Philip Ursprung
Close Encounters: Seltsame Begegnungen zwischen Kunst und öffentlichem
Raum
Vortragsmanuskript für die Vortragsreihe guest corner. Schule für Gestaltung Basel, 24.3.1998
In Steven Spielbergs Film Close Encounters of the Third Kind (1977)
versuchen freundlich gesinnte Aliens, mit Erdlingen in Kontakt zu kommen.
Sie bringen einige von ihnen mittels mysteriöser Gedankenübertragung
dazu, sich von einem auffälligen landschaftlichen Wahrzeichen, dem
"Devil's Tower", angezogen zu fühlen. Die Zuschauer können
diesen Prozess verfolgen an der Geschichte des obligaten Spielberg-Helden,
dem frustrierten Alt-68er (gespielt von Richard Dreyfuss), hinter dessen
kurzsichtigem Blick und wirrem Haarschopf noch immer der Funke des Pioniers
glimmt, der nur darauf wartet durch eine grosse Aufgabe entfacht zu werden.
Natürlich erfährt neben den auserwählten Individuen auch
der Staat von der Sache. Das Militär riegelt das Gebiet, in dem die
Landung der Aliens vermutet wird, ab. Unter dem Vulkankegel des "Devil's
Tower" wird eine riesige Landebahn errichtet mit Flutlicht, Tribünen
für hohe Offiziere und Krankenwagen für den Notfall. Das Herzstück
der Anlage ist eine Apparatur, mit der das Militär hofft, den Kontakt
mit den Aliens aufnehmen zu können. Die Apparatur besteht aus einer
Leuchttafel mit farbigen Feldern, sowie einer Serie von Lautsprechern. Über
die Tastatur einer Art Hammondorgel können Farb- und Tonmuster erzeugt
werden.
Durch die Augen des Helden und seiner Partnerin, denen es gelungen ist,
in die Sperrzone einzudringen, erleben die Kinozuschauer den Moment des
"Close Encounters". Die Raumschiffe in Form von riesigen Kronleuchtern
landen tatsächlich und warten auf einen gebührenden Empfang. Die
elektronische Orgel lässt einen Ton erklingen. Nach kurzem Zögern
wird aus dem Bauch des Mutterraumschiffs ein sehr tiefer Ton erwidert. Der
Kommunikationswissenschaftler, der die Orgel bedient, spielt eine Tonfolge.
Das Raumschiff imitiert die Tonfolge und beginnt dann seinerseits solche
zu entwerfen. Die Melodien werden immer komplexer, das Tempo nimmt zu, bis
der Wissenschaftler nicht mehr mithalten kann. Der Computer übernimmt.
Die Tasten bewegen sich nun vollautomatisch und ein rasend schneller Austausch
von Zeichen hebt an.
Zu keiner Zeit hat irgendwer unter den Militärs und Kinozuschauern
auch nur die geringste Ahnung davon, was die Apparatur und die Aliens einander
mit ihrem synästhetischen Kauderwelsch zu erzählen haben. Das
ist auch belanglos, denn der ganze Dialog wird auf Magnetband gespeichert.
Die Botschaft als solche wird nicht entschlüsselt - aber dafür
gelagert. In dieser Lagerung - das ist die "Lehre" aus Spielbergs
ironischen Filmen - liegt ihr "Sinn". Im Moment, als die Magnetbänder
des Computers zu laufen beginnen ist der Film eigentlich vorbei. Gewiss,
eine Raumschifframpe öffnet sich, ein verschwunden geglaubtes Kind
steigt heraus, unser frustrierter Alt-68er steigt dafür mit verklärtem
Blick ein, etc.. Aber das Spannende an der Geschichte ist der Moment, in
welchem die Kommunikation aufgebaut wird. Und was uns den Film immer und
immer wieder geniessen lässt, ist die Tatsache, dass die Botschaft
völlig unverständlich bleibt und einfach an uns vorbeirauscht.
Aus Spielbergs Filmen können wir lernen, dass das Medium eben nicht
die Botschaft ist, wie uns Marshall McLuhan in den frühen 1960er Jahren
in seinem Buch Understanding Media weiszumachen versuchte, und was uns seither
die Werbeabteilungen der Telekommunikationsfirmen unermüdlich erzählen
- und was auch in der Kunstwelt eifrig wiederholt wird.
