Die deutsche Chiffriermaschine Enigma und die Schweiz
Die deutsche Chiffriermaschine Enigma und ihre Entschärfung durch die Alliierten gehörte zu den am besten gehüteten Geheimnissen des Zweiten Weltkriegs. Dieses Geheimnis ist mittlerweile keines mehr. Nach wie vor wenig bekannt ist aber, dass die Enigma während des Krieges auch in der Schweiz verwendet wurde. Es wurde hier auch eine eigene, der Enigma ähnliche Chiffriermaschine entwickelt.
Der 4. Mai 1994 war ein regnerischer und grauer Frühlingstag. Die wenigen Gäste, die sich an diesem Mittwoch in den Berner Oberländer Ferienort Meiringen verirrt hatten, planten keine Ausflüge auf den Spuren von Sherlock Holmes, der in den nahen Reichenbach-Fällen 103 Jahre zuvor im Kampf mit seinem Widersacher Professor Moriarty ums Leben gekommen war. Nichtwenige dieser Gäste hatten einen weiten Anfahrtsweg aus Deutschland in Kauf genommen.
Nur gerade drei Wochen zuvor hatte das damalige Militärdepartement in einer trockenen Mitteilung zu einer Verkaufsaktion geladen. Die Einleitung des Schreibens deutete auf nichts Aufregendes hin. Unter der Überschrift «Liquidations- Shop für Uem Material» konnte man lesen: «Bis heute wurde das zu liquidierende Material je nach Anfall zu einem gross angelegten Verkauf in einem Zeughaus geführt. Zur Zeit steht aber nicht genügend &Mac220;qualitativ&Mac221; gutes Material zur Verfügung, um einen solchen Aufwand zu rechtfertigen. Um das trotzdem anfallende Material abzubauen und gleichzeitig Interessierten die Möglichkeit zu bieten, Liquidationsmaterial zu erwerben,wurde durch die Kriegsmaterialverwaltung beschlossen, einen Liquidationsshop zu eröffnen.»Die Überraschung kam erst am Ende des Schreibens. Kommentarlos wurde hier mitgeteilt, dassan diesem Mittwoch einzelne Enigma-Chiffriergeräte verkauft würden sowie eine «Nema» genannte Maschine.
«Eine absolut unglaubliche Aktion», erinnert sich ein Enigma-Spezialist an diesen Verkauf, nirgends auf der Welt habe es zuvor etwas Derartiges gegeben. Wer vom Verkauf wusste, hatte die grosse Chance, für ein Trinkgeld von 150 oder 200 Franken eine Enigma-Chiffriermaschine zu erwerben und mit einem Stück Geschichte heimzukehren, für das Sammler damals Tausende von Franken zu zahlen bereit waren. Weil pro Person nur eine Maschine abgegeben wurde, reisten Sammler aus Deutschland mit Freunden an.
Veränderte Verdrahtung
Dass die Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs mit der Chiffriermaschine Enigma arbeitete, ist kein Geheimnis. Rudolf J. Ritter beschreibt im Gespräch, wie er bereits in den fünfziger Jahren als Truppenkommandant mit diesem sagenumwobenen Gerät in Berührung gekommen war: «Die Enigma gehörte zum Chiffriermaterial, das man jeweils für Übungen separat in Bern bestellen musste.» Besonderes Interesse brachte er dem Gerät aber nicht entgegen: «Das Telekryptogerät der Firma Gretener, das eine Verschlüsselung in Realzeit ermöglichte, war weitmoderner und hatte mich darum viel mehr fasziniert.» Vor Jahren begann er einen Aufsatz zueinem Thema im Bereich Übermittlung zu schreiben - aus dem kleinen Aufsatz ist mittlerweile einWerk von zehn Folgen entstanden: «Das Fernmeldematerial der Schweizerischen Armee seit 1875.»[1]
Für Band 10 dieses Werks hat Ritter die wichtigsten Daten und Fakten zur Schweizer Enigmaakribisch zusammengetragen: «Die ersten Maschinen kamen 1938 als Beigabe mit 14 schweren Funkstationen, welche die Schweiz 1937 in Deutschland bestellt hatte.» Ein Test zeigte, dass diese Maschinen in Sachen Sicherheit nicht zu übertreffen waren. Sofort wurde eine weitere Tranche von 60 Maschinen und nur wenig später eine weitere von 180 bestellt. Im Juli 1942 waren 265 Enigma-K-Maschinen vorhanden. Die Kriegsmaterialverwaltung modifizierte die Geräte und änderte unter anderem die Verdrahtung der Walzen sowie den Fortschaltmechanismus.
