Folgendes email-Interview wurde vom 14. bis 18.Juli 1997 zwischen Zürich (jus) und Rom (L/B) geführt Publiziert im Katalog "Nonchalance", erschienen zur gleichnamigen Ausstellung im Centre PasquART, Biel 1997 Date: Sun, 20 Jul 1997 14:41:56 +0300 From: LB <L.B@agora.stm.it> Organization: Lang/Baumann MIME-Version: 1.0 To: bibliothek <bibliothek@kunsthaus.ch> Subject: Re: Interview X-Priority: 3 (Normal) >>>>>>>jus: Sabina Lang und Daniel Baumann, Ihr nennt Euch Lang/Baumann >>>>>>>und schreibt L/B. Sagt man >>>>>>>besser "L/B" oder "Lang/Baumann", und warum? > >>>>>>L/B: Wir brauchen beides. Wir haben mal an einem Regentag einen L/B >>>>>>Stempel gebastelt, so entstand unser >>>>>>Logo. L/B gefällt uns, da es eine zusätzliche Ebene ins Spiel >>>>>>bringt. Viele Freunde sagen auch "Hallo elbe". > >>>>>>>jus: Welche Definition gebt Ihr dem Wort "Position"? > >>>>>>L/B: Position meint Haltung in Bezug auf etwas, oder Standpunkt in >>>>>>einem Diskurs. Wir haben natürlich gewisse grundsätzliche >>>>>>"Meinungen" (z.B. über Zusammenarbeit). >>>>>>Da wir selbst jedoch schon zwei Personen sind, gibt es häufig >>>>>>mehrere Positionen die uns interessieren. Zusätzlich variiert der >>>>>>Umgang mit Positionen je nach >>>>>>Projekt oder Arbeit, wir geniessen es auch, damit zu spielen. > >>>>>jus: Sport taucht in verschiedener Zitatform in Eurer Arbeit auf. >>>>>Meint Ihr, wenn Ihr von "spielen" redet, das zweckfreie ludische >>>>>Tun oder ein sportives (höher, weiter, schneller)? Wenn letzteres >>>>>zutrifft, glaubt Ihr an eine >>>>>positive Veränderung der Lebenswirklichkeit durch Kunst. Anders >>>>>gefragt, macht Kunst fit (Fussnote zu >>>>>Eurem Beitrag "fit for art" im Zürcher Bahnhof Selnau, wo Ihr >>>>>Hometrainer aufgestellt habt)? > >>>>L/B: Als reine Passivsportler fasziniert uns primär die Leistung >>>>anderer. Tragen wir Sportkleider, so >>>>spricht das eher die infantile Seite an. Ob Kunst fit macht: Wir >>>>denken das übersteigt den Leistungsauftrag der Kunst wohl doch ein >>>>bisschen stark. Lieber fit für die als fit durch die Kunst. > >>>jus: Es gibt drei wunderbare Photos, >>>auf denen Ihr ziemlich abgekämpft auf dem Bett liegt. Wurde da >>>vielleicht doch ein >>>Moment nach dem Fitnesstraining eingefangen, oder machte Euch einfach >>>nur das schwüle Wetter zu schaffen? Und wenn wir schon beim >>>"Herumliegen" sind, fällt Euch etwas zum Stichwort "Ennui" ein? > >>L/B: Bei diesen Selbstportraits auf dem Bett haben wir nicht einen >>Moment eingefangen (Schnappschuss), >>sondern mit geeigneten Hilfsmitteln eine Situation konstruiert. >>Vielleicht kann man das kalkulierte Unzurechnungsfähigkeit nennen. >>Da sind die 40 Grad Celisius nur ein Argument unter vielen. Die >>angemessene Frage lautet eher: "Wie konnte das soweit kommen?" Unsere >>Erfahrung mit der Langeweile zeigt: mit leerem Blick >>in die Welt gucken, steigert die Empfänglichkeit für Geistesblitze. > >>>jus: und "Alltag"? > >>L/B: Alltag ist ein Raum voller