Was wir in Spielbergs Filmen erfahren können, ist das Mysterium
der Kommunikation. Denn diese ist ja stets eine, die nicht funktioniert.
Sei es die Begegnung des unschuldigen Helden auf Spazierfahrt mit einem
teuflischen Tanklastwagen in Duell, die Begegnung ahnungslos Badender mit
einem weissen Hai in Jaws, die fruchtlose Bemühung um ein Telephonat
nach Hause durch E.T, der beträchtliche Zeit- und Kulturunterschied
zwischen Besuchern und Dinosauriern in Jurassic Park oder die Missverständnisse
zwischen Cinque und seinem Anwalt in Spielbergs jüngstem Film, Amistad.
Was wir lernen können, ist, dass Kommunikation nichts Neutrales
ist, sondern ein Wert, ein Rohstoff, etwas, um dessen Kontrolle sich die
Mächtigsten der Welt streiten. (Dieser Tage streitet Bill Gates mit
einem Ausschuss des amerikanischen Senats darum, seinen Internetbrowser
zusammen mit Microsoft Windows anzubieten, mit anderen Worten, um die Frage,
ob einer das Medium und die Botschaft kontrollieren darf.)
***
Nun werden Sie sich fragen, was das mit dem Thema "Kunst im öffentlichen
Raum" und "Kunst am Bau" zu tun habe, über das ich eigentlich
mit Ihnen kommunizieren möchte. Die Diskussion um diese Thema - und
ich sehe beide, "Kunst im öffentlichen Raum" und "Kunst
am Bau" als austauschbare Begriffe - ist in jüngster Zeit wieder
aktuell geworden. Aus der Perspektive der bildenden Kunst ist die Debatte
deswegen so interessant, weil es einerseits um die Frage der Funktion von
Kunst geht, also um die Frage an wen sie sich richtet und wie lange sie
"dauert". Und weil andrerseits viel Geld im Spiel ist.
Ganz kurz will ich die historischen Zusammenhang skizzieren, in dem
das Phänomen Kunst am Bau, respektive Kunst im öffentlichen Raum
zurzeit befindet. Wenn wir in die Zeit des Barock zurückblenden, sehen
wir uns mit der Idealsituation einer Verbindung von Kunst und Architektur
konfrontiert. (Aus dieser Zeit stammt übrigens auch die säuberliche,
akademische Trennung der künstlerischen Gattungen). Ein Bauherr bestimmte.
Ein Architekt entwarf und liess, im Dienste der Architektur, Bildhauer und
Maler ihre Arbeiten an spezifischen Orten, nach spezifischen Programmen,
für ein spezifisches Publikum ausführen.
Mit dem Ende des Ancien Régime änderte sich dieser Auftragszusammenhang.
Nun ist das 19. Jahrhundert ja nicht gerade arm an Denkmälern gewesen.
Im Gegenteil, man kann von einer eigentlichen "Monumentomanie"
sprechen. Die neu entstehenden Nationalstaaten möblierten ihren neu
gewonnenen öffentlichen Raum mit Erinnerungen Feldherren, Staatsmänner
und Helden des Kulturlebens, das heisst Künstler, Musiker und Dichter.
Die Staaten sahen es als ihre Aufgabe, das Erbe der aristokratischen Kunstpflege
anzutreten. (Relikte davon spüren sie noch heute in den höfischen
Manieren, die in manchen Kunstmuseen gepflegt werden). Die Staaten sahen
es insbesondere auch als ihre Aufgabe, Künstler mit Aufträgen
zu versehen und die künstlerische Artikulation der Zukunftshoffnungen
und Erinnerungen zu koordinieren. Dazu haben die meisten Staaten im ausgehenden
19. Jahrhundert Gesetze über staatliche Kunstpflege erlassen, neben
der Auslobung von Stipendien eben auch die vielgeschmähte Kunst am
Bau.
Die Kunst am Bau und die "Pflege der Denkmäler" (heute
Kunst im öffentlichen Raum) sind in der Tat Institutionen, die in die
Jahre geraten sind. Ähnlich wie die Schützenvereine, die Goldreserven,
die Kunsthallen, die Kunstgewerbeschulen. Aber ich bin der Meinung, dass
wir, als Gesellschaften, deren Mentalität und soziale Strukturen im
19. Jahrhundert wurzeln (von der Fastnacht über die Weihnachtsfeier
bis zur sozialen Struktur der Familie) - uns diesen altmodischen Luxus leisten
und weiterhin beim Namen nennen dürfen.