Chiffriermaschinen sind heikle Geräte. Grosse Staaten stellen solche Maschinen lieber selber her, als sie bei Dritten einzukaufen. Kleine Staaten haben selten die Ressourcen, das zu tun, und sind darum auf Importe angewiesen. Trotzdem ist es erstaunlich, dass die Schweiz damals ein solches Gerät gerade in Nazi-Deutschland beschaffte - und dies so kurz vor Kriegsausbruch. Ritter sieht zwei Gründe, die damals für dieses Gerät sprachen: «Erstens war man von der hohen Sicherheit überzeugt, zudem boten die eigenen Modifikationen einen zusätzlichen Schutz.»
Auf die letzte Serie von 180 Enigma musste die Schweizer Armee nicht weniger als zwei Jahre warten. Das war entschieden zu viel, die Schweiz begann sich nach einem neuen Lieferanten umzusehen. Nach all den Jahren im Umgang mit der Enigma-Chiffriermaschine hatte man in der Kryptographie einige Fortschritte gemacht und beschloss darum, eine eigene Maschine zu bauen. Mitte 1943 wurde der Konstruktionsauftrag an die Firma Zellweger in Uster erteilt. Zellweger hatte 1936 eine eigene Abteilung für Hochfrequenztechnik eröffnet; die Firma produzierte das erste in der Schweiz entwickelte Funkgerät.
Die neue Chiffriermaschine erhielt den Namen Nema - für «neue Maschine». Diese Nema war nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Enigma: Sie verfügte über mehr Walzen als ihr Vorbild, zudem war der Walzenvortrieb unregelmässiger und damit schwerer zu rekonstruieren. Eine direkte Auswirkung davon war, dass es erheblich mehr Druck brauchte, die Chiffriermaschine zu bedienen. Wohl deshalb erhielt sie auch den Namen «Fingerbrecher». Die Nema wurde erst nach dem Krieg ausgeliefert und im Frühjahr 1947 in Betrieb genommen. 540 solche Chiffriermaschinen gingen ans Heer, 100 erhielt das damalige Politische Departement, das heutige EDA. Diese Maschinen waren bis in die siebziger Jahre in Betrieb.
Verantwortlich für das Pflichtenheft der neuen Chiffriermaschine waren drei Personen: Hugo Hadwiger, damals Professor für Mathematik an der Universität Bern, der Ingenieur und nachmalige ETH-Professor Heinrich Weber und Paul Glur, Student von Professor Hadwiger. Glur ist der Einzige dieser drei, der noch lebt. Der etwas rundliche Mann mit den lebhaften kleinen Augen freut sich über das Interesse und erzählt bereitwillig aus früheren Tagen: «Als 1939 der Kriegausbrach, war die Schweiz in Sachen Kryptographie nicht sehr weit - man hatte dieses Gebiet nach dem Ersten Weltkrieg einschlafen lassen.» Die Enigma löste für die Schweiz dieses Problem fürs Erste: «Es gab nichts anderes, oder man wusste nicht davon.» Codierte Nachrichten hatten übrigens auch damals einen grossen Reiz - auch für ein weiteres Publikum: «Wir kriegten immer wieder verschlüsselte Meldungen von Leuten. &Mac220;Könnt ihr etwas damit anfangen?&Mac221;, fragte man uns. Wir konnten und haben praktisch alle Meldungen, die so hereinkamen, geknackt.»
Die Ängste der Sammler
25 Enigma-Chiffriermaschinen wurden am 4. Mai 1994 in Meiringen verkauft. Dazu kam ein weit grösserer Posten der Chiffriermaschine Nema. Die Preise waren tief: 50 Franken waren für eine Nema und 150 Franken für eine Enigma zu bezahlen. Unter den Interessenten an jenem Mittwoch im Mai war ein Sammler, der bereitwillig Auskunft gibt, nur seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung sehen. «Die Sammler solcher Maschinen sind sehr zurückhaltend, vor allem in der Schweiz. Man lässt sich nicht gerne in die Kochtöpfe blicken.» Man hat Angst, ein kostbares Stück könnte gestohlen werden. VieleSammler verschieben deshalb ihre Lieblingsstücke regelmässig und lagern sie bei Freunden und Bekannten. Dann ist da noch eine zweite Angst: «Man fürchtet, dass sich auch heute noch Geheimdienste - allen voran die amerikanische National Security Agency - für diese Maschinen interessieren könnten.»
