Claudia Spinelli

Türkis und Lindgrün beissen sich nicht

Die Malerei von Hanspeter Hofmann

Wie erklärt man den Geschmack von Ananas, welche Bedeutung hat der Geruch von Kaffee? Weshalb werden gewisse Formen als schön, andere als hässlich empfunden? Warum löst Gelb neben Rot eine andere Stimmung aus als Grün neben Blau? Kürzlich las ich in einem Hochglanzmagazin: "Türkis und Lindgrün beissen sich nicht." Ich würde lügen, gäbe ich nicht zu, dass sich meine Aufmerksamkeit bei der nächsten Einkaufstour auf ebendiese Farbkombination richtete und ich, tatsächlich fündig geworden, eine heftige Vorfreude auf wärmere Tage entwickelte, die mein Denken während Stunden bestimmte. In solchen Augenblicken wird deutlich, weshalb es so schwierig ist, Intelligenz künstlich zu entwickeln. Die Wahrnehmung ist an Oberflächen orientiert, das menschliche Bewusstsein aber umfassend. Sinnlicher Reiz löst Erinnerungen und Affekte aus, führt zu geistigen Prozessen, deren Spannbreite zwischen Tiefsinn und Banalität oszilliert. Kein Wunder ist es bisher noch nicht gelungen, eine taugliche Erklärung für die unglaublichen Verstrickungen unseres Denkens zu entwickeln, das sprunghaft kombiniert, in einem fort absorbiert, immer wieder neue Ideen produziert, um diese sogleich in einer diffusen Vorstellungswelt zu sublimieren. Im Vermögen, eine Formel für das Zusammenspiel von Materiellem und Geistigem, Äusserem und Innerem zu finden, ist die Kunst der Wissenschaft eindeutig voraus. Dafür zumindest steht die Malerei von Hanspeter Hofmann, deren organische Motivik auf grundlegende Lebensprozesse anspielt und diese als schillerndes Spiel zwischen Oberflächenreiz und Tiefenwirkung auf die Leinwand bringt.

Organische Linienstrukturen oszillieren zwischen lindgrün, türkis und weiss, bilden Kreise, durchdringen und überlagern sich, um in elegantem Schwung aus der silbergrau changierenden Bildfläche zu verschwinden. Ein warmes Rot und lasierend aufgetragene, in lange Tropfen auslaufende milchigweisse Flächen ergänzen eine Farbpalette, die den aktuellen Frühjahrskollektionen alle Ehre machen würde. Farbkombinationen, naturnah wie Vergissmeinnicht, Krokus oder Tulpen und doch ganz und gar artifiziell. Malerei eben, Ergebnis eines sorgsamen Pinselduktus, der in langsamer Bewegung der Krümmung einer Linie folgt, innehält, um, in eine neue Farbe getaucht, abermals auf der Leinwand aufzusetzen und der organischen Form eine weitere Rundung anzufügen. Dieser Vorgang wird mal mit grosszügiger, mal mit verhaltener Bewegung wiederholt, führt den Fluss der Farben so lange fort, bis eine Form vollständig erscheint oder der Bildrand erreicht ist. Hanspeter Hofmann ist kein heftiger Maler, keiner der sein subjektives Empfinden in affektiven Ausbrüchen auf der Leinwand zum Ausdruck bringt. Im Gegenteil, die Bildlichkeit, die er generiert, entspringt einem ebenso sorgfältigen wie spielerischen Kalkül.

Ausgangspunkt seiner Malerei ist ein formales Grundvokabular, das Hanspeter Hofmann vor ein paar Jahren in einer Serie von Holzschnitten festgelegt hat. In ihrer Funktion als Bildvorlagen werden Teile dieser organischen Strukturgeflechte ausgesondert oder in Überblendung miteinander kombiniert. Aus Fernsicht eingefangene Ballungsfelder geraten dabei ebenso ins Blickfeld, wie hochgezoomte Details. Agil bewegt sich Hanspeter Hofmann in dem von ihm geschaffenen System, fokussiert aus allen erdenklichen Perspektiven, lässt sich hin- und mitreissen von der Vielfalt einer schier unerschöpflichen Kombinatorik. Die Art, wie der Künstler diese Grundstruktur malend zu einer farbig schillernden Bildwelt weiterentwickelt, ist nicht auf Übersichtlichkeit, sondern im Gegenteil auf Überraschung angelegt. Wie die Wellenreiter in dem Video, das Hanspeter Hofmann vor einiger Zeit gleichsam als Kommentar zu seiner Arbeit fertigstellte, lässt er sich von einem fliessenden Elementarsystem tragen, folgt dem Impuls der Wellen um sich im nächsten Moment, eine Kurve reissend, hoch aufzuschwingen, ruhig weiterzugleiten oder unvermittelt wegzutauchen. Hanspeter Hofmann stellt keine fassbare Bildwelt dar, sondern erforscht empirische Zustände, wie sie sich immer wieder neu aus dem spielerischen Umgang mit der von ihm festgelegten Matrixstruktur ergeben.