Was das Thema in der jüngeren Vergangenheit zunehmend problematisch
macht, sind nicht nur die Sparpakete der öffentlichen Hand und die
vielbeschworene Feindseligkeit des "Mannes von der Strasse" (den
ich noch nie gesehen habe), sondern vor allem auch die Tatsache, dass die
Architektur und die bildende Kunst längst getrennte Wege eingeschlagen
haben.
Die Vorstellung vom Gesamtkunstwerk, wo Architektur, bildende Kunst,
Design und Musik Hand in Hand an etwas arbeiten, das mehr sein soll als
die Summe der Einzelteile, triumphierte zuletzt in der Zeit der klassischen
Moderne - sprich Bauhaus. Im Bauhaus wurde noch einmal der alte Traum von
den vereinigten Künsten geträumt, die sich unter den Fittichen
der Architektur artikulieren durften. Kein Wunder, dass die Architektur
- gerade in der Schweiz und in Deutschland - diesem Traum noch immer anhängt.
Aber auch kein Wunder, dass die bildende Kunst sich der freundlichen Umarmung
durch ihrer massige Schwester entzogen hat und andere Wege gegangen ist.
Nur, immer dann, wenn sie von den Architekten als Kunst am Bau angerufen
wird, soll sie sich die alten Bauhausklamotten wieder anziehen und so tun,
als ob nichts gewesen sei. Als Kunst am Bau soll sie sich gesittet verhalten,
sich dem architektonischen Konzept unterordnen, "räumlich auf
die Architektur eingehen", "Stimmung erzeugen" und "Kontraste
schaffen".
Derartige Forderungen, die in den Wettbewerbsprogrammen gestellt werden,
übersehen meiner Ansicht nach die grundlegende Differenz, ja die Kluft,
die sich seit Jahrzehnten zwischen Kunst und Architektur geöffnet hat.
Beide operieren nach unterschiedlichen Logiken und Kriterien. Künstler
und Architekten werden nicht mehr zusammen ausgebildet, sie lesen nicht
mehr die selben Fachzeitschriften. Der Begriff der Postmoderne, in der bildenden
Kunst seit den 1980er Jahren selbstverständlich, ist für die Architekten
noch immer ein Reizwort.
Meiner Ansicht nach sollte diese Kluft respektiert und reflektiert werden.
Kunst und Architektur, Kunst und öffentlicher Raum (was immer darunter
verstanden wird) begegnen sich fast zwangsläufig "seltsam"
- eben in der Art der "Close Encounters" zwischen Menschen und
Aliens in Spielbergs Film. Dies ist zweifellos eine Schwierigkeit, aber
ich bin dagegen, dieser Schwierigkeit dadurch auszuweichen, dass, wie immer
wieder gefordert wird, die Kunst am Bau einfach abgeschafft wird. Ganz im
Gegenteil. Sie gehört meiner Ansicht nach zum komplexen Erbe der bürgerlichen
Nationalstaaten, das unsere Gesellschaften ausmacht. Aber ich plädiere
dafür, dass die beiden Gattungen, zumindest in der jetzigen Situation,
nicht zu "kommunizieren" brauchen, sondern ihre Konflikte durchaus
artikulieren dürfen. Der englische Architekt Sir Norman Foster hat
dazu den schlagenden Satz geprägt: "Kunst am Bau ist wie Lippenstift
auf einem Gorilla".
***
Ich bin kein Künstler und kann Ihnen deshalb keine Lösungsvorschläge
machen. Als Historiker kann ich Ihnen allenfalls Beispiele geben, wie meiner
Ansicht nach mit dieser diskrepanten Situation umgegangen werden kann. Ich
bin skeptisch gegenüber Ansätzen, die davon ausgehen, dass die
Grenzen zwischen den Gattungen gefallen sind. Gewiss, die meisten Künstler
bewegen sich in den 1990er Jahren mühelos zwischen den Gattungen hin-
und her (Unterschiede wie "Bildhauer", "Maler" und "Photograph"
haben sich in der Praxis erübrigt), aber das heisst nicht, dass die
Trennungen aufgehoben wären. In der künstlerischen Praxis von
Donald Judd beispielsweise, der beanspruchte, Architektur zu produzieren,
ist meiner Ansicht nach der alte Allmachtsanspruch des Bauhauses zu spüren
und dahinter der aristokratische Traum des barocken Fürstbischofs,
der alle Bereiche des Lebens kontrollieren möchte. Es scheint mir auch
bezeichnend für diese Situation zu sein, dass Judd seine Utopie abseits
der Kunstwelt, auf militärischem Territorium, in Marfa, Texas, realisieren
musste. Auch die Postminimalisten Richard Serra und Dan Graham träumen
den alten Traum weiter. Und selbst Gerhard Merz möchte ein Architekt
sein. Wozu das führt, war an der letzten Biennale in Venedig zu sehen.