Nur zögernd zählt unser Gewährsmann seine wichtigsten Sammelstücke auf: Dazu gehört eine Schweizer Enigma, eine deutsche Enigma und eine Reihe von anderen Chiffriermaschinen, unter anderem vom schwedisch-schweizerischen Hersteller Hagelin (nachmalig Crypto) und Gretag. Diese High-Tech-Firma gehörte in den fünfziger Jahren zu den führenden Herstellern von Kryptographie-Maschinen. Zu den Höhepunkten seinerSammlertätigkeit zählt die Vermittlung einer vergoldeten Hagelin-CD-57-Handchiffriermaschine aus Beständen des Vatikans an ein deutsches Museum.
Worin liegt die Faszination bei diesem kostspieligen Hobby? «Das Thema Geheimhaltung an sich ist etwas Faszinierendes - die Tatsache, dass man etwas schreibt, das nicht jeder lesen kann. Dann kommt das taktile Element dazu: Man kann diese Maschinen berühren, und man sieht genau, was passiert. Spätere, elektronische Maschinen haben keine Sinnlichkeit mehr, da sieht man nur noch einige farbige Lämpchen. Heute, wo Verschlüsselung praktisch nur noch auf Software beruht, ist dieser Reiz ganz weg.» Der durchschnittliche Schweizer Enigma-Sammler, so erklärt er uns, ist pensioniert, hat im Militär mit Chiffrierung zu tun gehabt und ist einigermassen begütert.
Das muss man auch sein, denn die Preise für Chiffriergeräte sind hoch: «Für eine deutsche Standard-Enigma mit drei Walzen - das sogenannte Wehrmacht-Modell - bezahlt man zwischen 18 000 und 40 000 Dollar. Die seltenere Marine-Enigma erzielt Preise von bis zu 50 000 Dollar, und auch eine Schweizer Enigma ist in Sammlerkreisen 25 000-30 000 Dollar wert. «Günstiger gibt's die Nema - aber auch hier sind Preise von 2500 bis 3000 Dollar an der Tagesordnung.»
Was macht ein Sammler mit diesen Maschinen? - Die Antwort überrascht: «Es gibt Sammler, die schreiben sich mit diesen Maschinengegenseitig Briefe.» Das geht unserem Gewährsmann aber zu weit: «Ich habe Freude zu sehen, wie die Maschine funktioniert. Gelegentlich führe ich kleinere Reparaturen aus.» Das ist nicht ganz banal, denn auch Ersatzteile sind rar und werden darum für teures Geld gehandelt. So haben die Enigma-Chiffriermaschinen etwa eigene Glühlämpchen, die heute nicht mehr hergestellt werden. Ein einziges solches Lämpchen kann schnell 20 Franken oder mehr kosten. In die Fassungen der Schweizer Nema passen glücklicherweise auch handelsübliche Glühlämpchen. Reparaturanfällig sind bei der Enigma vor allem die Kontakte. Auch wenn man über Ersatzteile verfügt, so sind auch diese 50 Jahre alt und oft brüchig.
Virtuelle Maschinen
«Mir fehlen die finanziellen Mittel, um selber Maschinen zu kaufen», sagt Frode Weierud. Auch seine Freizeit gehört der Enigma: «Ich versuche ihre Funktionsweise zu ergründen, um sie dann mit dem Computer zu simulieren.» Weierud stammt ursprünglich aus Norwegen. Seit bald dreissig Jahren arbeitet er beim Europäischen Kernforschungszentrum Cern bei Genf als Hochfrequenzingenieur. Seine erste Begegnung mit der Enigma kann er genau datieren: Am 23. August 1983 hatte er im norwegischen Armeemuseum (Forsvarsmuseet) in Oslo zum ersten Mal ungehinderten Zugang zu einer Enigma und Gelegenheit, ihre Rotoren zu vermessen. Das Geheimnis der Enigma, dies wusste er bereits, steckt in der Verdrahtung dieser Rotoren.
