Hans Renggli
Liftfahrer durch die Stockwerke der Wirklichkeit
Felix Stephan Huber (42) ist Illusionist wie Realist und einer der profiliertesten
Medienkünstler der Schweiz. Eine Retrospektive im Kunstmuseum Solothurn.
Bis 7. März
Die Ausstellung in Solothurn zeichnet von den frühen Fotocollagen
bis zur neuesten Videoinstallation V-World alle Werkphasen des Künstlers
nach. Der Katalog, ein hervorragend gestaltetes, dichtes Büchlein,
dokumentiert zudem alle bisherigen Videoinstallationen und die in Zusammenarbeit
mit anderen entstandenen Internetprojekte, namentlich die Arbeit "A
description of the Equator and some Øtherlands" von 1997 für
die Dokumenta X. Dort tauschen die Künstler im Web auf Englisch Gedanken
über das Internet als Chance aus, nämlich als "nicht definierter,
sondern auszuhandelnder Ort, mit flacher Hierarchie, ohne Anspruch auf Autorenschaft,
ohne Zentrum, ohne Linearität, ohne Zensur: als Ort mit wenig Achtung
für das Kunstobjekt, dafür um so mehr Achtung für das Objekt
der Kunst - das wahrnehmende Individuum". Man wundert sich über
den Ton: Da verhandeln Huber und seine Freunde im Abseits von desillusioniertem
Profit-Zeitgeist und esoterischem Entschweben tatsächlich soziale Utopien!
Ist Pipilotti die bunte Diva des schweizerischen Medienkunstschaffens,
dann Felix Stephan Huber ihr asketischer Existentialist. Beide sind Profis,
die mit höchster Souveränität die neuen technischen Möglichkeiten
der Erzeugung medialer Bildwelten ausschöpfen. Beide sind Meister
ihres Metiers und beide eröffnen zufällig innert Wochenfrist in
der Schweiz wichtige Übersichtsausstellungen. Auch wenn Vergleiche
von Künstlern nicht beliebt und auch selten ergiebig sind, im Fall
von Felix Stephan Huber kann der Seitenblick auf den Shooting-Star der Szene
zur Vertiefung der Charakterisierung beitragen. Die Verdienste sind vergleichbar,
nicht aber die Popularität, und das hat seine klaren Gründe in
der grossen Verschiedenheit der Persönlichkeiten. Dort die zaubernde
Kindfrau und begnadete Spielerin, die mit frivolem Charme einen permanenten
Flirt mit ihrem Publikum zu inszenieren weiss, hier der rastlos Reisende
durch Zeit und Raum. Dort die vom Schicksal Beglückte, die sich in
ihrer überschäumenden Lebensfreude auch die Heidiland-Heimatliebe
nicht nehmen lässt, hier der skeptische Wächter mit der hyperempfindlichen,
aus Einsicht heimatlosen Seele.
Huber ist ein Dokumentarist des modernen Alltags, der erkannt hat, dass
die Wirklichkeit nur zu packen kriegt, wer bereit ist, sich ganz auf ihre
Künstlichkeiten, Fiktionen, Illusionen und Simulationen einzulassen.
Sein Beruf ist das Beobachten und Aufzeichnen unter permanenter Ortsveränderung,
wobei egal ist, ob die Orte physisch, im Bild, auf dem Internet oder nur
als Gedanke existieren. Entscheidend ist die Bewegung, das Unterwegssein.
Halt und Heimat bleiben ernstzunehmende, aber letztlich uneinlösbare
Sehnsüchte. Da und dort lässt er sich vorübergehend nieder.
Stationen sind Zürich, Berlin, Köln, die USA, das Schwarze Meer,
der Polarkreis und wieder Berlin, wo er zurzeit eine Bleibe hat. Auf sein
Vagabundieren angesprochen entgegnet er lakonisch, er sei am Computer, wo
er die letzten Monate zugebracht habe, sesshaft geworden.
