Reinhard Storz

www.xcult.org

www.Xcult.org ist ein unabhängiges Forum für Kunstprojekte auf dem Internet und gehört heute zu den bekanntesten Adressen für Schweizer Netzkunst.
Ein Bericht des Herausgebers.



Die Anfänge: Bei früher Kulturarbeit auf dem Internet erwartet man Pionier-Romantik, die will schliesslich auch erzählt sein. Tatsächlich war natürlich wenig Romantik dabei, wenn man sich unter der Last der frühen Technik beugt, regelmässige Systemabstürze erträgt und über teure Telefonrechnungen streitet. Auch der Begriff der Pionierarbeit ist zweischneidig. Der taucht für unsere damaligen Aktivitäten heute immer häufiger auf, nur kommt man sich dann vor, als müsste man aus dem Altersheim zurückwinken.

Also, die Anfänge: Von Basel aus starteten wir im Frühling 1995 unsere ersten künstlerischen Netzaktivitäten, zuerst als Teil des internationalen Netzwerks The Thing. Wichtig war in dieser Anfangsphase die Zusammenarbeit von Barbara Strebel und Reinhard Storz. Wir benutzten ein älteres Internet-Protokoll (BBS), denn die ersten Web-Programme von Netscape und Microsoft wurden in dieser Zeit erst entwickelt und bekannt gemacht.

Erste Versuche einer gemeinsamen, künstlerischen Online-Kommunikation machten wir im Frühling 1995 zwischen Basel und Bern. 5 Künstler und Grafiker sassen zur selben Zeit an ihren Heimcomputern, schickten sich über das Netz kleine Bilder und poetische Sätze zu, veränderten die Bilder und beantworteten die Sätze (schnell) und schickten sie zurück in die allen zugängliche Mailbox. Die Sache war simpel, der Kick einer simultanen Online-Arbeit für uns aber erstaunlich gross.

Die nächste Gemeinschaftsarbeit entstand im Winter 1995/96 in einer kulturhistorisch brisanten Umgebung. Anlässlich des von Martin R. Dean betreuten Kulturprojekts 'Sprechende Körper' richteten wir im Schaufenster der Skulpturhalle Basel, umgeben von Gipsabgüssen antiker Statuen, Computerstationen ein und realisierten unter dem Namen 'Schnittstelle Netzhaut' ein Online-Kommunikationsprojekt. Das Konzept war einfach, und den meisten teilnehmenden Künstlern mussten wir bei der Realisierung helfen, weil sie mit der Technik nicht vertraut waren. Bei den lokalen Printmedien stiessen wir auf wenig Verständnis. Die Zeitungsberichte nach unserer öffentlichen Präsentation waren bissig und voller Vorurteile. (Schlechte Presse gehört natürlich zur Mythenbildung von Pionieren, darauf wollen wir nicht verzichten.)

Apropos Berichterstattung und Rezeptionsgeschichte: Heute gibt es in der Schweiz allmählich ein paar Kulturjournalisten mit Kenntnissen von Netzkunst. Aber meistens schweigen sich die Printmedien zu Kunstprojekten im Netz nobel aus. Noch vor ein bis zwei Jahren las man in Kulturberichten zum Internet fast standardmässig den Satz: es sei doch netter, jemandem persönlich die Hand zu drücken, als im Netz anonyme Kontakte zu knüpfen. Daran zweifelt ja gar niemand, und vor 100 Jahren hat man das bei der Einführung des Telefons auch schon gehört. Aber sind wir nicht froh, die Hände mancher Leute nicht schütteln zu müssen? Und freuen wir uns nicht, dass über den Emailaustausch die alte Kunst des Briefeschreibens wieder eine Chance bekommt? Unterdessen liest man in den Feuilletons und in Kulturzeitschriften häufiger Berichte über Aspekte der Netzkunst. Ein Verdienst der Baz ist es, seit März 2000 vermutlich als erste Schweizer Zeitung eine regelmässig erscheinende Spalte zu Netzkunst zu publizieren, auf der Kulturseite, nicht in der Technik-Beilage.