Im Lauf von jahrelangen, minuziösen Recherchen entstand eine ganze Reihe von Softwareprogrammen, welche die Funktionsweise der Enigma nachbilden. Beispiele davon sind via Internet[2] für jedermann frei zugänglich. Beispielsweise das 226 KByte grosse Programm für eine einfache Wehrmachts-Enigma: Es ist innert Sekunden heruntergeladen und ebenso rasch installiert. Für die Bedienung braucht es keine Gebrauchsanleitung. Ein paar Mausklicks und aus dem Satz «Mein Name ist Alan Turing» wird so «XPCMI EKDRQ FFEBS XQVBV Z».
Post vom britischen Geheimdienst
Die Programmierung dieser Emulation ist für Weierud nicht besonders schwierig, schwieriger ist es, die Verdrahtung der Rotoren herauszufinden. Hier ist er auf äusserst präzise Informationen aus der Enigma-Gemeinde angewiesen, oder er muss entsprechende Nachforschungen selber anstellen. Das ist nicht immer einfach, denn für eine eingehende Analyse muss der Spezialist die Maschine mit eigenen Händen und Messinstrumenten untersuchen. Seine Erkenntnisse hat er in verschiedenen Aufsätzen[3] in der Fachzeitschrift «Cryptologia» veröffentlicht. Er legte hier[4] etwa dar, dass sich hinter dem Begriff Enigma eine ganze Serie von recht unterschiedlichen Chiffriermaschinen versteckt. 1999 publizierte er in dieser Zeitschrift den weltweit wohl ersten ausführlichen Artikel über die Schweizer Nema.[5]
Geduldig beantwortet der freundliche Norweger unsere Fragen. Dasselbe geschieht in den Wochen nach unserem Gespräch mit E-Mails. Einmal folgt gar ein dicker Briefumschlag mit erstaunlichen Materialien: Die Kopie eines unveröffentlichten Papiers des britischen Geheimdienstes mit einer detaillierten Beschreibung, wie die Schweizer Enigma geknackt wurde. Begleitet wird das Papier von rund einem Dutzend abgefangener und entschlüsselter Schweizer Depeschen. ImKlartext wurden dabei die charakteristischen Fünfergruppen und die Grossschreibung beibehalten. Dort lesen wir unter anderem: «LEBEN SMITT ELRAT IONEN WERDE NFURF EBRUA RINAN PASSU NGANE INFUH RVERH AELTN ISSEW IEFOL GTGEA ENDER TSTOP» («Lebensmittelrationen werden für Februar in Anpassung an Einfuhrverhältnisse wie folgt geändert»).[6]
Vernichtung der Rotoren
Die Chiffriermaschine Enigma ist heute ein Mythos. Zustande kam er unter anderem durch die Tatsache, dass die erfolgreiche Entschlüsselung durch die Spezialisten von Bletchley Park erst Mitte der siebziger Jahre bekannt wurde. Dies setzte auch in der Schweiz einen Prozess in Gang, an dessen Ende der Verkauf der verbleibenden Enigma-Maschinen stand.
Das Bundesamt für Übermittlungstruppen verkaufte am 4. Mai 1994 im Zeughaus in Meiringendie Schweizer Enigma-Maschinen. Ebenfalls verkauft wurde eine grössere Einheit von Nema-Maschinen. Normalerweise wäre derart heikles Material vernichtet worden - zum Verkauf kam es, so Rudolf Ritter, gerade weil die zuständigen Stellen um den grossen historischen Wert dieses Materials wussten. «Preisgegeben wurde damit nichts, die Verfahren von Enigma und Nema waren längst Geschichte.»
Peter Nyffeler, der beim Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) für Kryptographie zuständig ist, bestätigt diese Darstellung. Die kleine Ergänzung dürfte die heutigen Besitzer von Schweizer Enigma-Maschinenaber etwas schmerzen: Mit den Maschinen wurden nur Übungsrotoren abgegeben. Die im Zweiten Weltkrieg verwendeten Rotoren waren anders verdrahtet. Und diese Rotoren wurden vernichtet - nachdem man ihre Verdrahtung notiert hatte. Wer Schweizer Enigma-Nachrichten aus dem Zweiten Weltkrieg knacken will, muss also denselben Weg gehen wie damals.
Der Code der Schweizer Enigma gehörte übrigens zu jenen, die am schnellsten geknackt wurden: In einem Papier der polnischen Funkbeobachter, die bei Kriegsausbruch nach Frankreich geflüchtet waren, findet sich bereits im November 1940 ein ausführlicher Bericht[6] über die Decodierung der Schweizer Funksprüche. Die polnischen Abhörer dürften ihre Erkenntnisse an die britischen Spezialisten in Bletchley Park weitergegeben haben. Denkbar wäre allerdings auch, dass diese den Schweizer Code selber knacken konnten - der schematische Aufbau der Schweizer Enigma-Meldungen machte es ihnen einfach und lieferte eine Vielzahl von Einstiegspunkten.
