Felix Stalder, Toronto
Kunst im Kontext, Teil eins: eToys.com vs. etoy.com
Oh, give me land, lots of land under starry skies above,
Don't fence me in.
Let me ride through the wide open country that I love,
Don't fence me in.
Let me be by myself in the evenin' breeze,
And listen to the murmur of the cottonwood trees,
Send me off forever but I ask you please,
Don't fence me in.
(Cole Porter, 1944)
1.Gerichtsentscheid (3.12.99)
Comment (6.12.99)
etoy
toywar
The Thing newsletter (21.12.99)
Eine melancholische Sehnsucht
für die längst verlorenen,
offenen Weiten des Grenzlandes
könnte im Cyberspace bald
zum dominanten Gefühl werden, zumindest
in den Ecken, wo
Gefühle noch nicht völlig durch den
IPO-Wahnsinn
abgestumpft sind. Überall werden Zäune errichtet,
die, was
einst als unbegrenzter Raum erschien, in ein überfülltes
und
streng kontrolliertes Einkaufszentrum verwandeln. Die
Topologie
dieser Ansprüche ist noch im Entstehen begriffen,
aber die Anwälte
beeilen sich, Zäune aufzustellen. Ein
kürzlich erfolgter Prozess
und Internet Gesetzgebungen, die
bald in Kraft treten sollen, beleuchten
diesen Trend auf
einem der Schlachtfelder: Domainnamen.
Am Montag,
den 8. November 1999, wurde in einem
kalifornischen Bezirksgericht der
Prozess von eToys.com
gegen etoy.com eröffnet. Das Ergebnis
dieser Schlacht
wird ein Indikator für die Ausgewogenheit der
Machtverhältnisse zwischen kommerziellen und nicht
kommerziellen
Online-Interessen sein. In einer Ecke des
Rings steht eToys.com, ein neuerer
Online-Einzelhändler
(Registrierung des Domainnamens am 3. November
1997), in
der anderen Ecke steht das bahnbrechende, in der Schweiz
angesiedelte, Bad Boy-Künstlerkollektiv etoy.com
(Registrierung des
Domainnamens am 13. Oktober 1995).
Trotz, oder vielleicht gerade wegen ihres
derzeit
bevorzugten Slogans - die Realität hinter sich lassen -,
könnten sie bald von einer unangenehmen Realität eingeholt
werden.
eToys.com ist ein typisches Start-Up Netzunternehmen: in
Kalifornien beheimatet, an die 500 Angestellte, schwache
Verkäufe (30
Millionen im letzten Finanzjahr), ein IPO
letzten Mai und seither extrem
schwankende Aktienkurse. Für
eToys.com und viele andere kämpfende
Start-Ups hat die
grosse Rationalisierung gerade erst begonnen, ihr
Schicksal
wird sich in den nächsten zwei Jahren entscheiden. Die
Schaffung einer optimalen Geschäftsumgebung ist
entscheidend, und
Künstler mit verwirrenden Websites sind
das Letzte, was ein
familienfreundlicher Einzelhändler
brauchen kann. Ganz besonders, wenn
sich diese Künstler als
die "erste Strassengang auf der
Informationsautobahn"
ausgeben (ein früher etoy Slogan). eToys.com
möchte sie
loswerden, oder sie zumindest in eine abgelegene Ecke
des
Netzes, also zu einem Domainnamen abschieben, der mit
ihrem absolut
nichts zu tun hat.
Man könnte annehmen, dass der Fall völlig
klar liegt, und
dass die Klage von eToys.com keine Chance hat. Das
Künstlerkollektiv hat seinen Domainnamen mehr als zwei
Jahre vor dem
amerikanischen Einzelhändler registrieren
lassen. Seit damals hat das
Kollektiv - das ironischerweise
eine verbissene Firma spielt, während
der Einzelhändler
versucht, "unterhaltend" zu erscheinen -
den Domainnamen
eifrig in einem Bereich benutzt, der absolut nichts mit
dem
Spielzeughandel zu tun hat.
"Cybersquatting"/
"Cyberbesetzungen" - das Registrieren
eines Domainnamens mit der
Absicht, ihn zu einem höheren
Preis weiterzuverkaufen - ist ganz klar
eine Anklage, die
gegen etoy.com nicht erhoben werden kann.
Nichtsdestotrotz beansprucht der Einzelhändler die Rechte
auf den
Domainnamen und lockt mit einem attraktiven
Angebot, um es zu bekommen. Erst
bot er für die Übertragung
des Domainnamens $100.000, dann sogar
mer. Nachdem diese
Angebote von Etoy abgelehnt wurden, brachte das
Unternehmen einen Klage wegen Verletzung eines
Warenzeichens ein. Die
trotzige Reaktion der Künstler auf
diese Drohung:
"Sie lassen uns bluten, bis wir tot sind. Aber in etoy
fliesst kein Blut, wir werden nicht bluten."
Aber sie und andere unabhängige Gruppen haben immer
weniger
Chancen, während auf Warenzeichen spezialisierte
Anwälte die
Gesetze umschreiben, die die Infrastruktur des
Internet regeln. Vergraben in
dem ansonsten unauffälligen
"Satellite Viewers Act" hat der
US Senat Anfang dieses
Monats auch Verordnungen gegen das
"Cybersquatting"
genehmigt. Der Gesetzesentwurf geht jetzt durch
das House
und es wird erwartet, dass er auch dort bestätigt wird.
