Einführung: Erster Vater
Wenn ich diese Bilder ansehe und an meinen Vater denke, wird mir klar, dass wir Kinder die Väter unserer Vaterbilder immer wieder verlieren. Der Vater nimmt sein Kind an der Hand und zeigt ihm (oder ihr) die Welt, aber auf einmal passiert dann ganz etwas anderes:
Dies ist ein kurzer Bericht über das Leben meines Vaters, so wie
ich anhand einiger Bilder es sehe (eine Absicht ist es, zu fragen wo die
Brüche zwischen meinem Bild und seiner Geschichte sein könnten).
Mein Vater wurde 1925 geboren, aber diesen Teil seiner Geschichte lasse ich beiseite und setze ein ungefähr zu dem Zeitpunkt meiner Zeugung. Ein gutaussehender Mann, eindeutig ein Arzt mit seinem Käppi und Mundschutz. Das Gesicht, so vertraut es auf mich wirkt, ist meilenweit entfernt von dem meiner Erinnerung. Als kleines Kind habe ich ihn sehr geliebt, doch als ich grösser wurde wuchs auch meine Angst vor ihm.
Er konnte sehr grosszügig sein, war es aber nicht immer. Je länger
ich ihn kannte, desto schlechter ging es ihm und als ich erwachsen wurde
litt er an Depressionen, Alkoholismus und diversen Kreislauferkrankungen.
Zu der Zeit kam er mir immer etwas grössenwahnsinnig vor: Er der Puppenspieler
und alle anderen Marionetten. Nicht, dass wir uns so verhalten hätten,
aber das war in etwa seine Wahrnehmung. Es ist leicht verständlich,
das damit auch eine grenzenlose und untröstliche Einsamkeit in ihm
herrschte. Und das ist der deutlichste Teil meiner Erinnerungen an ihn.
Am Ende seines Lebens hatte er, glaube ich, das Gefühl, alles verloren zu haben, was sein Leben wertvoll machte und zog sich in eine Art freiwillige Verwirrtheit zurück in der er sich nur noch darum sorgte, genügend Zigaretten in seinem Nachttisch zu horten.
Mein Vater -er war neben einem um zehn Jahre älteren Halbbruder das einzige Kind der Familie - wuchs in einer gut-bürgerlichen Umgebung mit 12 Tanten und Onkeln auf. Ich glaube, es war eine im grossen und ganzen freundliche und fröhliche Familie mit einem alten, verehrten Patriarchen als Oberhaupt.