Diese Struktur ist eher Hilfmittel, denn Urbild. Sie ist die Unbekannte X in einer modellhaften Gleichung, die es möglich macht, sich einer Welt zu nähern, deren Bedeutung nicht in der Referenz auf einen tieferen Sinn ergründet, sondern von aussen, über die Oberfläche erfahren werden will. Tatsächlich entwickeln Hanspeter Hofmanns Bilder keine echte Räumlichkeit. Sie spielen mit einer Tiefenwirkung, die sich im nächsten Moment als Oberflächenreiz entlarvt – Ergebnis eines Lichtreflexes, der sich in der schimmernden Struktur des Bildgrundes bricht. Statt virtuelle Räumlichkeit abzubilden, generieren die Bilder eine Atmosphäre, die sich im Austausch zwischen Bildfläche und Betrachter empirisch entwickelt. Ebenso wie sich der Charakter der Grundstruktur von Bild zu Bild wandelt, sich der Formenfluss in immer wieder neuen momenthaften Konstellationen verfestigt, verfärbt, verdichtet oder ausdünnt, vermittelt sich die atmosphärische Konstellation, die sich aus der Konfrontation mit dem Publikum ergibt, als ein lebendiges Wechselspiel zwischen inhaltlicher Zuspitzung und Verflachung. In dieser Dynamik, die ebenso bildimmanent wie wahrnehmungsorientiert ist, liegt denn auch das eigentliche Potential von Hanspeter Hofmanns Malerei.

Sematisch umspannt dieses Werk ein weites Feld, das zwar eine Vielzahl an Assoziationen weckt, sich letztlich aber einer konkreten Benennbarkeit entzieht. In der organischen Formstruktur schwingt offensichtlich eine Naturhaftigkeit mit, die jedoch als Reminiszenz aus zweiter Hand, ohne direkten Kontakt zum eigentlichen Gegenstand, als von Kultur und Zivilisation affizierte Wahrnehmung nachhallt. Dies wird nicht zuletzt an der ganz und gar artifiziellen Farbpalette deutlich, die sich vorzugsweise Komplementärkontraste und Pastelltöne bedient, in den neuesten Arbeiten sogar grelle Töne setzt. Die Assoziationskette bewegt sich durch die Chemielabors der Basler Industrie, wo Hanspeter Hofmann früher gearbeitet hat, an Kleiderläden und Blumenständen vorbei bis nach Entenhausen, wo die Strassen rosarot und der Himmel gelb ist. Das Formengeflecht erinnert an eingefärbte Zellschnitte und Einzeller in physiologischen Nährlösungen, an modisches 70er Jahre Design, an die Skulpturen von Hans Arp oder die Malerei eines Jackson Pollock. Hanspeter Hofmann bewegt sich in einem von Wissen und Erinnerung gesättigten Raum, der trotz seiner assoziativen Breite an der Natur orientiert bleibt, diese als Metapher für einen grundlegenden Wirklichkeitsbegriff unter zeitgemässen Bedingungen neu fokussiert.

Hanspeter Hofmann ist kein Ikonoklast. Als Maler bedient er sich der wohl tradiertesten Kunstform, bewegt sich also innerhalb einer kunsthistorischen Entwicklung, die er umsichtig weitertreibt. Er stellt sich weder gegen Hans Arp, der, indem er schöpferischen Akt und Naturform zusammenführte, die Natur als sinnstiftende Instanz etablierte, noch widersetzt er sich Jackson Pollocks psychologisch aufgeladenem Erfahrungsraum. Den Nach-Bildern, die Hanspeter Hofmann schafft, sind diese Haltungen alle immanent, jedoch auch umgewertet. Sie haben ihren Legitimationscharakter verloren, bieten sich als eine Möglichkeit von Sinn und Bedeutung an, erzeugen einen inhaltlichen Tiefensog, der indessen immer wieder abprallt am dekorativen Glanz der Bilder. Der Bezug auf die Tradition der abstrakten Malerei ist der wohl wesentlichste Orientierungspunkt in Hanspeter Hofmanns künstlerischem Konzept. Mit ihm verknüpft sich ein Wertanspruch, der – trotz der Enthierarchisierungen, die er betreibt – als grundlegendes Versprechen bestehen bleibt. Dieses Versprechen handelt vom Glauben an eine Kunst, die ihre mythische Aufladung aus der Überlegenheit eines Modells und dessen Fähigkeit bezieht, empirische Erfahrung, also Wirklichkeit zu generieren. Damit kommt eine Suggestion zum Tragen, welche, zumindest für einen kurzen Augenblick, die Differenz zwischen Kunst und Realität vergessen macht. Dass es irgendwo weiter draussen noch eine andere Wirklichkeit gibt, die Erklärungen und Stellungnahmen erfordert, ist ein Paradoxon, das man angesichts der Schönheit von Hanspeter Hofmanns Bildern gerne in Kauf nimmt. Tatsächlich sind es gerade jene grundlegenden Verunsicherungen, die den Reiz der Gratwanderung, die man Kunst nennt, ausmachen. Die Moral, wenn man sie denn unbedingt haben will, liegt darin, dass die Bilder von Hanspeter Hofmann einer zeitgenössischen Wirklichkeitserfahrung entsprechen, die von einer Koexistenz unterschiedlichster Erfahrungen geprägt ist. Erkenntnisdrang und Hedonismus, Freude und Zweifel, Genuss und Kritik schliessen einander nicht aus, sondern scheinen sich, im Gegenteil, wechselseitig zu begingen.

Claudia Spinelli

Erschienen in: Ausstellungskatalog Villa Merkel, Esslingen, Frühling 2001