ähnlich sind. Dabei ist es inzwischen nicht mehr so, dass das kommerzielle
Fernsehen in erster Linie bei der Videokunst Anleihen nimmt, sondern umgekehrt
die Videokunst beim Fernsehen, besonders bei der Erscheinungsform der Clips.
Einige VideokünstlerInnen scheinen nur darauf zu warten, vom Mainstream
absorbiert zu werden, ganz im Unterschied zu den videoaktivistischen KünstlerInnen
der 70er Jahre, die ein anderes Fernsehen initiieren wollten. Anfang der
80er Jahre versuchten aus ganz unterschiedlichen Interessen heraus MTV und
das Netzwerk von Deep Dish (PTTV) eine neue Form von Fernsehen zu entwickeln.
Sie wollten sich vom herkömmlichen Fernsehen deutlich unterscheiden
und lieferten interessante Alternativen. Beide ästhetischen Stile,
der lowtechstyle von Deep Dish und die Specialeffect-Orgie bei MTV, stellen
eine Art Ablehnung der damaligen Konvention dar. MTV hat übrigens immer
wieder künstlerische Beiträge gesendet, wie von z.B. Robert Longo,
wobei den KünstlerInnen ähnliche Starqualitäten verliehen
wurden wie den MusikerInnen und Bands. Die von MTV gezeigte Kunst funktionierte
wie andere Programmpunkte und fiel dadurch nicht sonderlich auf.
Im Gegensatz zu vielfach gehörten Äusserungen ist die spezifische
Form des Musikvideos kaum zu definieren. Stellen wir als Charakteristikum
eine fragmentarische, "postmoderne" Ästhetik fest, finden
wir auf der anderen Seite klassische Erzählstrukturen und Ausdrucksweisen
der Romantik. Wenn wir als das Typische das fernsehgerechte Format erklären,
so müssen wir gleichzeitig auf die differenten TV-Praktiken unterschiedlicher
Sender wie MTV, Viva, Bravo-TV oder den Country-Sender Nashville in den
USA hinweisen. Auch darauf, dass Videoclips oder videoclipähnliche
Sequenzen bisweilen innerhalb von Fernsehserien wie Miami Vice oder Baywatch
erscheinen. Diese unterschiedlichen Ausprägungen machen es schwer,
ein homogenes Bild des Musikvideos und seines Kontextes, der Position und
Relevanz innerhalb einer Programmstruktur, zu entwerfen.
Die unterschiedlichen Programminhalte sind jedoch nicht nur ein Resultat
der verschiedenen Interessen der Seher und Sendeanstalten, sie ist auch
eine Folge ökonomischen Drucks. So schliesst MTV bis heute mit den
Major Labels Exklusivverträge ab, die ihr weltweit eine Vorrangsstellung
sichern sollen. Ein bestimmter Prozentsatz der produzierten Videoclips eines
Unternehmens kann somit für eine bestimmte Zeit nur auf MTV gesehen
werden. Die innovativsten und lukrativsten Clips sind damit vom freien Markt
genommen. Verschiedene Antitrust-Untersuchen und Klagen anderer Sender,
die diesen Versuch der Monopolisierung von MTV stoppen wollten, blieben
erfolglos. Auch Grössen der Popmusik wie The Rolling Stones oder Billy
Joel bekamen die Auswirkungen des harten Konkurrenzkampfs zu spüren.
So wurden deren Clips, nachdem sie in Programmen von Konkurrenzsendern zu
sehen waren, aus MTV kurzerhand verbannt.
Nebenprodukte der Popmusik
Der Clip als Kaufvideo ist Teil einer grösseren Produktpalette, die
für die Musikindustrie von zentraler Bedeutung ist. In den grösseren
Verkaufsstätten werden Videos mit Kompilationen von mehreren Clips
angeboten, meist durch Aufnahmen von den Dreharbeiten und durch Interviews
mit den ProtagonistInnen ergänzt. Diese Home Videos, die z.B. auch
von MTV herausgegeben werden, fallen in den Bereich der Nebenprodukte bzw.
Fanartikel. Fanartikel können weitgehend in von Fans selbstproduzierte
und in von der Unterhaltungsindustrie distribuierte Artikel unterteilt werden.
