Š Tages-Anzeiger; 19.05.2004; Seite 58

Kultur

GESCHRIEBEN IN ZÜRICH

Monsieur Tzara, Provokateur aus Moinesti

Tristan Tzaras Dada-Manifest von 1918 war das Fanal des Dadaismus. Es katapultierte den Rumänen ins Zentrum der europäischen Avantgarde.

Von Barbara Basting

Als André Breton (1896-1966), der Bannerführer des Surrealismus, 1952 in einer Gesprūchsreihe für den französischen Rundfunk von André Parinaud auch zu seinen Erinnerungen an Tristan Tzara und Dada in Paris befragt wurde, äusserte er sich kritisch: 'Ich sage hier nur, dass die Zeitschriften und Dada-Manifestationen unter Tzaras Einfluss ins Stocken gerieten. Das geschah, weil sie alle demselben Schnittmuster folgten, das auf das Zürcher Publikum zugeschnitten war und, wenn ich so sagen darf, im Wechselspiel mit diesem ausgewalzt wurde. Von innen wie von aussen gesehen, wurden die Manifeste immer stereotyper, sklerotischer.'

Das ist nicht der einzige harte, ja herablassende Kommentar Bretons zu Tzara (und zu Dada). Dabei hatte Breton Tzara seit April 1919, nachdem er von dessen sagenhaftem Wirken in Zürich durch Francis Picabia und Jean Cocteau erfahren und Tzaras 'Manifeste Dada' von 1918 zu Gesicht bekommen hatte, zunächst heftig umworben; aber schon 1922, im Jahr von Bretons erstem surrealistischen Manifest, überwarfen sich die beiden. Breton hatte, abgesehen von kunstideologischen Differenzen mit Tzara und der Dada-Bewegung überhaupt, das Kernproblem aller Avantgarde-Provokationen seit Marinettis futuristischem Manifest von 1909 klar erkannt: Die Repetition konnte ihren Aufmerksamkeitswert nur abschwächen. Vor allem aber wollte der machtbewusste Breton sich selber an die Spitze der Avantgarde setzen. Das gelang ihm auch.

Achterbahnfahrt der Gedanken

Dabei war Tzaras sympathisch leichtfüssiges 'Manifeste Dada', anders als Marinettis Vorbild, keineswegs nur dummdreiste Provokation. Schon das kürzeste Zitat belegt dies: 'Wir anerkennen keine Theorie. Wir haben genug von den kubistischen und futuristischen Akademien: Laboratorien für formale Gedanken. Macht man Kunst, um Geld zu verdienen und die netten Bürger zu streicheln?'.

Diese Kostprobe ist typisch für das lūngste, berühmteste und wichtigste von Tzaras sieben Dada-Manifesten, das er am 23. Juli 1918 im Zunfthaus zur Meisen vorgetragen hatte. Ein Text, der auf einer irrwitzigen Achterbahnfahrt der Gedanken inhaltlich wie sprachlich scharf gegen Konventionen hält; eine Suada, deren Struktur die Demontage jeder Struktur ist; der als Schwall ketzerischer, frecher, scheinbar konfuser, aber durchaus nachvollziehbarer Ideen erfrischt. Seine Ventilfunktion für antibürgerliche Affekte macht ihn zusūtzlich attraktiv. Man wundert sich kaum, dass er von der Pariser Kunst- und Literaturszene, die sich gerade von der Katastrophe des Ersten Weltkriegs aufrappelte, gierig aufgesogen wurde.

Dagegen befand die Zürcher Tagespresse trocken: 'Wer angeregt durch die Pressenotizen aus Deutschland zum Dada ging, war zweifelsohne enttäuscht. Kein Radau, keine Demonstrationen. War es die sanfte, zur Monotonie neigende Stimme des Vortragenden, die die Gemüter der Anwesenden beschwichtigte? War es der Umstand, dass wohl nur wenige der Anwesenden die französische Sprache so beherrschten, dass sie mit Nachdruck den Dichter für das Nichtverstehen zur Verantwortung zu ziehen wagten?' ('Zürcher Morgenzeitung', 29. 7. 1918). Mochte Tzara auch kein brillanter Vortragender sein, eines war er sicher: ein umtriebiger 'Netzwerker', Eventmanager und Corporate-Identity-Erfinder, um heutige Begriffe zu verwenden. Sein PR-Talent war beachtlich, folgt man der bisher ersten umfassenden Tzara-Biografie von Francois Buot (Paris, Ed. Grasset, 2002).

Als Tzara sich aufs Dada-Abenteuer einliess, ging es für ihn um alles oder nichts. Der am 16. 4. 1896 unter dem Namen Samuel Rosenstock im rumänischen Moinesti geborene Sohn des Direktors einer Ölföderfirma stand unter dem typischen Erfolgsdruck des ehrgeizigen Provinzflüchtlings. Beeinflusst von der Lyrik des französischen Symbolismus, hatte er sich als Gymnasiast für Sprachexperimente zu interessieren begonnen. Ab 1915 nennt er sich Tristan Tzara. Dieser wohlklingende Künstlername ist sein erster poetischer Coup. Er folgt seinem Maler-Freund Marcel Janco nach Zürich, schreibt sich in der Philosophischen Fakultät ein, wohnt zunūchst in der Pension Altinger an der Fraumünsterstrasse 21, die erste in einer ganzen Reihe von Hotels und Pensionen, in denen er während seiner Zürcher Zeit logiert. Schnell findet er an Hugo Balls Cabaret Voltaire Anschluss, das er geschickt zu seiner eigenen Plattform ummodelt. Während Richard Huelsenbeck, Hugo Ball und andere Dadaisten Zürich wieder verlassen, zieht Tzara die Sache mit der Energie des Verzweifelten, der keine Alternative sieht, eisern durch.

Ein eklektischer Geist

Tzara, der 1963 in Paris starb, ist aber anders als Breton nie zum Chefideologen einer Bewegung geworden. Das wūre wohl seinem eklektischem Geist zuwidergelaufen. Als Lyriker, Romanautor, Kunstkritiker, Mitglied der Résistance, später Mitglied der französischen Kommunisten (Lenin hatte er nach eigenem Bekunden in Zürich kennen gelernt, ohne zu ahnen, wer sein Gegenüber einmal sein würde), Kenner der afrikanischen Stammeskunst hat er ein umfūngliches Werk, eine erlesene Bibliothek und Kunstsammlung hinterlassen, die 1968 versteigert wurde. Er gehört zu den noch immer unterschätzten Figuren des unvergleichlichen Ideenlabors, das die europäischen Avantgarden der Zwischenkriegszeit waren. Immerhin hat der Historiker Greil Marcus ihn in seinem Kultbuch 'Lipstick Traces' (1989), dem Versuch einer alternativen Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, als Ahnherrn von Punk gewürdigt.

Tristan Tzara: Sieben Dada-Manifeste. Edition Nautilus, 1998.

Das Kunsthaus Zürich hat aus dem jüngst versteigerten Nachlass André Bretons ein Album mit raren Dokumenten zu Dada in Zürich erworben. Es wird im Herbst 2005 im Kunsthaus präsentiert werden.

BILD KEYSTONE/PHOTOPRESS

Tristan Tzara wird 1917 von Hans Arp (links) und Hans Richter getragen.

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