Ich bin ebenfalls sehr skeptisch gegenüber Ansätzen wie demjenigen
von Künstlern wie Rikrijt Tiravanija. Tiravanija reist seit einigen
Jahren von Kunstverein zu Kunstverein, um dort für geladene Gäste
zu kochen. Die gemeinsamen Mahlzeiten werden gefeiert als Momente der Kommunikation,
aber auch als Momente der Grenzüberschreitung, weil teilweise auch
Menschen ausserhalb des engen Perimeters der Kunstwelt in den Genuss seiner
Gerichte kommen.
Tiravanija, oder vergleichbare Figuren wie Tadashi Kawamata und Jorge
Pardo, kommen den Kuratoren und Kritikern bei ihren Plänen, die Kunstwelt
auszudehnen und das "breite" Publikum "zu erziehen"
natürlich gelegen. In erster Linie bedienen diese Künstler meiner
Ansicht aber dem Traum der Kunstwelt nach Expansion und der Bestätigung
der eigenen, auf ästhetischen Kategorien und überlegene "Bildung"
basierenden Autonomie.
Vielversprechender finde ich Projekte wie dasjenige, das Wolfgang Zinggl
1995 in der Shedhalle Zürich realisierte. 8 Wochen Klausur bestand
darin, dass Vertreter der Behörden, der politischen Parteien, der Gesundheitsdienste
und Drogenabhängige zusammengebracht wurden. Während Acht Wochen
wurden Treffen organisiert, bei denen die Gesprächspartner buchstäblich
in einem Boot sassen und in Klausur über den Zürichsee fuhren.
Auch wenn diese Aktion wenig messbare Erfolge zeitigen konnte, so scheint
mir das Modell doch beachtenswert. Die gereizte Kritik, respektive das Totschweigen,
mit dem die lokale Kunstwelt diesem Projekt begegnete, zeigt, dass damit
möglicherweise auch ein wunder Punkt der Kunstwelt getroffen wurde,
deren Narzissmus durch Aktionen, bei denen die "Kunst" zu verschwinden
droht, verletzt wird.
Mit weniger Pathos als Zinggl gehen die beiden Künstler vor, die
ich im folgenden präsentieren möchte. Peter Friedls Arbeiten im
öffentlichen Raum spielen ganz bewusst mit den Strategien des Eindringens
und Aufdrängens. "Hinaus mit uns" prangte in deutscher Sprache
auf Plakaten in einer tschechischen Stadt während der Dauer seiner
Ausstellung. Hinaus mit wem? Mit den Ausländern, zu welchen der Künstler
als Österreicher ja in diesem Fall zählte? Oder heraus mit den
Künstlern, die sich überall breitmachten?
Friedl beklebte während der Biennale in Venedig die Gegend um die
Giardini mit kleinen Postern, auf denen stand "I survived the German
Pavilion". Im Pavillon hatte damals Hans Haacke mit seiner Installation
"Germania" die Nazivergangenheit des Pavillons thematisiert und
den buchstäblich brüchigen Untergrund der deutschen Kultur mittels
des zertrümmerten Boden des Pavillons dargestellt.
Haackes pathetische Kritik war eigentlich keine, denn sie tat an diesem
Ort niemandem weh. Seine Kritik bestätigte vielmehr die auf Selbstbespiegelung
basierende Kultur der Bundesrepublik, die dadurch, dass sie sich als ästhetische
Arena für politische Auseinandersetzungen anbietet, die "wirklichen"
Auseinandersetzungen mehr oder weniger ungewollt verhindert oder zumindest
verzerrt. Indem Friedl gewissermassen vor den Toren der Kunstwelt seinen
ironischen Kommentar zum Narzissmus der deutschen Kunstwelt machte - noch
dazu mit der Aneignung eines für jüdische Überlebende von
Konzentrationslagern konnotierten Begriffs, verging er sich an verschieden
Tabus gleichzeitig. Da sein Eingriff aber an einem Ort ausserhalb der Kunstwelt
erfolgte, wurde er weder von dieser gesehen, noch von denjenigen potentiellen
Adressaten, die nicht an der Diskussion um den "German Pavilion"
interessiert waren.