Letztere können als Resultat der produktiven Seite der Machtausübung
der herrschenden wirtschaftlichen Kräfte gewertet werden. Diese Form
von Warenproduktion hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Der Verkauf der vor allem an Teenager gerichteten Artikel findet nicht nur
in Schallplattenläden sondern auch in den grossen Kaufhäusern
oder über Mail Order statt. Die erste Band, bei der die Einnahmen aus
dem Verkauf dieser "Nebenprodukte" höher war als die der
Tonträger war die Teenagerband New Kids On The Block. (Spice Girls,
Say you'll be there, vgl. Russ Meyers Fast Pussycat ... Kill! Kill!)
Die Popmusik wird von den Konzernen als ein Weg begriffen, an junge Käuferschichten
zu gelangen. Sie bedienen die Jugendlichen genauso mit herkömmlichen
Tonträgern wie mit interaktiven CD-Roms, Computerspielen, Zeitschriften
oder eben Videos. Die Musik spielt zudem als "Verkleidung" von
Waren aller Art eine Schlüsselrolle. In den Clips der Werbung tauchen
nicht zufällig häufig Popmusikfragmente auf. (Beispiel) In den
letzten Jahren konnten zahlreiche Titel in Werbespots für unterschiedlichste
Produkte (Jeans, Autos etc.) zum Hit werden - meist Stücke, die schon
früher einmal die Hitparaden stürmten. Madonna war schliesslich
die erste, die ihr neuestes Stück als Weltpremiere innerhalb eines
Werbefilms für Pepsi präsentierte ("Like a prayer",
1989). Die Promotion für Musik und Getränk wurden perfekt aufeinander
abgestimmt.6
Einen neuen Typus in der Verbindung von Musik und Werbung stellen Clips
wie der "Hittip" des Senders SAT 1, sowie "chart tip"
und "No 1 Bullet of the Week" (Beispiel: the Cause, C000) bei
RTL 2 dar. Innerhalb des Werbeblocks wird jede Woche neu der Ausschnitt
eines Musikclips vorgestellt und als künftiger Chartbreaker angepriesen.
Einen wirtschaftlich besonders relevanten Faktor bildet gegenwärtig
die Rave Generation. Verschiedene Firmen haben mit Erfolg (neue) Produkte
lanciert, die gleichsam als Attribute der Techno Culture erscheinen sollen.
In diese Angebotspalette fallen nicht nur zahlreiche neue Erfrischungsgetränke
sondern auch Snowboards und Reisen, die unter dem Motto "Rave &
Cruise" angeboten werden. Sie zu kaufen oder zu gebrauchen, ist kein
gewöhnlicher Konsum, sondern bedeutet die Partizipation an einer Bewegung
und einem Lifestyle.
Stars und globale Distribution als Prämissen der Clipproduktion
Die Voraussetzung für die Herstellung von Videoclips sind Stars und
die Möglichkeit einer weltweiten Distribution. Die globale Verbreitung
und die Popularität der ProtagonistInnen sind die finanzielle Voraussetzung
für die häufig sehr kostspieligen Filmaufnahmen. Andererseits
sind Stars ohne Videoclips kaum denkbar. Die Fans wollen ihre Stars sehen
und dabei ihr Outfit, ihre Mimik und ihre Gesten kennenlernen.
Als das wichtigste Produkt, welches die Musikindustrie herstellt und im
besonderen Masse der Bedürfnisbefriedigung und Profitmaximierung dient,
gilt nicht der Song oder der Tonträger sondern der Star. Mit ihm haben
MusikerInnen und SängerInnen gleichsam Warenform angenommen. Der Star
ist Allgemeingut: wir besitzen ihn, er besitzt uns. Die Entstehung des Popstars
im 20. Jh. ist eng mit der Organisierung der Freizeit in der spätkapitalistischen
Gesellschaft verbunden. Die Freizeit soll danach in erster Linie dem Konsum
dienen. Die Menschen müssen aber erst zum Konsumenten erzogen werden.
Stars erfüllen hierbei eine wichtige Aufgabe. Ihr Glamour verkörpert
das Begehren und die Konsumwünsche der Individuen. Untersuchungen in
den USA ergaben, daß 30% aller Musikclips einen Hinweis auf einen
Markenartikel enthalten und fast 70% den Konsum bestimmter Produkte zeigen.
