Oliver Kielmayer

Kunst und Markt


Wie für eigentlich alles und jedes in unserer Zeit, so gilt auch für die Kunst, dass sie in hohem Masse kommerzialisiert worden ist. Auch in der Kunst spricht man mittlerweile vom Blue Chip, international etablierte Künstler sind zu Handelsmarken wie Coca Cola oder Mercedes geworden, und Kunstwerke sind im Art Banking nichts weiter als Geldanlagen wie Immobilien oder Aktien.

Aus der Perspektive des Marktes ist dies nicht weiter problematisch, denn selbstverständlich sind Kunstwerke handelbare Objekte wie alles andere auch; immerhin sind sie für den Markt insofern speziell, dass es sich bei ihnen um sogenannt knappe Güter handelt: Ein Kunstwerk ist einzigartig und nicht beliebig oft reproduzierbar oder herstellbar.

Mit dem Status, ein knappes Gut zu sein, ist die Kunst in der Regel aber nicht zufrieden. Die Unbill, welche dem Markt entgegengebracht wird, nährt sich dabei nicht allein aus einer durchaus akzeptablen Skepsis gegenüber einer immer weiter fortschreitenden Ökonomisierung sämtlicher Gesellschaftsbereiche, ebensowenig aus der schieren Selbstüberschätzung: Bereits die einfache Tatsache, dass keine einzige Gruppe von Gegenständen ein eigenes gesellschaftliches Teilsystem konstituieren kann, spricht ja für die effektive Andersartigkeit der 'Ware' Kunst.

Speziell für die Kunst ist zweifellos das Kriterium der Neuheit. Nur indem sie anders ist als das, was ist, kann sie auch neu sein. Man kann sich zu Recht fragen, wie die Bereiche des Noch nicht, mit denen ein Kunstwerk notwendigerweise in Verbindung steht, überhaupt kommerzialisiert werden sollen, oder anders: Wem gehört eigentlich Neues? Dieses Problem trifft dabei nicht nur die Kunst allein, sondern gilt beispielsweise auch, und dies in noch viel stärkerem Masse, für neue Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Forschung. Die Skepsis, die man der Vermarktung von Neuheit entgegenbringt, ist, wenn auch kein Problem der Kunst allein, äusserst berechtigt: Der Entscheid, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse dem meistbietenden Pharmakonzern oder aber prinzipiell allen Menschen gehören sollen, ist ebenso heikel wie das Verschwinden von Kunstwerken in privaten Sammlungen.
Neuheit ist allerdings nur eine von mehreren Eigenschaften, die ein Kunstwerk auszeichnet. So kommen Kunstwerke nicht umhin, Ereignisse in Raum und Zeit zu sein; sie sind ein Bestandteil der Welt. Sie sind nicht mehr das Aussen zur Welt, sondern tragen dieses in die Welt herein und verändern sie dadurch; ein Kunstwerk ist als das vom Aussen in die Welt Hereingeholte selber Welt. Es wäre also grober Unsinn, aus dem Kriterium der Neuheit zu schliessen, Kunst sei mit nichts Existierendem vergleichbar und damit vollkommen unabhängig von allem anderen.


Die Eigenschaft, ein Ereignis in Raum und Zeit zu sein, rückt die Kunstwerke in die Nähe von anderen Objekten, wobei in diesem Zusammenhang vor allem normale Gebrauchsgüter gemeint sind. Von diesen unterscheiden sie sich in gewisser Weise durch Neuheit, mit Sicherheit aber durch ihre Zwecklosigkeit. Auch Gebrauchsgüter können neu sein – Mobiltelefone beispielsweise gab es ja nicht immer –, sie dienen allerdings einem Zweck, durch den sie gewissermassen vordefiniert werden. Mobiltelefone sind so gesehen eben nichts Neues, denn sie verdanken ihr Vorhandensein einem – vielleicht neuen – Zweck respektive neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den damit verbundenen Möglichkeiten. Die gesellschaftliche Funktion der Kunst liegt darin, keinem Zweck verpflichtet zu sein, und gerade dies hat zur Folge, dass man Kunstwerken, im Gegensatz zu anderen Objekten oder Waren, attestieren kann, dass sie etwas an und für sich Gutes sind. Gebrauchsartikel können dies nicht von sich behaupten, denn sie sind nicht gut, sondern bestenfalls praktisch; die Frage, ob sie gut sind oder nicht, betrifft immer den ausserhalb ihrer selbst liegenden Zweck.