Derartige Griffe ins Leere bringen einen als Künstler manchmal
sehr rasch selber ins Zentrum der Kunstwelt. So ist Friedl denn auch letzten
Sommer zur documenta X eingeladen worden, wo er zwei Beiträge realisierte,
die ich kurz vorstellen möchte.
Die neue Ausstellungshalle der documenta schmückte er mit der Leuchtbuchstabenaufschrift
"Kino". Die wenigsten Besucher nahmen die Aufschrift wahr. Und
wenn, dachten sie möglicherweise daran, dass wohl auch etwas anderes
in einem Gebäude stattfinden musste, das nur alle fünf Jahre für
die documenta benutzt wird. Oder hatten die Veranstalter vielleicht ursprünglich
daran gedacht, alle Filme an einem Ort spielen zu lassen? Was unterschied
denn ein Ausstellungsgebäude der Hochkunst von einem Lichtspielhaus
der Populärkultur? Schlangen von Wartenden standen vor beiden. Und
beide versprachen ein Spektakel, das vom öden Alltag in Kassel ablenken
sollte.
Catherine David hatte bekanntlich einige Fussgängerunterführungen
zu Kulissen künstlerischer Eingriffe deklariert. Friedl löste
in einer davon sein Versprechen des "Kinos" ein. Unmittelbar neben
der von Christine Hill betriebenen Volksboutique, in welcher die Angehörigen
der Kunstwelt in die Niederungen der Einkaufsfreuden des Mannes von der
Strasse tauchten, plaziert er in einer Vitrine einen Fernseher, auf dem
als Videoclip eine kurze Szene lief. Sie zeigte einen Passanten - Friedl
selbst - der an einem Automaten Zigaretten kaufen wollte. (In dieser Unterführung
gab es in Wirklichkeit nicht einmal mehr einen Zigarettenautomaten). Die
Maschine gab aber nichts heraus, obwohl er Geld eingeworfen hatte. Er wurde
wütend, rüttelte an dem störrischen Apparaten und trat dagegen.
Schliesslich gab er auf. Ein Junkie, der die ganze Zeit daneben gestanden
hatte, fragte nach Geld. Friedl stiess ihn enerviert zur Seite, worauf der
Junkie ihm, der wie der Automat nichts ausspuckte, einen Tritt versetzte.
Damit endete die Szene.
Friedl fand damit ein Mittel, der komplexen und ambivalenten Aufgabe,
Kunst im öffentlichen Raum zu plazieren, zu entsprechen. Während
Christine Hill den Unort der Nachkriegs-Fussängerunterführung,
diese architektonische Unterwerfung der Fussgänger unter das Auto,
mit einer simulierten Attraktion, der Boutique, kaschierte und durch die
Entfaltung einer Pseudoaktivität übertöntet, trug Friedl
ganz nüchtern der Tatsache Rechnung, dass niemand länger als unbedingt
nötig in der urinstinkenden Unterführung bleiben möchte,
deren Unterhalt die Stadt seit langem nicht mehr zahlen kann. Mit seinem
Videoclip, der keine zwanzig Sekunden dauert, weckte er sowohl bei Kunstfreunden,
die extra dafür nach Kassel gereist sind, wie bei Passanten, einen
Moment die Neugierde. Aber er hielt niemanden länger als nötig
zurück.
