Hans Renggli
Ein Ruhloser am Puls der Zeit
Die Stiftung für Fotografie am Kunsthaus Zürich ehrt den Fotografen
René Groebli.
René Groebli, 1927 geboren, ist ein Altersgenosse und Freund des
berühmten, nach Amerika ausgewanderten Robert Frank. Frank und Groebli
fühlten gleich im Wunsch, aus dem beschaulichen Klima der Schweiz der
Nachkriegsjahre auszubrechen. Groebli drängte es zum Film. Und weil
es in der Schweiz keine Filmausbildung gab, bewarb er sich 1945 um Aufnahme
in die Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich. Hier war Hans Finsler
die überragende Lehrerpersönlichkeit, der eine subtile, stille
Gegenstandsfotografie praktizierte. Doch Groebli eiferte nicht dem Meister
nach, nicht das zeitenthobene Stilleben packte ihn, sondern das Experimentieren
mit Fotografie als Medium der Bewegung. Schon nach einem halben Jahr sprang
er ab, als sich ihm die Chance bot, eine soeben neugeschaffene Lehre als
Dokumentarfilm-Kameramann zu beginnen. Als er 1948 mit dem Diplom abschloss,
stellte er ernüchtert fest, dass von der Schweizer Filmszene, die tief
in der Krise steckte, keine kreativen Impulse zu erwarten waren.
Groebli war überreif zum Verreisen. Er hatte während der Lehre
seine bei Finsler begonnenen fotografischen Stimmungs- und Bewegungsstudien
weiterverfolgt. Und als er jetzt, 22-jährig, im Dampfnachtzug nach
Paris fuhr, war er erstmals bereit zu ernten. Die Reise durch den Raum ins
Offene einer noch unbestimmten Zukunft euphorisierten ihn bis zur Vision.
Aus dem Erlebnis heraus schuf er die Bildserie "Magie der Schiene",
die er 1949 als Portfolio herausgab. Mit schlafwandlerischer Stilsicherheit
legt der Jüngling subtilste Bewegungsfotografie vor, macht im Bild
das Stampfen der Lokomotive hörbar, vergegenwärtigt die dämonische
Kraft fliehender Masse und transfomiert die Zugreise zur abgründigen
mythischen Fahrt.
In der Verschmelzung von innovativer fotografischer Technik mit Stimmungen
zwischen Ekstase und Melancholie hat Groebli seine künstlerische Remedur
gefunden. Magie der Schiene findet weitherum Anerkennung und eröffnet
ihm neue Möglichkeiten. Die Londoner Presseagentur Black Star engagiert
ihn als Reportagefotograf. In der Suezkanalzone dokumentiert er 1952 inmitten
britischer Truppen die Schlacht von Ismaila. 56 Ägypter und 3 Engländer
fallen. Groebli sieht seine Bilder in Life und vielen anderen Illustrierten
der Welt veröffentlicht. Der Erfolg beeindruckt ihn nicht. Fotografisch
hält er die Bilder für unbedeutend und das Kriegstreiben widert
ihn an. Er lässt die Reportagefotografie fallen.
Inzwischen hat er geheiratet. 1954 gibt er die Schwarz-Weiss-Serie "Das
Auge der Liebe" heraus. Wie einst der Rausch der Freiheit, animiert
ihn jetzt der Rausch des Sexus zu einem Bilderreigen voll erotischer Poesie.
Der Hymnus an die Frau erntet in der Fachwelt erneut Anerkennung und eckt
moralisch an. Groebli nimmt die Sixties vorweg. Als Pionier profiliert sich
Groebli auch in der nun folgenden längsten Schaffensphase.als Werbefotograf.
Die technisch komplexe und teure Farbfotografie erlebt einen Boom. Er begreift,
dass er nur an der Front mitmachen kann, wenn er die Mittel dazu. hat. Als
Auftragfotograf ist er ständig bestrebt die Grenzen des Mediums auszureizen.
In den späten fünfziger Jahren realisiert er Portraitaufnahmen
mit farbigem Licht, die er im sogenannten Dye-Transferverfahren abzieht.
Verwundert stellt man angesichts dieser Bilder fest, dass die Ästhetik
des Andy Warhol im Prinzip längst erfunden war, als dieser Furore machte.
Groebli lässt sich sein eigenes Studiohaus bauen, verdient blendend
und wird in den USA als Master of Color geehrt.
Eine erneute Kehrtwende macht er 1981, als er dem Glamour des Fotobusiness
den Rücken kehrt und sich nach Irland und später in die Provence
zurückzieht. Er nimmt die Schwarzweiss-Fotografie wieder auf. N.Y. Melancholia
heisst sein letztes, 1999 herausgegebenes Portfolio: Stimmungsbilder wie
im Jugendwerk, durchdrungen freilich nicht von Euphorie sondern von der
Trauer über die haltlose Zeit.
Bis 14.April.