Hans Renggli
Parade der virtuellen Helden
Die Ausstellung Game Over im Museum für Gestaltung wertet das Computerspiel
als eine dominante kulturelle Erscheinung der Gegenwart. Bis 4. Juli
Sie haben muskelgestählte Torsi, Schenkel aus Granit. Sie sind "megastark"
und "gigaschnell". Sie haben tierische Fratzen, coole Pokerfaces
oder andere monströse körperliche Attribute, die sie als Typen
charakterisieren: hinterhältig, heroisch, lichtgestaltig, pervers. Die
weiblichen Protagonistinnen imponieren besonders häufig mit Wespentaille
und phallisch in den Raum schiessenden Brüsten, worin sich ein verstaubtes
amerikanisches Clichee weiblichen Sexappeals tradiert. Computerspiele stellen
heute eine äusserst erfolgreiche Form populärer Alltagskultur
dar. Spielen macht süchtig, Sucht fördert den Konsum. So ist eine
weltweit vernetzte Szene entstanden, die sich proto-avantgardistisch gebärdet,
aber, was ihre Images betrifft, ziemlich konservativ bis einfallslos ist.
An ähnlichen Mischungen von männlichem Protztum, plakativer Erotik
und Lust am Abartigen haben sich auch schon unsere Urgrossväter auf
den Jahrmärkten amüsiert. Verändert hat sich allein die Machart
und Raffinesse der Tricks. Verändert hat sich auch die Identität
der Schausteller. Das Angebot kommt heute von einer gefrässig-profitablen
Hard- und Softwareindustrie. Das Personal wurde ersetzt durch digitale
Simulatoren, was das Spektrum nervenkitzelnder Aktionen natürlich gewaltig
erweitert. Ungesehen ist das Panorama übermenschlicher Befähigungen,
unbegrenzt die Kraft und Schnelligkeit der virtuellen Wesen. Unerreichter
Superstar unter den Charakteren der Game-Szene ist die fitnessgetrimmte
Pistolenheldin Lara Croft. Ein Indiz für die vielbehauptete weibliche
Dominanz im kommenden Millenium?
Im Museum für Gestaltung kann die weltweit von Millionen angebetete
virtuelle Heldin ausgiebig bewundert werden. Als Grossprojektion begegnet
sie dem Besucher vielfach und analytisch zerlegt in jene Bestandteile, die
ihre "Persönlichkeit" ausmachen. Die bewegten Bilder gehören
der Ausstellungszone an, wo gemäss den Machern eine "Informationshaut
von Grossprojektionen die aktuellen Inhalte zur Game-Kultur" einspielen.
Diese Inhalte würden ständig von einem weltweit tätigen Expertenteam
aktualisiert. Die als raumstrukturierende Paravants ins Dunkel gestellten
Membrane, auf denen sich die "charakters" umtreiben, bilden zusammen
mit den Computern und Beamern eine Struktur, auf der sich das Ausstellungsgut
fortwährend ändert, sei es durch Steuerung aus dem Internet, sei
es durch willentliche oder unwillentliche Aktion der Besucher. Was hier
vorliegt, ist keine Ausstellung im üblichen Sinn mit fixen Exponaten,
es ist eine interaktive Installation. Sie soll als Fenster funktionieren
zum Ausblick auf das wilde Leben der heutigen Gameszene.
Die Ausstellung verantworten nicht einzelne Kuratoren, sondern ein vernetztes
Team von mindestens 50 Personen. Die Anzahl der Mitbeteiligten ist letztlich
unbestimmbar, da sich das event durch jeden Mitspieler erweitert. Und Mitspielen
ist ein Muss für den Besucher, der wirklich in die Materie der Gamekultur
vorzudringen wünscht.
Hauptautoren des Konzepts sind namentlich Cäcilia Hausheer und Florian
Wenz. Ihrem Produktetitel "game over" haben sie "Version
1.O" beigefügt, ein Zusatz, wie er bei Computerprogrammen üblich
ist. Damit unterstreichen sie die Wichtigkeit der Software am Ausstellungsprodukt,
das entsprechend in rasanter Wandlung begriffen ist. "Was sie hier
sehen", sagt Florian Wenz, "wird Anfangs Juli, wenn die Ausstellung
zu Ende geht, alter Kaffee sein". Im digitalen Universum bleibt keine
Zeit zum Innehalten, wer nicht mitrennt und auf die ständige Veränderung
der Verhältnisse achtet, bleibt schnell auf der Strecke: Game over
- ausgetrickst und totgeschlagen, weil im Kopf und in den Fingerspitzen
nicht quick genug. Wenn es tatsächlich stimmt, dass die Computergames
die Mentalität und soziale Verfassheit der Gegenwart abbilden bzw.
"gesellschaftliche Modelle der Zukunft" darstellen, wie die Macher
kühn behaupten, dann leben wir in einer ziemlich ungemütlichen
Welt. Bleibt noch beizufügen, dass die unkritische Selbstdarstellung
der globalen Profitmaschine massiv mit Kultur-Forschungsgeldern des Bundes
unterstützt wird. Ein Trend schlägt durch: Kultur wird unterstützt,
sofern sie die Wirtschaft fördert.
Zur Ausstellung findet ein umfangreiches Rahmenprogramm statt