In der Tat erfüllen Kunstwerke ohne jede Instrumentalisierung in unserer Gesellschaft bereits eine Funktion und genau deshalb sind sie an und für sich gut. Damit unterscheiden sie sich einerseits von Gebrauchsgütern, andererseits von Neuheit in anderen Bereichen: Das Prinzip der Kernspaltung ist, für sich genommen, im Sinne von Erkenntnis, zwar ein Gut, findet jedoch in der Atombombe eine Anwendung, von der man dies kaum noch behaupten kann. Auch Kunstwerke sind vor Instrumentalisierungen durch andere, übelwollende Absichten nicht gefeit; sie bleiben jedoch privilegiert in dem Sinne, als sie Neuheit in die Welt bringen und dabei, dank der ihnen ohne jeden weiteren Zweck immer schon zukommenden gesellschaftlichen Funktion, kaum Folgeschäden bewirken.

Leider würde die Mehrheit der Bevölkerung dem kaum beipflichten. Kunst gilt den meisten Menschen nicht als ein Gut, sondern als etwas, auf das man ganz gut verzichten könnte; insbesondere dann, wenn sie mit Steuergeldern gefördert werden soll.

Man verwechselt dabei gern zwei voneinander unabhängige Dinge. Die Kunst geniesst zwar keinen grossen Rückhalt in der breiten Masse, doch widerspiegelt dies lediglich Meinungsverschiedenheiten und keine Grundsatzentscheide. Streit herrscht nicht darüber, ob die Kunst als solche gut oder schlecht sei, sondern darüber, welchen Werken das Prädikat 'Kunstwerk' jeweils attestiert werden soll.

Vielleicht ist damit eine Teilantwort darauf gegeben, weshalb man der Vermarktung von Kunst grundsätzlich skeptisch begegnet. Es bleibt allerdings die Frage, inwiefern dies Konsequenzen hat, ob also die Vereinnahmung durch den Markt an der Kunst etwas ändert.

Auf der einen Seite kann man dies verneinen: Der Markt hat weder ein Gedächtnis noch kennt er Verantwortung, in seiner rein strukturellen und allem und jedem überwerfbaren Organisationsform ist er zur instruktiven Beeinflussung gar nicht in der Lage.

Auf der anderen Seite wird der Markt über das Medium Preise organisiert, die einem Geldwert entsprechen, was umgekehrt bedeutet, dass sich der Markt durch Geld steuern lässt.

Eine elegante Antwort darauf wäre, dass, wenn sich Künstler oder Kunstkenner von Preisen, seien sie nun zu hoch oder zu niedrig, beeindrucken lassen, dies ihre eigene Schuld sei: Auch Gummistiefel sind teuer oder billig, aber nicht, weil sie teuer sind, auch schon gut. Damit würde man die durchaus plausible Haltung vertreten, dass Kunst- und Marktwert prinzipiell verschiedene Grössen sind und sich keinesfalls deckungsgleich zeigen müssen. Das Problem des Künstlers, der von der Qualität seines Werkes überzeugt ist, ohne dabei kommerziellen Erfolg zu haben, ist dann einfach ein weiteres Beispiel für die Ungerechtigkeit der Welt, vergleichbar mit der ärgerlichen Tatsache, dass wir nicht alle reich geboren werden.

Die Realität ist allerdings komplizierter, denn Kunst- und Handelswert sind keineswegs voneinander unabhängige Grössen, sondern beeinflussen sich gegenseitig: In der Tat wird das, was von den Kunstkritikern für gut befunden wird, teuer gehandelt, während das, was teuer ist, als gute Kunst gilt. Dagegen, dass sich die Preise nach dem künstlerischen Wert richten, wird kaum jemand etwas einzuwenden haben, sehr wohl jedoch gegen das Umgekehrte: Mit Kunstwerken, deren künstlerischer Wert über Preise festgelegt wird, verliert die Kunst ihre Autonomie, denn sie wird steuerbar durch Geld.

