Hans Renggli

Ein Pop-Künstler das achtzehnten Jahrhunderts


Die Ausstellung Füssli und Shakespeare im Kunsthaus Zürich.
Bis 19. September

Johann Heinrich Füssli, der Zürcher, der es im 18. Jahrhundert in England als Maler und Zeichner zu Ansehen und einem respektablen Einkommen brachte, dieser Füssli soll sich am liebsten beim Schauspiel divertiert haben. Es wird behauptet, er habe fast jeden Abend im Theater verbracht. Während Füsslis erster Londoner Zeit 1764 bis 1769 feierten alldort ein David Garrick und eine Mrs. Pitchard als Shakespeare-Interpreten Triumphe. Von Garrick als Macbeth schreibt ein Zeitzeuge: "Es ist unmöglich, sich eine genaue Vorstellung vom Schrecken in seinen Augen zu machen , wenn er sich nach der Ermordung des Königs Duncan mit zwei blutigen Dolchen in den Händen an die Zuschauer wendet".
Garricks Rezitationsstil, behauptet Kurator Bernhard von Waldkirch, habe Füsslis künstlerischem Temperament sehr entsprochen. Diese belegt ein frühes Aquarell von 1768 das Garrick-Macbeth und Pritscher-Lady Macbeth in oben angedeuteter, blutrünstiger Erregung zeigen. Doch die Begeisterung des Zeitzeugen ist heute schwer zu begreifen: Garrick gibt Macbeth als höfischer Geck in Kniehosen und Seidenstrümpfen wie es dem Rokokostil jener Zeit entsprach, und die Lady Macbeth ist eine drapierte Kleiderpuppe mit modischem Kopfputz. Die Schauspielkunst damaliger Theaterstars muss offenbar im chargierten Grimassieren und Gestikulieren bestanden haben. Füsslis Zeichnung, so die Forscher, stelle die Gesten der Schauspieler genau nach und leiste einen authentischen Beitrag zur Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts.

Dass Füssli bei seiner Liebe für barocke Theatralik Garricks Kunst bewunderte, lässt sich bestens nachvollziehen. Shakespeare freilich, der zweihundert Jahre früher lebte, würde sich bestimmt sehr gewundert haben. Ihm lag derbe Volkstümlichkeit weit näher als gepuderte Affektiertheit. 40 Jahre lang hat Füssli Szenen aus Shakespeare-Stücken bildnerisch bearbeitet. Dabei hat er sich offensichtlich um das wahre Temperament des Renaissance-Genies keinen Deut geschert. Immer wieder hat er seine persönlichen Liebingsszenen aus wenigen Shakespearestücken -Macbeth, Hamlet, ein Sommernachtstraum - gezeichnet. Dabei interessierte ihn an Shakspeares grossartigem Universum der menschlichen Charakteren allein der Aspekt dämonischer Psychologie. Und dies wiederum hat weniger mit Füsslis Vorliebe fürs Dunkle zu tun, als mit seinem pragmatischen Schielen auf die Publikumsgunst.

Jedenfalls hat nicht nur Füssli, sondern ganz England zu der Epoche, als in unserem Sprachraum Goethe und Schiller wirkten, einem eigentlichen Skakespearekult gefrönt. Und weil sich so viele an Shakespeare verköstigten, konnte man mit ihm auch gute Geschäfte machen. So gab es tüchtige Unternehmer und Verleger, die mit ihren sogenannte "Shakespeare-Galerien" die besten Künstler Englands engagierten. Das Hauptgeschäft bestand im Vertrieb grosser Auflagen von Stichen an ein breites Publikum. Füssli hatte keine Berührungsangst mit der Rolle als Lieferant der Populärkultur. Es machte ihm nichts aus, seine Figuren im Zeitgeschmack aufzuputzen, wenn es den Absatz förderte.

Im Rahmen der Zürcher-Festspiele hat von Waldkrich im Kunsthaus nun selbst eine "Shakespeare-Galerie" eingerichtet. Der Füsslisaal wurde durch zwei Seitenkabinette mit Stichen und Zeichnungen zum Thema ergänzt. Die bescheidene Ausstellung, zu der kein Katalog vorgelegt wird, repetiert als Mini-Ausgabe die vor zwei Jahren mit einigem Aufwand in Parma produzierte Ausstellung "Füssli, Pittore di Shakespeare".
Einige neue Erkenntnisse bringt sie dennoch. So tritt Füsslis Leistung deutlicher als gelungene Adaption der modisch-kommerziellen Zeitumstände hervor. Füssli hat für die Reproduktionen Entwürfe gemacht, die von damals hochgeschätzen professionellen Stechern umgesetzt wurden. Diese haben zuweilen für die Herstellung der Druckplatten noch mehr kassiert als der Autor. Auch werfen einige ausgestellte Skizzen ein Licht auf Füsslis im Grunde bescheidenes zeichnerisches Talent. Für ihn, der in der Sixtina während Jahren Michelangelo kopierte, trifft gewiss zu, was man vom künstlerischen Erfolg kolportiert: Neunzig Prozent Fleiss und zehn Prozent Talent.