Die Stars tragen in den Videos die Freiheiten zur Schau, die ihre Fans gewöhnlich
nicht besitzen. Als Leitfigur spielen sie zudem eine wichtige Rolle für
die Disziplinierung der Bevölkerung. Als Agenten der Konsumindustrie
tragen sie dazu bei, Normen zu setzen und die Grenzen und Möglichkeiten
der Individuen zu definieren. Im Vergleich zu den Modells der Modebranche
scheint die Bedeutung der Musikstars in den letzten Jahren zurückgegangen
zu sein. Trotzdem spielen die Stars der Popmusik ihrer Funktion als "role
modells" für die Identitätsbildung besonders der Heranwachsenden
weiterhin eine entscheidende Rolle. Sie tragen wesentlich zur Herausbildung
sexueller Differenzen bei.
Die Internationalisierung des Kapitals und die wachsenden wirtschaftlichen
Verflechtungen lassen sich auch im Bereich der Popmusik festellen. Die grosses
Plattenfirmen sind längst international verbunden. So sind viele frühere
Labels, mit denen nationale kulturelle Äusserungen assoziiert werden,
inzwischen Bestandteil eines internationalen Konzerns (z.B. gehört
Columbia heute Sony mit Hauptsitz in Japan und RCA Bertelsmann mit Hauptsitz
in Deutschland). Dabei wird der frühere Firmenname vielfach belassen,
um die Veränderungen der Besitzverhältnisse zu verschleiern. Die
Internationalisierung des Warenkapitals reicht von Instrumenten über
Tonträger bis zu Hifi-Anlagen, während die Internationalisierung
des produktiven Kapitals durch eine Zunahme der Produktion der Elektronik-
und Unterhaltungsindustrie ausserhalb der Triade-Länder gekennzeichnet
ist. Als eine Auswirkung der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien
ist weitgehend die Internationalisierung des Geldkapitals zu begreifen.
Der Erfolg des ersten 24-Stunden-TV-Kanals MTV beruht ebenfalls auf den
Fortschritt der technologischen Entwicklung. Seine Entstehung ist eng mit
dem Ausbau des Satelliten- und Kabelfernsehens verbunden. Ähnlich wie
die Einführung der CD konnte MTV nur durch das Zusammenwirken von Software-
und Hardwareunternehmen ins Leben gerufen werden. Mit American Express war
gleich von Anfang an ein sehr finanzkrätiger Partner vorhanden. Inzwischen
ist MTV das Weltfernsehen Nummer 1; knapp 1 Milliarde Menschen und mehr
als ein Viertel aller Familien auf der Erde empfangen diesen Musikkanal.
MTV spielt gerade für die US-Unternehmen eine wichtige Vorreiterrolle,
wie David Rothkopf, das ehemaligen Mitglied der Clinton-Regierung bestätigt:
"Die Vereinigten Staaten haben ein wirtschaftliches und politisches
Interesse, dass in einer Welt, in der sich eine gemeinsame Sprache herausbildet,
diese das Englische ist; dass in einer Welt, die sich auf gemeinsame Telekommunikations-,
Sicherheits- und Qualitätsstandards einigt, sich die amerikanischen
Normen durchsetzen; dass in einer Welt, die immer mehr mittels Fernsehen,
Rundfunk und Musikmoden vernetzt wird, die entsprechenden Programme amerikanisch
sind."7
Der schnelle Erfolg der Musiksender VIVA und VIVA 2 in den deutschsprachigen
Ländern, die heute beide eine grössere Reichweite besitzen als
MTV, und die Zunahme deutscher Produktionen in den Charts können als
Resultat der Simultaneität von Regionalismus und Globalisierung begriffen
werden, wie sie Stuart Hall in seinem Aufsatz "The local and the global"
(in: Anthony D. King (Hg.), Culture Globalization and the World System,
London 1991) beschrieben hat. Globale und lokale Tendenzen müssen demnach
keine Gegensätze bilden. Sie sind zwei Vektoren der gleichen ökonomischen
Richtung. Untersucht man regionalistische Erscheinungen, kommt man in der
Regel zu dem Schluss, dass sie ökonomische Prozesse auf bestimmten
Ebenen unterbrechen auf anderen aber verstärken. So entsteht eine multiple
Konstruktion, d.h. Einheitlichkeit durch Differenz.