Es geht hier sicher nicht um die Frage, ob dies ein Problem sei, denn selbstverständlich ist es eins. Die Frage ist vielmehr, in welchem Masse dies geschieht, respektive ob dies als Diskrepanz zwischen Ideal und Realität hingenommen werden kann oder im Sinne eines stetig wachsenden Übels die Kunst schrittweise unterminiert.

Es lassen sich durchaus Beispiele finden, die gewisse Ängste als begründet erscheinen lassen. Es sei etwa auf die immer häufiger anzutreffenden Kunstwerke hingewiesen, die in ihrer handelbaren und deshalb zurechtgestutzten Form nichts anderes als eigentliche Kunstderivate sind: Künstler schaffen aufwändige Installationen oder ganze Filme für Museen und Schauräume von Galerien; der Grossteil der Sammler wird am Ende jedoch mit einem zweidimensionalen Videostill oder einer den individuellen Wohnverhältnissen angepassten Kleinversion bedient. Das also, was als Kunstwerk verbleibt, ist keineswegs die ursprüngliche Arbeit, sondern lediglich ein Derivat davon. Das soll nicht von vornherein heissen, dass dieses nicht wiederum gut und von hohem künstlerischen Wert sein kann, doch muss man einräumen, dass diese Kunstderivate faktisch zumeist nur halb so gut wie die tatsächlichen Installationen sind, und ausserdem, dass sich ihre Entstehung eindeutig den Erfordernissen der Verkäuflichkeit verdankt.

Das hat zugegebenermassen etwas für sich. Immerhin birgt ein Kunstderivat die Tatsache in sich, ein Überrest von etwas Gewaltigerem und Grösserem zu sein. Natürlich ist dies letztlich nur über das Wissen des Betrachters erschliessbar, aber Wissen beeinflusst das ästhetische Erlebnis bekanntlich immer. Viele Leute können einen Picasso erst schön finden, wenn sie wissen, dass es sich um einen Picasso handelt; dies ist nicht einfach nur Banausentum, denn das vorher bedeutungslose Bild erhält durch die Zuschreibung an Picasso einen auratischen Effekt: Der Name übernimmt die Funktion des Bildes, indem er nämlich, anstelle des Bildes, zum Stimulans der eigenen Anschauung und Imagination wird. Diesen Effekt einer ästhetischen Stellvertretung kann man im übrigen auch bei Gegenständen aus der Vergangenheit beobachten und schliesslich ist er ein nicht unwesentlicher Bestandteil der ästhetischen Rezeption von Kunstwerken aus vergangenen Zeiten. Der Grund, weshalb man alte Bilder auch heute noch ästhetisch erfahren kann, liegt weniger in dem effektiv zu Sehenden als vielmehr in den dadurch angeregten Vorstellungen einer uns unbekannt gewordenen Zeit.

Es ändert freilich nichts an der Tatsache, dass das Vorhandensein solcher Kunstderivate ein sichtbarer Beweis dafür ist, wie Geld, insbesondere das Geld der Käufer, das Aussehen von Kunstwerken instruktiv beeinflusst.

Mir scheint dennoch zweifelhaft, ob man angesichts dieses Umstandes schon von einem Diktat des Marktes sprechen sollte. Bereits die Wahrnehmung, dass es sich um eigentliche Kunstderivate handelt, verdankt sich ja einem vom Geld unabhängigen Massstab. Dieser Massstab des ästhetischen Wertes lässt sich denn auch mit keinem Geld der Welt erkaufen, denn er liegt in der subjektiven Erfahrung einzelner Individuen begründet: Sobald man mit Kunst zu tun hat, muss man sich auf deren Bedingungen einlassen. Gegen die Eigenschaften von Kunst lässt sich kein Kunstwerk&Mac220;machen&Mac221;; wenn das Kapital die Herstellung von Kunstwerken auch anregt und beeinflusst, so kann dies nicht beliebig geschehen.
Dennoch scheint mir angesichts der fortschreitenden Ökonomisierung in der Kunst eine unabhängige Legitimationsinstanz notwendig zu sein, so wie in anderen Bereichen auch. Gerade darin sehe ich die Aufgabe der Kunstkritik, nämlich die Kunstwerke allein auf ihren künstlerischen Mehrwert hin zu untersuchen und nicht etwa in Hinsicht auf ihre Tauglichkeit zur Vermarktung. Wenn die Kritik dies nicht tut und sich beispielsweise von Galeristen oder Sammlern kaufen lässt, so kommt dies natürlich hin und wieder vor, ist aber doch eindeutig skandalös. Die Kunstkritik setzt ihre Einschätzungen der Öffentlichkeit aus; damit ist sie anfällig für Skandale. Falls man ihr nachweisen kann, dass sie sich nurmehr von monetären Interessen leiten lässt, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit und damit ihr Publikum.