Gemäss diesem Gesetz, das von der Motion Picture
Association of America
(MPPA) unterstützt wurde, können
die Inhaber eingetragener
Warenzeichen angebliche
"Cybersquatter" in dem Land, in dem der
Domainname
registriert wurde, vor Gericht bringen. Das bedeutet, dass
alle Streitfälle um .com, .org, .net in den Vereinigten Staaten
verhandelt werden können. Darüber hinaus können die Inhaber
der Warenzeichen diejenigen Personen, die den Namen in der
Absicht
registriert haben, ihn weiterzuverkaufen, das
Warenzeichen zu verletzen oder
Konsumenten in Hinblick auf
die Tatsache zu verwirren, wer die Website
betreibt, auf bis
zu $100.000 Schadenersatz klagen. Die Aussicht $100.000
an
Schadensersatzzahlungen leisten zu müssen, macht schon die
Androhung einer Klage sehr schlagkräftig, und es ist
wahrscheinlich,
dass die Inhaber kleiner Domainnamen zur
Aufgabe gezwungen werden, bevor der
Prozess überhaupt
begonnen hat.
Das Erstaunliche an diesem
Gesetz, neben der Tatsache, dass
es Teil eines umfassenden Gesetzesentwurfs
zum
Satellitenfernsehen ist, liegt in der Definition von
"Cybersquatting" als unter anderem "einer Verwirrung der
Konsumenten in Hinblick auf die Betreiber der Website."
Diese wie man
annehmen muss bewusst vage Definition
richtet sich gegen Parodie, wie zum
Beispiel die unglaublich
komische gwbush.com Site von rTmark. Es
könnte
allerdings auch im Kampf gegen die sogenannte
"Verwässerung von Warenzeichen", die Schwächung einer
Markenidentität durch verwirrende Botschaften, eingesetzt
werden.
Gerade die Vieldeutigkeit dieser Begriffe begünstigt
ganz klar die
Inhaber grosser Warenzeichen und deren
hochqualifizierte Rechtsabteilungen.
Eine ähnliche Initiative wird von ICANN vorangetrieben, der
von der US-Regierung eingesetzten internationalen
Organisation, die unter
anderem auch Streitfälle um
Domainnamen regeln soll. Am 26. August 1999
übernahm
ICANN als eine ihrer ersten Taktiken die "Uniform
Dispute
Resolution Policy". Diese Politik spiegelt eindeutig die
Interessen und Anliegen der Inhaber grosser Warenzeichen
wieder, die der
Landschaft der Domainnamen gerne ihre
Grenzen aufzwingen wollen. Folgende
Streitfälle sollen durch
diese Verordnung geregelt werden:
"(i) ihr Domainname ist identisch mit oder einem
Waren-
oder Servicezeichen verwirrend ähnlich, auf das der
Kläger
Anspruch hat; und (ii) sie haben keine Rechte oder
legitimen
Interessen in Bezug auf den Domainnamen; und
(iii) ihr Domainname wurde
arglistig registriert und
benutzt."
[1]
Die Sprache zeigt ganz deutlich die Interessen der Autoren
dieser
Verfahrensweise, nämlich die der zu spät
gekommenen, die sich
ihren Weg hinein erzwingen wollen.
Genauso verhält es sich im Fall
eToys.com gegen etoy.com.
Wie dem auch sei, beide Verfügungen sind noch
nicht in Kraft,
und es ist alles andere als klar wie die Gerichte die
Rechte
der Warenzeicheninhaber gegen die, wie man hoffen kann,
grundlegenderen Rechte der Rede- und Ausdrucksfreiheit
abwägen werden.
Wenn etoy.com diesen Prozess verliert,
könnte das ein
ernüchternder Präzedenzfall für eine ganze
Reihe
ähnlicher Klagen werden. Aber noch ist der Fall längst
nicht
verloren und etoy.com bereitet sich auf die nächste,
sehr
öffentliche Runde im Spielzeugkrieg vor.
Anm.: Seitdem die
englische Originalfassung dieses Artikels
erschien, wurde bekannt, dass die
Anwälte der
Spielzeugfirma Etoys den Fall an das Gericht
zurückgegeben
haben. Das bedeutet, dass es für die
Künstlergruppe Etoy noch
teurer wird, sich zu verteidigen. Zugleich
wurde das
ursprüngliche Angebot von 100.000 auf 160.000 Dollar
erhöht. In einer Pressemeldung verlautbarten die Künstler,
dass
ihr Domainname keinen Preis habe und unveräußerlich
sei, nicht
zuletzt da die gesamte künstlerische Arbeit seit
1995 auf der
Verwendung des Domainnamens aufbaut.
1.Gerichtsentscheid 3.12.99
[1] http://www.icann.org/udrp/udrp-policy-24oct99.htm
http://www.etoys.com
http://www.etoy.com
http://www.hijack.com
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Les faits sont faits.
http://www.fis.utoronto.ca/~stalder