kleiner Sachen, und du stehst selber >>mitten drin. Hier den Überblick zu behalten und trotzdem >>agil zu bleiben, bedingt Gelassenheit und ein sattes Mass an Humor. > >>>>>jus: L erzählte kürzlich von Ihrem ersten Hippie-Erlebnis als Kind >>>>>am Gurten-Festival in Bern. Timothy Leary >>>>>stellte einen Stammbaum der Gegenkulturen auf, der mit den Beatniks >>>>>(1950-1965) beginnt, über die Hippies (1965-1975) und Cyberpunks >>>>>(1975-1990) zur neuen >>>>>Generation (1990-2005) führt. Diese sei: achtsam, beweglich, >>>>>fröhlich, bevorzuge Techno- und Ambient Musik, besitze ästhetisch >>>>>und erotisch einen erfinderischen, persönlichen Stil, sei wählerisch >>>>>und voller Selbstvertrauen. Gehirntechnologie: >>>>>psychedelisch, Super-High-Tech, Designerdrogen, Brainmachines, >>>>>Internet. Intellektueller Standpunkt: informiert, offenes Denken, >>>>>respektlos. Kosmische Sicht: Akzeptieren der Komplexität und >>>>>willens, Chaosdesiger zu sein -- Wie gefällt Euch das? > >>>>L/B: Wir sind 1972/1967 geboren, aber unsere Eltern waren nicht >>unbedingt waschechte Hippies. Die Erziehung >>>>hatte nicht viel mit Cyber zu tun (Punk manchmal) und jetzt sind wir >>>>wählerisch und voller Selbstvertrauen. In Deiner bzw. Leary's >>>>Auflistung beziehen sich viele Punkte auf Mainstream, Pop und Mode. >>>>Diese Erscheinungsformen gefallen >>>>uns gut, obwohl das so nicht mehr viel mit Gegenkultur zu tun hat. >>>>Aber das mit der kosmischen Sicht muss gut überlegt sein, ein >>>>Katapult ins Jenseits ist heikel. > >>>jus: Wenn Euch Kosmos zu unangenehm ist, gebt Ihr mir dafür ein >>>Wörtchen zum Chaos? > >>L/B: Kosmos erweckt den Eindruck definierter Positionen in einem >>geordneten Sytem. Irgendwie >>tönt das sehr starr. In einem Chaos hingegen fühlen wir uns wie ein >>fliegendes Objekt in einem unbekannten Raum. > >>>>>jus: Und jetzt zu etwas völlig anderem. Ist die Aufhebung der Kunst >>>>>als Kunst wünschenswert? Soll Kunst >>>>>in die übrigen Lebensbereiche integriert werden oder sich ihrer >>>>>artifiziellen Partikularität erfreuen? Anders herum: Wieso mögt ihr >>>>>kitschige Feuerzeuge (Gozilla und Schäferhund >>>>>mit Höllenaugen) sowie Designertelefone (Ericsson LM). > >>>>L/B: Kunst ist und bleibt Kunst, auch wenn sie als solche nicht >>>>erkennbar ist. Letzlich >>>>spielt es keine Rolle ob sich das Erlebnis des Betrachters mit der >>>>Absicht des Künstlers decken. Oder anders gesagt, können wir genau so >>>>entzückt sein über ein kitschiges Feuerzeug wie über >>>>eine Installation, ohne uns festzulegen, was davon jetzt Kunst ist. > >>>jus: Ihr trennt Kunst und Leben also nicht scharf. Das machten schon >>>die alten Avantgarden von Dada >>>bis zur Situationistischen Internationalen, die, wenn sie die Kunst >>>nicht gerade per se ablehnten, sie doch im Hegelschen Sinne >>>"aufzuheben", d.h. nicht zu zerstören, sondern in die Lebenspraxis zu >>>überführen suchten. Ist Euch das längst gelungen, oder bedeutet das >>>entzückte