Hans Renggli

Expeditionen der Malerei in den Raum


4x3D in der Galerie Staffelbach Lenzburg. Bis 11. Juli

Vor einem Jahr haben sich unter dem Titel Grenzgänger die private Galerie Staffelbach Lenzburg sowie die städtischen Galerien Zimmermanshaus Brugg, Amtshimmel und Trudelhaus Baden zu einem Ausstellungsprojekt zusammensgeschlossen. Gemeinsamkeit war im Thema und in der gleichzeitigen Vernissage gegeben. Jetzt wird das Ereignis unter dem Titel 4x3D (Viermal Dreidimensional) neu aufgelegt. Im vierfachen Auftritt wollen die profilierten Kunstorte mit Nachdruck auf den hohen Standard der aargauischen Kunstszene verweisen und dem Sog der Zürcher Szene entgegentreten. Aargauer müssen für hervorragende zeitgenössische Kunst nicht nach Zürich reisen. Schon eher ist angesagt, dass die Zürcher wieder einmal von ihrem eigenen Nabel weg in die westliche Nachbarschaft blicken, wo exquisite Kunst zu erleben und auch zu kaufen ist.

Und in der Tat schafft die Galerie Elisabeth Staffelbach mit der Zusammenführung der Werke von Marianne Kuhn, Ruth Maria Obrist, Mette Stausland und Luigi Archetti einen wunderbaren Zusammenklang von Verwandtschaften und Differenzen. Allen gemeinsam ist die konzeptuelle Bedachtheit und Langsamkeit der Vorgehensweisen sowie die Tendenz zum sparsamen Einsatz der Bildmittel. Sie haben alles genialisch Gestische abgelegt, um sich ganz auf die Ergründung von bildnerischen Elementarien wie Aufbau, Schichtung, Oberfläche, Material und sprechende Zeichen zu konzentrieren.

3D suggeriert gemeinhin die Vorstellung von Skulptur. Tatsächlich präsentiert sich das Mehr der Arbeiten als quaderförmige Körper. Dennoch sind sie weit eher Malerei als Bildhauerei. Archetti und Obrist stellen Kisten her, die sie wie Malerei an die Wand hängen. Dies entspricht heute einer zum Standard gewordenen Bildform, die einer historischen Veränderung des Begriffs des Bildes Rechnung trägt. Das darstellende Bild war im Prinzip ein Guckkasten oder eine Bühne, indem auf zweidimensionaler Fläche Raumtiefe und Körperlichkeit illusioniert wurde. Als sich die Malerei vom Gegenständlichen verabschiedete, rückte die Flächigkeit des Trägers als primäre Eigenschaft der Malerei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Raum war in der Malerei entmachtet. Das ging solange, bis einige denktüchtige Maler erkannten, dass es im Grunde blosse Gewohnheit ist, an einem Leinwandchassis nur die frontale Fläche zu beachten und nicht auch die Seitenflächen. Denn die Leinwand ist genau betrachtet keine Fläche, sondern eine Kiste, also konkrete Dreidimensionalität. Das war die Geburtsstunde der Objektkunst. Archettis und Obrists Kisten sind explizit sowohl Objekte wie Malerei. Dabei ist nicht nur der Träger Körper, sondern auch die Farbe selbst, besonders wenn sie geschichtet wird. Archetti treibt das Auftragen, Schleifen und Wiederauftragen soweit, dass sich die Malschicht zuletzt als sublim-subtile Polsterung in den Raum wölbt. Ruth Maria Obrist wiederum setzt Körperlichkeit zum Pol der gleichsam immateriellen, reinen Visualität von Fotografie. In einer wunderbaren Arbeit, zusammengestellt aus 31 verschieden grossen Kistchen, fährt sie mit der Farbe - ein samtenes Rosenrot - in eine Meer schwarzweiss fotografierter Rosen und deckt diese zu. Dabei wandelt sich die Farbe selbst zur trunkenen Flut auf der letzte Rosenblüten als freie Individuen rhythmisch dahintreiben. Mit ihrer diskreten, doch geladenen Sinnlichkeit, mit ihren vielschichtigen Bezügen, reflektiert die Arbeit ein Jahrhundert Malereigeschichte von Monets Seerosenteichen bis in die Gegenwart.

Als eine Extremform kathartisch gereinigter Malerei kann man Marianne Kuhns Graphitplatten betrachten. Die Künstlerin baut sie aus zum Farbbrei verflüssigtem Graphit Schicht für Schicht auf. Damit betätigt sie sich nicht nur in quasi geologischem Nachvollzug als Erdschöpferin. Nimmt man den Graphitstaub als Pigment, kann man sie auch als buchstäbliche Voll-Enderin der Malerei betrachten. Ihre Malerei braucht keinen Träger und kein Bindemittel, sie ist nichts als Malschicht aus dem einzigen Farbmaterial, konsistent und absolut selbstbezüglich. Noch reduzierter ist Malerei unvorstellbar. Dennoch erschliessen die Arbeiten weitgespannte Bild-und Farbwelten. Das Licht im konkaven, einem chinesischen Tuschstein ähnlichen Block, zaubert einen prächtigen Rubensakt hin.

Paradoxerweise ist ausgerechnet Mette Stausland, die von der Bildhauerei herkommt, die einzige, die reine 2D-Arbeiten zeigt, nämlich Zeichnungen und Lithos auf Papier. In den vergangenen Jahren tendierten ihre grossformatigen Kohlezeichnungen immer mehr zum einheitlichen, enorm aufgeladenen Gewebe. In der konzentrierten Fokussierung auf den Aspekt Oberfläche betätigte sie sich als Nachvollzieherin des Naturprozesses im extremen Ausschnitt. Während einem Norwegenaufenthalt hat sie nun eine überraschende Wandlung durchgemacht. In den neuen Arbeiten sucht sie das grosse Zeichen. Mit entschlossenen, kräftigen Strichen ergründet sie die die knappe Essenz rhythmischer Körpererfahrung in ihrer Beziehung zum Raum und zur Landschaft.