Zurück zum Anfang: Parallel zu unseren frühen Internet-Aktivitäten waren wir Mitbegründer des Vereins 'Kunst und digitale Medien' in Basel. Zusammen mit den Künstlern Enrique Fontanilles, Claude Gaçon und dem Musiker Markus Buser gründeten wir 1995 den Verein "Kunst und digitale Medien". Vom Lotteriefonds Basel-Stadt bekamen wir finanzielle Unterstützung. Als Angebot an Künstler richteten wir fünf Computerstationen mit Netzanschluss ein und organisierten Kurse zur Bildbearbeitung, Webprogrammierung und zu den Grundlagen der Bool'schen Algebra. Barbara Strebel betreute eine Vortragsreihe mit internationalen Netzkünstlern, die auch von Medieninteressierten aus anderen Schweizer Städten besucht wurde. Zu der Zeit gab es, was das Netz betrifft, ein Informationsmanko in der Schweizer Kunstszene. Viele, vom Kunstbulletin über das Helmhaus in Zürich bis zu Stampa Basel kamen zu uns, um etwas über die Möglichkeiten der Kulturarbeit auf dem Netz zu erfahren.

Im März 1997 gründeten wir für die Arbeit auf dem World Wide Web das neue Label xcult.org. Herausgeber und Kurator ist Reinhard Storz, regelmässige Zusammenarbeit gibt es mit dem Medienkünstler-Paar Monica Studer und Christoph v d Berg und mit dem Künstler Markus Schwander.

Heute ist Xcult im In- und Ausland als eine erste Adresse für Schweizer Netzkunst bekannt. Im Angebot stehen über 90 Projekte und Autoren. Zur Künstlerpräsenz auf Xcult schrieb Barbara Basting 1999 in der Weltwoche: "Die Liste der Künstler, die für Xcult gearbeitet haben, liest sich wie ein Who’s who der jüngeren und jüngsten Schweizer Szene."
Pro Monat zählt die Xcult-Statistik durchschnittlich 16'000 Besuche / 200'000 Hits, davon ein Drittel aus dem Ausland (Stand: 2001). Das sind Besucherzahlen, die auch einem mittleren Museum gut anstehen. Sowas schreiben wir gern, weil viele denken, Kunstvermittlung auf dem Netz betreffe nur eine marginale Alternativszene. Unterdessen werden wir auch jeden Monat zu örtlichen Präsentationen eingeladen, zum Beispiel im Museum für Gegenwartskunst Basel, im Forum Stadtpark Graz oder im Centre pour l'image contemporaine in Genf.

Das wichtigste Angebot auf Xcult sind künstlerische Arbeiten, die sich konzeptuell, ästhetisch und technisch auf das Medium Internet einlassen. Diese spezifische Form einer neuen Medienkunst gewinnt erst allmählich ein Profil, und Xcult versucht, die Entwicklung aktiv zu unterstützen. Regelmässig produzieren wir deshalb kollektive Kunstprojekte.

Ein zweiter Schwerpunkt besteht in unserem Textangebot zu aktuellen Ausstellungen und Künstlern, zur Kunst- und Medientheorie. Vertreten sind über 30 namhafte Kunstpublizisten aus dem deutschen Sprachraum. Dieses Angebot verstehen wir auch als Dienstleistung an Fachleute. So bekommen wir immer wieder Anfragen nach Texten und Autoren, aus Düsseldorf, Leibzig, Wien oder Zürich.

Zu unseren Dienstleistungen gehört weiter eine wählerische Linkliste und der Xcult-Shop. Hier bieten wir ironische und reelle Kunst-Reflexe auf die Kommerzialisierung des Webs.

Die Aussicht: Im Bereich der Netzkultur verläuft die Entwicklung weiterhin rasant. Verbesserte Techniken, neue Ideen bei den Anbietern und die selbstverständliche Nutzung des Mediums durch eine wachsende Zahl von Anwendern stellen neue Anforderungen. Mit der Gründung von Einrichtungen wie PlugIn - Forum für neue Medien in Basel ist die Kunstarbeit auf dem Netz auch in der Schweiz in eine neue Phase eingetreten. Das unabhängige Kunstlabel Xcult wird sich dazu eine Antwort ausdenken.

erschienen im Basler Stadtbuch 2000 des Christoph Merian Verlags. (März 01)