Entflammen eurer Augen angesichts >>>eines sexy Lighters nicht das Aufzüngeln der "l'art pour l'art" >>>(Ästhetizismus als autonom ästhetischer Erfahrungsbereich, der mit der >>>realen Bedeutungs- und Wirkungslosigkeit der Kunst einhergeht)? > >>L/B: Du sprichst von einer Bedeutungs- und Wirkungslosikeit der Kunst. >>Dies meint, die Kunst sei eine Interne Angelegenheit. Daraus kannst Du >>die "l'art pour l'art" tatsächlich >>schön herleiten. Einen Trugschluss begeht, wer glaubt, das treffe nur >>auf die Kunst zu. "La politique pour la politique" oder "la science >>pour la science" können wir genauso schlüssig herleiten. Kaum etwas hat >>eine zwingende Funktion, diese wird zugesprochen. In der >>materialistisch dominierten Welt glaubt man, die Kunst sei das einzige, >>was seine Berechtigung nicht verliert, auch wenn sie nutzlos ist. > >jus : Und was ist mit dem Verkehswert der Kunst? > L/B: Gehört in den Bereich "Alltag". > >>>jus: Noch etwas zu vorher. Ihr schreibt: "Kunst ist Kunst, auch wenn >>>sie als solche nicht erkennbar ist". Wie meint Ihr das? > >>L/B: Wir wollten damit andeuten, dass die Frage bezüglich Aufhebung der >>Kunst als Kunst einen Haken hat. Solange >>eine Idee aus einem Kunstkontext heraus entsteht oder in einem solchen >>diskutiert wird, fällt uns dafür einfach keine andere Bezeichnung als >>Kunst ein. >>Auf der anderen Seite hebt jedes gute Kunswerk in einem gewissen Sinne >>die Kunst als Kunst auf. Aber da geht es um Subversivität. > >>>>>>>jus: Gibt es Helden, Heroinnen, die ihr verehrt? > >>>>>>L/B: Gewiss, und jeden Tag neue. Wer etwas makellos cooles macht, >>>>>>hat dieses Prädikat einfach verdient. >>>>>>Beispielsweise die Tanzszene von John Travolta in Pulp Fiction, da >>>>>>verschlägt es dir einfach den Atem. > >>>jus: Travolta ist doch Scientologe und ein kitschiges "Phenomena". Das >>>stört Euren Jackrabbit-Slim's -Contest -Genuss überhaupt nicht? > >>Sicher stört es uns; das ist ja gerade die Tragödie. Hinzu kommt, dass >>er ja meistens in unglaublich schlechten >>Filmen spielt. Kürzlich lasen wir ein Interview mit einer glühenden >>Johnny-Hallyday-Verehrerin aus Frankreich. Die sprach nur von seinen >>Fehlern und wieviel Überwindung es braucht, ihm die letzte Scheidung zu >>verzeihen. >>"Held" ist vielleicht einfach der Begriff für einen bestimmten >>extraterrestrisch-tragischen Cocktail. > >jus: ...also doch Kosmos? > L/B: Nein. > >>>>>>>jus: Punkto Transzendenz. Stellt Ihr Euch jemals eine neue >>>>>Realität mit neuen Kausalitäten vor, wenn ja welche? > >>>>>>L/B: Sicher machen wir das. Zu einer Beamstation wie im Raumschiff >>>>>>Enterprise würden wir nicht >>>>>>nein sagen. Spannend wird es, wenn du diese neue Realität >>>>>>weiterdenkst, all die Konsequenzen die so etwas mit sich ziehen >>>>>>würde. Solche und ähnliche Denkvorgänge betrachten wir als generell >>>>>>wichtige Alltagsergänzungen. Das schöne an der Kunst ist ja, dass >>>>>>man das in die Arbeit einfliessen lassen kann. > > > |