Claudia Spinelli

"Doyouwanneseemyblueberrys?"

Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger

Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger sind schon seit ein paar Jahren ein Paar. Während anfangs jeder für sich alleine arbeitete, haben sich im Lauf der Zeit immer mehr gemeinsame Projekte ergeben. Mit ihren Arbeiten verbreiten sie einen ungebrochenen Optimismus, der angesichts einer problemdurchzogenen Wirklichkeit anstössig, gleichzeitig aber dermassen entwaffnend ist, dass er ganze Armeen zur Strecke bringen könnte.

Eine eben noch fest verschlossene Kinderfaust öffnet sich vertraulich und bringt eine ziemlich unansehnliche Beere zum Vorschein. Die Handlung ist von solch feierlicher Intensität, dass selbst abgeklärte Erwachsene nicht umhin können, für einen kurzen wundervollen Augenblick den kostbaren Schatz, die einzigartige Zauberperle zu erkennen und an ihre Kraft zu glauben. "Doyouwanneseemyblueberries?" – der krakelige Schriftzug auf der Homepage (www. Xcult.org/gjpeng) von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger beschwört Erinnerungen, die ihre Energie aus einem ungebrochenen Glauben an das Gute beziehen. Dieser Glaube ist massgebend für eine Haltung, die sich den vermeintlichen Anforderungen einer vernunftgeprägten Wirklichkeitserfahrung mit beneidenswerter Konsequenz entzieht.

Lift-up

Ob sie sich nun gerade auf einer Weltreise befinden, in Australien für ein paar Monate ein Atelier bewohnen, in einer Kunsthalle Desserts servieren oder irgendwo eine Ausstellung einrichten, ist für Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger einerlei. Über den eigenen Kunstbegriff wird nicht theoretisiert, er wird gelebt. In Indien und Pakistan zum Beispiel hob die bärenstarke Gerda Leute hoch, während Jörg das Ereignis fotografierte. "Lift-up" heisst die wunderliche Bildserie, die ein erfundenes Ritual dokumentiert, das ebenso sinnlos und absurd ist wie die Praktiken der Kunst. Dennoch, was auf den ersten Blick leichtfüssig daherkommt, formuliert tatsächlich die zentrale künstlerische Forderung, Hierarchien aufzubrechen und Ordnungen auf den Kopf zu stellen. Der ideelle Mehrwert, der künstlerische Anspruch kommt als Reflexion über das eigene Selbstverständnis zum Tragen, das gerade angesichts der Konfrontation einander fremder Mentalitäten und Kulturen zu bestehen hat. Dass hierbei ein kommunikativer Ansatz massgebend ist, Menschliches und Künstlerisches demnach nicht mehr auseinandergehalten werden wollen, ist für Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger prägend.

Pop

Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger sind freundliche Erdenbürger. Sie kommunizieren gerne und fertigen auch hübsche Objekte. Während Gerda Steiner in den letzten Jahren psychedelische Muster auf Wände malte, züchtete Jörg Lenzlinger mit Hilfe von Salzlösungen kristalline Gewächse. Für beide funktioniert die Ordnungsstruktur der Natur als ein Orientierungspunkt, der spielerisch verstanden, zu überraschenden Resultaten führen kann: Gerda Steiners Malerei ist zwar von Gesteinsschichtungen und organischen Zellstrukturen inspiriert, folgt jedoch einem dekorativen Verständnis, welches mit dem Lebensgefühl der 60er und 70er Jahre Assoziationen von Flower Power, Friede und Freiheit heraufbeschwört. Ähnliches gilt auch für Lenzlinger: Die Nähe zu Joseph Beuys, die im künstlerischen Umgang mit Erdsalzen anklingt, begann sich schnell zu lockern. In Frauenfeld züchtete er zum Beispiel eine farbenfrohe Höhle, in der gelbe oder orangefarbene Stalagmiten grünen, roten, blauen und rosafarbenen Stalaktiten entgegenwuchsen. Statt beuysscher Erdschwere zelebriert Lenzlinger einen hybriden Pop, der gerade deswegen sinnstiftend ist, weil er ohne jede übergeordnete Symbolik auskommt.