Die Globalisierung führte auch auf künstlerischer Ebene zu einer
weitgehenden Nivellierung. Die kulturelle Interaktion hat im Bereich der
Popmusik seit 1970 eine neue Qualität angenommen. Auf frühere
Formen des Austausches, der unter Vorherrschaft der Europäer durch
einen Transfer von Geld und kulturellen Quellen gekennzeichnet ist, folgte
eine Transkulturalisierung, die auf die inzwischen globale Verbreitung der
internationalen Konzerne und neue Kommunikationswege bauen kann. Für
Roger Wallis/Krister Main ist beispielsweise die Diskomusik eine Musikform
von transkultureller Bedeutung. Sie konnte sich in fast allen Staaten der
Erde durchsetzen. Michael Jackson, als bekanntestes Beispiel, gilt in jeder
Hinsicht - Ethnie, Geschlecht, Alter, Musikstil - als der universelle Musikrepräsentant.(Beispiel:
Michael Jackson, Black or White, 1991, Morphing) Zur Vereinheitlichung der
Popmusikproduktion trug wesentlich der weltweite Verkauf von meist elektronischen
Musikinstrumenten, Fanartikeln und Abspielgeräten bzw. Musikanlagen
bei. Das gleiche Yamaha-Keyboard kann heute fast in allen Ländern der
Erde zu einem relativ geringen Preis erworben werden. Doch auch auf künstlerischer
Ebene gab es Gegenreaktionen: Es entstand schon zu Beginn dieser Globalisierungsbestrebungen
als Gegenbewegung die Konstitutierung nationaler Popkulturen. In den 70er
Jahren trat dieses Phänomen in Schweden genauso wie in Jamaika, Sri
Lanka oder Tansania in Erscheinung. Häufig wurde dabei in der Sprache
der jeweiligen Länder gesungen, und folkloristische Elemente in die
Musikstücke integriert. Doch die Tendenz zur weitgehenden Homogenisierung
der Popmusik konnte auch diese konträre Entwicklung nicht aufhalten.
Sie unterstützte im Gegenteil die noch weitere Verbreitung der Popmusik
in den kommenden Jahrzehnten. Doch ist festzustellen, dass der Prozess der
Transkulturalisierung nicht ohne Widerstand und ohne historische und geographische
Verschiebungen verläuft.
Zu den weniger kommerziell orientierten, politisch ambitionierteren Videoclips
gehören oftmals die jener kleineren Labels, die statt mit hohem Kostenaufwand
mit ungewöhnlichen Ideen und experimentellen Formen arbeiten. Dabei
deckt sich deren Produktion häufig mit jenen Clips, die als besonders
künstlerisch gewertet werden. Entsprechend werden sie im Bereich der
Kunst immer stärker rezipiert, was bis zur sehr pauschaulisierenden
Einschätzung von Musikclips als die populäre Kunstform der Gegenwart
von Udo Kittelmann reicht. (Prince: Sign 'o' the times, 1987, TAFKAP=The
Artist Formerly Known as Prince; Björk: Bachelorette, Michel Laundry)
Aber auch die Kurzfilmtage von Oberhausen haben 1999 begonnen, einen deutschen
Musikclippreis, "MuVi", einzuführen. Die Filme in einem Kontext
frei von Verwertungsinteressen zu zeigen, macht laut Einführungstext
von Lars Henrik Gass die künstlerische Qualität dieser Arbeiten
erst wirklich wahrnehmbar.8 So lassen sich im Zusammenhang mit den Differenzierungsprozessen
im Bereich des Mediums Musikvideoclips beide Bewegungsrichtungen, die Kulturalisierung
von Ökonomie sowie die Ökonomisierung der Kultur, feststellen.
Die Goldenen Zitronen
I-f
Fatboy Slim (b030)
Cassius (c106)
Christopher Just
DJ Hell (Abstracts)
Tendenzen:
Selbstreflexion (Fatboy Slim, I-f, Goldene Zitronen)
Nähe zum Computer(-spiel) (Backstreet+Janet Jackson, Busta Ryhmes+Janet,
Aerosmith, DJ Hell)
Animationsorgien/Zeichentrick (Cassius, Freundeskreis)
Justin Hoffmann