Der Einfluss des Geldes macht sich noch auf andere Art und Weise bemerkbar. In den letzten Jahren konnte man beispielsweise beobachten, wie plötzlich Hitlisten entstanden, in denen sich die Künstler wie Popstars in den Musikcharts bewegen. Galeristen und Sammler nehmen in diesem Modell die Rolle der Musikvertriebe ein, die mit ihren Schützlingen so schnell wie möglich so viel wie möglich Geld verdienen wollen, ohne jede Rücksicht auf die Qualität der Werke. Vor allem geht dies auf Kosten der künstlerischen Kontinuität, denn es werden sogenannte Shootingstars herumgereicht, die mit einer plötzlichen Überraschung vielleicht verblüffen können, ohne jedoch zwingendermassen eine Rückendeckung durch ihr Gesamtwerk zu haben.

Neuheit ist ein innerhalb der Kunst liegendes Kriterium und somit mit Recht zu erwarten; ausserdem ist auch in den Popcharts ein wichtiges Kriterium, wie lange sich jemand darin halten kann. Der schnelle Aufstieg – und Fall – zeitgenössischer Künstler wird vielleicht durch den Kunstmarkt vorangetrieben, allerdings nur als Reaktion auf die Nachfrage der Käufer. Man könnte umgekehrt beispielsweise die Meinung vertreten, dass nicht schneller Wechsel, sondern Konstanz im Interesse des Marktes liege: Kunst als Geldanlage macht sicherlich keinen Sinn, wenn die Preise innert kürzester Zeit verfallen. Wenn das Geld der Sammler in Eintagsfliegen fliesst, die bereits nach einem Dutzend Jahren keiner mehr kennt, so widerspiegelt dies lediglich eine gesellschaftliche Haltung, die den schnellen Wechsel von Moden bevorzugt. Die Vorwürfe, die in der Regel an das Kapital gerichtet werden, zielen in Wirklichkeit auf eine Haltung, die mit Geld überhaupt nichts zu tun hat, sondern mit dem zivilisatorischen Selbstverständnis.

Vielleicht macht es die beschleunigte Dynamik unserer Gesellschaft ja in der Tat notwendig, dass alle vier, fünf Jahre andere Künstler abgefeiert werden: Kunst ist und bleibt an das sie produzierende Individuum gebunden, und damit ist sie von der Produktionsseite her gesehen vielleicht zu langsam. Künstler landen einen Geniestreich, für den sie berühmt werden. Diesen reproduzieren sie in einigen Varianten, bis die Käufer bedient sind. Danach entwickeln sie sich vielleicht weiter, aber die Chance, einen zweiten Hit in die Charts zu bringen, ist angesichts des schnellen Wechsels doch eher gering...

Und dennoch: Einigen wenigen gelingt es am Ende. Ihre Namen werden mehr als nur einer Generation geläufig, und sie werden ein Bestandteil des kulturellen Erbes. Dies schmälert den Beitrag aller anderen keineswegs. Konstanz ist zu Recht kein Kunstkriterium, und man darf sich darüber freuen, dass es unsere Gesellschaft auch jenen, die nur einmal in die Charts kommen, ermöglicht, mit dem in dieser Zeit verdienten Geld ihr Leben zu bestreiten.

Eine derart affirmative Haltung gegenüber der Vermarktung von Kunst mündet für mich direkt in den Wunsch, am Ende alles dem freien Spiel des Marktes zu überlassen. Man kann sich doch gleich fragen, ob die Kunst überhaupt noch mit öffentlichen Geldern gefördert werden soll, oder ob man dies nicht auch privaten Sponsoren überlassen darf. Ich bezweifle allerdings, dass eine ausschliesslich private Kunstförderung der Kunst am Ende dienlich wäre...

