Netzbasierte Kunst

next

welche Bilder?

Die sog. Net Art zeigte sich von Anfang an als eher bilderfeindlich - ihr Medium war die Sprache, sei es die der verbalen Kommunikation oder die des Programmiercodes - welcher Interaktion und Vernetzung erst ermöglicht.
Ein früher Grund für diesen Ikonoklasmus lag in der langen Ladezeit für Bilder im Internet. Ein zweiter Grund war die etwas puristische Annahme, dass eingescannte Bilder (wie Fotografie) fürs Netz nicht medienadäquat seien - allenfalls graphische Elemente, welche sich in html codieren lassen,seien zulässig. (Linien, Farbflächen, Scrollbalken etc. Das führte auch zur ASCII-Kultur).
Ein 3. Grund lag in der frühen Kritik an der digitalen Bildproduktion, die unter der Eikette der sog. Computerkunst meist (Foto-)Realismus vortäuschte, obwohl diese digitalen Bilder eine Vorlage in der Realität nie besessen haben. Diese Täuschung bezeichnet Lev Manovich als das "Paradoxon der visuellen digitalen Kultur" , während Horst Bredekamp 1991 von 'grundloser Mimesis’ sprach und schrieb, dass selbst die Visualisierung einer mathematischen Formel, etwa der Mandelbrotmenge, "bislang allen Versuchen der Computerkunst überlegen" sei.

Tatsache ist, dass die Basis des digitalen Bildes eine binäre Zahlenfolge ist, die sich jederzeit verändern kann. Seine eigentliche Qualität liegt in dieser Operationalität, darin, dass das kalkulierte Bild durch menschliche oder automatisierte Eingriffe umgeformt werden kann.


Heath Bunting, the internet beggar, 1996.
Heath Bunting gehört zu den Netart-Pionieren der 90er Jahre. Als die langsamen Modems sich mit Bildübertragungen noch schwer taten, war der englische Künstler ein Meister der kleinen medienkritischen ’Erzählungen’. 1996 trieb er sein Spiel mit der damals geläufigen Metapher des Information Highway (Datenautobahn). In das beliebte Online-Guestbook eines Musikanbieters schrieb Bunting die Sätze: «Excuse me mister! could you spare a dollar?» Dazu fügte der Künstler in Hacking-Methode ein Formular ein, über das man die Nummer seiner Creditcard direkt an den Wegelagerer weitergeben konnte. «Ok you humble internet beggar, charge my credit card!», «god bless you sir!» Als virtueller Wegelagerer ist Bunting nicht reich geworden, aber sein kleines Projekt führt über die Trash-Poesie seines Sprachbildes die hochtrabende Metaphorik des Cyberspace ad absurdum.
http://www.parnasse.com/netnewmusicguestbook.shtml
x http://www.irational.org/heath/skint/


Jodi.org (seit 1995)
Seit 1995 gehört Jodi.org zu den bekanntesten Kunst-Adressen im Netz. Ihre Arbeit mit den selbstreferentiellen Mitteln der Browser-Ästhetik hat in der Net-Community weltweit Schule gemacht. In der scheinbar starren Befehlssprache kommerzieller Software spüren sie produktive Fehlfunktionen auf und erzielen dabei Effekte, die andere auch mal als Defekte missverstehen. So wurde ihnen 1999 wegen ihrer Netzarbeit Oss vom Host ihrer Website der Service gekündigt: "Wie sie wissen, enthält eine ihrer WWW-Seiten bösartiges Javascript, das den Browser abstürzen läßt..." Doch das Bösartige an OSS ist vor allem komisch, ein Wucher- und Wuseleffekt der Browserfenster, der an einen Virus denken lässt. Jodis subversives Spiel im ABC der Netz-Bildsprache lässt sich als angewandte Kritik der neusten Medien verstehen, vergleichbar mit Nam June Paiks techno-ästhetischen Untersuchungen von Fernsehen und Video. Jodi vergleichen ihre Arbeit mit einem 'Cargo Cult'. Mit Low-Tech-Mitteln thematisieren sie die Welt der High-Tech-Erscheinungen. Die inflationäre Allgegenwart von Webadressen mit ihren vor allem in Englisch lächerlich ausgesprochenen drei Ws überhöhen Jodi zu einer magischen Beschwörung: Ihre Hauptadresse wird nicht nur mit drei, sondern mit neun Ws geschrieben:
wwwwwwwww.jodi.org
http://asdfg.jodi.org
OSS: http://oss.jodi.org/os.html


Monica Studer / Christoph van den Berg: Quake, 1998
Ein bewegendes Erlebnis Bevor man diese Seite von Monica Studer (1960) und Christoph van den Berg (1962) ansteuert, sollte man besser die Kaffeetassen vom Schreibtisch räumen: In seinem Projekt «quake» hat das Basler Künstlerduo zwölf lexikalische Definitionen von Erdbebenstärken (Mercalli Earthquake Intensity 1-12) umgesetzt. Bei Intensität Eins («Not felt except by a very few under especially favorable circumstances») ist die Bildschirmwelt noch ganz stabil, bei Intensität Zwei beginnt der Text bereits ganz leicht zu wackeln, bei Stärke Sechs wird die Übertragung vorübergehend unterbrochen und bei Stärke Zwölf schliesslich («Damage total») beginnt der eigene Kiefer unweigerlich zu schlottern, so heftig bebt der Schirm. (Text: Samuel Herzog)
http://www.xcult.org/ateliers/um/quake/quakeset.html


Vuk Cosic / Ascii Art Ensemble, ASCII-Art, 1998
Das Ascii Art Ensemble (Vuk Cosic, Walter van der Cruijsen und Luka Frelih) entwickelte nach 1995 ein kleines Computerprogramm, mit dessen Hilfe man Bilder in textbasierte Rastergrafiken umwandeln kann. Die Rasterpunkte werden durch die Buchstaben und Interpunktionszeichen des ASCII-Alphabets (American Standard Code for Information Interchange) markiert. In der Folge reproduzierte das Ascii Art Ensemble bekannte Filme (wie den bekannten Porno-Klassiker Deep Throat) in bewegten ascii-Bildern und konstruierte eine ascii-Kamera, mit der sich &Mac226;Fotos’ aus Schriftzeichen aufnehmen liessen. Auch von vielen anderen Künstlern wurde Ascii-Grafik als Möglichkeit verstanden, für das Internet schnell ladende Bilder mit einer medienspezifischen Ästhetik herzustellen. Die populärste Form solcher geschriebenen Bilder sind die Emoticons in emails und chat-Foren, etwa das Zeichen für Belustigung :-).
Deep ASCII | | | ASCII-Camera-Bsp


Deep Throat, USA 1972. Director: Gerard Damiano, Cast: Linda Lovelace, Harry Reems. (http://home.clara.net/raydav/paradisecinema_deep_throat.html)