Hans Renggli
Lichtkünder und Schwarzmalerinnen
Das in St. Moritz beheimatete Alpentriptychon ist Giovanni Segantinis
grösstes, berühmtestes und letztes Werk. Der Umstand seiner Restaurierung
im Kunstbaus Zürich bot die Chance für eine einmalige Ausstellung.
Eine Ausstellung mit 26 Künstlerinnen trägt den Titel SCHWARZ.
Bis 28. Februar
"Niemals suchte ich einen Gott ausserhalb von mir selbst, denn ich
war überzeugt, das ein Gott in uns sei, das jeder von uns ein Teilchen
davon besäße oder erringen könne durch schöne, gute
und edelmütige Werke". So schrieb der Freigeist Giovanni Segantini
(1858 - 1899), der seine Chance zur Erringung des Göttlichen in der
Malerei erkannte. Der Italiener aus der Mailänder Bürgerelite
hatte sich in die Einsamkeit der Engadiner Bergwelt zurückgezogen.
Ins Exil begab er sich nicht als Zivilisationsflüchtling sondern im
Selbstbewußtsein des Auserwählten. Als Berufener appellierte
er an die Künstler, "Reichtümer und Verwandte" zu verlassen,
um in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten der Menschheit zu dienen.
Der Kraft, die ein so hoher Anspruch und Glaube in einem Menschen freizusetzen
vermag, kann man Urzeit in der Sammlung des Kunsthauses Zürich begegnen.
Im Saal, wo sonst die Hodlerbilder ausgestellt sind, wurde vorübergehend
eine Andachtsraum mit seinem monumentalen Alpentriptychon eingerichtet.
Segantini plante das dreiteilige Werk, das heute unter dem Titel "Werden,
Sein, Vergehen" bekannt ist, für die Pariser Weltausstellung 1900.
Der Altar der Naturfrömmigkeit blieb unvollendet. Segantini starb
während der Arbeit an der "vita", der zentralen Tafel, in
der eine riesiger Himmel, durchwoben vom pulsierenden Strahlen der schon
untergegangenen Abendsonne, das göttlich-kosmische Kraftuniversum
bezeugt. Leben und Tod waren für Segantini keine Gegensätze sondern
Zustände eines ewigen Kreislaufes, den er als das Trosse Existenzrätsel
in seinem Werk erfahrbar zu machen trachtete.
Die Nichtvollendung erscheint aus heutiger Sicht keinesfalls als Unglück.
Die drei Haupttafeln waren bereits sehr weit gediehen, so das Segantinis
Absicht, den spirituellen Gehalt direkt in der Erhabenheit der Bergnatur
auszudrücken unter weitgehendem Verzicht auf symbolistische Explikation,
eindrücklich zum Tragen kommt. Im vollendeten Zustand wären die
grossen Tafeln ergänzt worden durch symbolistisch kommentierende Rahmenbilder
in der Form von Lünetten und Medaillons, die dem Werk einen historisierenden,
rückwärtsgewandten Charakter verliehen hätten.
Ein moderner Wegbereiter war Segantini auf jeden Fall mit seiner als
"Divisionismus" historisch gewordenen, einzigartigen Maltechnik,
die jetzt, nach einer im Kunstbaus durchgeführten aufwendigen Restauration,
in alter Frische bewundert werden kann. Eine körpernahe Betrachtung
der mächtigen Leinwände, die sich im übrigen ohne Schutzverglasung
darbieten, lässt die wilde Authentizität und zutiefst irdische
Verbundenheit von Segantini aufblitzen und ahnen, wie sehr seine Spiritualität
im leidenschaftlichen Ringen mit der Materie fusste. Die Restauration und
die gleichzeitige Renovation des Segantinimuseums von St. Moritz haben nun
die einmalige Gelegenheit ergeben, das bedeutende Werk in Zürich in
einem erhellenden Kontext mit den Bildern aus der Sammlung zu zeigen.
Bildliche Hauptträgerinnen von Segantinis Sinnschöpfungen waren
Frauen. Nachgeborene jener Frauen betätigen sich heute selbst als
Sinnschöpferinnen. Die neue Ausstellung im Kunstbaus mit dem Titel
"Schwarz" ist von ganz anderem Charakter und Herkommen und doch
über die Beziehung "Frau" und "Rätsel" mit
der ersten verbunden.
Redensarten wie "schwarz malen", "schwarz sehen"
machen deutlich, wie sehr Schwarz in unserer Kultur besetztes Symbol ist,
das für Tod, Trauer, anarchische Auflehnung, das Böse oder ganz
einfach das Nichts steht. Angeregt wurde das Konzept für die Jahresausstellung
der GSBK (Gesellschaft Schweizerischer Künstlerinnen der Ostschweiz)
von der Malerin Elena Lux-Marx. 85 Künstlerinnen haben Arbeiten
zum Thema eingegeben, 26 wurden von der Jury berücksichtigt.
Der Beitrag von Elena Lux-Marx, der die Ausstellung prologartig eröffnet,
zeigt auf, dass Schwarz keinesfalls auf symbolistische Kunst reduzierbar
ist. Ihre drei schwarzen Bildtafeln kommen als eine lapidare Untersuchung
über Farbe daher, wie sie in der konkreten Kunst Tradition hat: Höchste
Klarheit der Form und des Farbauftrags, um den Nuancen auf die Spur zu kommen.
Und siehe da, die sich zunächst als schiere Malereiverweigerung manifestierenden
Bilder geben dem Verweilenden Farbe und Raum preis und verhelfen seiner
Einbildung zum romantischen Fensterblick in den Lichthauch einer mystischen
Frühe.