Und er überlässt es ihrer Phantasie, selber an dem kleinen
Spiel teilzunehmen. Allegorisch verstanden handelt seine Installation davon,
dass auch die Zuschauer etwas (Zeit, Geld, Aufmerksamkeit) in die Apparatur
Kunst investieren. Wenn nicht das Gewünschte (Erkenntnis, moralische
Leitbilder, Unterhaltung) dürfen sie achselzuckend weiterziehen.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen einige Beispiele eines wenig bekannten
Künstlers zeigen. Gianni Mottis Aktionen finden ausschliesslich im
öffentlichen Raum statt. Ihre Thema ist, wenn man so will, die seltsame
Begegnung zwischen der Kunstwelt und anderen Welten. Sie sind strukturell
verwandt mit der Performance, spielen sich aber vor verschiedenen Publika
ab. Einerseits einem an Kunst nicht speziell interessierten Publikum, welches
zu spezifischen Anlässen (Sport, Zirkus, Politik, etc.) zusammenkommt
und Mottis Eingriff nicht, oder nur zerstreut wahrnimmt. Andrerseits das
Kunstpublikum, welches die Aktionen vermittels einer dokumentarischen Photographie,
eines Videofilms oder aber der mündlichen Erzählung (wie Sie heute)
rezipiert.
So hat sich Motti beispielsweise unter die Fussballer des Fussballclubs
Neuchâtel-Xamax geschlichen und ist, mit dem Wissen des Captains und
des Kommentators, zum Spielbeginn aufs Feld gestürmt. Wie alle anderen
Spieler wurde er über Lautsprecher kurz vorgestellt, mit seinem richtigen
Namen und als Künstler, der sich für die Begegnung der Kunstwelt
mit anderen Bereichen der Gesellschaft interessiere. Das Publikum applaudierte
zerstreut, die Mitspieler reagierten etwas irritiert. Aber den Spielverlauf
als solchen störte der Künstler, der gleich danach vom Feld verschwand,
nicht.
Aus der Perspektive der Kunstwelt kann die Aktion auf verschiedenste
Weisen gelesen werden. Sei es als Kommentar zum Starkult in der Kunstwelt,
als Kritik des fehlenden Teamgeists innerhalb der Kunstwelt, zur ironischen
Kritik der unterschiedlichen "Kennerschaften" der Sportwelt und
Kunstwelt, etc. Mit geringem Aufwand verwandte Motti die Fussballwelt für
einen Moment in einen Spiegel der Kunstwelt.
Ein kritischer Kommentar zur Vorstellung des Künstlers als expressivem
Genie, welches Berge versetzt, bot Motti anlässlich des letzten grossen
Erdbebens in Kalifornien, 1994. Er schickte an eine Nachrichtenagentur ein
Bekennerschreiben, in welchem er sich als Urheber des Erdbebens ausgab.
Seinem Photo fügte er einen "Plan" bei sowie zum "Beweis"
die Photographie eines zerstörten Hauses. Er forderte nichts, lediglich
die Autorschaft für das Erdbeben. Für die Nachrichtenagentur war
Mottis Bekennerschreiben eine willkommene humoristische Meldung, die sie
an verschieden Zeitungen mit Gewinn verkaufen konnte. Mottis Kunst wurde
somit über andere als die üblichen Kanäle einem anderen als
dem üblichen Publikum vermittelt bevor sie, säuberlich gerahmt,
auch im Kunstkontext ausgestellt wurde.
Als Motti letztes Jahr zu einem Aufenthalt in ein Kunstzentrum in Bogotá,
Kolumbien eingeladen wurde, führte er dort einen "Psy-Room"
durch, das heisst, er bot gegen Honorar psychologische Beratungen durch.
Nach einigen Sitzungen stellte er fest, dass die Politik im Land zu den
Ursachen der persönlichen Störungen gehörte. Er bat daraufhin
den Präsidenten zu einer Sitzung in seinen "Psy-Room". Als
dieser ablehnte, kündigte Motti an, er werde sich vor dem Präsidentenpalast
plazieren und den Präsidenten hypnotische zum Rücktritt bewegen.
Diese Ankündigung wurde von Tageszeitungen verbreitet und als Motti
darauf zur Hypnosesitzung erschien, standen Tausende andere Künstler
bereits da, um mit ihm zusammen zu hypnotisieren.
Motti, der darauf auf den Titelseiten erschien, wurde heimlich ausser
Landes gebracht. Mit dieser Arbeit berührte er verschiedene grundsätzliche
Fragen von Kunst im öffentlichen Raum. Ist politische Kunst möglich?
Ist sie als politische Kunst planbar? Wann ist sie politisch effektiv? Wann
ist sie für das Kunstpublikum effektiv?
Motti verliess, wie auf dem Fussballfeld, den Schauplatz bevor es ernst
wurde. Aber die Kollision zwischen den beiden Welten kam für einen
kurzen Moment zustande und hat möglicherweise das Funktionieren in
beiden Welten beeinflusst.