Hubers Künstlerwerdung ist verknüpft mit der "Bewegung"
zu Beginn der achtziger Jahre. Was damals der Öffentlichkeit für
politisch konzeptlose, dadaistische Destruktion galt, war der eminent politische
Ausdruck einer drückenden Befindlichkeit. Die Jugend forderte eine
Zukunft in einer Gesellschaft, die ihr lebensfeindlich durchorganisiert
und verbaut vorkam. Die ersten Auftritte als Künstler hatte Huber einige
Jahre später. Sein Medium war die Schwarz-Weiss- Fotografie, die er
auf einem bewusst tief gehaltenen technischen Level zur Schilderung anarchischer
Stadtszenerien einsetzte. In sinniger Entsprechung zum Motiv fügte
er die Abzüge zu rohen Fotocollagen, die grossflächig in den Raum
wucherten und eine Empfindung expressiv geladener, rhythmischer Fragmentierung
auslösten. Mit der Zunahme der ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel,
hat er das Spektrum der Techniken sukzessive erweitert. Zunächst liess
er die Formate der Abzüge bis zu Wandgrösse anwachsen. Er verfeinerte
die Technik des "unsachgemässen" Entwickelns und Fixierens
derart, dass die Abzüge durch Prozessspuren, Verfärbungen und
Schlieren einen ästhetischen Eigenwert als malerische Unikate erhielten.
Dann hörte er mit dem Fotografieren instinktsicher auf, an der Grenze
ihres Kippens zum ästhetischen Selbstzweck. Seither haben Videokamera
und Computer den Fotoapparat als mediales Tagebuch ersetzt.
Die Ausstellung belegt die frühe Werkphase mit drei Arbeiten. In
Topologie der Erinnerung (1986) hat Huber die Fotocollage ins Dreidimensionale
erweitert, indem er die Abzüge auf labyrinthisch zusammengefügte
Kartonschachteln klebte. Skulptur (1986) ist eine zweidimensionale Wandarbeit,
die jenes Schachtellabyrinth als vergrösserten Bildausschnitt abbildet,
überraschender Weise aber weit körperlicher wirkt, als das dreidimensionale
"Original". Die Arbeit ist typisch für das Verwirrspiel mit
den Wirklichkeitsebenen, das als Konstante sein Werk durchzieht.
Eine Schlüsselarbeit ist die Rauminstallation Provisional (provisorisch,
1992), die karg und eindringlich die Lebenseinstellung des Künstlers
aufzeigt. An den Wänden hängen, chronologisch aufgereiht und datiert,
Grossfotos, die durchwegs Betten dokumentarisch abbilden, die der Künstler
in Hotels und bei Freunden benutzt hat. Das Bett als Inbegriff der intimen
Schutzzone und privaten Rückzugsmöglichkeit von der zerrenden
Welt erscheint als entpersönlichte, flüchtige Bleibe und evoziert
sowohl den Freiheitshauch des bindungslos Fahrenden wie auch eine Atmosphäre
trauernder Heimatlosigkeit. Doch Huber exponiert hier nicht etwa selbstbedauernd
seine eigene Heimatlosigkeit, sondern verweist mit einfachsten Zeichen auf
das Los der aus Not Flüchtigen, vor deren Hintergrund er sich selbst
als Privilegierten erkennt: Aufgeklebte Markierungen von Bettenstandorten,
die in optimaler Raumausnützung den Boden überziehen, transformieren
den Ausstellungsraum - virtuell - zum beklemmenden Flüchtlingslager.
Die Installation markiert auch die Wende zur Arbeit mit dem Computer.
An einem in die Raummitte gestellten Computer-Arbeitsplatz kann sich der
Besucher selbst durch spielerische Bedienung eines einfachen Programms in
die Erörterung von Sesshaftigkeit und Migration einklinken, indem er
aufgefordert wird, die eigenen Raumansprüche auf dem Hintergrund der
Raumnot der Entwurzelten darzustellen.
Anders als in Provisional setzt Huber in den neueren Video-Rauminstallationen
fortgeschrittene und hochkomplexe Technologie ein. V-World ist sein letztes,
noch nicht abgeschlossenes Projekt. Mit Videoprojektoren, Laserdiscs, Soundmaschine
und Bewegungsmeldern, die auf eintretende Besucher interaktiv reagieren,
zieht Huber alle Register des medialen Illusionismus. Doch die nächtlichen
Stadtlandschaften und Fragmente urbaner Szenerien, von denen der Betrachter
umspült wir, ergeben keine Fiktion und keinen imaginären Fluchtraum.
Vielmehr errichten sie in einem unter die Haut gehenden Realismus, die zeitgenössische
Wirklichkeit als ein undurchdringliches Knäuel von Fiktion, Illusion
und betonierten Fakten.