Konrad Tobler

Nuancen in Schwarz und Weiss


«Birken und ein Berg»: Das Kunstmuseum Luzern zeigt die gross-formatige Malerei von Alois Lichtsteiner.

Das Flimmern der Stämme eines Birkenwaldes: reine Malerei. Das haben schon viele Maler für sich entdeckt, und nicht die schlechtesten. Das fast grafische Muster der Rinden der Birken: schöne Bildvorlagen. Dieses an sich einfache Motiv hat der in Murten lebende Maler Alois Lichtsteiner vor einigen Jahren für sich entdeckt. Dass er mit Leerflächen umzugehen versteht, weiss, wer dieses behutsam immer weiter entwickelte Werk verfolgt.

Schön leer
Leerflächen der Farbe aber sind gemalte Flächen. Nur wer das scheinbar Leere zu malen weiss, weiss auch das andere hervorzumalen: das, was gemeinhin als «Motiv» bezeichnet wird. Dieses Gesetz gehört zu den Grunderkenntnissen der uralten chinesischen Maltradition. Und dieses auf den ersten Blick Einfache, in der gemalten Fläche aber Komplexe gehört in der europäischen Malerei zum «Nebenproblem», in dem sich die Sinnlichkeit der Malerei stark entfaltet - etwa schon in den schimmernden Hintergründen, die Rembrandt oder Goya für ihre Porträts meisterhaft entwickelt haben.
Birkenrinden also. Und ein Berghang mit aperen Stellen. Gemaltes Weiss: die weisse Rinde, der Schnee - die Leerstellen. Und, ebenfalls beide Male, das gemalte Dunkel: die schwarzen Stellen der Rinde, die schneefreien Felsbänder - das, was man das materielle Ornament des Bildes nennen könnte.
So wenig und so viel. Wenn Lichtsteiner die Birkenrinden malt, macht der Pinsel die fein gerillte, bei keinem Baum identische Struktur der Rinde; die Haut des Baumes wird zur Haut der Malerei, wie der scheidende Kunstmuseumsdirektor Ulrich Loock im Katalog feststellt. Und wenn der Maler den Schnee malt, ist die Farbe das Bedeckende, das, was den Felsen in seiner Steinigkeit erst hervortreten lässt. Oder das, was im Sturz der steilen Felsen sozusagen abgleitet, stürzt und so die aperen Felsen offen lässt.

Schön steinig
Lapidar: ganz schön steinig, könnte man da knapp sagen. Aber Lichtsteiner malt mehr als das. Er stellt sich mit seinen neuen Bildern einerseits markant in die Tradition der pittoresken Leermalerei. Er nimmt andererseits mit den Bergbildern fast unweigerlich und sehr pointiert die monumentale Bergmalerei eines Hodler auf. Diese zielte tendenziell in sich schon auf die Malerei selbst - auf die Materialität und das Erscheinen der Farben, auf deren Wucht, die der Wucht der Felsen entspricht.
Und drittens: Lichtsteiner hintergeht mit diesen Bilder die Frage nach dem Motiv. Ja, es sind Birkenrinden, ja, es sind Berghänge. Aber er hintergeht es eben dadurch, dass er diesen Motiven ganz konzeptionell den freien Raum schafft. Es ist der Raum der Malerei. Der Raum, in dem nicht mehr wichtig ist, was vorne und hinten ist, was wichtig und unwichtig ist. Es ist das malerische Ornament von Schwarz und Weiss. Oder das malerische Muster ihrer lebendigen, geschmeidigen Nuancen.
Ausstellung: Neues Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1. Bis 9. 9. Di bis So 10-17 Uhr, Mi bis 21 Uhr.