Ein maschinengeschriebenes, undatiertes und bisher unpubliziertes Dokument[7] mit dem Titel «Swiss Random Letter Traffic», das durch die diplomatische Sektion von Bletchley Park erarbeitet worden war und von dort seinen Weg auch zu amerikanischen Stellen fand, beschreibt auf drei Seiten die Enigma-Einstellungen, welche die Schweizer benutzten: «The Swiss have no spare wheels for the machine which thus has only six possible wheel orders» («Die Schweizer besitzen keine zusätzlichen Rotoren, infolgedessen gibt es nur sechs mögliche Stellungen»).
Feind hört mit
Dass auch Nazi-Deutschland die mit Enigma verschlüsselten Depeschen und Meldungen lesen konnte, beweist ein Brief, den ein ehemaliger Mitarbeiter des Reichsluftfahrt-Forschungsamtes 1948 nach Bern schickte. Er bot darin den Bundesbehörden ein Verfahren an, mit dem die Schweizer Enigma-Botschaften geknackt werden konnten. In seinem Brief beschreibt er ein Lösungsverfahren, das er 1940 selber entwickelt hat. «Das . . . Verfahren wurde von mir praktisch angewendet zur Lösung der schweizerischen Sprüche kurz nach der Einführung der Enigma im Chiffreverkehr des Politischen Departementes in Bern mit den diplomatischen Aussenstellen.»
Welche Nachteile entstanden der Schweiz durch diese Tatsache? Um diese Frage zu klären, müsste wohl zuerst gefragt werden, welche Informationen überhaupt mit der Enigma chiffriertund übermittelt wurden. Der Übermittlungsspezialist Ritter gibt Entwarnung: «Heikle Sachenwurden eher per Boten oder per Kabel übermittelt.» Der geknackte Enigma-Code dürfte für dieSchweiz aber nach dem Krieg negative Folgen gehabt haben: Bei den Verhandlungen[8] um dasRaubgold 1946 in Washington kannten die amerikanischen Gesprächspartner wichtige Eckpfeiler der Schweizer Verhandlungsposition. So wussten sie, dass die Schweiz bereit war, eine Zahlung von maximal 250 Millionen Franken zu leisten.
[1] Bisher sind neun Folgen erschienen. Der zehnte Band - Codes und Chiffrierverfahren - ist in Vorbereitung: Rudolf J. Ritter et al.: Das Fernmeldematerial der Schweizerischen Armee seit 1875. 10. Folge: Es kann bezogen werden beim Generalstab der Schweizer Armee, Untergruppe Führungsunterstützung.
[2] Unter anderem über die Seiten der Crypto Simulation Group: frode.home.cern.ch/frode/crypto/CSG/index.html
[3] Ein Teil seiner Arbeiten finden sich auf seiner Homepage unter frode.home.cern.ch/frode/crypto
[4] David H. Hamer, Geoff Sullivan and Frode Weierud: Enigma variations: An extended family of machines. In: Cryptologia. 22(3), July 1998, pp. 211-229.
[5] Geoff Sullivan and Frode Weierud: The Swiss Nema Cipher Machine. In: Cryptologia. 23(4), October 1999, pp. 310-328.
[6] Wladyslaw Kocaczuk: Geheimoperation Wicher. Polnische Mathematiker knacken den deutschen Funkschlüssel «Enigma». Bonn 1989.
[7] Das Dokument dürfte zwar in London geschrieben worden sein, es trägt jedoch auch einen Stempel der Archive der National Security Agency (NSA) sowie der National Archives von Washington D. C. Der Enigma-Spezialist Frode Weierud denkt, dass das Papier 1943 oder Anfang 1944 verfasst wurde.
[8] Thomas Maissen: Wer verriet den Amerikanern die Zahl von 250 Millionen Franken? In: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 1. April 1998.
30. November 2001
Dieser Artikel ist eine gekürzte Version eines unpublizierten Papiers zum Thema der Schweizer Enigma und Nema. Interessenten erhalten dieses Papier auf Anfrage zugestellt.
Mailanschrift des Autors: dlandwehr@bluewin.ch