Am Ende der Grossen Erzählungen beginnen die Leben in knappen Sequenzen und kurzen Sätzen wie: Zilla-Brambilla lebt in Fleisch und Blut und Bildern. Zilla sind Viele, und wer da behauptet, sie alle zu kennen, will sich täuschen. Zunächst unterliegen diese Videokurzgeschichten ohne umfassendes Storyboard der Regie und Magie eines einzigen Namens. Zillas Kreisen um die eigene Person weckt zentrifugale und zentripetale Kräfte.
Wendung 1: Sich vervielfachen. Zilla wird Nina wird Catherina (1996), wenn unter dreifältigem Namen die Porträtfotos ineinander über- und auseinander hervorgehen. Während die eine Aufnahme unmerklich verglimmt, haben sich dem Gesicht schon die nahverwandten Züge Ninas der nächsten eingeschrieben. The way you make me feel (1997) wirkt unterkühlt, bleibt aber synthetisch durchaus spürbar auf der Bühne eines Dancefloors im Atelier. Zilla tritt da hinter der Stellwand zur Linken hervor und eröffnet den Tanz, bis Zilla die Zweite auftritt und sich in monogamer Einsamkeit vor sich selber bewegt, dann Zilla zuwendet, welche als Klon mit Variationen ein drittes Mal in den statischen Ausschnitt eingeschoben wird. Trippelgängerinnen bewegen sich zueinander und aneinander vorbei, als wären sie sich nie oder nur in der Anonymität einer Disco begegnet.
Wendung 2: Sich vergewissern. Der Tanz um die Linse im Sog der Kamera mag selbstverliebt erscheinen. Eigentlich hat Frau Narziss aber das naive Vertrauen auf die Authentizität von Bildern längst verlassen; sie blickt in den zeitverschobenen Spiegel der Kamera mit traumartiger Gleichgültigkeit. Was bleibt, ist die selbstvergessene Abwesenheit in ihren verlorenen Augen. Sie schaut hin, schaut hindurch, hinaus. Erst aus dem Alltag vertraute Situationen und Kindergeschichten helfen sich der eigenen Identität wieder zu vergewissern. Da sitzt klein Zilla (1997) allein am Tisch der Grossen und streicht sich ihr Brot. Oder sie schläft, ruhig, unruhig, zur krakelig schwarzen Kontur in einem reinweissen Videointerieur umgerechnet. Seltsam nur, dass das gleissende Strahlen des Monitors doch wieder ans Mondlicht erinnert, wie die leuchtend weissen Zwischenräume an den leeren Grund einer Zeichnung. Soeben hat Zilla Leutenegger ausgewählte Videostills auf weisse, wild ausgerissene Papierbahnen projiziert und mit raschen Pinselspuren in Schwarz nachskizziert. Das Bild scheint sich seiner eigenen Körperlichkeit zu vergewissern in einem Augenblick, da jedes Motiv seine Manipulierbarkeit ausstellt, da jeder malerische Duktus auf verblichene Poster oder schemenhafte Erinnerungen an Filmszenen anspielt.
Wendung 3: Sich entfernen. Auch schwarzer Schnee fällt lautlos. Das japanische Gemurmel in Marmoru (2001) deutet sich an als eine Stimme aus dem Off, die der Strichzeichnung der mobilen Sprecherin bei ihrem Stehen, sich Drehen und Umhergehen folgt. Wer fernspricht war immer schon hier und anderswo zugleich. Die Mobilität beim Fernsprechen erinnert an die Überwindung von Distanzen, die nie mehr einzuholen sind. Aus zwei Winkeln eines Ausstellungsraums führt Zilla ein Selbstgespräch im Zeitalter der ortsunabhängigen Kommunikation, geleitet über stationäre Satelliten auf einer Umlaufbahn um sich selbst. Hier führt fortwährendes Orten in die Ortlosigkeit. Aus dem schwarzen Loch des Monitors tauchen daneben short messages auf, um sich nach einer kometenhaften Schlaufe sogleich wieder der Lesbarkeit zu entziehen. Die technisch bedingte Verkürzung der Aufmerksamkeit auf wenige Zeichen, provoziert zur unendlichen Wiederholung. Jede Kurzmitteilung spart nur Raum für die folgende.
Noch erinnert Kunst an einen Anspruch auf Dauer. Zillas flüchtige Sequenzen unterliegen damit einer inneren Spannung: Was geschieht, wenn die kurze Mitteilung sich einbrennt und nie mehr vom Bildschirm verschwindet? Was, wenn Zilla über die Jahre hin auch Japanisch verstehen lernt? Was, wenn der dritte Wunsch aus dem Märchen in Erfüllung geht und Catherina Nina und Zilla wach küsst? Die digitale Romantik hat die glänzenden Brillen potenziert. Im Panoptikum allgegenwärtiger Kameras stellen sich erst allmählich neue Selbstverständlichkeiten her. Wir über ein Leben umgeben vom Echo von Personen, denen wir ständig begegnet sind und die wir nie treffen werden. Zilla sind Viele, und doch ist nur eine wie Zilla: so Viele.