Reinhard Storz

Das weisse Rauschen

Vereine, Firmen, Institutionen und Personen werden von der Netzmanie dazu gedrängt, grafische Oberflächen zu entwickeln und sich über das www in die weltweite Öffentlichkeit zu stülpen. Das Internet setzt diese Angebote gleichwertig nebeneinander, denn im Gegensatz zu anderen "Massenmedien" verzichtet das Web auf eine Auswahl und Hierarchisierung seiner Angebote.
Interesselose Netzanwender surfen so von einem Wellenbuckel zum nächsten, und sie begreifen dabei frustriert ein Wesensmerkmal des Mediums: seine Gleichgültigkeit. Diese Surfer sampeln sich alles rein, was es parallel so geben kann: Sex und Soul, Mall und Müll. Sie werden zum WJ (Web Jockey) im grossen Patchwork der demokratischen Kultur.

Manche Kunstprojekte im Internet befassen sich mit diesem Phänomen der medialen Indifferenz. Drei Beispiele:

In Mark Napiers Browserprojekt "Shredder" werden die Texte und Bilder einer vom Besucher angewählten Webadresse in malerische An- und Unordnung gebracht. Das Resultat ist schön und purer Ästhetizismus. Die Seite von (Jörgl) www.haider.or.at wird ähnlich schön-geshreddert wie zum Beispiel die von (Karel) www.gott.sk. "Shredder" funktioniert wie eine Malmaschine, doch nicht mehr nach Tinguelys Art vor 40 Jahren, sondern dekonstruktiv, mit eingebautem Web-Scratching.
http://www.potatoland.org/shredder/

Auch der Kunstbrowser "funksolegrind" von Andi Freeman produziert malerische Effekte durch mahlerische Methoden. Als typografischer Instant-Film frisst er sich lautlos durch die Texte einer angewählten Website und springt, sobald er auf Links trifft, über zu den neuen Seiten. Wenn sich dem Browser immer neue Links als Transferstellen anbieten, bahnt er sich vor unseren Augen seinen jede Semantik zerreibenden Weg kreuz und quer durchs weltweite Netz. Das kann, wenn man ihn lässt, Stunden und Tage dauern.
http://www.channel.org.uk/sHrd/

Studer/v d Bergs "TvPlots" betreiben die rasante Kombinatorik von kondensierten Dramen und Glücksgeschichten, für welche Tv-Serien und ihre Inhaltsbeschreibung die Matrix liefern. In einer flüchtigen Bild- und Textanimation werden hier nach Zufallsprinzip emontionale Kürzestgeschichten zu einer Trailermontage zusammengefügt, mit erstickend komischem Effekt.
http://www.xcult.org/stuvdb/tvplots

Alle drei Projekte handeln letztlich vom weissen Rauschen im globalen Dorf. Und weisses Rauschen beruhigt. Wenn alles gleichwertig ist, als Enzyklopädie der Formen, Texte und Inhalte, wird die Medienanwendung zur Frage der Eleganz. Nicht Starren und Grübeln, sondern Schweifen und Scannen - die Kunst der passiven Präsenz zeigt den Kenner. Gefragt ist der neue Medienflaneur.


erschienen im Katalog zur Ausstellung CLOSE UP
Kunstverein Freiburg i.Br. und Kunsthaus Baselland. 20.5.00 - 30.7.00.
Kunstverein Hannover 1.-3. 2001