Genf ist, wie sie wissen, noch immer eine Uno-Stadt. Als unlängst
Motti in der Zeitung las, dass eine Resolution verabschiedet werden sollte,
machte er sich zum Sitz der Uno auf. Es gelang ihm, die Sicherheitskontrollen
zu passieren, indem er am Eingang einen zufällig anwesenden Diplomaten
zu kennen vorgab, irgendwelche alten Geschichten erfand und von diesem sogleich
als alter Freund "wiedererkannt" wurde. Die beiden spazierten
schulterklopfend an den Wachen vorbei. Motti wurde anderen Kollegen vorgestellt
und gelange so unbehelligt in den Versammlungssaal. Dort wartete er, ob
ein Platz frei bliebe. Der Delegierte von Indonesien erschien nicht, und
so setzte sich Motti an dessen Platz. Er bat einen Kollegen, ein Erinnerungsphoto
zu machen.
Nachdem er die Diskussion einige Zeit verfolgt hatte, bat er um das
Wort. Er kritisierte die Tatsache, dass die Vertreter der kleinen Nationen
in der Diskussion viel zu kurz kämen. Sein Votum erhielt von eben diesen
Vertretern grossen Beifall, einige verliessen im Protest den Saal, und der
Präsident musste die Sitzung unterbrechen. Motti nützte den Tumult,
um seinerseits zu verschwinden.
Wieder stellt sich die Frage, ob der Aufwand und das Resultat der Aktion
sich in einer Balance befinden. Rechtfertigt der zu erwartende "Erfolge"
das Risiko? Wo verläuft die Grenze zwischen dem unnötigen Streich
und der für die Kunstwelt sichtbaren Geste?
Die letzte Aktion geht darauf zurück, dass Motti in Grenoble einen
Workshop durchführte. Die Studenten der dortigen Kunstschule, des "Magasin",
konnten sich für ein Stipendium bewerben, welches ihnen erlaubte, für
ein halbes Jahr bei einem Künstler in die Lehre zu gehen. Einer der
Stipendiaten wählte Motti, während die anderen nach New York und
London zogen. Motti, überraschend mit der Möglichkeit konfrontiert,
ein halbes Jahr lang über einen Assistenten verfügen zu können,
entschied, diesen auf eine Weltreise zu schicken, um nachzusehen ob alles
"in Ordnung" sei. Einzige Bedingung war, dass der Assistent stets
ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gianni Motti Assistent" auf sich
trug um so zu zeigen, dass er sich nicht in den Ferien, sondern auf einer
Mission befand.
Dieser Tage wird der Assistent von seiner Weltreise zurückerwartet.
Gianni Motti wird mit ihm zusammen die Ergebnisse präsentieren, am
Dienstag, 28. April 1998, 18.15 Uhr in Genf, Ecole Supérieure d'Art
Visuel, 9, Boulevard Hélvétique, Auditoire.
***
Ich komme zum Schluss. Die beiden Beispiele, Friedl und Motti, konfrontieren
uns mit Fragen, welche an Kunst im öffentlichen Raum, aber auch an
Kunst im allgemeinen gestellt werden können.
An wen richtet sich die Kunst?
Was bewirkt es?
Wie lange dauert es?
Was kostet es?
Das sind Fragen, die Sie sich als Künstler, auch wenn sie kein
Projekt für den öffentlichen Raum planen, ebenso stellen können.
Ich habe die Beispiele von Friedl und Motti gewählt, weil sie erlauben,
diese Fragen exemplarisch zu stellen und weil meiner Ansicht nach die Resultate
ihrer Praxis überhaupt dazu führen, dass wir uns diese Fragen
so deutlich stellen. Kein einziges Mal, das haben sie gemerkt, stellte sich
die Frage "Was ist Kunst?" Dies ist eine Frage, die für manche
Künstler in den 1950er und 1960er Jahren von Belang war. Was Künstler
wie Motti und Friedl und natürlich viele andere in den letzten Jahren
interessiert ist allenfalls die Frage "Wo ist Kunst?"
Und was ihre Arbeiten, in meiner Sicht, so erfolgreich macht, ist dass
sie uns Geschichten erzählen von Begegnungen, Abläufen, Mißverständnissen.
Die Botschaft, um zu Spielbergs "Close Encounters" zurückzukommen,
ist nicht das Medium. Sie liegt anderswo.