Les Maux de Dents du Romantisme

Aufgrund ihrer inneren Verwandtschaft fügen sich die jeweiligen Ansätze von Steiner und Lenzlinger in idealer Partnerschaft zueinander. Im Pariser Centre Culturel Suisse etwa bauten sie eine Grotte mit wesenhaften Zügen und einem klaffenden Schlund. Die gemalte Höhle ist zweifelsohne aus Steiners Hand, während der dazugehörige Salztümpel auf Lenzlinger verweist. Die Installation ist eine freches Spiel mit der Romantik, das an einer Ikone der Epoche, an Caspar David Friedrichs "Kreidefels" durchgespielt wird. So nimmt der Höhleneingang formal die tiefe Schlucht des älteren Bildes auf und das helle Gestein wurde zum arg angeschlagenen Gebiss eines wilden Monsters, das – wie der Titel suggeriert – offenbar seine besten Tage hinter sich hat und nun an Zahnschmerzen leidet. Zum Glück muss man sagen, denn dann ist es zu sehr mit sich selber beschäftigt, als dass es gefährlich werden könnte. Vor geistigen Grössen bekunden Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger wenig Berührungsängste. Für eine Art Gärtnerei aus echten Pflanzen, Plastikblumen und Salzgewächsen, die sie in der Kunsthalle Winterthur einrichteten, erklärten sie mit dem Titel "Trink, oh Herz, vom Überfluss der Zeit" keinen geringeren als Goethe zu ihrem Paten. Unvoreingenommen lassen sie sich von der Fülle all dessen, was Kultur und Natur zu bieten haben, inspirieren. So bezieht "Fliegenflüge an der Kristallquelle", eine Installation in der Akademie der Künste in Berlin, ihren formalen Aufbau aus der Flugbahn von Fliegen: Weshalb sollte sich der Kunstwert, der einst Jackson Pollocks Gestik zugestanden wurde, nicht auch in der Lebensenergie von Fliegen erfüllen? Was in der gemeinsamen Küche frisch-fröhlich zusammengebraut wird, besticht zunächst durch Offenheit und entwaffnenden Charme. Gleichzeitig kommt aber auch eine Haltung zum Ausdruck, die – und das ist wesentlich – die Anliegen, die in den zitierten Versatzstücken anklingen, bestehen lässt, sie indessen ohne philosophischen Ballast aus dem eigenen Erleben heraus verstehen und den Menschen nahebringen möchte.

Nervenwärmer

Hinter der offenen Art von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger sind weder Argwohn noch Brüche verborgen. Sie teilen Neugierde, Lust und Verwunderung freundschaftlich mit ihrem Publikum. Wie Schausteller wirbeln sie den Kunstzirkus durcheinander und deklarieren ihre lebensfrohe Haltung zum ultimativen Gehalt. In ihrer aktuellen Ausstellung in der Basler Galerie Stampa richteten sie beispielsweise ein bewohnbares vegetatives Nervensystem ein. Um ein sanft wabberndes Wasserbett wurde aus getrockneten Ästen, Plastikpflanzen und Salzgewächsen eine bezaubernde Szenerie aufgebaut, die immer wieder neue, wunderliche Blüten hervorbringen wird. Wer die Oase betritt wird von sphärischen Tönen umfangen und kann sich dem Wunsch, stundenlang zu bleiben, kaum entziehen. Es entspricht dem künstlerischen Konzept, dass die von farbigen Kristallen überwachsenen Fernbedienungen, die im angrenzenden Raum aufliegen, nicht mehr funktionstüchtig sind. Damit wird ein Plädoyer formuliert, Glückserlebnisse zuzulassen, die letztlich lebensnaher und realer sind, als jede mediale Illusion. Die Welt, die Steiner und Lenzlinger aufbauen, ist keine verlogene Gegenwelt, sondern eine Offensive gegen diejenigen Kräfte, die uns daran hindern wollen, das Leben in seiner tatsächlichen Schönheit zu erkennen.

Erschienen in: Kunstbulletin, März 2001