Der Vorwurf an private Geldgeber, die Kunst nicht im Sinne der Kunst, sondern bloss im Sinne der eigenen Wertsteigerung – sei es nun auf Finanzen oder Selbstdarstellung bezogen – zu fördern, halte ich für sehr bedenklich. Galerien mögen ein Instrument des Marktes sein – gerade darin liegt ja ihre Funktion –, aber die privaten Sammlungen oder Stiftungen verfolgen zumeist alles andere als Gewinnmaximierung, sondern den Aufbau einer künstlerisch wertvollen Sammlung, gleich wie jedes staatliche Museum auch. Die Unterscheidung künstlerischer/merkantiler Wert steht zur Unterscheidung öffentliche/private Kulturförderung in keinerlei Abhängigkeit, sondern orthogonal. Auch der Staat kann Kunst spekulativ oder repräsentativ einkaufen und fördern, ebenso wie jeder Private dies beim Aufbau seiner Sammlung vernachlässigen kann.

Wenn der Staat, anders als das Privatkapital, somit nicht von vornherein dazu privilegiert ist, die künstlerische Qualität beziehungsweise eine ansonsten nur schwer realisierbare Form von Kunst zu fördern, worin liegt dann die Notwendigkeit staatlicher Kulturförderung?

Die staatliche Förderung der Kunst beinhaltet sowohl die Förderung von Nachwuchskünstlern als auch jene des öffentlichen Zugangs, also der Produktion gleichermassen wie der Rezeption. Das erste geschieht in der Regel mit Werkbeiträgen, das zweite mit der Subventionierung musealer Institutionen. Weshalb man den Berufszweig 'Künstler' gesondert fördern muss, ist in der einfachen Tatsache begründet, dass ein Künstler zunächst immer ein Angebot ohne Nachfrage macht und sich somit einer Ungewissheit gegenüber sieht, die andere Berufe nicht kennen. Es kann meiner Meinung nach nicht falsch sein, diesbezüglich eine begrenzte, zusätzliche Absicherung in Form von Stipendien bereitzustellen, in dem Sinne etwa, wie auch ein Hochschulstudium vom Staat mit getragen wird.
Die Grundaufgabe jedes Staates, nämlich allen darin lebenden Menschen die Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen, legitimiert gleichermassen den Unterhalt von Museen. Teilnahme an der Gesellschaft bedeutet immer auch die Möglichkeit zur Ausbildung eines ästhetischen Verständnisses von Welt; dies ist um so wichtiger in einer Gesellschaft, in der ästhetische Kommunikation eine zunehmend wichtige Rolle spielt.


Gerade dem Anspruch, allen Interessierten freien Zutritt zu gewährleisten, scheinen allerdings die Galerien und Privatsammlungen weitaus eher gerecht zu werden, indem man hier, anders als im Museum, oftmals gar keinen Eintritt mehr zu bezahlen braucht. Ganz zu schweigen von den unzähligen privaten Stiftungen, die Künstlern Werkbeiträge ausrichten, Publikationen und sogar Auslandaufenthalte ermöglichen!

Man sollte dabei nicht vergessen, dass es letzten Endes der Staat ist, der die vielen privaten Stiftungen durch steuertechnische Argumente begünstigt; gerade die Umleitung monetärer in kulturelle Interessen halte ich für einen wesentlichen Bestandteil einer erfolgreichen Kulturpolitik. Davon abgesehen gibt es keine Garantie, dass die Welt so bleibt, wie sie heute ist: Aller Besitz ist von der Gnade derjenigen abhängig, denen er gehört. Jede Stiftung, jede Privatsammlung und jede Galerie haben einen oder vielleicht mehrere solche Besitzer. Die Halbwertszeit von Privatsammlungen und Stiftungen ist vergleichsweise gering, da jeder Mäzen, sei er im Leben ein noch so grosser Philanthrop, eines Tages sterben wird. Die öffentliche Kunst- und Kulturförderung darf sich nicht von einem momentan gerade freundlich gesinnten Privatsammlertum beeindrucken lassen und ihre Eigenverantwortung aus Kostengründen abgeben. Wenigstens der Staat sollte auf Nachhaltigkeit und die langfristige Perspektive setzen, denn seiner Natur gemäss ist er am besten dazu geeignet; man schafft schliesslich auch keine Armee ab, nur weil gerade mal fünfzig Jahre lang kein Krieg war.